KAPITEL 17 | PORTER
Ich hasse Brittany mehr als Basketball. Mehr als Chemieunterricht und mehr als die Tatsache, dass Auden und ich seit einer halben Stunde schweigend nebeneinandersitzen und auf unserem Essen herumkauen.
Dass ich ihn bei unserem ersten Spiel in diesem Schuljahr womöglich wirklich ersetzen muss, passt mir überhaupt nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Mannschaft mit mir gewinnt, liegt gleich bei null, aber ich habe momentan größere Probleme als Basketball.
Zum Beispiel hatten meine Eltern und ich vorhin ein ernsthaftes Gespräch über die Schule, wobei eigentlich sie diejenigen waren, die geredet haben. Ich saß brav auf dem Drehstuhl in seinem Arbeitszimmer und habe mich mehr im Kreis gedreht als zugehört. Mom und Dad sind erst vor zwei Stunden nach Hause gekommen und konnten somit erst dann erfahren, wie mies die Chemiearbeit gewesen ist. Meine Eltern sind nicht oft wütend, wenn ich mit schlechten Noten nach Hause komme ― aber ganz am Anfang des Schuljahres schon einen verhauten Test nach Hause zu bringen, ist eben auch noch nie vorgekommen.
»Vielleicht sollten wir in Erwägung ziehen, dir eine Nachhilfe zu besorgen«, hat Dad vorhin vorgeschlagen, um mich ebenfalls in das Gespräch mit einzubeziehen. »Brittany erzählt doch immer, wie gut sie in Chemie ist, nicht wahr?«
Meine Mom hat mich erwartungsvoll und glücklich angesehen. »Sie wird dir doch bestimmt helfen, wenn du sie nett fragst, oder?«
»Ganz sicher nicht«, platzte es aus mir heraus. »Brittany wollte mir noch nie helfen, Mom. Sie hasst mich.«
»Das glaube ich nicht. Bisher hat es immer so gewirkt, als würdet ihr euch nur aus Spaß gegenseitig necken.«
Angewidert verzog ich das Gesicht. »Necken? Wir necken uns nicht, wir beleidigen uns. Außerdem wird sie mir wohl kaum eine Hilfe in Chemie sein, wenn die Chemie zwischen ihr und mir so gar nicht stimmt.«
Ab da war die Diskussion glücklicherweise beendet.
Jetzt sitzen wir alle am Tisch. Auden ist rechts von mir und neben ihm Lynette und Maurice. Links neben mir sitzen meine Eltern sowie meine Grandma und uns gegenüber die Grammers mit ihrer reizenden Tochter Brittany, die mich mit ihren Blicken beinahe erdolcht. Offenbar gefällt es ihr gar nicht, dass ich trotz unserer wirklich unvergesslichen Nacht immer noch am Tisch sitzen und grinsen kann.
»Wie hast du eigentlich geschlafen, Porter?«, fragt sie mich aus dem Nichts, während sie an ihrem Glas nippt. »Deine Party letzte Nacht ist immerhin ziemlich ... aus dem Ruder gelaufen. Hast du überhaupt ein Auge zu machen können?«
Auden neben mir sieht mich abwartend an. Er rührt sich kaum vom Fleck, was an seiner Wunde liegen könnte, die zum Glück nicht mehr aufreißt. Ich würde ihn ja gerne fragen, ob er Schmerzen hat, aber wir reden anscheinend nicht mehr miteinander.
»Ehrlich gesagt war ich die ganze Nacht wach«, antworte ich Brittany mit einem aufgesetzten Lächeln.
Sie erwidert es. »Warum denn das?«
»Ach, ich weiß nicht ...«, fange ich an, während ich mit dem Besteck spiele. »Irgendwie habe ich mich ... gefangen gefühlt. Fast schon angekettet.«
»Hin und wieder fühle ich mich genauso«, gibt Brittanys Dad plötzlich zu. Cornell Grammer ist glücklicherweise das genaue Gegenteil von seiner Tochter ― also weniger nervig. Unschuldig grinsend lehnt er sich in seinem Stuhl zurück. »Kelsey vergisst manchmal, die Handschellen wieder zu lösen, deshalb ―«
»Igitt«, kommt es von Brittany, während ihre Mom Kelsey empört »Cornell!« ruft.
Wenigstens weiß ich jetzt, woher Brittany diesen Fetisch mit den Handschellen her hat.
