Botendienste

Jede der Kasten wird von ihrem Zeichner beherrscht. Der Wille der Fürsten ist absolut, doch können sie nur im Zusammenspiel wahre Größe erlangen. Ohne die Kaste der Sklaven, gäbe es niemanden, der Nahrung beschafft, Brocken gewinnt oder Traumkräuter erntet. Ohne Drogen und Diebesgut könnte der Schmuggel nicht erblühen. Ohne Erpressung und Prostitution hätten die Wechsler keine Aufgabe und ohne die Kopfgeldjäger gabe es für die Gildenoberhäupter keine Möglichkeit, die Reihen ihrer Feinde unauffällig ausdünnen.

Auszug aus: Hausregeln der Kasten

Als Sari den Palast das Schmugglerfürsten verließ, lag Unruhe in der Luft. Dabei war es nicht so, als das sie einen Finger auf den Punkt legen konnte, der sie und die Menschen um sie herum zu stören schien. Über O'Mani hing ein dichter Nebel, der es unmöglich machte, von den Sonnenschwestern mehr als dunstige Umrisse wahrzunehmen.

Lastenträger, Sklaven und Gildenmitglieder eilte geschäftig umher, alles schien wie immer zu sein. Vielleicht war es nicht die beste Idee, durch die Straßen zu laufen, nachdem in der Nacht zuvor jemand versucht hatte, sie umzubringen, aber darauf hatte sie nunmal keinen Einfluss. War es das, was sie störte? Die fehlende Sicherheit?

Zögernd drehte sich Sari in Richtung Hafen, bevor sie ihren Blick zu den höher gelegenen Regionen der Stadt richtete. Sollte sie zuerst Kamon oder Sumire aufsuchen? Mit der Zunge befeuchtete sie ihre trockenen Lippen, dann löste sie die Münze von ihrem Hals und wies stumm die Bedeutung des Wurfes zu. Aus naheliegenden Gründen würde der Berg für den Palast des Erpresserfürsten, das Gildenzeichen hingegen für die Kopfgeldjagd stehen. Schnell bewegte sie die Hand, fing die Münze wieder auf und schaute auf die stilisierte Abbildung der Erhebung, die sich in der Mitte von Majin erhob. Makeas Berg. Kamon, also.

Sari nahm sich die Zeit, um die Münze wieder an ihren Platz zu befördern, verschloss das Band an ihrem Hals und blickte hinauf zu den Hügeln. Eigentlich lag Kamons Villa beinahe jenseits der Hügel Hinais, am Rande des ala'Posa Viertels, das seinen Namen dem Duft verdankte, dass durch die Vielzahl an Pflanzen zu jeder Tageszeit in der Luft hing. Wenn sie den üblichen Weg durch die Hügel wählte, würde sie das Zeit kosten. Oder sie wählte schnellsten Weg, durch die Sklavenquartiere.

Auch wenn ihr Bauch Sari zu den Hügeln riet, um nur ja keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ihr müder Kopf hatte ander Pläne. Sie schüttelte ihn und verfiel in einen schnellen Trott, der sie direkt zum Basar der Wünsche brachte. Obwohl es noch früh am Morgen war, taten die Marktschreier ihr bestes, um Kunden anzulocken und auf vermeintliche Angebote hinzuweisen. Sari hielt die Augen starr in Richtung Südtor und versuchte dabei, sich zwischen Ständen und Passanten hindurch zu winden, ohne Zusammenstöße zu vermeiden. Oft retteten sie nur ihre Reflexe. Endlich erreichte sie die Mauer, durch die das Sklavenviertel von den übrigen Teilen O'Mani getrennt wurde. Vor dem Südtor standen wachen, die aufmerksam die Passierenden musterten.

Sari schob sich an einer wartenden Schlage vorbei und trat direkt auf einen der Wächter zu. Um seinen Oberarm trug er ein gelb-gestreiftes Band, dass ihn als eines von Danikas Gildenmitgliedern offenbarte.

»Dein Auftrag?«, brummte er und hielt sie mit gestrecktem Arm auf.

