KAPITEL 23 | MAYA
Auden und ich reden kein Wort miteinander. Schweigend sitzen wir in Porters Limousine, während Lawrence es wohl schafft diese ohrenbetäubende Stille auszuhalten. Ich seufze leise, zupfe an meiner Schuluniform herum und ermahne mich dazu, Auden nicht einmal anzusehen.
Sein Gesicht lenkt mich irgendwie zu sehr ab.
Als wäre es Porters Chauffeur nun doch zu langweilig geworden, schaltet er das Radio ein und wechselt gleich darauf zu seiner eigenen Musik, die in normaler Lautstärke von überall herzukommen scheint.
Statt der Stille hören wir uns jetzt also klassische Musik an. Ob es sich dabei um Mozart oder Beethoven handelt, weiß ich nicht genau.
»Warum begleitest du mich eigentlich?«, frage ich nach einer Weile.
Auden hebt leicht das attraktive Gesicht und dreht die Lautstärke der Musik neben sich leiser. »Weil ich sowieso noch einmal nach Hause muss, um ein paar Sachen für Lyn und Auri mitzunehmen.«
»Natürlich«, flüstere ich langsam nickend. Allein deshalb sitzt er hier vor mir. Jedenfalls ist das seine Ausrede. »Wir sollten aufhören uns irgendetwas vorzumachen, Auden.«
Er fährt sich durch seine kurzen dunkelbraunen Haare und wirkt jetzt noch grimmiger. »Ich habe dir nie irgendetwas vorgemacht, Maya.«
»Dafür meidest du mich«, entgegne ich. »Du meidest mich manchmal, als wäre ich irgendeine ... irgendeine Krankheit, an der du dich anstecken könntest.«
»Vielleicht meinst du die Liebeskrankheit?«
»Ja, ich ... warte was?« Schluckend bohre ich meine Finger in das Leder des Sitzes. »Liebeskrankheit ist ein Synonym für Liebeskummer.«
»Ich weiß, ich beherrsche die englische Sprache«, gibt er zurück. »Weil du es natürlich nicht sein lassen kannst, sage ich es jetzt doch. Ich bin mitgekommen, weil ich mich vergewissern wollte, dass es dir gut geht. Du warst die letzte halbe Stunde nur noch passiv anwesend, nachdem Porter und ich quasi einen Wettbewerb veranstaltet haben, wer geeigneter für Roamer wäre.«
»Das war echt sonderbar. Ich dachte, ihr prügelt euch gleich um den Platz neben Porters Bruder.«
Auden spielt nachdenklich mit seiner Krawatte herum und lächelt. »Ich würde so ziemlich alles für ihn tun, Maya.«
»Ich weiß.« Meine Mundwinkel heben sich glücklich. »Er würde auch alles für dich tun.«
»Ich weiß«, sagt auch Auden. Jetzt lächelt er nicht mehr, sieht aber auch nicht zu ernst aus, obwohl es viele Menschen vielleicht denken würden. Die kantige Form seines Gesichts lässt ihn manchmal einfach seriöser aussehen, als er eigentlich beabsichtigt. »Und Porter und ich würden auch alles für dich tun.«
Ich schlucke schwer. »Ich weiß, Auden.«
Er nickt nur, weil er mich ja nicht für unaufmerksam hält. Dann sieht er für einen Moment aus dem Fenster und richtet seine dunklen Augen mit neu gewonnener Aufregung mir zu. »Denkst du, du kannst eine halbe Stunde später nach Hause kommen?«
Misstrauisch ziehe ich die Augenbrauen zusammen. »Was hast du vor?«
»Lawrence!«, ruft Auden und schenkt mir dabei nur ein beruhigendes Lächeln plus einem Zwinkern.
»Ist alles in Ordnung, Mr Villeneuve?«
Immer noch liegt Audens Blick auf mir. »Es könnte mir nicht bessergehen. Würde es dir irgendwelche Umstände bereiten, wenn wir einen kurzen Zwischenstopp bei Robinson Springs machen?«
»Was ist Robinson Springs?« Ich muss aus irgendeinem Grund grinsen, weil Audens plötzliche Freude so ansteckend ist.
»Lass dich überraschen«, ist das Einzige, das Auden sagt, als wir an meinem Zuhause vorbeifahren.