»Wie auch immer ...« Meine Mom winkt beunruhigt einen Kellner her, der bisher mit viel Abstand zu uns in unserem Garten stand. Jetzt schenkt er ihr Glas nach, woraufhin sie sich bedankt. »Porter besitzt neuerdings einen kleinen Konflikt, Brittany.«
Mit einem schelmischen Grinsen beugt sie sich zu meiner Mom vor. »Er ist tatsächlich ziemlich klein, Jocelyn. Ich durfte ihn letzte Nacht mit eigenen Augen sehen.«
Ich verschlucke mich prompt an meinem Wasser und lenke alle Aufmerksamkeit auf mich. Auden klopft mir ein paar Mal auf den Rücken, dann erst schaffe ich es mein Glas abzustellen und Brittany feindselig anzusehen. »Komisch, letzte Nacht hast du etwas ganz anderes zu meinem ›kleinen‹ Konflikt gesagt.«
»Du hast Brittany schon deinen Chemietest gezeigt?«, hakt Dad verwirrt nach.
»Nein, aber dafür hat er mir andere Dinge gezeigt«, wirft Brittany ein und streicht sich grinsend ihr rot gefärbtes Haar über die Schultern. »Ganz andere Dinge.«
Granny legt ihre Gabel ab und legt argwöhnisch die Handflächen auf dem Tisch ab. »Hat er dir etwa seine Schallplattensammlung gezeigt?«
Während Brittany kichernd den Kopf schüttelt und sogar Audens Mundwinkel ein wenig zucken, lehne ich mich seufzend nach hinten und starre einen Moment lang gen Himmel. Ich weiß nicht, wie ich von weißen Wolken und der hellblauen Farbe ausgerechnet auf Maya komme, aber mir fällt auf, dass das in letzter Zeit öfter passiert. Ich verbinde mittlerweile viele Dinge mit diesem Mädchen, ohne es zu beabsichtigen.
Ich wünschte, sie wäre hier. Maya würde nicht nur mir binnen weniger Sekunden ein Lächeln auf die Lippen zaubern, sondern auch Auden, der schon wieder mürrisch dreinblickt.
Während sich meine und Brittanys Eltern unterhalten und Granny sie in irgendein Gespräch über Schallplatten verwickelt hat, linse ich erneut unauffällig zu Auden und ziehe eine Grimasse, die ihn hoffentlich ein wenig aufmuntert.
Fehlanzeige. Sein Gesicht ist nach wie vor hart wie Stein.
»Hey«, flüstere ich leise in seine Richtung. »Pst, Auden, hörst du mich?«
»Nein.«
Ich bemühe mich, nicht die Augen zu verdrehen. »Können wir bitte darüber reden, was in den letzten zwei Tagen los war?«
»Du willst darüber reden, was du und Maya nach der Wohltätigkeitsveranstaltung gemacht haben, während ich von deinem Bruder abgestochen wurde?« Er knirscht mit den Zähnen, als wäre das alles mehr als bloß unangenehm für ihn. »Oder willst du eher darüber reden, warum du fast Sex mit Brittany hattest, dich dann aber doch dafür entschieden hast, Maya zu küssen, während ich nur zwei Stockwerke unter euch war?«
Warum klinge ich in beiden Versionen wie der mieseste beste Freund der Welt?
»Maya und ich sind nach der Wohltätigkeitsveranstaltung zu mir gegangen«, fange ich an zu erzählen, während ich darauf achte, dass uns niemand zuhört. »Sie hat Trixie gesehen und ich habe mit meiner Schallplattensammlung angegeben.« Dass ich vor ihr in Wirklichkeit etwas auf meiner Gitarre gespielt und gesungen habe, will ich aus irgendeinem Grund für mich behalten.
Auden fährt sich seufzend durch das dunkelbraune Haar und sieht mich endlich an. »Warum wollte sie überhaupt von der Veranstaltung so schnell weg?«
»Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber du neigst dazu, sie manchmal ein bisschen zu ignorieren. Sie hat bei dir Blickkontakt gesucht, aber du hattest mehr Augen für irgendein anderes Mädchen.«
Auden will etwas sagen, entscheidet sich dann aber dazu, es für sich zu behalten.
»Und ich habe Maya nicht geküsst«, stelle ich klar. »Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich es nicht will. Es ist wohl am besten, wenn ich nicht weiter darauf eingehe, wie sehr ich es will, weil du es wahrscheinlich nicht hören willst.«
»Glaub mir, ich kann mir denken, was in deinem Kopf vor sich geht, wenn du vor ihr stehst«, kommt es prompt von ihm.
»Wirklich?«, hake ich nach.
Er nickt und lächelt dabei endlich ein wenig. »Ja, weil es bei mir genauso ist.«
Ich weiß zunächst nicht, was ich darauf erwidern soll. Immerhin hat Auden noch nie so offen und ehrlich zugegeben, dass Maya ihm nicht völlig egal ist.
