KAPITEL 13 | AUDEN
Maya und ich schweigen uns gegenseitig seit fünf Minuten an, was mich so langsam irritiert.
Die wenigen Male, die wir bisher miteinander gesprochen haben, konnten wir immer mit Themen füllen, aber in diesem Augenblick bringen wir keine Worte heraus. Sie sitzt in ihrem Biene-Maja-Kostüm auf dem Sessel mir gegenüber, während ich halb auf der Couch liege und versuche, mich nicht zu bewegen. Das würde nämlich Schmerzen verursachen, große Schmerzen. Wenn es in meinem Zustand möglich wäre, würde ich aufspringen und Porter suchen gehen, der mit Warren und Kyler gegangen ist.
Man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass sie Roamer suchen.
Stacey, Abraham und Daniel sind in der Küche und kochen irgendetwas, das verdächtig nach Nudeln riecht. Obwohl wir bereits nach zehn Uhr abends haben, läuft mir bei dem Geruch das Wasser im Mund zusammen.
Mayas Magen knurrt dazu noch plötzlich laut.
Peinlich berührt rutscht sie auf dem teuren Leder herum. »Also ... ähm ... ich habe nicht gepupst, falls du das denkst.«
Ich verfluche mich dafür, dass ich mit dem Kopf schüttle. Und dabei wie ein Idiot grinse, weil ihre Wangen mittlerweile die Farbe ihrer Haare angenommen haben.
»Wie auch immer ...« Sie zupft nervös an ihrem Kostüm herum. »Hast du noch starke Schmerzen?«
»Nein.«
»Warum liegst du dann so verkrampft da?«
»Weil es bequem ist.«
Ungläubig zieht sie eine dünne, perfekt geschwungene Augenbraue nach oben. Auch ihre Lippen verziehen sich jetzt zu einem Grinsen, was gut ist. Die Stimmung zwischen uns ist erfolgreich aufgelockert und das nur mit ein paar wenigen Worten.
Natürlich bin ich dabei, diese gute Stimmung prompt zu ruinieren. »Ich bin überrascht, dass du keine Fragen stellst«, werfe ich ein und räuspere mich sofort. »Oder passt du oft auf erstochene Typen auf?«
»Das ist mein Teilzeitjob«, entgegnet sie und der Sarkasmus in ihrer Stimme bringt mich dazu, stärker zu grinsen. »Erstens haben Kyler und Stacey schon eine ganze Menge erzählt. Und zweitens siehst du nicht so aus, als würdest du gerne darüber reden, was passiert ist.«
»Stimmt.«
»Siehst du?« Sie erhebt sich von ihrem Sessel und kommt seufzend auf mich zu. »So langsam durchschaue ich dich, Auden.«
Ein Schauer durchfährt mich, der allein durch ihre Worte ausgelöst wurden. Sie faltet langsam die Decke auseinander, die sich auf einem weiteren Sessel genommen hat, und legt sie mir bis über die nackten Schultern. Ihr Blick ist von Sorge und nicht von Anzüglichkeit geprägt, was ich überhaupt nicht gewohnt bin. Ich kenne nur Mädchen, die die jetzige Situation ausgenutzt hätten, um mich zu verführen. Maya jedoch macht keine Anstalten dazu.
»Du hast meine Frage nicht richtig beantwortet.« Meine Stimme ist ein wenig heiser, als ich ihr in die blauen Augen sehe, die sich sofort weiten. »Bist du solche Situationen schon gewohnt?«
»Bisher habe ich noch nie auf erstochene Typen aufgepasst, nein«, entgegnet sie genauso leise. Immer noch ist sie leicht über mich gebeugt, sodass ihre Haare nach vorne fallen und meine Unterarme berühren.
