KAPITEL 27 | AUDEN
Ich weiß wirklich nicht, warum ich überhaupt noch auf Porters Partys gehe. Meistens sehe ich mir sowieso nur an, wie jeder hier Spaß hat, zu viel von Warrens Gemisch trinkt und stundenlang tanzt, während ich an irgendeiner Wand lehne und meinen Drink in den Händen kaum anrühre.
Heute nach der Schule ist Porter besonders gelaunt gewesen, weil er Chemie dieses Schuljahr bestehen wird. Nur das hat er als Anlass dafür gesehen, die halbe Schule hierher einzuladen. Wobei es eigentlich seine und Brittanys Party ist. Beide stehen direkt vor mir, trinken gemeinsam aus einem Glas und merken wahrscheinlich nicht einmal, dass sie dabei wie ein frischverliebtes Pärchen wirken.
Obwohl ich mich für Porter freue, fühle ich mich gerade wie das fünfte Rad am Wagen.
Deren Gespräche sind allerdings noch kitschiger, als es aussieht. Anscheinend hat Brittany ihm irgendwelche Chemieunterlagen gegeben, die ihm immens geholfen haben, wofür er sich gerade bedankt. Maya war er vorhin in Lawrences Limousine für ihre Nachhilfestunden ebenfalls dankbar, indem er ihr versichert hat, dass er diese Party auch für sie gibt.
Jedoch glaube ich kaum, dass sie besonders viel Spaß hier hat. Sie steht jetzt neben mir, bekommt ständig irgendwelche Getränke in die Hand gedrückt und gibt sie an den nächsten weiter. Als sie schon wieder einen Becher hat, spuckt sie rein und legt ihn dann unschuldig lächelnd ausgerechnet in Paxtons Hand ab, der verwirrt daraus trinkt und weitergeht.
»Das erinnert mich an die Willkommensparty«, gebe ich leise lachend zu. »Da habe ich dich auch schon beim Becherspucken erwischt.«
Sie dreht amüsiert den Kopf zu mir und grinst endlich zum ersten Mal an diesem Abend. »Wie kann jemand so klug und poetisch wie du sein und dann etwas wie ›Becherspucken‹ sagen, als würden wir über das Wetter reden?«
»Poetisch?«, hake ich nach und muss erneut lachen. »Ich schreibe selten poetische Texte.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Es ist aber die Wahrheit.«
Sie schüttelt lachend mit dem Kopf. »Auden ...«
Ich knicke ein, lehne mich leicht an die Wand hinter mir an und sehe Maya in das schöne, rundliche Gesicht. »Okay, du hast recht. Es könnte sein, dass ich mich manchmal wie Courtney Peppernell fühle, wobei ich nicht einmal ansatzweise so gut bin wie sie. Aber das weißt du bereits.«
Maya hebt kurz den Kopf, als würde sie wollen, dass ich unter ihren großen, hellblauen Augen gleich an der Wand herunterrutsche und die ganze Nacht auf dem Boden sitzen bleibe. Vielleicht bringt sie mich heute besonders durcheinander, weil ich diesen Abend ein wenig mit der Willkommensparty verbinde, wer weiß.
Sofort sieht sie wieder zu der tanzenden Menge in Porters Wohnzimmer. Die Musik ist nicht ohrenbetäubend laut, aber dafür sehr schnell. Nach ein paar Sekunden lehnt sie sich ebenfalls an der Wand an und ist so dicht neben mir, dass sich unsere Arme leicht berühren. Fast schon nachdenklich blickt sie zu Stacey, die mit Warren, Kyler, Daniel und Abraham auf dem Esstisch steht und lachend die Arme nach oben streckt. Ich glaube nicht einmal, dass Mayas beste Freundin betrunken ist ― eher ist das ihr natürliches Charisma.
»Woran denkst du?«, will ich von Maya wissen.
Sie wird sofort rot und schüttelt schnell den Kopf. »Glaub mir, es ist dumm.«
»Komisch, ich kann mich nicht daran erinnern, dass du jemals etwas Dummes von dir gegeben hast.«
Maya macht den Eindruck, als wäre es ihr unangenehm mit mir darüber zu reden, doch schließlich sagt sie: »Okay. Es könnte sein, dass ich mir vorgestellt habe, wie wir alleine in einem Raum sind, ruhige Musik anmachen und nicht so etwas«, sie zeigt mit zusammengekniffenen Augen in den Raum, »und langsam dazu tanzen. Du weißt schon, so als Vorbereitung für den Homecoming-Ball«, fügt sie sofort hinzu und wird rot.