Es stellt sich heraus, dass es sich hierbei um einen Kindergarten handelt. Ich schätze mal, es ist der Kindergarten, in dem Auden und Porter waren, weil Auden sich hier bestens auskennt und genau weiß, über welchen Zaun man springen muss, um sich nicht die Haut aufzureißen und unversehrt den Spielplatz des Kindergartens zu betreten.
Ich traue mich kaum zu fragen, was wir hier machen. Auden wirkt auf einmal ganz anders als sonst ― auf eine positive Weise. Natürlich habe ich nichts an seinem anderen Ich auszusetzen, aber mir gefällt es, wenn er in Kindheitserinnerungen schwelgt und sein Gesicht sich sogar in dieser Dunkelheit so sehr aufhellt, dass ich das Gefühl habe, in die Sonne zu sehen. In eine wunderschöne Sonne.
Ich weiß auch nicht, warum ich heute so poetische Dinge denke.
Obwohl ich nie hier gewesen bin, versuche ich den Spielplatz mit genauso viel Aufregung zu betrachten wie Auden, da er meinem schon ziemlich ähnelt. Vorsichtig setze ich mich auf die Schaukel, während Auden zu mir kommt und sich an den Schaukelketten festhält, bevor ich mich auch nur bewegen kann.
»Hier haben Porter und ich uns kennengelernt«, sagt er leise und sieht an der Schaukel hoch. »Ich saß wie du hier und wollte anfangen zu schaukeln. Niemand wollte mit mir befreundet sein, aber Porter war der Einzige, der mir eine Chance gegeben und mit mir geredet hat.«
»Das klingt nach einer Freundschaft, die jahrelang halten wird.«
Auden sieht mich an und grinst so breit, dass sich feine Grübchen in seinen Wangen bilden. »Du bist lustig.«
»Bin ich nicht.«
»Es gibt neben meinen Geschwistern zwei Menschen, die mich richtig zum Lachen bringen können und das sind Porter und du. Also bist du lustig.«
Ich lege den Kopf weiter in den Nacken und obwohl ich mir wünsche, ich wäre einfach nach Hause gegangen, kann ich nicht aufhören, ihn anzusehen. Wenn wir nicht hierhergekommen wären, würden die Schmetterlinge in meinem Bauch Ruhe geben und ich hätte kein schlechtes Gewissen wegen Porter.
Er ist mein Freund, genau wie Auden und doch tue ich ihnen schreckliche Dinge an. Tief durchatmend will ich mich von der Schaukel erheben, aber Auden drückt mich sanft zurück. Als ich überrascht die Augen aufreiße, muss er sich vom Lachen abhalten. Will er etwa ...?
»Beruhige dich, Maya, ich habe nicht vor hier mit dir herumzumachen.«
»Nicht?«, hake ich dummerweise nach.
Jetzt seufzt er, womit auch das Grinsen verschwindet. »Ich habe dich hierhergebracht, damit du verstehst, warum das hier so schwer für mich ist und warum ich dich so oft meide. Es fällt mir leichter nicht mit dir zu reden, weil ich dann denke, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Es gibt nichts Wichtigeres für mich, als dass Porter glücklich ist.«
»Ich verstehe das«, sage ich eindringlich. »Auden, eure enge Freundschaft ist unübersehbar. Denkst du, ich wollte mich jemals dazwischen stellen? Ich wollte doch nur ...«
»Was?«, hakt Auden nach, während ich mich doch langsam von der Schaukel erhebe und ihm meinen Zeigefinger in die Brust bohre.
