11 | Der Schatz von Cirrus
Es war sehr dunkel. Die Steinwände gaben wenig Licht her und sie flog nun schon seit mehreren Stunden. Leonie war nur noch nicht gegen etwas geflogen, weil der Gang bis jetzt nur gerade verlief. Außer dem manch maligem Kratzen der Schur auf dem Boden konnte sie keine Geräusche wahrnehmen.
Die Stunden vergingen, aber nichts geschah. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sie hier je wieder rauskäme.
Nach einiger Zeit ließ sie sich langsam auf den Boden sinken. Sie musste sich kurz ausruhen und aß ein Stück vom getrocknetem Hasen, den Elgor ihr mitgegeben hatte. Es schmeckte gut, aber die Erinnerung an Elgers Betrug schmerzte.
Nachdem sie das Kaninchen ganz aufgegessen hatte, nahm sie sich das Seil an ihrem Bein etwas genauer unter die Lupe. Leonie versuchte, es mit dem Schnabel abzuzwicken, aber es war einfach zu fest. Vielleicht war es auch besser, sie hatte eine Möglichkeit wieder raus zu finden, falls der Gang doch nicht nur gerade aus verlief.
Sie schaute sich um. Wo ging es eigentlich weiter? Bei ihrem kleinen Rast hatte sie die Orientierung verloren, und wusste nun nicht mehr, in welcher Richtung der Gang führte. Von wo sie herkam, konnte sie auch nicht bestimmen, denn das Licht der Außenwelt war längst schon zu weit weg. Bei vollkommener Dunkelheit kann selbst eine Eule nichts mehr erkennen.
Sie versuchte an dem Seil entlang zu ertasten, aus welcher Richtung es kam. Dann flog sie in die entgegengesetzte Richtung los.
Doch schon nach wenigen Flügelschläge krachte sie mit dem Schnabel gegen eine steinerne Wand.
"Aua!" Leonie fiel und blieb auf dem Rücken liegen. Schnell rappelte sie sich auf und sah sich verzweifelt um. Hatte sie wirklich die Orientierung verloren? Sie war sich doch so sicher, dass das Seil aus der Richtung kam! Vielleicht war der Gang hier auch einfach zu Ende?
Ein kleiner Funken durchbrach die Dunkelheit. Er kletterte aus einem Loch am Boden die Wände hoch und verblasste schließlich.
Leonie nutzte die Zeit und sah sich um. Sie hatte mit der Richtung richtig gelegen und der Gang endete einfach plötzlich.
Unschlüssig ging sie in die Richtung, aus der der Feuerfunken gekommen war. Eine kleines unscheinbares Loch tat sich auf und ging in einen längeren Gang über. Er war zu niedrig und zu schmal um darin fliegen zu können, weshalb Leonie zu Fuß sich vorsichtig vorantapste.
Aus der Ferne war ein kleiner Lichtschein zu erkennen, der ihr genug Licht spendete um zu erkennen, dass der Gang in einem weiterem Raum endete.
Als sie diesen Raum betrat, erkannte sie, dass dieser rund und hoch gewölbt war. In der Mitte stand ein runder Tisch, auf dem kreisförmig Bücher angeordnet waren. Die Buchrücken standen nach außen und in dem Kreis stand eine einsame Kerze.
Leonie ging auf den Tisch zu und betrachtete die Buchrücken. Einige handelten von der Geschichte Cirrus' und ehemalige Könige. Alle Bücher sahen alt und zerbrechlich aus.
War das der Schatz? Sollte sie sich vielleicht einfach ein Buch mitnehmen und wieder von hier verschwinden? Vorsichtig streckte sie ihre Kralle aus und griff nach einem dünnen grünen Buch. Kaum, dass ihre Zehenspitze das Buch berührte, ließ sie erschrocken wieder los.
Die Kerze fing an, stärker zu flackern und Funken zu sprühen. Einige davon trafen auf Bücher und das Feuer fraß sie. Ein Funken jedoch schoss in die Höhe und formte sich zu einem Vogel.
Leonie erschrak und stolperte rückwarts, bis sie gegen eine Wand traf.
Der Vogel schien listig zu lächeln. Er flog auf sie zu und umgab sie, sodass es Leonie in ihrem Federkleid sehr warm wurde. Sie traute sich allerdings nicht, den feurigen Vogel mit den Flügeln wegzuscheuchen.
Das Feuer schlang sich um sie. Es tastete an ihr, aber fraß sie nicht.
Wer bist du, Eule?
Es war nicht mehr als ein kleines Flüstern und einer Stimme in ihrem Kopf. Leonie zögerte. Wer war sie denn eigentlich?
"Leonie, ein Fleckenkauz." Die Aussage erschien ihr zwar nicht vielsagend, aber was hätte sie sonst sagen sollen?
Das Feuer schlang sich um sie und versengte dabei die Schnur an ihrem Bein. Sie fiel auseinander. Leonie war frei von Elgor.
"Danke." Vorsichtig drehte sie ihren Kopf um den Vogel um sie herum ausfindig zu machen.
Doch das Feuer hatte seine Gestalt bereits aufgelöst und floß als Eines um sie herum.
Warum bist du hier?
Ja, warum eigentlich? "Ich wurde beauftragt etwas zu holen."
Was sollst du besorgen?
Zaghaft, nicht wissend, ob das die richtige Antwort war, antwortete Leonie. "Den Schatz von Cirrus."
Das Feuer hielt kurz inne.
Und? Hast du ihn gefunden?
"Ich... Ich weiß es nicht."
Weißt du, was der Schatz von Cirrus ist?
"Nein", antwortete Leonie ehrlich.
Das Feuer floss um sie herum und kicherte verstohlen.
Wem sollst du den Schatz bringen?
"Elgor, einem Höhlenkauz."
Möchtest du das auch? Das er den Schatz bekommt? Stehst du hinter seiner Meinung?
Leonie musste kurz nachdenken. Sie wusste nicht, was der Schatz von Cirrus war. Vielleicht konnte es Elgor wirklich helfen? Aber nein. In Aryns Buch stand, der Schatz sei der Schlüssel zur Herrschaft über Cirrus. Das traute die Fleckenkäuzin Elgor nicht zu.
"Nein, ich bin anderer Meinung. Er soll den Schatz nicht bekommen."
Das Feuer lachte.
Ja, Leonie, das ist eine weise Entschiedung.
Das Feuer schlang sich noch dichter um sie.
Ich, Leonie.
Es kicherte und ließ die Flammen toben.
Ich bin der Schatz von Cirrus.
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