»Mich überrascht nicht der Teil mit der ruhigen Musik«, gebe ich lächelnd zu. »Jeder hier sieht, dass du dich unwohl fühlst.«
»Leider nicht jeder«, murmelt sie. »Das hier ist einfach nicht mein Ding.«
»Soll ich dir etwas verraten? Ich fühle mich auf Partys auch nicht immer sehr wohl.«
Spöttisch hebt sie die Brauen. »Machst du Witze? Du stehst völlig locker an dieser Wand, nippst ab und zu an deinem Drink und beobachtest die Leute mit einem Stalker-mäßigen Lächeln. Im Ernst, alles an deinem Dasein zeigt, dass du an Porters Partys Spaß hast.«
»Locker an einer Wand zu stehen ist nicht sehr schwer.« Aus irgendeinem Grund wird mein Lächeln noch breiter. »Außer natürlich für dich, Chérie.«
Sie verschränkt gespielt empört die Arme vor der Brust.
»Ich nippe überhaupt nicht an meinem Getränk, sondern tue nur so«, rede ich weiter und zeige ihr den immer noch vollen Becher. »Und mein ›Stalker-mäßiges Lächeln‹ galt gerade Porter und Brittany, die jetzt ihre peinlichsten Tanzbewegungen auspacken.«
Maya prustet los. »Also gut, du magst also keine Partys. Warum bist du dann immer hier?«
»Weil Porter sie mag«, entgegne ich schulterzuckend. »Manchmal tue ich eben Dinge, die mein bester Freund mag, genauso wie er Dinge tut, die ich mag.«
Sie lächelt nachdenklich und scheint tatsächlich über meine Worte zu grübeln. Es klingt vielleicht komisch, aber Maya ist oft die Einzige, die mein Gesagtes von vorne bis hinten durchkaut und erst dann etwas darauf antwortet. »Wir sind doch auch Freunde, oder?«, fragt sie irgendwann.
Meine Mundwinkel heben sich. »So etwas in der Art, ja.«
»Dann würdest du für mich auch Dinge tun, die ich mag?«
»Wieso fragst du mich nicht einfach, ob wir von hier verschwinden, ruhige Musik anmachen und langsam dazu tanzen, Maya?«
Sie seufzt. »Du weißt, ich rede lieber um den heißen Brei herum.«
Ich stoße ein kurzes Lachen aus, suche Porters Blick, um ihm irgendwie telepathisch mitzuteilen, dass Maya und ich gehen und muss feststellen, dass seine Augen völlig auf Brittany fixiert sind, die eine Art Ententanz veranstaltet, bei der sie die Ellbogen eingeknickt hat und mit ihren Armen herumwackelt. Irritiert sehe ich weg, muss bei Mayas aufgeregtem Gesichtsausdruck aber sofort wieder grinsen.
Meine Wangen tun vom vielen Lächeln so langsam weh, aber es ist ein guter Schmerz, schätze ich.
Die Musik wird immer leiser, je mehr Treppenstufen wir hochlaufen. Im dritten Stock ist es beinahe komplett still und ich könnte nicht dankbarer dafür sein, dass Maya hierhin wollte. Sie weiß genau, wo mein Zimmer ist ― eigentlich ist es ein Gästezimmer, aber Porter schlägt mich jedes Mal auf den Hinterkopf, wenn ich es so nenne ― und sieht sich dann suchend nach einer Musikbox um.
»Porter hat eine weitaus größere Anlage«, sage ich, während ich ihr den kleinen Lautsprecher, den ich von Zuhause mitgenommen habe, zeige. »Wenn du willst, können wir auch in sein Zimmer ―«
Sie unterbricht mich kopfschüttelnd und lächelnd. »Nein, das hier ist perfekt. Ehrlich.«
Unser Blickkontakt bleibt bestehen, auch als ich die Musikbox anschalte und sich mein Handy automatisch damit verbindet. Es ist ein altes, abgenutztes Ding, das mich trotzdem noch an den Tag erinnert, als ich es von Dad geschenkt bekommen habe.
Während ich ein Lied aussuche, kommt Maya mir noch einen Schritt näher. »Vermisst du dein altes Zuhause und deinen Dad?«
Ich hebe den Blick und schlucke schwer.