»Damals auf der Willkommensparty ...«, fange ich an. »Da wollte ich mit dir reden. Nicht nur, weil du mich zum ersten Mal bemerkt hast, sondern auch weil ich wusste, ich habe mir den Blickkontakt zwischen uns nicht nur eingebildet. Grins nicht so bescheuert, ich hatte nicht vor dich anzumachen. Wirklich nicht. Da war einfach nur dieses fast schon überschwemmende Gefühl mit dir zu reden.«
Tatsächlich ist Auden wieder ganz ernst geworden, aber aus einem anderen Grund. »Seitdem hat sich etwas geändert, nicht wahr?«
»Porter war der Erste, der dort mit mir gesprochen hat«, erzähle ich leise weiter. »Du weißt, wie sehr er einen zur Weißglut treiben kann, aber trotzdem habe ich ihn in den letzten Monaten ins Herz geschlossen. Ich kann dich nicht ansehen und dir dabei sagen, dass da nichts zwischen ihm und mir ist.«
Die Stille, die sich jetzt ausbreitet, ist noch schlimmer als die in der Limousine vorhin. Auden sagt kein Wort und macht den Eindruck, als würde er akribisch über etwas nachdenken. Seine Augenbrauen sind dicht zusammengezogen, als er schließlich einen Schritt zurückweicht und tief durchatmet. »Weiß er, dass du Gefühle für uns beide hast? Hast du es ihm ausdrücklich gesagt?«
»Na ja ...«
»Also nein«, entgegnet er und fährt sich einmal über das Gesicht. »Porter und ich können damit leben, weißt du? Unsere Freundschaft hat schon weitaus schlimmere Dinge durchgemacht. Nicht einmal jemand wie du könnte sich dazwischen stellen.«
»Habe ich das nicht längst?«, flüstere ich.
Er schüttelt heftig den Kopf, aber mehr, um sich selbst von der Lüge zu vergewissern. »Weißt du, was das eigentliche Problem hierbei ist? Dass du keine Ahnung hast, was du willst.«
Überrascht klappt mir der Mund auf.
»Porter und ich könnten nicht unterschiedlicher sein.« Auden ist erstaunlich ruhig und gelassen dafür, dass wir dieses Gespräch jetzt wirklich führen werden. »Ich meine, er ist immerzu gut gelaunt, humorvoll und extrovertiert, während ich das komplette Gegenteil bin, ohne mich selbst herunterzumachen. Du weißt, dass es stimmt. Und das ist okay, weil ich schon immer so war und sich das nicht von heute auf morgen ändern wird. Trotzdem ―«
»Es ist möglich zwei Menschen gleichzeitig zu lieben«, werfe ich wütend ein.
Auden weicht bei dem Wort ›lieben‹ erstaunlich schnell zurück und reißt erschrocken die Augen auf.
»Scheiße«, murmele ich. »Wie hoch stehen die Chancen, dass du vergisst, was ich gerade gesagt habe?«
»So ziemlich bei null Prozent«, murmelt er ebenfalls. »Hast du das gerade ernst gemeint?«
Dass ich in meinem Kopf laut »JA!« schreie beunruhigt mich zutiefst, obwohl ich es insgeheim schon die ganze Zeit wusste. Am liebsten hätte ich mir hier und jetzt ein Loch gegraben, in das ich fallen könnte.
Wer kann es mir aber auch übelnehmen? Wie kann man sich nicht in Porter und Auden verlieben?
Indem man wahrscheinlich weiß, was man wirklich will.
Ich seufze. »Bring mich einfach nach Hause, okay? Vielleicht habe ich es aus Müdigkeit gesagt.«
Ich habe noch nie schlechter gelogen als in diesem Moment.
Auden nickt unglaubwürdig, hilft mir trotzdem über den Zaun zu kommen und hält mir sogar die Autotür auf. Vielleicht hat er jetzt Mitleid mit mir. Sicher ist das Wort Liebe viel zu viel für ihn und er fühlt sich jetzt extrem überrumpelt.
Zum Glück sind wir in wenigen Minuten bei mir, sodass ich mich nur noch schnell und freundlich bei Lawrence verabschiede und dann aus dem Auto hüpfe. Als ich jedoch bereits an der Haustür stehe und klingele, weil ich meinen Schlüssel vergessen habe, geht die Autotür erneut auf und Auden kommt auf mich zu.
Zum ersten Mal in meinem Leben wünsche ich mir, er würde gehen.
»Maya, ich will nur, dass dir klar ist ...«, fängt er an, als die Haustür mit Schwung aufgeht und meine Mutter vor uns steht.
Egal wie überrumpelt Auden und ich sind, meine Mom ist noch überraschter. »Störe ich etwa?«, fragt sie mit einer Mischung aus Strenge und Neugier, die nur sie perfekt hinbekommt.
