KAPITEL 21 | MAYA

Porter kann viele Dinge sehr gut. Singen, Gitarre spielen, zuhören und sarkastisch sein. Aber Basketball ist und bleibt keine seiner Stärken.

Trotzdem macht es mir Spaß ihm in dieser riesigen Halle dabei zuzusehen, wie er es wenigstens versucht. Im Gegensatz zu Warren, Daniel, Kyler, Abraham und Stacey lache ich ihn jedoch nicht aus. Auch Auden ist neben mir nicht zum Lachen zumute, weil wir viel zu sehr mit Porter mitfiebern.

»Wir sind gemein«, stellt Stacey irgendwann fest und zwingt sich dazu, ernst zu schauen. »Porter gibt sich Mühe und wir haben versprochen, uns nicht über ihn lustig zu machen.«

Kyler nickt bekräftigend. »Stimmt, wir würden ihn niemals auslachen, sondern ...«

»... bloß dezent schmunzeln«, beendet Daniel den Satz seines Bruders. Dafür, dass die beiden französischen Zwillinge gerade ihren Onkel - also Audens Dad - verloren haben, wirken sie wieder ziemlich munter. In den letzten Tage sind nämlich auch sie sehr deprimiert gewesen, was so gut wie nie vorkommt.

Obwohl ich mich dafür schäme, Auden und seine Cousins nicht trauern zu lassen, bin ich froh, dass alles wieder beim Alten ist. Wenn man davon absieht, dass Warren Hals über Kopf in Stacey verliebt ist und sie und Kyler heimlich zusammen sind, dann wirken wir alle wie eine ganz normale Clique, ohne Probleme und ohne Konflikte. Nur bin ich diejenige, die die ganze Freundschaft zwischen Auden und Porter zunichtemacht.

Dass mein Herz schneller schlägt, sobald ich Auden ansehe, wäre nicht verkehrt, wenn ich nicht zeitgleich zu Porter schauen und mich nach ihm sehnen würde. Ich hasse es, in welche Lage wir drei uns gebracht haben. Wenn ich wenigstens die Einzige wäre, die hierbei verletzt wird, könnte ich damit zu hundert Prozent leben.

Am liebsten hätte ich laut und dramatisch geseufzt.

Ich drehe den Kopf zu Abraham, der Daniel mit Popcorn vollstopft und blicke dann zu einem unglücklichen Warren, der zu Stacey und Kyler sieht und aus einer Cola-Flasche trinkt, in der mit Sicherheit nicht nur Cola enthalten ist. Hoffentlich übertreibt er es heute nicht, immerhin befinden wir uns immer noch in der Schule.

Auden, der rechts neben mir sitzt, wirkt ebenfalls niedergeschlagen. Über die Beerdigung redet er nicht viel mit mir und Basketball ist dank Roamer und seinem Messer immer noch tabu für ihn. Ich wünschte, ich könnte ihn zum Lächeln bringen. Mir macht es fast Angst, wie viel ich für ein einziges, klitzekleines Lächeln seinerseits tun würde.

Als wollte mir jemand den Tag noch mehr vermiesen, taucht Brittany plötzlich vor uns auf, schiebt ihre riesengroße Sonnenbrille, die sie in der geschlossenen Halle wohl kaum braucht, in die Haare und grinst breit. Mir fällt auf, dass sie aufgehört hat, ihre Haare rot zu färben und sie jetzt stattdessen dunkelbraun und natürlich herauswachsen.

»Was zieht ihr denn für Gesichter?« Mitleidig schiebt sie ihre Unterlippe nach vorne. »Gerade eben wäre Kyler immerhin fast vor Lachen von der Bank gefallen. Was ist los?«

»Was ist mit dir los?«, will Daniel wissen. »Unsere Schulmannschaft verliert und dein ach so geliebter Porter wäre am liebsten ganz woanders.«

Kyler nickt bekräftigend. »Denkst du, wir sehen uns das gerne länger als zehn Minuten an?«

»Franzosen sind so theatralisch, nicht wahr, Maya?«, fragt mich Brittany auf einmal. »Obwohl du dich dabei wahrscheinlich selbst nicht entscheiden kannst. Immerhin sieht jeder Blinde, was du mit Porter und Auden abziehst.«

»Lass sie, Brittany«, kommt es sofort von Auden, der gespielt gelangweilt zu ihr hochblickt.

Überrascht wendet sie sich ihm zu. »Ich soll sie lassen?«

Auden nickt, während ich zu perplex bin, um irgendetwas zu sagen. »Ja, du sollst sie lassen und in den eigenen Spiegel schauen, bevor du Maya verurteilst.«

Tatsächlich schien Brittany in den letzten Monaten nicht davon abgeneigt zu sein, etwas mit Porter und Auden anzufangen. Das hat sie oft genug bewiesen, auch wenn mich dieser Fakt nicht besser fühlen lässt. Eigentlich macht mich der Gedanke an die unzähligen Male, in denen sie Auden angefasst hat und die beinahe gemeinsame Nacht mit Porter nur noch rasender vor Eifersucht und Wut.