Ihre Augen füllen sich nicht mit Mitleid, sondern mit Trauer. »Die Frage hätte ich mir verkneifen sollen. Tut mir leid, Auden.«
Ich überlege tatsächlich einfach nur zu nicken, mich zu verschließen und den Song abzuspielen, aber aus irgendeinem Grund entscheide ich mich dagegen. »Ich vermisse nur die Zeit, in der noch alles in Ordnung war, glaube ich. Und ich ... ich vermisse die Version meiner Eltern, der ich etwas bedeutet habe.«
»Was passiert, wenn ...?« Maya lässt die Frage in der Luft hängen und presst mit großen Augen ihre Handfläche auf den Mund.
Fragend hebe ich die Augenbrauen. »Du meinst wahrscheinlich, was passiert, wenn die Sinclairs wegziehen?«
»Du weißt davon?«, platzt es aus ihr heraus. »Porter hat dir davon erzählt?«
Ich seufze. »Komm schon, du kennst Porter. Er verschweigt einem lieber alles, bis er eine Lösung gefunden hat. Ich habe zufällig ein Gespräch zwischen ihm und seinem Dad mitbekommen, in der sie darüber geredet haben, wo ich wohnen könnte. Daniels und Kylers Mom ist alleinerziehend und wird mich und meine Geschwister unmöglich aufnehmen können, weshalb sie Porters Grandma in Erwägung ziehen.«
Maya macht den Mund auf, um irgendetwas zu sagen, dann schließt sie ihn jedoch wieder. Ich will gerade fragen, was ihr durch den Kopf gegangen ist, als sie die letzte Lücke zwischen uns schließt, die Arme um meinen Hals schlingt und das Gesicht in meinem Pullover vergräbt.
Es könnte sein, dass ich die Umarmung etwas steif erwidere.
Und es könnte auch sein, dass ich vor Überraschung vergesse, wie man atmet.
Maya macht das aber nichts aus, denn sie lächelt, als sie den Kopf wieder anhebt und mir ins Gesicht sieht. »Denk bloß nicht, das war eine Mitleidsumarmung.«
»Was war es dann?«, flüstere ich schluckend.
Sie lässt jetzt gänzlich von mir ab und sofort vermisse ich die Wärme, die ihr Körper zuvor ausgestrahlt hat. »Ich weiß nicht, ich wollte dich einfach umarmen.«
Bevor ich irgendwie reagieren kann, schließt sie die Augen und tippt wahllos auf das Display meines Handys. Irgendein Lied erklingt aus dem kleinen Lautsprecher und zufälligerweise ist es auch noch ein langsamer Song. »Danke«, sage ich und halte dann kurz inne. »Nicht ... nicht für das Lied.«
Ich halte ihr meine Hand hin, die sie ergreift. »Jetzt wäre wohl der perfekte Zeitpunkt, um dir zu sagen, dass ich nicht tanzen kann«, wispert sie beschämt.
»Ich auch nicht«, gebe ich grinsend zu. »Und um dich noch mehr zu beruhigen: All unsere Freunde können es ebenfalls nicht, wie wir gerade gesehen haben. Versuch einfach dich langsam mit der Musik zu bewegen und sei nicht zu nervös. Ich lache dich nicht aus, wenn du etwas falsch machst, Maya.«
Sie nickt tief durchatmend. Dann legt sie eine Hand auf meine linke Schulter, die andere verschränkt sie mit meinen Fingern. Beinahe reflexartig ziehe ich sie sanft näher an mich heran, woraufhin sie große Augen macht und das Kinn anhebt. Bei dem Lied handelt es sich um eines von Porters Lieblingssongs, was diesen Moment umso ironischer macht. Das schlechte Gewissen wegen meines besten Freundes hätte sich so oder so in meinen Kopf geschlichen, egal, welches Lied Maya angemacht hätte.
Das Einzige, was mich milde stimmt, ist, dass Porter Spaß mit Brittany hat und ihm sicherlich nicht einmal aufgefallen ist, dass Maya und ich gegangen sind. Außerdem ... außerdem verdiene ich diesen Moment mit ihr, so seltsam es auch klingt.
Langsam wiegen wir uns zu der Musik, ohne ein Wort zu sagen. Nach einer Weile legt Maya die Stirn auf meiner Schulter ab, woraufhin ich den Kopf an ihre Schläfe lehne. Das hier ist beinahe zu schön, um wahr zu sein, weshalb ich mir sicher bin, dass irgendetwas diesen Augenblick gleich zerstören wird. Ist es nicht immer so?
