{ 3.10 }
Die Jungen waren müde, Ebereschenfrost hatte befürchtet, dass sie es nicht mehr bis zum Glasbau mit den vielen Pflanzen schaffen würden. Obwohl Mondschatten bereits Echojunges im Maul trug und Rabenjunges auch so wirkte, als würde sie bald vor Erschöpfung zusammenklappen, drängte sie die Kleinen weiter.
Die Dunkelheit wich dem Morgen und mit der Dämmerung wuchs die Wahrscheinlichkeit, dass sie entdeckt wurden, um ein Vielfaches. Besorgt sah sich die Königin um, warf skeptische Blicke auf die noch ruhenden Monster und sprang dann auf den Donnerweg, der sie vom Glasbau trennte.
Der harte Untergrund kratzte an ihren weichen Ballen und die Kühle der Nacht zog in ihre Glieder, ließ sie frösteln. Steine stachen in ihre Pfoten, rieben unangenehm an ihnen und mit einem letzten, kräftigen Satz hatte sie ihn hinter sich gelassen, hockte nun auf einem schmalen Streifen Grün.
Hier kauerte sie sich zu Boden und zuckte mit ihrer Schwanzspitze, das Zeichen, dass alles sicher war und das erste Junge den schwarzen, stinkenden Untergrund überqueren konnte. Kuckucksjunges wurde vorgeschickt, natürlich. Er war der wagemutigste von ihnen und stürzte sich bereitwillig in Gefahren, wenn es notwendig war.
Unbeschadet kam er auf der anderen Seite an und Krähenjunges folgte auf der Pfote. Auch Rabenjunges und Häherjunges schafften es ohne Zwischenfall, doch gerade, als Schleiereulenjunges' Ballen den Donnerweg berührt hatten, rumpelte es laut und ein dünnes, zweibeiniges Monster schoss aus einer Höhle zwischen zwei Bauen hervor.
Schon fiel der Schatten auf das Junge und Ebereschenfrost musste hilflos mit ansehen, wie der kleine Kater von dem Biest verschlungen wurde. Da war das Monster vorbeigerannt und sie wollte überhaupt nicht auf den dunklen Boden schauen, vor Angst, sein Körper läge dort zerschunden und blutig.
Doch dem war nicht so.
Schleiereulenjunges hockte, die großen, grünen Augen weit aufgerissen, direkt vor ihr, unversehrt und nur ein wenig durch den Wind. Schockiert starrte die Königin auf den Donnerweg, aber ihr Junges lebte, ihm war nichts geschehen, wie auch immer das möglich war.
Dann erwachte sie aus ihrer Starre und schmiegte sich dicht an den Kleinen, fuhr ihm sanft mit der Zunge übers Fell und murmelte beruhigende Worte, die nur für ihn bestimmt waren. Auch seine Geschwister pressten sich an ihn und keiner von ihnen wollte den jungen Kater wieder gehen lassen. Mondschatten trug Echojunges schnellen Schrittes über den Donnerweg und ringelte sich um seine Familie.
Für einen kurzen Augenblick nahm das Glück, niemanden verloren zu haben, Gestalt an, in der Form einer achtköpfigen Familie, die zusammen kuschelte. Dann brüllte der Bauch eines Monsters in der Nähe auf und Ebereschenfrost riss erschrocken die Augen auf. Die Gefährten scheuchten ihre Jungen auf den schmalen Grünstreifen und dann hinein in die Schatten der engen Höhlen zwischen den unterschiedlichen Bauen der Zweibeiner.
Erst dort ließen sie sie durchatmen und gönnten sich eine kurze Pause, denn sie waren schon seit Mondhoch ohne Unterbrechung unterwegs und die dicken Blätter der Büsche, unter denen sie sich versteckten, schienen eine gute Tarnung zu sein, um sich auszuruhen.
Bei Sonnenaufgang begann Ebereschenfrost sanft, die Kätzchen aus ihrem Schlummer zu wecken. Es war Zeit, den Rest des Weges auf sich zu nehmen und endlich das Glashaus zu erreichen, ein Ort, an dem sie sicher sein würden.
Dort lebten drei Einzelläufer, um deren Hilfe sie bitten wollten, doch dazu kam es nicht, als außerhalb des Buschs plötzlich lautes Zweibeinergejaul ertönte und eine Katze fauchte.