»Du hast recht.« Brittany sieht widerwillig zu mir und ringt sich ein Lächeln ab. »Tut mir leid, Maya.«

Sie macht tatsächlich den Eindruck, als wäre es ihr wichtig, dass ich ihre Entschuldigung annehme. Warum wohl? Ich nicke ihr nur knapp zu und atme erleichtert auf, als sie wieder zu ihren Freundinnen hingeht und Porter anfeuert. Trotzdem hätte ich mehr tun sollen, um mich zu verteidigen, als nur zu nicken. Es wundert mich jedoch nicht, dass ich mich gerade falsch verhalten habe.

Immerhin mache ich momentan sowieso alles falsch.

»Danke«, wispere ich Auden trotzdem zu.

»Keine Ahnung, wofür du dich bedankst.«

Auch ohne, dass ich ihn ansehe, weiß ich, dass er ein wenig lächelt, also tue ich es ihm nach. »Ich glaube schon, dass du es weißt.«

»Woher willst du wissen, was ich weiß?«

Ich zucke mit den Schultern, obwohl ich sofort eine Antwort parat habe. »Weil ich meistens weiß, was du weißt.«

»Mein Gehirn kommt nicht mehr hinterher«, wirft Stacey plötzlich ein und sieht Auden und mich dann entschuldigend an, weil sie uns unterbrochen hat.

Jetzt ist seine Stimme näher und leiser an meinem Ohr. »Glaub mir, wenn ich dir sage, dass du gerade nicht weißt, was ich weiß.«

Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Unterarmen aus. »Dann sag's mir. Ich will es nämlich wissen.«

Er schmunzelt und ist mir plötzlich noch näher. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich unbewusst an ihn gelehnt habe und nehme mir vor, wieder wegzurücken, sobald er es mir endlich verrät.

»Ich weiß, dass ...« Auden grinst jetzt zufrieden, als ich vor Neugier zu platzen drohe. »... die Basketballmannschaft viel besser mit mir wäre.«

Irgendetwas bleibt mir im Hals stecken, weshalb ich laut huste und mich erst beruhige, als Auden und Stacey mir beide auf den Rücken klopfen.

»Geht's wieder?«, will Auden wissen.

Ich nicke und bin kurz davor zu schmunzeln. »Tut mir leid. Ich bin so viel Überheblichkeit von dir einfach nicht gewohnt.«

»Man kommt im Leben nicht weiter, wenn man unsicher ist.« Seine dunkelbraunen Augen blicken klar und ehrlich in meine. »Ohne ein gesundes Selbstbewusstsein stehst du dir selbst immer im Weg, egal, in welcher Lage du dich befindest.«

Ich fühle mich seltsam angesprochen und nicke. »Arroganz ist trotzdem kein Ausweg. Immerhin ist es doch meistens sowieso nur eine besondere Art von Unsicherheit, mit der man versucht sein nicht vorhandenes Selbstbewusstsein zu spielen, findest du nicht?«

»Es gibt immer Ausnahmen«, entgegnet er nach einer Weile.

»Also bist du die Ausnahme für Überheblichkeit und ich für Unsicherheit?«

Lange sagt Auden nichts. Er macht den Eindruck, als würde er meine Worte im Kopf wiederholen, bis er eine passende Antwort parat hat. »Ausnahmen bestätigen die Regel, nicht wahr?«

Lächelnd recke ich das Kinn. »Und wer bestimmt die Regeln?«

»Wir.« Diesmal kommt seine Antwort sofort und ohne ein Zögern. »Sofern wir das wollen.«

Die Basketballmannschaften gehen in diesem Moment vom Feld und ziehen meine Aufmerksamkeit auf die Spieler. Porter macht fast den Eindruck, als überlege er, wie schnell er durch die Tür nach draußen rennen kann, um nach der kurzen Pause nicht wieder spielen zu müssen.

»Ich denke, er braucht ein paar aufbauende Worte.« Auden nickt mit dem Kopf in Porters Richtung. »Munterst du ihn auf?«

Ich zögere, obwohl ich nichts lieber als das tun will. »Wäre das okay für dich?«

»Wenn du meinem besten Freund helfen kannst?« Auden versucht sich an einem Grinsen. »Ja, es wäre okay.«

Mein Kopf ist wie leergefegt, als ich aufstehe und die Stimmen von Stacey, Auden und den anderen nur im Hintergrund wahrnehme. Sie reden über den Homecoming-Ball, was aus vielen Gründen nicht wirklich mein Lieblingsthema ist.