Bevor jedoch etwas passiert, will ich ihr noch etwas sagen. Meine Lippen sind ganz nah an ihrem Ohr und mein Herz schlägt unnatürlich schnell in meiner Brust, als ich flüstere: »Ich liebe dich, Maya.«
Mit großen Augen hebt sie den Kopf und sieht mich an. Sie macht den Eindruck, als würde sie denken, sie hätte sich verhört, dabei müsste sie es eigentlich besser wissen.
Sie schluckt schwer, dann teilen sich ihre schön geschwungenen Lippen. »Ich ―«
Die Tür wird plötzlich aufgerissen, doch Maya und ich fahren nicht abrupt auseinander. Wir lassen bloß langsam vom jeweils anderen ab und sehen dann verwirrt zu Kyler und Daniel, die schweratmend die Tür hinter sich schließen.
Kyler ist der Erste, der die Stille und Verwirrtheit zwischen uns allen auflöst. »Pourquoi ne découvrons-nous que maintenant que la famille de Porter déménagera dans trois semaines seulement?«
»Et pourquoi avons-nous dû interrompre ce moment manifestement intime entre vous?«, fragt Daniel weitaus lauter, während er so aussieht, als wünsche er sich, er und sein Bruder wären nicht so unpassend hereingeplatzt.
Maya sieht zu mir auf. »Was zur Hölle sagen sie?«
»Sie wissen von Porters Umzug«, antworte ich ihr. »Und Daniel bereut es uns unterbrochen zu haben.«
»Du kannst dich später entschuldigen, Daniel.« Maya streicht sich schmunzelnd die kurzen Haare aus dem Gesicht. »Wer hat euch vom Umzug erzählt?«
»Warren, der es von Stacey weiß, die es wiederum von Maya weiß.« Kyler kommt aufgelöst näher und klopft mir dann auf die Schulter. Kurz merkt man ihm an, dass es ihm wehtut, dass Stacey sich eher Warren als ihm anvertraut hat. »Vous savez que vous êtes le bienvenu avec nous, n'est-ce pas?«
Ich seufze, aber es ist kein genervtes Seufzen. Eher wird mir gerade klar, wie lange ich diesen Moment hinausgezögert habe. »Kyler, eure Mom ―«
»Unsere Mom liebt dich und Lyn und Auri«, wirft Daniel schnell ein. »Nous sommes vos cousins et nous sommes toujours restés ensemble jusqu'à présent.«
»Das weiß ich doch, aber ―«
»Sprich doch einfach mal Französisch, Auden.« Kyler legt einen Arm um Maya und einen um mich. »Maya, sag ihm, er soll endlich über seinen Schatten springen und seine verdammt heiße Muttersprache nicht vergessen.«
Sie linst zu mir hindurch und grinst dabei bis über beide Ohren. Sie weiß genau, warum ich die englische Sprache bevorzuge. Mom und Dad waren immerhin diejenigen, die mir als Baby in Montréal Französisch beigebracht haben und ich versuche so wenig mit ihnen gemeinsam zu haben wie möglich. Mir ist klar, dass das stur und vielleicht auch sinnlos ist, aber bisher ist mir das immer wichtig gewesen.
Jetzt, wo Maya, Kyler und Daniel mich jedoch erwartungsvoll ansehen, bin ich kurz davor einzuknicken. Es fühlt sich einfach das erste Mal seit langsam so an, als gäbe es einen triftigen Grund, um meine Muttersprache nicht zu verdrängen.
»Ich finde es tatsächlich ziemlich heiß, wenn du Französisch sprichst«, wirft Maya plötzlich ein, woraufhin ich leise lachen muss.
»Est-ce que tu vois!«, ruft Daniel glücklich. »Dis quelque chose à Maya que tu as toujours voulu lui dire parce que ...«
»... elle ne comprendra pas de toute façon«, beendet Kyler seinen Satz.
Ich überlege, was ich Maya gerne sagen würde, ohne dass sie es wirklich hört. Die drei wichtigsten Worte sind mir bereits entschlüpft, bevor meine Cousins hereingeplatzt sind, aber das macht nichts. Immerhin gäbe es eine ganze Menge an Dingen, die ich Maya gerne sagen will.
Für den Anfang reicht jedoch ein Satz, den ich ihr bisher noch nie so schamlos ins Gesicht sagen konnte wie Porter. Auf Französisch kommen mir die Worte jedoch verdammt leicht über die Lippen. »Tu es la plus belle fille que j'ai vue de toute ma vie.«
Und tatsächlich lächelt Maya über beide Ohren, als hätte sie verstanden, was ich ihr gesagt habe.
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