Ich weiß nicht, warum ich diese Frage stelle, aber bei Maya denke ich nicht so wirklich darüber nach, was ich als Nächstes sagen soll. »Und hast du schon auf nicht erstochene Typen aufgepasst?«
Ihr entfährt ein Lachen. »Auden? Interessierst du dich gerade wirklich für mein Liebesleben?«
»Ein bisschen.«
»Ein bisschen sehr«, korrigiert sie mich. Maya macht es sich neben mir gemütlich, als wäre es etwas ganz Normales, wobei sie darauf bedacht ist, genug Platz zwischen uns zu lassen. »Ich wünschte, ich könnte dir irgendetwas erzählen. Aber tatsächlich ist mein Liebesleben nicht existent.«
Ich zucke nicht einmal mit der Wimper, weil ich nicht will, dass sie anhand meiner Reaktion anfängt, sich zu schämen. Warum sollte sie auch? Nicht jeder ist mit siebzehn so weit wie ich und hat Dinge getan, auf die er nicht stolz ist ... wie ich. Es macht mich mittlerweile traurig, wie viel ich für Geld getan habe und tun würde. Aber Maurice und Lynette brauchen alle möglichen Dinge, die meine Eltern nicht bezahlen können. Und Porter bitte ich nur sehr selten um Hilfe.
Ganz langsam lehne ich den Kopf nach hinten an und atme tief durch. »Warum hattest du noch nicht deinen ersten Kuss?«
»Ist die Antwort nicht offensichtlich?« Sie zieht die Augenbrauen ein wenig zusammen. »Niemand wollte mich bisher küssen.«
»Also sind Porter und ich unsichtbar für dich?«
Sie lacht leise und auch ich gebe einen heiseren Ton von mir, der nicht einmal ansatzweise an ihr Lachen herankommt. Maya sieht ein wenig überrascht davon aus, dass ich überhaupt zu so etwas imstande bin. »Du solltest öfter glücklich sein, Auden.«
»Glück und Freude kann man nicht herbeirufen«, erwidere ich. »Entweder man hat es oder man hat es eben nicht.«
Sie sieht mir lange und tief in die Augen und wendet zur Abwechslung einmal nicht zuerst den Blick ab. Ich reiße mich irgendwann von ihr los und schaue kurz darauf zu ihr zurück, weil sie zu schön ist, zu makellos und rein, um sie nicht anzusehen. Ich glaube, ich könnte mich hiermit stundenlang beschäftigen.
Porter bleibt jedoch in meinem Hinterkopf und sein Drang, bei der Kuss-Deadline zu gewinnen, ebenfalls. Nur zu gern hätte ich mich zu Maya gebeugt und ihr diesen ersten Kuss einfach gestohlen ― aber so funktioniert das hier nicht. Entweder sie schenkt ihn mir oder ich werde niemals ihre Lippen auf meinen spüren.
Ich weiß nicht, was schlimmer wäre.
»Weißt du, was seltsam ist?«, fragt Maya irgendwann leise. »Ich weiß fast nichts über dich, aber ich habe trotzdem manchmal trotzdem das Gefühl, ich würde dich schon ewig kennen.«
Irgendetwas regt sich in meinem Bauch, aber es ist ganz sicher weder die Wunde noch der Nudelgeruch.
»Erzähl mir etwas über dich«, fordert sie mich auf.
Ich räuspere mich kurz. »Darin bin ich nicht so gut.«
»Okay, dann stelle ich dir eben Fragen. Was ist dein Zweitname?«
»Das ist deine erste Frage?« Schmunzelnd senke ich den Kopf. »Pierre.«
»Heißt das übersetzt nicht Stein?«, hakt sie ungläubig nach. Dann grinst sie bis über beide Ohren. »Na ja, dann passt es doch, wenn man bedenkt, dass du überzeugt davon bist, ein Herz aus Stein zu haben.«
Mir entfährt ein Lachen, das nicht mehr ganz so armselig klingt wie das Letzte. »Der Name ist in Frankreich gar nicht so unüblich, Maya Neeve Edwards.«
»Woher weißt du meinen ganzen Namen?«, will sie misstrauisch wissen.
