KAPITEL 29 | PORTER
Das wöchentlich gemeinsame Abendessen mit den Grammers ist nicht mehr ganz so schlimm für mich, seit Britt und ich uns dabei nicht mehr in die Haare kriegen. Ich muss mir also keine Ausreden mehr überlegen, warum ich nicht beim Dinner dabei sein kann. Meistens haben Mom und Dad mir sowieso nie geglaubt, dass ich lieber in der Bibliothek lernen will oder zufälligerweise am Weihnachtskonzert in der Schule beteiligt bin.
»Weihnachtskonzert im Juni?«, haben meine Eltern meistens verwirrt nachgefragt.
Meine Ausreden waren selten plausibel.
Mittlerweile drücke ich mich wie gesagt vor keinem Abendessen mehr. Eigentlich freue ich mich auf Sonntagabend sogar immer besonders. Auden geht es da anders, aber er ist heute sowieso ein wenig geknickt und will mir nicht sagen, was los ist. Wenn es dabei um seinen Dad geht, würde ich sofort die Weihnachtskonzertausrede nutzen, um mich davor zu drücken und ihn aufzumuntern, aber er macht nicht den Eindruck, als wollte er reden.
Ich werde das einfach respektieren, bis er sich doch endlich öffnet. Angespannt sitzt er neben mir, rührt kaum die leckeren Ravioli von Granny an und wirkt nachdenklicher als sonst. Britt wirft mir einen fragenden Blick zu, woraufhin ich nur mit den Schultern zucke und Trixie, die neben mir hechelt, streichle.
»Ich möchte einen Toast aussprechen«, wirft Britts Dad, Cornell Grammer, plötzlich ein und hebt sein Champagnerglas in die Höhe.
Wir alle tun es ihm nach, nur trinken Auden, Lynette, Maurice und ich natürlich nicht wirklich Champagner. Wäre Warren allerdings hier, würde ich damit rechnen gleich kein Wasser in meinem Glas zu schmecken.
Cornell räuspert sich kurz. »Ich bin stolz auf unsere Kinder, die in letzter Zeit kaum Ärger gemacht haben. Wenn ich daran zurückdenke, wie oft ich wegen Brittany letztes Schuljahr einen Besuch beim Direktor hatte, kommt es mir fast schon surreal vor, wie sehr sie mich bis heute beeindruckt hat.«
»Auf dich, mein Schatz.« Kelsey, Britts Mom, lächelt ihre Tochter breit an, dann wandert ihr Blick zu mir. »Ich muss hier aber auch erwähnen, dass diese Treffen viel angenehmer verlaufen, seit du und Porter euch nicht mehr ... anzicken müsst.«
Bei dem Wort ›anzicken‹ lächeln Britt und ich in unsere Gläser hinein. Wir alle trinken ― anscheinend auch auf mich, was ich sehr toll finde ―, doch ich spüre, dass der Anlass für heute ein wenig wichtiger ist als das. Auden wirft mir ebenfalls einen Blick zu, der sagt, dass jetzt noch etwas kommt, woraufhin ich nur nicke. Während Britts und meine Eltern unbeholfen schweigen, sehe ich meinem besten Freund dabei zu, wie er Lynettes und Maurices Fleisch schneidet.
Immer noch ist die Stille mehr als unangenehm.
Irgendwann seufzt meine Grandma laut. »Jetzt rückt schon mit euren Neuigkeiten heraus! Das ist ja hier nicht auszuhalten.«
Mom nickt und setzt sich ein wenig aufrechter hin. »Wie ihr bestimmt alle mitbekommen habt, werden wir in knapp zwei Wochen von hier wegziehen. An den vielen herumstehenden Kartons im Haus ist das sicherlich kein Geheimnis mehr.«
Alarmiert drehe ich den Kopf zu Auden, der ungerührt Lynettes Fleisch weiterschneidet.
Verwirrt runzle ich die Stirn und sehe zu Britt, die ebenfalls nicht überrascht aussieht.
Wieso weiß jeder vom Umzug, wenn ich niemandem außer Maya davon erzählt habe?