„Wagt es nicht! Ich bin der edle Mona von Sommergrün, ich habe schon Preise gewonnen, von denen ihr ungebildeten Schwachköpfe nicht einmal etwas ahnt! Lasst mich los!"
Die Königin sah ihren Gefährten verwirrt an und der legte den Kopf schief, ähnlich durcheinander wie sie selbst. Diese Katze benötigte Hilfe, aber konnten sie ihre Jungen alleine lassen? Waren sie hier wirklich sicher? Sie beschloss, so sehr es sie auch im Herzen schmerzte, dass die Kleinen Vorrang hatten.
Der Fremde würde auch allein zurechtkommen, Kuckucksjunges, Häherjunges, Schleiereulenjunges, Krähenjunges, Rabenjunges und vor allem Echojunges aber nicht. Und diese sechs waren ihr wichtiger als die Welt, deshalb rollte sie sich eng um sie zusammen und fuhr ihnen beruhigend über die Köpfe.
Lautes Geschrei kam nun von den Aufrechtgehern auf der anderen Seite der Blätterwand und ein triumphierendes Fauchen. Er hatte sich befreit und schon stand er vor ihnen, nun feindselig die Zähne gebleckt. Mondschatten fuhr die Krallen aus, bereit, seine Familie mit allem, was er hatte, zu verteidigen, da fiel der Blick des anderen Katers auf die zusammengerollte Königin und die Feindseligkeit von ihm ab.
„Sie erwartet Junge, deshalb habt ihr hier Unterschlupf gesucht. Und ihr kennt diesen Ort nicht, natürlich. An euch haftet der Duft der Wildnis", miaute der Einzelläufer leise und zuckte traurig mit den Schnurrhaaren, „ich fürchte, eure Reise ist hier zu Ende, meine Freunde. Wenn euch die Grünfelle erwischen, seht ihr das Tageslicht nicht wieder. Und vertraut mir, das werden sie."
Ebereschenfrost mochte überhaupt nicht, was sie da hörte und hob ruckartig den Kopf, um dem Fremden ins Gesicht zu blicken, da erschrak sie fürchterlich. Ihm fehlte das Fell, nicht ein Haar trug er am Körper und seine verletzliche Haut war überall sichtbar und verletzlich.
„Was ist mit dir passiert?", fragte sie voller Angst und Sorge, dass so etwas auch ihren Kindern zustoßen könnte. Doch nun lächelte Mona heiter und unbesorgt, „ich bin schon immer so und auch meine Eltern waren wie ich. Wir werden Sphinx-Katzen genannt, eben weil wir kein Fell haben. Es tut nicht weh."
Ein Schrei ertönte draußen und ein langer Ast mit einer Liane am Ende verfehlte die Kätzin nur um eine Fuchsbreite. Sofort sprang sie auf, griff sich Echojunges und lotste die anderen Jungen tiefer unter die schützenden Blätterdecke.
Monas Gesicht hellte sich auf. Bevor Mondschatten oder sie etwas tun konnten, hatte er Krähenjunges und Rabenjunges im Maul und eilte davon. Die beiden taten es ihm gleich und flohen, als ein Zweibeiner die Blätter mit roher Gewalt ausriss.
Ihre Ballen trommelten auf dem harten, undankbaren Boden und mit langen Sprüngen jagte sie davon, dem felllosen Kater hinterher, der sie in Sicherheit bringen würde. Mit einem Mal versperrten Eisendornen den Weg, durch die eine trächtige Kätzin niemals durchgepasst hätte, Ebereschenfrost jedoch sehr wohl und auch ihr etwas größerer Gefährte würde hindurchgelangen.
Mona hatte Krähenjunges und Rabenjunges abgesetzt und war hindurchgeschlüpft. Die Königin setzte auch Kuckucksjunges und Echojunges ab, bevor sie den Jüngsten sanft auf die Pfoten schubste und mit angehaltenem Atem beobachtete, wie Häherjunges mit ihm gemeinsam durch das Labyrinth der tödlichen Dornen tappte.