»Wir sitzen im Schreibkurs direkt nebeneinander, Chérie. Da kann es mal vorkommen, dass ich hin und wieder einmal einen Blick auf deine Aufsätze werfe.« Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich mit dem Stoff ihrer Verkleidung gespielt habe und lasse sofort wieder die Hände von ihr.
Sie geht nicht darauf ein und lächelt stattdessen ein wenig. »Du hast mich also mit Schweigen bestraft, aber trotzdem meine Worte gelesen?«
»Manchmal kannst du dich selbst nicht einmal in der Stille denken hören.«
Maya hebt überrascht den Kopf. »Schon wieder Courtney Peppernell?«
»Ich hätte noch viele andere Zitate, wenn du sie hören willst.« Ich verstehe mein immer schneller schlagendes Herz nicht, sowie meine leicht zitternde Stimme. Normalerweise bin ich nie unsicher, nicht einmal, wenn ich über Zitate rede.
Obwohl Maya immer noch Abstand bewahrt, fühlt es sich so an, als würde uns kein Blatt trennen, als sie sagt: »Ich würde viel lieber dir zuhören, Auden. Du bist nämlich mindestens so zitatreif wie Courtney Peppernell.«
»AUDEN! MAYA! ES GIBT ESSEN!«
Unser Blickkontakt wird prompt unterbrochen. Stacey kommt mit riesigen Ofenhandschuhen, einer Auflaufschüssel und mit Abraham und Daniel ins Wohnzimmer gelaufen.
Dass Daniel gerade Salz auf Abrahams Arm streut und die Haut dann ableckt, ignoriere ich bewusst.
Trotzdem freue ich mich für die beiden, auch wenn ich niemals gedacht hätte, dass die Kuss-Deadline, ein einfaches, eigentlich schon peinliches Spiel zwei Menschen zusammenbringen könnte. Maya sieht ebenfalls zu den beiden und legt lächelnd den Kopf schief.
»Ich hoffe, ihr habt Hunger«, redet Stacey weiter, während sie die Auflaufform abstellt. Als sie sich wieder zu uns umdreht, gibt sie dem Wort ›Todesblick‹ eine ganz neue Bedeutung. »Und wenn nicht, dann müsst ihr trotzdem essen. Nur damit das klar ist.«
»Ja«, entgegnet Abraham gedehnt und zähneknirschend. »Vielleicht sollte ich dir mal das Messer abnehmen, Stace.«
Sie macht glücklicherweise keine Anstalten, das Messer in ihren Händen für sich zu beanspruchen und legt stattdessen ihre Schürze ab, die irgendeinem der Köche hier gehört.
Ich sehe es nicht als selbstverständlich, dass Maya, Stacey, Abraham und Daniel um diese Uhrzeit noch hier sind. Und etwas zum Essen kochen. Deshalb versuche ich mich so gut wie möglich aufzusetzen, damit sie mich auch sehen können. Stacey schenke ich ein kurzes Lächeln und ein knappes Nicken. »Danke.«
Mit einem rührenden Gesichtsausdruck legt sie die Hände auf ihr Herz. »Aber gerne doch, mein absoluter Lieblingsfranzose.«
Daniel zieht einen Schmollmund.
»Nach Daniel natürlich«, fügt Stacey hinzu.
Sofort grinst er breit, woraufhin Abraham grinsend die Augen verdreht.
»Und nach Kyler.« Stacey deckt schadenfroh den Tisch und setzt sich dann mit einem dramatischen Seufzen hin. »Vergesst, was ich gesagt habe. Wenn ihr keinen Hunger habt, bleibt mehr für mich.«
Schmunzelnd steht Maya auf und sieht dann zu mir herunter. »Denkst du, du kannst schon aufstehen?«
»Ich will es irgendwie nicht versuchen«, gebe ich zu.
»Ich würde es dir auch nicht raten.« Abraham runzelt besorgt die Stirn und streicht sein zerknittertes, kariertes Hemd glatt. »Das ist die erste Wunde gewesen, die ich genäht habe, also könnte es sein, dass sie wieder aufgeht, wenn du jetzt aufstehst.«
»Das klingt ... beruhigend«, werfe ich ein.