Wenigstens reißen Lynette und Maurice traurig die Augen auf und auch Granny fächelt sich mit einer Serviette geschockt Luft zu. Als Dad den Mund aufmacht, greift sie unauffällig nach seinem Champagnerglas und trinkt es in einem Zug leer, was mich trotz dieser ganzen Situation zum Grinsen bringt.
»Wir werden aber nicht allein umziehen, Porter«, sagt Dad mit einem fast schon geheimnisvollen Lächeln. »Die Grammers werden mit uns kommen.«
»Was?«, rufen Britt und ich gleichzeitig.
Cornell nickt bestätigend. »Unsere Firmen haben sich zusammengetan.«
»Was?«, sagen wir diesmal ein wenig leiser. »Seit wann?«
Lynettes Augen sind mit Tränen gefüllt, weswegen meine Mom mitfühlend nach ihrer Hand greifen will. Als Audens Schwester aufsteht und Maurice ihr sofort folgt, gehen Mom und Auden ihnen ebenfalls nach. Für Lyn und Auri muss es schlimm sein zu erfahren, dass sie schon wieder aus ihrem nächsten Zuhause gerissen werden. Es macht mich ebenfalls traurig die beiden nicht mehr im Haus zu haben, aber ich bin mir sicher, dass es ihnen bei Kylers und Daniels Mom ebenfalls gefallen wird.
Audens französische Cousins sind nämlich felsenfest davon überzeugt, dass deren Mom drei weitere Kinder aufnehmen kann. Dad und ich haben bereits darüber geredet, wie wir Mrs Dubois dabei unterstützen können. Wir haben sogar überlegt ihnen das Haus zur Verfügung zu stellen.
»Ich weiß, dass das ein Schock ist«, fängt Kelsey Grammer an.
Doch Britt unterbricht ihre Mom sofort. »Ein Schock? Wie habt ihr denn gedacht, dass ich reagieren würde? Dachtet ihr, ich würde mich freuen? Ich gehe gern auf die Millbrook und ich liebe Winchester. Warum würdet ihr das alles hier für Kansas eintauschen?«
Schweigen entsteht, dann sage ich irgendwann. »Niemand hat erwähnt, dass wir nach Kansas gehen. Woher wusstest du ...?«
Ich lasse die Frage in der Luft hängen, weil sie wortlos aufsteht und den Garten verlässt. Habe ich etwas Falsches gesagt? Eigentlich fühle ich mich sogar extrem clever, weil ich nun mit Sicherheit weiß, dass Britt es nur von Maya hätte erfahren können. Und das wiederum bedeutet, dass die beiden miteinander geredet haben.
Während ich ihr nachlaufe, frage ich mich, warum dieses Gespräch zwischen ihnen nicht im Streit geendet hat und bin plötzlich furchtbar stolz. Auf Britt und auf Maya. Wer hätte gedacht, dass die beiden so gut miteinander auskommen, dass sie sich schon Geheimnisse anvertrauen?
Jeder andere wäre wütend auf Maya, weil sie von dem Umzug erzählt hat. Aber mein Gehirn funktioniert nicht wie jedes andere, weshalb ich mich auch nichts auf Britts Wut einlasse, als ich sie im Wohnzimmer am Handgelenk zu fassen bekomme und sie zu mir umdrehe.
Wütend blickt sie zu mir hoch. »Lass mich los, Porter, sonst tue ich dir weh. Ich meine es ernst.«
»Beruhige dich, Rapunzel«, entgegne ich. »Warum bist du so sauer?«
»Warum ich sauer bin?«, wiederholt sie empört. »Porter, Winchester ist mein Zuhause. Hier sind meine Freunde, hier ist das Cheerleading und hier ist ...«
»Hier ist was?«, hake ich mit harter Miene nach. »Wenn du ehrlich zu dir und mir wärst, dann würdest du zugeben, dass du kaum Freunde hast. Jedenfalls keine echten.«
Tatsächlich sieht sie so aus, als wäre sie kurz davor mich zu schlagen. Ich würde es ihr nicht übelnehmen. »Wie kannst du es wagen ―«
»Die Wahrheit aussprechen?«, beende ich ihre Frage. »Weil es dir jemand ins Gesicht sagen muss, damit du es verstehst. Du kannst überall Cheerleaderin sein, weil du verdammt gut bist und unsere neue Schule kaum auf dich verzichten wird. Und mal ganz ehrlich? Kansas ist mindestens so toll wie Winchester! Dort gibt es den Sedgwick County Zoo, das Museum of World Treasures und ―«
»Du gehst doch nicht einmal ins Museum«, zischt sie.