»Ich durchquere das Nuahi'ore Viertel, mein Ziel liegt in ala'Posa.«

Unwirsch deutete er an der Mauer entlang in Richtung Brücke. »Dann geh aussen herum, wie alle anderen auch.«

»Das würde ich tun, wenn nicht Fürst Niran dem Dienst eine besondere Dringlichkeit zugewiesen hätte.«

Der Wächter zog die Nase geräuschvoll nach oben. »Tja, wenn das so ist, kannst du selbstverständlich passieren.«

Zögernd blickte Sari zu ihm auf. »Gibst du mir kein Passierband?«

»Brauchst du nicht. Immerhin stehst du ja unter dem Schutz eines Dienstes, nicht wahr?« Sein süffisantes Lächeln brachte Saris Bauch zum Brodeln. Steif nickte sie ihm zu und eilte durch das Tor auf die breite Hauptstraße.

Die wenigen Male, die sie das Nuahi'ore Viertel besucht hatte, waren immer unspektakulär gewesen. Im Gegensatz zu vielen anderen Orten fand man hier keine lautstarken Auseinandersetzungen oder schreiende Händler. Es war bedrückend still. Die Straßen schienen wie ausgestorben und die wenigen Sklaven, die an hier vorbei huschten, schienen alle ein dringendes Ziel zu verfolgen. Die einfache Unterkünfte waren kaum mehr als Bruchbuden, aber zumindest sauberer als an anderen Orten in O'Mani. Dennoch verstärkte die Stille um sie herum die drückende Stimmung des Tages noch mehr als sonst.

Ihre Schritte wurden immer schneller und trotz der Müdigkeit in ihren Gliedern kam sie gut voran. Ein Haus glich dem nächsten, sie standen beisammen wie eine Gruppe Kinder, die sich gegenseitig Schutz bot. Am Ende der Straße kam das Nordtor in Sicht. Hier standen nur wenige Sklaven in einer Reihe, um das Viertel für ihre Diensttätigkeiten zu verlassen. Alle trugen verschiedenfarbige Bänder, von denen Sari aber keines zuordnen konnte. Sie kannte nur das schwarze Band der freien, das sie normalerweise nutzen, um Nuahi'ore ungestört passieren zu können. Dank des Wächters würde sie sich nun einer Kontrolle unterziehen müssen. Sie seufzte. Rechts neben ihr tauchte ein roter Farbfleck in ihrem Sichtfeld auf. Irritiert blieb Sari stehen und musterte das Gebäude. Jemand hatte die Tür mit Farbe bemalt. Es leuchtete beinahe hoffnungsvoll. In einfachen Strichen hatte jemand eine rosendornfarbene Blüte skizziert, die sich von der Klinke über das morsche Holz ausbreiten. Es war schön.

Sari blinzelte, um die Trockenheit aus ihren Augen zu vertreiben. Warum nur schuf jemand an diesem Ort ein Kunstwerk?

Kopfschüttelnd riss sie sich los.Es tat ja nichts zur Sache. Eilig stapfte sie auf das Nordtor zu, direkt auf eine junge Wächterin, die gerade ein Gähnen hinter ihrer Hand versteckte. Als sie Sari bemerkte, richtete sie sich auf und straffte ihre Schulter. »Was willst du?«

»Passieren.«

»Auftragsband?«

Sari schüttelte den Kopf. »Ich bin eine pahu.«

»Verstehe. Zeig mir deine Unterlippe.« Wie befohlen zog Sari ihre Lippe in Richtung Kinn, um der Wächterin ihre unmarkierte Innenseite zu präsentieren. Das Zeichen Danikas, zwei zusammenhängende Kreise, markierte die Skaven und nur wer hier reine Haut präsentieren konnte, dürfte sich frei bewegen.

»In Ordnung. Jetzt zeig mir deine Hände.«

»Was?«

»Mach schon.«

Ohne genau zu wissen, warum sie dies tun sollte, zeigte Sari ihre Handinnenflächen.

Die Wächterin warf nur einen kurzen Blick auf sie, dann wurde sie mit einem Winken weitergeschickt.