Bisher wusste ich trotzdem, dass er seine Gefühle für sie nur herunterspielen wollte und gleichzeitig hielt ich es für besser, ihn nicht zum Reden zu drängen. Das ist bei Auden oft nämlich gar keine gute Idee.
»Ich bin froh, dass du es dir endlich eingestehst«, entgegne ich nach einer Weile. Mir entgeht nicht, wie sehr sich Audens Schultern währenddessen entspannen. »Dieses ganze Ich-überlasse-Maya-allein-dir-Gerede ging mir langsam sowieso auf die Nerven. Willst du mir vielleicht noch irgendetwas sagen?«
»Eigentlich nicht.«
Abwartend blicke ich ihm in die Augen.
»Okay, ich mag Maya sehr, falls du das bisher noch nicht bemerkt hast. Zufrieden?«
»Nicht einmal annähernd.«
»Vielleicht ist es mehr als nur Mögen«, fügt er hinzu.
Es mag seltsam sein, aber mir ist es lieber, wenn er jetzt mit der ganzen Wahrheit herausrückt als später. »Rede ruhig weiter.«
»Vielleicht ... vielleicht bedeutet sie mir auch etwas.«
»Wie viel bedeutet sie dir?«, will ich wissen, während ich zwar lächle, aber meine Finger sich immer mehr um die Gabel in meinen Händen verkrampfen.
Auden seufzt. »Sehr viel.«
»Auden ...«
»Ich habe Gefühle für sie, okay?«
Da ist er. Der plötzliche Stich in meiner Brust, der mich kurz dazu bringt, die Luft anzuhalten und alles um mich herum auszublenden.
Ich weiß nicht, warum Auden so zuversichtlich ist, dass diese Schwärmerei für dasselbe Mädchen gut für unsere Freundschaft ist. Aber ich werde vorerst wohl so tun müssen, als würde es mir nichts ausmachen.
Auden lächelt breit. »Jetzt wo wir das geklärt haben, muss ich dich auf etwas hinweisen, was dir bis gerade eben noch gar nicht aufgefallen ist.«
»Meinst du die sehr hohe Chance, dass ich durch den verhauten Chemietest doch nicht bei unserem ersten Spiel für dich einspringen muss?«
»Nein«, entgegnet er langsam. Immer noch lächelnd nickt er in Brittanys Richtung, die immer mal wieder zu uns herübersieht und mich misstrauisch anblickt. »Ich meine etwas anderes. Oder eher jemand anderes.«
Irritiert forme ich die Augen zu Schlitzen. Was genau will Auden mir mit seinem ständigen Blickwechsel von Brittany zu mir und wieder zurück zeigen?
Während ich darüber nachdenke, greife ich nach meinem Glas Orangensaft und halte es an meine Lippen.
»Sie steht auf dich, Porter.«
Froh darüber, dass ich nichts von der Flüssigkeit im Mund habe, stelle ich das Glas wieder ab und bin kurz davor aufzustehen und mich zu duschen. Um die widerlichen Worte von Auden von meinem Körper zu waschen natürlich.
»Hast du heimlich getrunken?«, frage ich ihn argwöhnisch.
»Heiße ich Warren?«, feuert er zurück. »Nein, ich habe nichts getrunken. Obwohl es mich von den Schmerzen ablenken würde.«
»Wenn du willst, kann ich kurz ins Haus gehen und dir eine Schmerztablette holen«, flüstere ich. Brittanys Blick liegt jetzt dauerhaft auf mir, weshalb ich provozierend zurückschaue. »Ich muss sowieso mal pinkeln.«
Sie grinst mich an, was wohl bedeutet, dass sie meine letzten Worte verstanden hat.
Ich will wirklich weg hier. Erstens halte ich es keine Sekunde länger am Tisch mit Brittany aus und zweitens brauche ich nach Audens Geständnis ein bisschen Abstand zwischen uns. Wenn auch nur für ein paar Minuten.
Glücklicherweise bemerken meine Eltern nicht, dass ich mich aus dem Staub mache, weil sie sich angeregt mit den Grammers unterhalten. Nur Granny sieht mir neugierig hinterher und blickt ein wenig besorgt, so als wüsste sie, was gerade in mir vorgeht. Eigentlich weiß sie es immer.
Ich laufe aus unserem Garten und nehme den Weg zu unserer Veranda, bis ich aus der Sicht von Granny bin, die mir mit Sicherheit noch immer hinterhersieht. Seufzend öffne ich den obersten Knopf meines schwarzen Hemdes, weil es heute doch ein bisschen warm ist. Währenddessen achte ich wenig darauf, wer vor unserer Haustür ist, weil ich mir sicher bin, dass es sich um einen Dienstboten handelt.