»Vielleicht fange ich ja damit an, Rapunzel«, zische ich zurück.
Sie zeigt mir ihre kurzen, dunklen Haare und hält sie mir direkt vors Gesicht. »Warum dieser Spitzname?«, ruft sie. »Ich habe ja nicht einmal lange Haare!«
Mir ist bewusst, dass wir längst nicht mehr streiten müssten und uns trotzdem noch anschreien. Es tut fast gut, so viel aufgestauten Frust herauszulassen. »Dein Temperament erinnert mich aber an Rapunzel! Nicht die alte Verfilmung, sondern die neue mit Flynn Rider.«
»Der Film ist wirklich toll!«, schreit sie zurück, dann atmet sie tief durch. »Tut mir leid, das war ein bisschen laut.«
Ich nicke nur, während wir direkt voreinander stehen und uns stumm ansehen. Obwohl ich vielleicht nicht ganz so ehrlich sein sollte, bin ich es doch. Brittany gegenüber bin ich meistens ehrlich. »Vor gerade eben war ich auch nicht scharf darauf umzuziehen, Britt. Wirklich so gar nicht.«
»Und was ist jetzt anders?«, hakt sie irritiert nach.
»Jetzt muss ich in Kansas nicht allein die Museen besuchen«, gebe ich zu. »Ich kann dir immer noch beim Cheerleader-Training zusehen und ich werde dich nicht vermissen müssen.«
Sprachlos klappt ihr der Mund auf. »Bist du high?«
»Nein, du etwa?«
Sie wirft mir diesen Dein-Ernst-Blick zu und muss dann lächeln. »Vielleicht hast du ja recht. Vielleicht ist Kansas doch nicht so schrecklich.«
»Überall, wo ich bin, ist es toll.«
Britt verdreht bloß die Augen und wirkt dann sofort wieder angespannt. Am liebsten würde ich die Arme um sie schließen und sie so sehr durchschütteln, dass sie nicht mehr so verkrampft dastehen und an ihrer vollen Unterlippe kauen muss. Trotzdem bewahre ich Abstand, weil ich das Gefühl habe, dass wir uns gleich wieder anschreien werden.
Wie ich es mir gedacht habe, werden ihre Wangen vor Wut ein wenig rot. »Du hast dich mit Paxton angelegt, nicht wahr?«
Ich kneife die Augen zusammen.
Oh, oh.
»Warum würdest du so etwas tun?« Zu meiner Überraschung schreit sie nicht. Ihre Stimme ist kaum ein Flüstern. »Denkst du, mir ist das Veilchen an deiner Wange nicht aufgefallen? Warum würdest du dich mit ihm anlegen, wenn ich dir doch ausdrücklich gesagt habe, dass du dich da raushalten sollst?«
Die Antwort auf diese Frage weiß ich selbst nicht genau, weshalb ich schweige.
»Ich brauche keinen Retter oder Beschützer«, stellt sie klar. »Ich brauche niemanden, der mich verteidigt, Porter, sondern ich brauche jemanden, der meine Entscheidungen respektiert.«
»Das hätte ich getan, wenn er dich nur einmal bloßgestellt hätte. Oder zweimal. Aber er hat es das ganze verdammte Schuljahr gemacht und wenn du denkst, dass ich da nur weiter zugeschaut hätte, dann schätzt du mich ganz falsch ein.«
Sie weicht zurück, als hätten meine Worte sie zu sehr verletzt. Leicht schüttelt sie den Kopf, als würde sie sich im Kopf denken, dass sie sich von mir nicht einschüchtern lassen wird. Jetzt kommt Britt mir so nah, dass unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind und sie zu mir hochschauen muss, um mir in die Augen sehen zu können.