Ihr blieb keine Zeit, sich über die merkwürdigen Fragen zu grübeln. Neben der Schwere in ihren Knochen schlich sich langsam auch ein flaues Gefühl im Magen ein. Seit den Früchten in der Nacht hatte sie nichts mehr gegessen. Sari seufzte, dann trabte sie an der Mauer entlang in Richtung der Hügel.

Hier wirkten die Straßen viel naturbelassener. Der Nahe Dschungel hatte sich vorgewagt und drang immer weiter in die Straßen ein. An den Laternen rankten sich Schlingpflanzen empor und die Häuser waren von grünen Gärten umgeben. Selbst die Luft roch besser.

Der Weg führte Sari ein kurzes Stück in die Hügel, bis sie zu einem Anwesen kam, dass mit gerade hoch genug lag, um an sonnigen Tagen einen Blick ins Innere des Landes zu ermöglichen. Die Ville wurde von einer immergrünen Hecke umgeben. Sari wanderte an einer Seite entlang, bis sie an ein Tor kam, vor der eine von Kamrons Wachen stand. Der dünne Mann spielte an den Enden seines Schnurrbartes und starrte missmutig in Richtung der Nebelwand.

Sari trat zu ihm und verbeugte sich. »Fürst Niran sendet mich mit einer Botschaft an den Zeichner Kamon.«

Zuerst reagierte der Mann nicht, doch dann trat er einen Schritt zur Seite, streckte sich und machte sich auf den Weg durch das Tor. Mit einer Hand bedeutete er, ihr zu folgen.

Sie schritten durch einen Vorgarten, umrundeten die mächtige Villa und erreichten schließlich den Dschungelgarten. Dort, inmitten unzähliger Pflanzen, kniete Fürst Kamon und schlug mit einer Steinmachete einen Ast ab.

Der Wächter räusperte sich, wartete bis sein Fürst den Kopf hob und neigte ehrerbietig sein Haupt. »Eine Nachricht, von Zeichner Niran, mein Herr.«

Während Kamon sich Zeit nahm, noch einen weiteren Ast mit der Machete absäbelte, blieb Sari genug Zeit, den Zeichner zu mustern.

Im Gegensatz zu Niran war er massig. Sein Leinenhemd spannte sich über breiten Schultern. Den Kopf bedeckte Kamon mit einem breitkrempigen Strohhut und im Nacken konnte Sari das Ende eines kurzen Zopfes entdecken. Es war schwer, sein Alter zu schätzen, aber vermutlich war er deutlich älter als ihr eigener Fürst.

Hier im Garten zwischen all den frischen Düften fiel ihr das Stillstehen schwer. Ihre Beine kribbelten und sie wusste, dass vor ihr noch der lange Weg zu Sumires Unterkunft lag.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, drehte sich Kamon um und starrte sie an. Seine schwarzen Augen schienen leer und unbeteiligt zu sein. Schließlich streckte er seine Hand aus, um sich von Sari den Brief geben zu lassen.

Mit der Machete brach er Nirans Siegel und zog das Schreiben hervor. Seine Augen huschten über die Zeilen, dann hoben sich Kamons Mundwinkel zu einem unangenehmen Lächeln. »Soso. Niran möchte also meine Dienste in Anspruch nehmen.«

Nachdem Sari nicht wusste, ob von ihr eine Antwort erwartet wurde oder nicht, schwieg sie lieber, was den Fürsten nicht zu stören schien. Niran hatte angemerkt, sie würde nicht warten müssen, aber es erschien ihr nicht richtig, dass jetzt zu erwähnen.

»Richte Niran aus, er kann wie gewünscht meine Dienste gegen den Gefallen eintauschen, den ich ihm schulde.« Kamon schnippte mit den Fingern, worauf eine Dienerin mit einem Tablett aus dem Inneren das Hauses zu ihnen eilte. Sie trug Pergament, Feder, Wachs und Siegel des Zeichners zu ihm.

Schnell schrieb Kamon seine Nachricht auf und verschloss sie. Seine Blicke folgten ihr, bis sie den Garten verließ.


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