Ein Korb voll Erde

Aushang:

Niran, Zeichner der Schmuggler, sucht kräftigte Pahus für einen Transportdienst. Interessierte werden aufgefordert, sich morgen bei Sonnenaufgang bei Wächterin Lamduan zu melden.

Gez.

Niran

***

Der Korb aus geflochtenen Palmenblättern drückte Sari immer weiter in Richtung Boden. Eine aufdringliche Strähne fiel ihr in die Augen und obwohl sie kostbare Luft opferte, um sie auf Abstand zu halten, nützte es nicht. Ob es irgendjemandem auffallen überhaupt würde, wenn sie hier einfach zusammenbrach? Egal, sie musste es schaffen. Jeder erfüllte Auftrag brachte sie näher an einen Kasteneid. Auch wenn es heute nur darum ging, schlichte Erde von einem Ende der Stadt zum anderen zu schaffen, morgen konnte es ganz anders für sie aussehen. Besser.

Nirans Worte vom gestrigen Abend hallten wie ein Echo in ihrem Kopf und verbanden sich mit seinem süffisanten Lächeln als er versichert hatte, er wüsste schon, was er mit ihnen machen könnte. Dies war wohl seine Art ihr zu sagen, dass sie niemals wieder in seine Räumlichkeiten eindringen sollte. Nun, damit würde sie leben können.

Solange er dafür Jayse bei sich aufnahm, dürfte er sie schikanieren, wie es ihm gefiel.

Hinter ihr klapperte jemand, ein Schrei, dann wurde Sari durch ein Gewicht von den Füßen gerissen. Schmerz durchzuckte ihre Knie, als sie nach vorne kippte und auf den harten Untergrund aufprallte. Der Korb fiel zu Boden und braune Erde bildete einen Berg um ihre Hände. Bevor sie sich aufrappeln konnte, traf sie ein weiterer Schlag. Instinktiv rollte sich Sari zur Seite. Nein, ein Tritt. Ein Junge stand neben ihr. Sein Gesicht war rot und er atmete stockend. Erde klebte auf seiner Kleidung und selbst in seinen Haaren fanden sich vereinzelte Brocken. Die übrigen Arbeiter schulterten ihre schweren Körbe und wanderten an ihnen vorbei.

»Pass doch auf, Ha'lulu!«, schnauzte er und hob seinen Fuß erneut.

Doch Sari ließ ihm keine Chance und drehte sich zur Seite. Der Junge zeigte seine Zähne in der verzerrten Version eines Lächelns und setzte ihr nach.

»Was ist los?« Beim Klang der kühlen Stimme brach der Junge seinen Angriff ab und beugte sich in einer fließenden Bewegung vor, um Sari seine Hand zu reichen. »Sie ist gestürzt, Herrin.«

Verblüfft blinzelte Sari und versuchte, Staub aus ihren Augen zu bekommen. War das gerade wirklich passiert? Vor ihr ragte die kräftige Gestalt von Lamduan auf, die erst dem Jungen und dann ihr selbst einen Blick unter zusammengezogenen Brauen zuwarf. Sari zuckte mit den Schultern und pulte einen kleinen Stein aus einer Schürfwunde an ihrem Knie, das noch Kratzer vom Vortag zeigte. Mit einem ungeduldigen Seufzen riss der Junge sie auf die Füße zurück. Als der Schwung sie nach vorne riss, vernahm sie sein leises Flüstern. »Praphat grüßt dich, Ha'lulu

Erneut taumelte Sari voran und konnte sich nur mühsam fangen. Der Junge nutze ihre Wucht und sprang mit einem Satz in die Menge. Auf seinem nacktem Unterschenkel blitze der Umriss eines Tieres auf. Auch wenn die Zeichnung winzig war, der kleine Körper und der große Schwanz deuten auf das Abbild eines Makir-Äffchen hin.

Der Junge hatte seine Flucht keinen Moment zu früh vorgenommen. Direkt an der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte, segelte Lamduans Fuß durch die Luft. Bei einem Zusammenprall hätte er verloren, aber so verschwand sein sehniger Körper zwischen den anderen Trägern.

Lamduan runzelte die Stirn. »Ich habe die Zeichnung nicht gesehen.«

Vorsichtig rappelte sich Sari wieder auf die Beine. »Ist sie wichtig?«

Ein Schulterzucken, doch dann entschied sich die Wächterin doch zu einer Antwort. »Nur Kastenmitglieder sind gezeichnet. Niran hat diesen Dienst aber für pahus freigegeben. Niemand der zu einer Kaste gehört...« Lamduan stockte.

»...hat es nötige, hier Erde zu schleppen.«

»Du solltest für die Möglichkeit dankbar sein.«

Sari zog den Korb zu sich heran und begann, mit ihren Händen den Dreck zurück zu schaufeln. »Das bin ich, Lamduan.«

Ein Seufzer. »Ich weiß, Keiki. Ich bin nur wütend.«

»Wirklich?« Erstaunt sah Sari auf. Nichts in Lamduans Auftreten kam ihr ungewöhnlich vor. Ihre Stimme war ruhig, ernst wie immer. Völlig still stand sie neben ihr, während der Blick der Wächterin in der Ferne streifte. »Warum?«

»Ich bin eine Wächterin. Der Junge hätte nicht schneller sein dürfen als ich. Ich habe nicht einmal damit gerechnet, dass so etwas passiert.«