Sie selbst hat wirklich schöne Augen. Sie sind hellbraun und erinnern mich an Vollmilchschokolade, wobei ich ihr das niemals ins Gesicht sagen würde. Ihre Augen sind so geschminkt, dass sie noch größer wirken als sonst und ich wäre fast zurückgewichen, weil sie so wütend in meine blicken.
»Warum hast du dich mit ihm angelegt?«, fragt sie leise. »Ich will, dass du mir den Grund ins Gesicht sagst, weil ich nicht glaube, dass du überhaupt selbst verstehst, warum du es getan hast.«
Ich schlucke schwer. »Hör zu ...«
»Nein, kein ›Hör zu‹«, sagt sie sofort. »Bring es einfach auf den Punkt.«
Sie ist so herrisch und dummerweise macht mich genau das an. Ständig treibt sie mich mit ihren Sprüchen in den Wahnsinn, gleichzeitig genieße ich es auch, wenn ich sie vor den Kopf stoßen kann. Sie ist launisch und witzig und streitsüchtig und stark. Und ich hasse es das zuzugeben, aber ...
»Vielleicht mag ich dich ein bisschen«, sage ich leise und demonstriere es ihr dabei mit Daumen und Zeigefinger.
Obwohl sie diese Worte hören wollte, sieht sie mir dennoch überrascht in die Augen und lächelt nicht. Sie muss sich auf die Zehenspitzen stellen, um einigermaßen auf einer Höhe mit mir zu sein, weshalb ich sie aus reiner Fürsorge mit meinen Händen an ihrer Taille stütze.
Nicht, dass sie gleich hinfällt oder so.
Meine Augen wandern zu ihren vollen, kaugummirosa Lippen, die so weich aussehen, dass ich nicht anders kann, als mir vorzustellen, wie sie sich auf meinen anfühlen würden. Dummerweise weiß ich wenig von unserem ersten Kuss, bevor ich fast meine Unschuld an sie verloren hätte. Ich habe die ganze Zeit an Maya gedacht, aber aus irgendeinem Grund weiß ich, dass ich dieses Mal nicht an sie denken würde.
Sofort fühle ich mich schlecht deswegen.
Jedoch lassen mich ihre Lippen, die meine leicht streifen, alles vergessen, woraufhin mein ganzer Mund prickelt. Ich bekomme eine Gänsehaut, umfasse ihre Taille fester und muss mich beherrschen sie nicht weitaus stürmischer zu küssen.
In dem Moment, in dem ich das denke, hören wir Schritte, weshalb Britt und ich schnell auseinanderfahren und zu Auden blicken, der mit großen Augen zu uns sieht. »Ich störe, nicht wahr?«, murmelt er genervt.
Ich will schon »Ein bisschen, ja« sagen, als Britt schnell den Kopf schüttelt und sich noch mehr von mir entfernt. Verwirrt sehe ich sie an, aber sie schüttelt nur weiterhin langsam den Kopf und berührt dann mit ihrem Zeigefinger sanft ihre Unterlippe.
»Ich sollte gehen«, stellt Auden fest und will sich schon umdrehen.
Britt geht jedoch auf ihn zu. »Nein, nein. Ich gehe. Ihr beide scheint viel zu besprechen zu haben.«
Ich sehe ihr nach und frage mich, warum ich mich plötzlich so sehr nach ihr sehne. Und warum sie anscheinend nicht einmal annähernd so fühlt wie ich.
Auden legt mir aufmunternd eine Hand auf die Schulter, aber ich nehme es kaum wahr. Immer noch ist mein Blick auf den Punkt fixiert, an dem Britt um die Ecke verschwunden ist. Abwesend frage ich nach Lynette und Maurice und ob es ihnen wieder gut geht. Auden sagt Wörter wie »traurig«, »können sich kaum damit abfinden« und »alles wird wieder gut«, aber ich höre irgendwie kaum zu.