Maya hat sich in der Zeit einen Teller genommen, eine ordentliche Portion Nudelauflauf darauf gegeben und drückt ihn mir jetzt in die Hand. Perplex nehme ich auch die Gabel entgegen und hebe dann endlich dankbar die Mundwinkel.
Es wundert mich nicht, dass sie selbst keine Anstalten macht, etwas zu essen, weil die Sorgenfalte wieder zurückgekehrt ist, seit Stacey, Abraham und Daniel hereingekommen sind. »Warum ist Porter noch nicht hier?«, will sie von Daniel wissen.
Er schluckt hörbar sein Essen herunter. »Das kann ich dir leider nicht sagen, ma petite abeille. Aber es geht ihm sicher gut, solange Warren und Kyler dabei sind.«
Doch Maya schüttelt mit dem Kopf. »Da stimmt irgendetwas nicht, das merke ich. Vielleicht sollten wir nach ihnen sehen. Sie sind schon fast eine Stunde weg.«
Stacey schiebt sich einen großen Löffel Nudeln in den Mund, bevor sie aufsteht und Mayas Schultern tröstend drückt. »Wir warten jetzt noch eine halbe Stunde, okay? Dann suchen wir sie, Maya-Biene.«
»Danke, dass du die Situation weniger dramatisch darstellst, indem du das gerade mit vollem Mund gesagt und mir ein wenig ins Gesicht gespuckt hast.« Maya umarmt ihre beste Freundin und sieht ehrlich dankbar dafür aus.
Ich selbst fange ebenfalls an, mir so langsam Sorgen zu machen. Warum ist Porter überhaupt gegangen? Mir ist klar, dass es sein Bruder und damit seine Familie ist, die in diese Angelegenheit verwickelt wurde, aber trotzdem wäre ich gerne dabei gewesen, wenn ich nicht gerade ein Messer in den Bauch gestochen bekommen hätte. Ich will nicht wissen, wie viel tiefer meine Schuldgefühle noch gehen können, sobald Porter heute etwas zustoßen sollte.
Ich würde Roamer umbringen, wenn er ihn nur anfassen würde.
Obwohl ich mir vorhin noch vorgenommen habe, mich nicht zu sehr zu bewegen, kann ich nicht mehr stillsitzen. Keine Ahnung, wie ich es die letzte Stunde in dem Wissen ausgehalten habe, dass Porter bei seinem verrückten großen Bruder ist, aber ich muss etwas tun.
Meine ruckartige Bewegung ist jedoch nicht die schlauste Idee gewesen, denn ich fühle sofort, wie die Haut an meinem Bauch reißt und muss mich davon abhalten, zu schreien. Keuchend blicke ich in die entgeisterten Gesichter von Maya, Stacey und Daniel, während Abraham nur seufzend den Kopf in den Nacken legt.
»Was habe ich dir gesagt, Auden?«, fragt er. »Die Wunde könnte reißen, wenn du aufstehen solltest.«
»Putain de merde! C'est une putain de merde!«, stoße ich hervor, als ich mir die offene Wunde zuhalte, obwohl das Blut wieder einmal überall zu sein scheint.
»Wieso hast du dich bewegt?«, zischt Maya, die so aussieht, als würde sie vor Sorge gleich umkippen. Abraham neben mir gibt Daniel irgendwelche Anweisungen und fängt sofort an die Wunde zu versorgen. Am liebsten würde ich mich für mein idiotisches Verhalten entschuldigen, aber außer französische Schimpfwörter würde nichts meinen Mund verlassen. Obwohl die Schmerzen wieder kaum aushaltbar sind, denke ich an Porter, dem jetzt niemand zur Hilfe eilen wird.
Und ich allein bin schuld daran.
Stacey steht direkt hinter Maya, isst nach wie vor ihre Nudeln und schüttelt seufzend mit dem Kopf. »Und genau deshalb fange ich nichts mit Franzosen an.«
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top