»Ich auch nicht.« Was offensichtlich ein Fehler gewesen war. Praphat hatte demnach nicht geglaubt, dass sie sich irgendjemand aus der Schmugglergilde wirklich für sie interessieren würde. Ein Glitzern in der Erden zog Saris Blick auf sich. Ihre Finger wischten über den flachen Gegenstand und Sari entdeckte eine Münze. Schnell kontrollierte Sie ihre Hosentasche. Richtig, es war ihre eigene. Mit zitternden Fingern steckte sie das Geldstück n ihre Tasche. Beinahe hätte sie das letzte Erinnerungsstück an ihre Mutter verloren. Sari atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen. »Ich habe das auch nicht kommen sehen.«

Lamduans Gelenke knackten, als sie sich neben Sari hockte. »Es ist nicht deine Aufgabe, Keiki.« Schnell schaufelte die Wächterin die restliche Erde in Saris Korb. »Es war meine.«

»Aber...«

»Chi will uns reizen.« Gemeinsam erhoben sie sich und unwillkürlich schaute Sari in die Richtung, in der ihr Angreifer verschwunden war. Erneut beugte sich Lamduan hinab, um den Korb aufzuheben, den sie anschließend Sari in die Arme drückte. »Ihm wird nur das Ergebnis nicht gefallen.«

Sari passte ihre Schritte an Lamduans an. Die restlichen Arbeiter waren ihnen weit voraus, aber hier neben der Wächterin war es wesentlich sicherer als in der Menge. Bislang hatte es nur Praphat auf sie abgesehen. Ein Umstand, der ihr Leben nicht einfacher machen würde.

Der Korb drückte auf ihren Hüftknochen und Sari verlagerte ihn auf die andere Seite.

»Du bist stärker, als du aussiehst«, brummte Lamduan und warf ihr einen kritischen Blick zu.

»Danke?«

»Nein, wirklich. Wenn man dich so ansieht, ist es ein Wunder dass ihr ohne den Schutz einer Kaste so lange überlebt habt.«

Obwohl Lamduan die Worte wahrscheinlich wohlwollend gemeint hatte, schnitten sie in Sari wie ein Speer in den Fisch. Ihre Muskeln fingen an zu brennen, genauso wie ihre Augen. Es war ja nicht so, dass sie der Wächterin nicht recht gab. Auch wenn Sari nicht als klein bezeichnet werden konnte, hatten die wenigen Mahlzeiten der letzten Huos ihre Spuren hinterlassen.

Mit zitternden Knien kämpfte Sari sich weiter. Am Ende der Straße kam das leere Gelände in Sicht, zu dem Niran die Erde transportiert haben wollte. Sie würde es schaffen. »Bring mir das Kämpfen bei«, stieß Sari aus, als sie sich Schritt für Schritt den Weg entlang kämpfte.

»Was?« Lamduan blieb stehen und wandte sich ihr zu.

Es war unglaublich schwer, das Feuer in ihren Armen zu ignorieren. Dennoch drehte sich Sari zu der Wächterin herum und sah ihr direkt in die hellen Augen. »Bring mir das Kämpfen bei«, knurrte sie erneut. »Bitte Lamduan.«

Die große Frau blinzelte, dann warf sie ihren Kopf in den Nacken und stieß ein herzhaftes Lachen aus.

Mit zusammengebissenen Zähnen drehte sich Sari und schleppte sich weiter zu der freien Fläche, auf der sich die anderen Träger bereits versammelten. Von dem Jungen war nichts mehr zu sehen, was aber auch nicht verwunderlich gewesen war. Er würde einfach eine bessere Chance nutzen, um sie alleine zu erwischen.

Hinter Sari erklangen Lamduans schwere Schritte. »Meinst du das Ernst?«

Noch zehn Schritte, mehr oder weniger. Dann hatte Sari es geschafft. Ihre Arme bestanden aus reinem Schmerz. Die Menschen hatten sich um eine junge Frau versammelt, die einen inneren Kreis abschnitt.

Neun Schritte. »Ja.«

»Aber das geht doch nicht, Keiki.« Acht Schritte, dann sieben. » Außerdem, was würde es bringen?«

Die Frau stieß in regelmäßigen Abständen einen Stock in den Boden. »Ich könnte besser auf mich und Jayse aufpassen.«

»Das bringt aber nichts gegen einen gezeichneten Gegner.«

Beinahe hatte sie es geschafft. Ihre rechte Hand gab auf, aber sie wuchtete den Korb noch oben und schlang ihren Arm um die Hülle.

»Gegen dich vielleicht nicht. Aber nicht jeder ist so gut wie du.«

Endlich. Ihre Fußspitze berührte den Kreis am Boden. Langsam ließ sie den Korb an sich hinunter gleiten. Ihr rechter Arm war taub, soviel Glück hatte sie beim Linken nicht. Mit dem tauben Arm umschlang sie den schmerzenden und drückte ihn eng an ihren Oberkörper. Wahrscheinlich sah sie aus, als ob sie jeden Moment umkippen würde, aber Sari blickte die Frau mit dem Stock einfach unverwandt an. Es dauerte einen Moment bis ihr klar wurde, das Lamduan nicht mehr geantwortet hatte.

Die Wächterin stand neben ihr und musterte sie mit einem Ausdruck, den Sari am ehesten als neugierig interpretieren würde. Ihre Arme waren verschränkt, aber ihre Mundwinkel wirken entspannt. »Na gut, Keiki. Ich werde darüber nachdenken.«

Mit einem Nicken zur Stockfrau verschwand Lamduan und ließ Sari mit dem Korb Erde zurück.


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