Wieso mussten Britt und ich so kurz vor dem Umzug gerade alles verkomplizieren? Wenn wir hier weggehen, wird sie wahrscheinlich meine einzige Freundin in Kansas sein, aber das haben wir beide gerade zunichtegemacht. Es macht mir genauso sehr Angst wie ihr, dass sich die Dinge zwischen uns so schnell ändern, aber ist das wirklich etwas Schlechtes?
Mein Kopf tut plötzlich weh. Britt ist definitiv komplizierter als Maya.
Dafür, dass ich die beiden gerade ernsthaft verglichen habe, sollte ich mir selbst eine reinhauen.
»Porter, hörst du mir zu?« Auden stellt die Frage so, als würde er schon damit rechnen, dass das Gegenteil der Fall ist.
Ich knirsche ein wenig mit den Zähnen. »Nicht wirklich. Tut mir leid.«
Er lächelt nur, weil er sich denken kann, was mich so beschäftigt.
»Guck nicht so glücklich«, sage ich sofort. »Ich habe dir das mit Kansas verheimlicht, schon vergessen? Solltest du nicht eigentlich wütend auf mich sein? Wie hast du es überhaupt herausgefunden?«
»Ich habe dich und deinen Dad schon vor ein paar Wochen darüber reden gehört. Du sagst zwar immer, dass die Wände in diesem Haus dick sind, aber das sind sie in Wirklichkeit gar nicht.«
»Hast du deshalb schon lange kein Rendezvous mehr gehabt?«, frage ich und muss bei dem Wort ›Rendezvous‹ aus irgendeinem Grund lachen.
Auden, der Franzose, versteht natürlich nicht, warum ich lache und guckt verwirrt. »Du weißt, warum ich nichts mehr mit anderen Mädchen habe, Porter. Ich ... ich muss sowieso noch mit dir über eine Sache reden. Es ist etwas passiert.«
Amüsiert schaue ich ihm ins Gesicht. »Das klingt jetzt ernst. Auden, ich wusste, der Tag würde irgendwann mal kommen, an dem wir unsere Freundschaft auf ein neues Level heben und du endlich einsiehst, dass ich deine einzig wahre Liebe bin.«
»Bitte sei still.« Er stöhnt genervt auf.
»Ich nehme es dir nicht einmal übel«, rede ich weiter und zeige auf mein Gesicht. »Ich sehe gut aus, bin unfassbar witzig und jungfräuliche Kerle sind sowieso immer die heißesten Kerle, die ―«
»Porter«, unterbricht er mich.
Weil ich den Ernst der Lage nicht ertragen kann, mache ich weiter. »Granny hat immer gesagt: In jedem Menschen steckt ein bisschen Bisexualität. Sie hatte nicht unrecht, oder? Wenn wir alle ehrlich wären, dann ―«
»Maya und ich haben uns geküsst«, platzt es unentwegt und laut aus Auden heraus.
Mein Herz bleibt für ein paar Sekunden buchstäblich stehen.
Schnell senkt er wieder die Stimme und atmet tief durch. »Ich wollte es nicht vor dir verheimlichen und deine Worte gerade haben mich ein wenig verstört. Tut mir leid, falls ich es unsensibel gesagt habe.«
Sprachlos reiße ich die Augen auf und sehe meinen besten Freund an. Leider schleicht sich das Bild von Auden und Maya, während sie sich küssen, sofort in meinen Kopf: Ich stelle es mir stürmisch und heftig und voller Verlangen vor.
Das Spiel, das wirklich ich mir ausgedacht habe, hat Auden gewonnen. Er hat Maya geküsst, bevor ich es tun konnte, und obwohl es mich am Anfang des Schuljahres noch furchtbar geärgert hätte, so fühle ich mich jetzt eher traurig statt wütend.
Maya wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Sie ist das erste Mädchen gewesen, das mir wirklich etwas bedeutet hat und in das ich mich leider Gottes auch verliebt habe. Aber ich kenne mich selbst sehr gut und weiß, dass alles in erster Linie passiert ist, weil mich die meisten Dinge reizen, die ich nicht haben kann. Maya ist aber kein ›Ding‹, sie ist eine Person.
Und sie hat Auden geküsst.