Ihr kräftigster Sohn folgte ihnen im sicheren Abstand, während Schleiereulenjunges an seiner Seite etwas verloren wirkte. Sie wollte Krähenjunges und Rabenjunges ihnen sofort hinterherschicken, doch Mondschatten stupste ihr mit der Nase in die Flanke, denn auch sie musste sich in Sicherheit bringen und sie war schneller.
Dann war zumindest einer von ihnen bei den Kleinen auf der anderen Seite, das verstand sie. Mit eleganten Bewegungen, die nur von einem Leben im Wald stammen konnten, glitt sie an den hervorstehenden Spitzen vorbei und befand schon bald auf der selben Seite des Stachelwalds wie vier ihrer Kätzchen.
Mondschatten schlängelte sich mit Rabenjunges im Maul hindurch, als die Zweibeiner sie erreichten. Nun blieb nur noch Krähenjunges, wo war er bloß? Ebereschenfrost war starr vor Angst, denn ihr Junges war nirgendwo zu sehen. Die großen Pfoten der Zweibeiner versuchten vergeblich, sie zu erreichen, doch keine Chance. Stattdessen hörte sie ein leises Maunzen, als einer der Aufrechtgeher an einer der Dornen entlangstreifte.
So leise, dass sie es beinahe überhört hätte. Krähenjunges hatte sich klug versteckt, denn weder sie noch die stinkenden Grünfelle konnten ihn sehen. Erst, als sie aufgegeben hatten, kam er aus seiner Kuhle hervor und wieder in die Sichtweite seiner Familie, die ihn freudig begrüßte.
„So sehr mich euer Wiedersehen auch rührt, wir müssen weiter. Den Grünfellen sind wir zwar entronnen, aber dem da", Mona deutete mit der Schwanzspitze auf einen hohen, mit Eisendornen bewehrten, steinernen Busch, „wollt ihr weder am Tag noch in der Nacht begegnen. Es heißt, er spricht nie, er mordet nur. Das ist keine Katze mehr, das ist ein Monster."
Ebereschenfrost bedeutete den Jungen, sie sollten leise sein und so schlichen sie vorbei. Glücklicherweise stießen sie nicht auf das sogenannte ‚Monster', das der Einzelläufer so grausam beschrieben hatte.
Und endlich erkannte die Kätzin das steinerne Ungetüm wieder, unter dem sie beim Großen Funkenregen Schutz gesucht hatte. Nun war es nicht mehr weit, bis sie in der Sicherheit des Glasbaus weilen und Ruhe finden konnten.
Ein friedlicher Ort, um ihre Jungen aufzuziehen, um von den Dramen der Clans Abstand zu gewinnen und endlich ausruhen zu können. Es war nicht mehr weit und schließlich erreichten sie ihn.
Der riesige Bau glänzte im Sonnenlicht und die Pflanzen raschelten vielversprechend, während Mondschatten vor Staunen das Maul offenstand. Mona jedoch schauderte und fuhr zurück, wie von einer Wespe in die Nase gestochen.
„Da wollt ihr rein? Da... da... da lebt die Bestie. Aber wenn ihr es unbedingt wollt, möchte ich wenigstens eure Namen erfahren, bevor ihr sterbt. Ich möchte alle an die heldenhafte Königin, die ihre Jungen so selbstvergessen beschützt, und an den bescheidenen Krieger, der seine Gefährtin für nichts in der Welt verlassen würde, erinnern. Ihr seid meiner Balladen würdig", miaute er voller Inbrunst und Ebereschenfrost musste lächeln.
Sie waren sicher im Glasbau, Anubis war noch dort, das konnte sie riechen. Doch um ihrem neuen Freund einen Dank für ihre Rettung zu bieten, verriet sie ihre Namen, wenn auch gekürzt: „Mein Name ist Esche, das ist Moon. Unsere Jungen heißen Häher, Krähe, Rabe, Schleiereule, Echo und Kuckuck. Ich danke dir, dass du uns geholfen hast und wünsche dir Lebewohl, auf dass wir uns wohlbehalten wiedersehen."
Der Kater war schon in Gedanken versunken und als sie in den Glasbau schlüpften, hörte die Kätzin nur noch ein gemurmeltes „Asche, was für ein seltsamer Name" und ihre Schnauze verzog sich zu einem Lächeln für den seltsamen Kater ohne Fell.
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Theorien?
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