»Ich finde es ja toll, dass ich dich zuerst begrüßen darf, kleiner Bruder.«
Erschrocken fahre ich zusammen und lasse von meinem Hemdkragen ab. Roamer hat es sich auf der Hängeschaukel gemütlich gemacht, setzt sich jetzt aber auf und streckt sich ausgiebig.
Ich kenne Roamer fast besser als jeder andere. Und der Anzug, den er trägt, ist ein wenig zerknittert, was ihn unter normalen Umständen gestört hätte. Es kann also nur einen einzigen Grund geben, warum er in diesem Zustand hier auftaucht: Er braucht unsere Hilfe. Bestenfalls in Form von Geld.
»Geh und kriech jemand anderem in den Arsch.« Meine Stimme ist hart, als ich die ersten Stufen der Treppe hochlaufe. »Von uns kriegst du keinen Dollar mehr.«
Er fährt sich grinsend durch das schwarze Haar, das daraufhin nur noch mehr absteht. »Ziemlich respektlos, wie du mit mir sprichst, findest du nicht? Keine Sorge, noch brauche ich kein Geld. Ich bin aus einem ganz anderen Grund hier.«
Nun stehe ich direkt vor ihm und wäre vor Genugtuung beinahe fröhlich um ihn herumgesprungen. Denn ich kann mittlerweile stolz sagen, dass ich genauso groß bin wie Roamer, der mich noch vor ein paar Jahren so sehr überragt hat, dass ich Nackenschmerzen vom vielen Hochschauen bekommen habe.
Roamer räuspert sich lautstark. »Ich habe mich heute auf die Suche nach dem nervigen Mädchen begeben, dass einen Feuerlöscher auf mich geworfen hat, als ich dabei war, deinem besten Freund eine Lektion zu erteilen. Du erinnerst dich doch daran, oder?«
Ich runzle die Stirn. Meint er Stacey?
Und warum sollte ich mich nicht daran erinnern? Dieser Vorfall ist nicht einmal zwei Tage her.
»Zufälligerweise habe ich gesehen, wie sie mit einem anderen Mädchen nach Hause gelaufen ist«, redet er gelangweilt weiter. »Irgendeine komische Rothaarige, die mich davon abgehalten hat, mit dem Feuerlöscher-Mädchen zu reden.«
Meine Augen weiten sich geschockt, als ich verstehe, dass er nur vor ein paar Stunden wenige Meter von Maya entfernt war. »Lass die beiden in Ruhe, hörst du?«
Als wären wir nicht nur Brüder, sondern auch Freunde, legt er eine Hand auf meine Schulter und drückt aufmunternd zu. »Keine Sorge, zuerst knöpfe ich mir sowieso Auden vor. Erst danach ist das Feuerlöscher-Mädchen an der Reihe und gegen die Rothaarige habe ich noch nichts.«
Roamer schafft es noch immer nach all den Jahren mit nur einem Blick zu wissen, was ich denke. Und jedes Mal, wenn er über Maya spricht, muss ich wohl besonders verdächtig ausgesehen haben.
»Wer ist der Rotschopf, mhm?«, will er wissen, während er mir immer näherkommt. »Deine Freundin? Hat der kleine Porter etwa eine Freundin?«
Mit zusammengebissenen Zähnen mache ich mich von ihm los und gehe mindestens drei Schritte weg von ihm. »Ich weiß gar nicht, von wem du sprichst.«
Roamer lacht. »Ich finde ihren Namen so oder so heraus, kleiner Bruder. Wer weiß, vielleicht begegnen sie und ich uns noch einmal zufällig auf der Straße. Vielleicht spreche ich sie dann an. Und vielleicht ―«
»Du lässt sie in Ruhe«, stelle ich klar. Jedes bisschen Unsicherheit weicht dabei aus meiner Stimme. »Und Auden sowie ›das Feuerlöscher-Mädchen‹ lässt du auch in Ruhe.«
»Entspann dich doch mal.« Roamer lacht leise und versucht erneut mir näherzukommen. Als könnte ich seine Nähe überhaupt noch ertragen, nach allem, was er bisher getan hat. »Ich würde deinen Rotschopf niemals anrühren, dafür ist sie nicht ganz mein Typ. Aber ihr Leben zu ruinieren? Ja, darauf hätte ich irgendwie richtig Lust.«
Wie es sich anfühlt, wenn man endgültig bemerkt, dass der eigene Bruder völlig verrückt wird? Es ist eine Mischung aus Mitleid und Wut.