Meinen besten Freund. Wenn ich tatsächlich etwas für Kerle übrig hätte, wäre er der erste Mensch, bei dem ich mich melden würde. Ich vertraue ihm mehr als jedem anderen auf dieser Welt und wünsche ihm nichts als Gutes im Leben. Trotzdem werde ich in zwei Wochen gehen und ihn hier mit Maya zurücklassen.
Obwohl es mich beinahe umbringt das zu tun, ringe ich mir ein Lächeln ab und sage: »War es mit Zunge?«
Auden denkt, ich würde ihn auf den Arm nehmen, das sehe ich ihm an. Er muss nicht einmal lange überlegen, sondern weiß die Antwort auf meine Frage sofort. Trotzdem spricht er es nicht aus, sondern nickt nur langsam.
»War es ... gut?« Am liebsten hätte ich das Gesicht verzogen. Auden und ich hatten bereits viele seltsame Gespräche, aber dieses hier ist ab sofort auf dem ersten Platz.
Er antwortet nicht, wahrscheinlich, um mich nicht zu verletzen.
»Sag es einfach gerade heraus, Villeneuve. Es tut nicht einmal halb so sehr weh, wie ich dachte, ehrlich.« Lüge. Es ist schlimmer, als ich dachte, aber trotzdem noch aushaltbar. Dass Britt vorhin einfach so gegangen ist, hat ebenfalls wehgetan, also werde ich den doppelten Schmerz wohl irgendwie ertragen müssen.
Auden seufzt, fährt sich einmal mit der flachen Hand über das Gesicht und sieht mich dann mit seinen grünen Augen ehrlich an. »Es war mehr als gut. Es war genauso, wie ich es mir seit fast einem Jahr vorgestellt habe.«
Der Kloß in meinem Hals wird immer dicker.
»Porter, mein schlechtes Gewissen war noch nie so schlimm. Es tut mir wirklich, wirklich leid. Es war ein Fehler.«
Das mit dem schlechten Gewissen tut mir auch leid. Ich will nicht, dass er sich so fertigmacht, weil auch Maya es spüren wird. Es war ihr erster Kuss und er soll sich auch noch danach gut anfühlen, deshalb hoffe ich für meinen besten Freund, dass er sie nicht wie Luft behandeln wird. So etwas verdient weder er noch sie.
Es kostet mich viel Selbstbeherrschung meine Hand auf seine Schulter zu legen und breit zu lächeln. »Ich nehme deine Entschuldigung an, obwohl sie unnötig ist.«
Auden seufzt. »Porter ...«
»Und sag nie wieder, dass euer Kuss ein Fehler war.« Wütend ziehe ich die Augenbrauen zusammen. »Das glaubt dir sowieso niemand. Du hast die Kuss-Deadline gewonnen, auch wenn sie dir nie wichtig war, und du hast Maya.«
»Wir beide wissen, dass das nicht stimmt.« Langsam macht er sich von mir los und zeigt dabei abwechselnd auf ihn und mich. »Sie hat immer noch nicht ausdrücklich gesagt, was sie will.«
Das vielleicht nicht. Aber sie hat es gezeigt, oder nicht? Mich hat sie auf die Wange geküsst, Auden auf den Mund. Das muss etwas zu bedeuten haben, auch wenn es Auden als Erklärung niemals reichen wird.
Es ist einfach seine Art nie hinnehmen zu können, dass er nur Gutes verdient hat. Manchmal denke ich, er wäre mit dieser Eigenschaft geboren worden, was natürlich völliger Unsinn ist.
Obwohl ich am liebsten Britt hinterhergegangen wäre, bleibe ich bei Auden, weil er mich jetzt dringender braucht. Ich müsste ihm mindestens eine Stunde lang eintrichtern, dass ich mich für Maya und ihn freue und trotzdem würde er mir nicht glauben, das weiß ich. Wenn es sein muss, dann rede ich auch den ganzen restlichen Tag auf ihn ein, schlage ihm mehrmals auf den Hinterkopf, um seine Gehirnzellen anzuregen, und spiele ihm meinen neuesten Song vor, damit er nicht mehr so ein ernstes Gesicht zieht.
Normale Dinge, die man für seinen besten Freund tut.
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