Ich knirsche mit den Zähnen. »Nein, nein. Auden wollte gerade gehen.«
»Das ist Auden?« Jetzt ist Mom streng, neugierig und aufgeregt, was die schlimmste Mischung überhaupt ist. Ich weiß jetzt schon, dass sie ihn nicht mehr gehen lassen wird. »Maya hat bereits so viel von dir und diesem Porter erzählt! Komm doch herein.«
Peinlich berührt lasse ich ihn vor, aber er besteht darauf, dass ich zuerst die Wohnung betrete. Ich verkneife es mir, ihn wütend anzufunkeln, weil in Wirklichkeit ich diejenige bin, auf die ich sauer sein sollte. Immerhin habe ich in den letzten zehn Minuten an einen Kuss mit Auden, an meine Liebe zu ihm und Porter und an sein Verschwinden gedacht.
»Tut mir leid, hier ist es nicht besonders aufgeräumt«, sagt Mom, obwohl es bereits so sauber ist, dass die Esstischplatte grell in meinen Augen reflektiert wird. »Ich habe gerade gekocht und hoffe, ihr habt Hunger.«
Tatsächlich ist auch diese Situation meine Schuld. Ich hätte Mom nicht so viel über meine Schwärmerei für Porter und Auden erzählen sollen. Natürlich will sie sich jetzt ein Bild von den beiden machen, wobei ich schon gespannt bin, wen sie mehr mögen wird. Meine Mom ist seit der Scheidung von meinem Dad vielleicht lange nicht mehr so optimistisch, aber sie kann gut durch Leute hindurchsehen. Es ist eine Fähigkeit, die ich nicht von ihr geerbt habe.
»Also, hast du meine Tochter schon gefragt, ob ihr zusammen zu diesem Homecoming-Ball geht?« Zwar versucht Mom unauffällig zu fragen, aber sie scheitert kläglich.
»Mom!«, rufe ich, während ich huste, weil ich mich am Essen verschluckt habe.
Wie ist sie so schnell auf dieses Thema gekommen?
Auden klopft mir kurz amüsiert auf den Rücken. »Es sind noch zwei Monate bis zum Ende des Schuljahres, Mrs Edwards. Es ist also noch viel Zeit für diese Frage.«
»Ach ja?«, murmele ich und nehme dabei einen Schluck Wasser. »Zwei Monate können sehr schnell vergehen. Und wer weiß, bis dahin ändern sich Dinge. Denkst du, Porter und du sind dann überhaupt noch auf der Millbrook?«
Auden weiß, dass ich von Roamer rede, der einen von ihnen für sich haben will. Besitzen will. Mich schüttelt es allein bei diesem Gedanken. Trotzdem zuckt er nicht einmal mit der Wimper. »Ich bin sehr zuversichtlich, Maya. Porter wird nirgends hingehen.«
»Ich weiß zwar nicht, wovon ihr redet«, wirft Mom ein, während sie Auden mehr Nudeln auf seinen Teller schaufelt, »aber eure Unterhaltungen sind sehr erfrischend.«
Was sie damit wohl meint?
Trotz ihres seltsamen Verhaltens bin ich extrem erleichtert, dass sie Auden nicht auf den Tod seines Dads anspricht. Manchmal kann sie doch sehr taktvoll sein.
»Was erhoffst du dir vom Leben, Auden?«
Ich halte mich von einem zynischen Kommentar ab und warte auf seine Antwort. Wie ich wohl auf diese Frage geantwortet hätte?
Auden räuspert sich leise und macht einen erstaunlich ruhigen Eindruck. »Sich etwas zu erhoffen, bedeutet, dass man will, dass etwas Bestimmtes eintrifft. Man sollte jedoch nie mehr anstreben als das, was man hat, Mrs Edwards. Es könnte einem jederzeit genommen werden.«
Mom schweigt für einen Moment und ich bin mir sicher, dass sie an Dad denkt. Dann hebt sie den Kopf und nickt Auden zu. »Gut gesprochen.«
»Stimmt«, werfe ich ein. »Es ist wichtig mit dem zufrieden zu sein, was man hat. Aber man sollte gleichzeitig immer genau wissen, was man will.« Leicht drehe ich den Kopf zu Auden, der ein wenig lächelt. Es scheint ihn zu freuen, dass ich mir seine Worte zu Herzen genommen habe. Dabei tue ich das doch immer.
Zu wissen, was ― oder besser gesagt wen ― ich will, wird trotzdem einer der schwierigsten Meilensteine überhaupt sein.
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