Also setze ich einen Fuß vor den anderen und gehe auf Porter zu. Er sitzt auf der Bank, atmet schwer und sieht hilflos zur Tür. Ich würde ihn am liebsten umarmen, obwohl er verschwitzt ist. Aber ich will nicht noch mehr Salz in Audens Wunde streuen, der mit Sicherheit zu uns schaut. Und damit meine ich nicht die Wunde an seinem Bauch.

»Hey«, sage ich leise, um weder die Aufmerksamkeit von Porters Teamkameraden noch von seinem Coach zu erregen.

»Hey, Cherry.« Eine schwarze gewellte Strähne fällt Porter ins Gesicht, als er sich zu mir dreht und trotz allem lächelt. »Wie verloren sehe ich auf dem Spielfeld auf einer Skala von eins bis zehn aus?«

»Ungefähr vier, würde ich sagen.«

»Lügnerin.«

Lächelnd streiche ich mir die roten Haare aus dem Gesicht, dann setze ich mich neben ihm auf die Bank. »Ich will nicht übermotivierend sein oder dich irgendwie mit meinem Pep Talk nerven, aber -«

»Du könntest mich nicht nerven.« Porters Grinsen, das ich allzu vermisst habe, erscheint auf seinen schön geschwungenen Lippen. »Im Ernst, Cherry, das wäre schlichtweg unmöglich.«

»Ich glaube an dich, Porter«, sage ich gerade heraus. Dabei ignoriere ich das Kribbeln in meinem Bauch, das durch seine Worte verursacht wurde. »Obwohl du es gerade nicht tust. Ich weiß ganz genau, dass du einer der begabtesten Menschen bist, den ich kenne.«

»Basketball ist nicht meine Begabung.«

»Diese Tatsache können wir dir alle verzeihen.«

Er atmet jetzt ein wenig ruhiger, wirkt aber immer noch angespannt. »Nach diesem Spiel werde ich zwei Dinge tun: Erst steige ich aus dem Team aus und dann schmeiße ich die legendärste Party, die die Millbrook je gekannt hat.«

Obwohl ich mit so etwas schon gerechnet habe, muss ich leise lachen. »Eine Party? Du bist mitten im Spiel und denkst an eine Party?«

»Falls du es noch nicht bemerkt hast«, Porter widmet mir das unglaublichste Lächeln überhaupt, »Partys und ich sind unvermeidbar, wenn man mit mir befreundet ist.«

»Komisch«, entgegne ich. »Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«

Porter versteht meinen Sarkasmus und schüttelt lachend den Kopf. »Ich muss eben meine Niederlage des ersten Basketballspiels irgendwie feiern, Cherry.«

»Noch hast du nicht verloren«, kontere ich, während ich die Arme vor der Brust verschränke.

In Porters Augen blitzt etwas auf, das wie Verlangen aussieht, aber es ist zu schnell erloschen, als dass ich es hätte richtig interpretieren können.

Ich stelle mich demonstrativ vor ihn und lege meine Hände auf seinen Schultern ab. Von seiner Haut geht eine Wärme aus, die ich am liebsten noch näher gespürt hätte, aber ich halte mich zurück. Und denke sofort an Auden und das Gefühl, das ich hatte, als ich ihn nach Roamers Messerangriff und auf dem Autodach umarmt habe.

»Du gehst gleich da raus«, erkläre ich bestimmend. »Und du gibst dein Bestes, wie du es immer tust. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass das genug ist.« Jedenfalls für mich.

Die Trillerpfeife ertönt auf einmal und Porter steht mit neugewonnenem Selbstbewusstsein auf, nur um mich noch einmal anzusehen. Kurz schweift sein Blick über meinen Körper und bleibt dabei an meinen Lippen hängen. Hitze steigt mir in die Wangen, als er langsam den Kopf schüttelt, immer noch auf meinen Mund sieht und leise »Verdammt« murmelt.

Dass er dann trotzdem an mir vorbeiläuft und auf das Spielfeld rennt, ruft Enttäuschung und Erleichterung zugleich in mir hervor. Noch nie in meinem Leben habe ich mich verwirrter gefühlt.

Ich sehe mich nach Auden um, doch er sitzt nicht mehr dort, wo er noch gerade eben gewesen ist. Staceys trübe Miene spricht Bände und sagt mir genau, dass Auden nicht zufällig mal aufs Klo musste.

Hier, mitten in der Sporthalle, schießt mir nur ein einziger Gedanke durch den Kopf. Brittany hat nämlich leider recht: Ich spiele tatsächlich mit beiden, obwohl ich es nicht beabsichtige. Aber egal, was noch passiert, ich würde aufhören mich zwischen die Freundschaft von Auden und Porter zu stellen ... auch wenn das bedeutet, dass ich meine Gefühle demnächst ganz weit in den Hintergrund rücken muss.

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