Glücklicherweise überwiegt die Wut noch. »Ich gebe dir das Geld, das du brauchst, wenn du versprichst, meine Freunde in Ruhe zu lassen.«
»Oh bitte, du warst noch nie gut darin, Geld von Mom und Dad zu klauen.«
»Ja, weil ich es nie getan habe«, entgegne ich.
Roamer grinst. »Ganz genau. Ich komme schon selbst irgendwie an Geld, auch wenn ich deine freiwillige Hilfe sehr zu schätzen weiß.«
Ich balle die Hände zu Fäusten und überlege, was ich sonst tun soll. Ihm eine reinhauen? Ich würde es nur zu gern versuchen, aber gleichzeitig sollen meine Eltern nichts hiervon mitbekommen. Vorher muss ich Roamer irgendwie klarmachen, dass er seine kranken Spiele meinetwegen bei mir, aber nicht bei Auden oder Maya durchziehen kann.
»Wenn du kein Geld von mir willst«, unruhig fahre ich mir über den Nacken, »was willst du dann?«
»Gut, dass du fragst.« Roamer zieht auf einmal etwas aus seiner Anzugtasche heraus und wedelt im nächsten Moment mit einer Zigarette vor meinem Gesicht herum. »Beim letzten Mal, als wir uns gesehen haben, warst du noch süchtig danach. Erinnerst du dich?«
Ich verziehe keine Miene und starre ihm stur in die Augen.
»Du hast so sehr nach Rauch gestunken«, redet er zufrieden weiter. »Aber jetzt riechst du frischer als in all den Jahren, in denen ich noch bei Mom und Dad gewohnt habe. Wie hast du es geschafft aufzuhören?«
»Geduld, Durchhaltevermögen, die richtige Motivation ...«, zähle ich auf, während ich mich bemühe, mir nicht ansehen zu lassen, wie nervös und zappelig ich werde. »Es hat ein paar Monate gedauert.«
»Ja, das glaube ich dir.« Roamer macht den Eindruck, als könnte er ebenfalls nicht still dastehen, nur liegt es bei ihm an der Vorfreude auf das, was gleich kommt. »Das Letzte, was du willst, ist sicher wieder mit dem Rauchen anzufangen, oder?«
Beinahe sprachlos sehe ich ihn an. Er würde doch nicht ...
»Wenn du wirklich willst, dass ich deinen Rotschopf in Ruhe lasse, dann zieh an dieser Zigarette.« Er drückt sie mir mit Gewalt in die Hand und greift erneut in die Tasche, um ein Feuerzeug herauszuholen. Das irre Grinsen in seinem Gesicht bleibt. »Dürfte ich dir die Ehre erweisen und diese Zigarette anzünden, kleiner Bruder?«
Nachdenklich drehe ich sie zwischen Daumen- und Zeigefinger herum. Eigentlich gibt es gar nicht viel zum Überdenken. Wenn das hier Roamers einzige Bedingung ist, um niemandem zu schaden, der mir am Herzen liegt, dann werde ich nicht kneifen.
Trotzdem wünschte ich, er würde mir das hier ersparen. Will er nicht das Beste für mich? Oder besser gesagt: Sollte er nicht das Beste für mich wollen?
»Roamer, ich ―«
Er unterbricht mich sofort, indem er die Zigarette anmacht.
Still qualmt sie in meinen Händen vor sich hin, während ich gequält zu meinem großen Bruder sehe, der Person, zu der ich einst aufgesehen habe.
Jetzt fühle ich keine Wut mehr in mir, sondern nur noch Mitleid.
Langsam klemme ich mir den Filter der Zigarette zwischen die Lippen und ziehe daran. Früher hat mir der Geruch und Geschmack gefallen ― jetzt gerade widert es mich nur noch an.
»Rauch sie zu Ende«, kommt es plötzlich von Roamer.
Heftig schüttle ich mit dem Kopf, wobei ich mir fast vorkomme wie ein kleines Kind. Anscheinend bin ich das sogar noch in seinen Augen. »Nein, du hast gesagt, ich soll nur einmal ziehen.«
Seine Miene wird hart. »Jetzt sage ich aber: Rauch sie zu Ende. Sofort. Oder ich mache mich gleich heute auf die Suche nach der Rothaarigen.«
Maya. Sie ist alles, wofür in meinem Kopf gerade Platz ist. Ich rauche also so lange, bis Roamer zufrieden seufzt, die nächste Zigarette aus seiner Anzugtasche herausholt und sich mein Mitleid für ihn immer mehr in ein Mitleid für mich selbst verwandelt.
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