Die drei Türen
Mit hochrotem Kopf betrat ich die Bibliothek. Ich glaube, mir war zuvor nie etwas so peinlich. Vermutlich lachten die Beiden jetzt noch über mich.
Doch dafür war jetzt keine Zeit. Es war mittlerweile 10:02 Uhr und ich war zu spät.
Der Werwolf an der Rezeption warf mir einen skeptischen Blick zu.
„Was willst du hier?", fragte er genervt und etwas nasal.
„Ich habe um zehn einen Termin bei Esmeralda."
Er schaute auf die Uhr.
„Du bist zu spät. Das wird ihr nicht gefallen. Dein Problem." Er zuckte mit den Achseln.
„Sie ist im Büro. Dritten Gang bis zur Hälfte, dann rechts abbiegen, links abbiegen, zweimal rechts, hinter den Giften schräg links und dann die dritte Tür."
Mit der Information wandte er sich ab und offensichtlich war ich entlassen.
Er hatte die Richtungsangaben in einer solchen Geschwindigkeit herunter gerattert, dass ich mir nichts merken konnte. Aber er hatte die Ecke mit den Büchern über Gifte erwähnt und ich meinte mich von der Führung am Vortag an die ungefähre Lage erinnern zu können. Da ich mich nach den Gargoyles nicht noch mit einem Werwolf anlegen wollte atmete ich einmal tief den Geruch der Bibliothek ein und verlies mich auf meine Erinnerungen und mein Bauchgefühl.
Wider Erwarten hatte ich die Gift-Abteilung nach wenigen Minuten gefunden. Vor mir waren vier Türen. An keiner hing eine Beschriftung. Das wäre vermutlich zu einfach gewesen. Ich rollte mit den Augen und öffnete vorsichtig die erste Tür.
Ein buntes Treiben erwartete mich auf der anderen Seite der Tür. Überall sah ich Feen. Kleine grün gekleidete, beflügelte Feen, die in einer halsbrecherischen Geschwindigkeit von einer Ecke des Raumes zur anderen flogen.
Fasziniert betrat ich den Raum und stellte fest, dass sie Bücher reparierten, reinigten und kopierten. Bei genauerer Betrachtung erkannte man die Präzision mit der sie arbeiten. Da weit über fünfzig Feen durch den Raum schwirrten war es einziges großes Gewusel, welches sich stimmig ineinander fügte.
Mit einem Mal erschien eine der Feen direkt vor meiner Nase und fuchtelte mit einem Stock davor herum.
„Nicht atmen!", zischte sie.
Verständnislos starrte ich sie an. Nicht atmen? Wie stellte sie sich das vor? Sollte ich einfach umkippen?
An meinem verwirrten Blick erkannte sie wahrscheinlich, dass ich ihrem Befehl nicht folgen würde.
Sie verdrehte die Augen und erklärte: „Durch deinen Atem kommt eine zu hohe Luftfeuchtigkeit in diesen Raum. Das kann bei der Restauration, besonders bei den sehr alten Büchern und Pergamenten, sehr große Schäden anrichten. Wenn du also nicht die Luft anhalten kannst für die Dauer deines Aufenthaltes muss ich dich bitten zu gehen!"
Und mit diesen Worten dirigierte sie mich postwendend zur Tür zurück. Kaum war ich durch die Tür getreten, schloss sich diese mit einem lauten Knall hinter mir.
Offensichtlich war das nicht Esmeraldas Büro. Und offensichtlich war ich nicht willkommen.
Ich starrte die Tür noch einige Sekunden an, bevor ich mich an mein Ziel erinnerte und entschlossen die zweite Tür öffnete. Wenn ich dachte, dass mich nach diesem Tag kaum noch etwas überraschen würde, dann hatte ich mich getäuscht. Vor mir war eine riesige Wand aus Glas und dahinter ... der Ozean.
Sanftes Licht drang von der Oberfläche herein und ich erkannte Bibliotheksgänge mit Büchern. In den Gängen waren keine Regale aus Holz, wie in dem Hauptteil der Bibliothek, sondern Korallenriffe mit Aussparungen, in den die Bücher standen. Abertausende von Korallen in allen erdenklichen Farben leuchteten in den Gängen. Manch eine Koralle warf fluoreszierendes Licht, wodurch bei den kleinsten Wellenbewegungen es wirkte, als würde das Wasser Funken sprühen. Fische aller Farben und Formen hatten zwischen den Korallen und den Büchern ihr zu Hause gefunden und auf die Entfernung meinte ich, undeutlich, einen Hai zu erkennen.
In kleinen Nischen mit Sitzgelegenheiten saßen Meerjungfrauen und –männer und lasen in eben diesen Büchern. Offenbar waren die Bücher wasserfest, ansonsten hätten sie sich schon längst in ihre Einzelteile zerfleddert.
Die Haare der Meerjungfrauen sahen aus, als würden sie im Wind wehen und doch war es offensichtlich, dass sie durch Wellen bewegt wurden.
Das hier war also die Unterwasserbibliothek, von der ich schon mal in der Schule gelesen hatte, ich mir aber nichts vorstellen konnte.
Kurz starrte ich noch wie gebannt auf das Geschehen vor mir, bevor ich losreißen konnte und zurück in den Gang ging.
Auf zur dritten Tür. Ich klopfte an und betrat dann vorsichtig den Raum.
Vor mir stand ein riesiger Schreibtisch mit allerlei Dokumenten darauf, welche in ordentliche Blöcke gestapelt waren. Es gab ein großes Fenster zum Marktplatz hinaus mit brokatartigen Vorhängen. Die Wand hinter dem Schreibtisch war ein einziges Regal, vollgestopft mit so vielen Büchern, dass man eine eigene Bibliothek daraus hätte machen können.
Plötzlich nahm ich eine Bewegung hinter mir war.
„Du bist zu spät.", raunte eine Stimme hinter mir. Sie klang nicht begeistert.
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