KAPITEL 05 | PORTER
»Also ich hatte eine halbe Flasche Wein. Und drei Gläser von dem teuren Champagner, der Porters Dad gehört. Und einen großen Schluck von irgendeinem verstaubten Whiskey, den ich gefunden habe. Na gut, es waren eher zehn Schlucke. Aber das war's dann auch schon.«
Kyler runzelt verwirrt die Stirn. »Ich habe dich zwar nur nach einer Kippe gefragt, aber trotzdem danke für diese Zusammenfassung, Warren.«
Schmunzelnd blicke ich auf die noch versammelte Gruppe im Wohnzimmer. Außer Warren, Kyler, Daniel, Auden und ich ist hier niemand mehr, weil wir fast sechs Uhr morgens haben und diese Uhrzeit sogar für Trixie zu spät ist. Oder zu früh, wie man es nimmt. Seelenruhig liegt sie halb auf Audens Schoß und hebt müde den Kopf.
Die Willkommensparty war ein voller Erfolg. Und obwohl ich noch kein Auge zugemacht habe, könnte ich mich in diesem Moment nicht wacher fühlen. Das liegt vielleicht an einem kleinen, rothaarigen Mädchen, dessen Name sich in der Schüssel mit Zetteln in meinen Händen befindet.
Ich bin ja so gespannt, wer die kratzbürstige Maya abbekommt.
»Wer zieht zuerst?« Kylers Stimme ist leise, aber entschlossen und hält die Spannung im Raum damit fest. »Hat jemand etwas dagegen, wenn ich anfange?«
Da niemand etwas einwendet, übergebe ich ihm die Schüssel. Warren schmollt zwar, weil er doch den ersten Zettel ziehen wollte, aber jetzt muss er sich wohl damit abfinden. Ich sollte wirklich anfangen, den Alkohol im Haus vor ihm zu verstecken, um zu verhindern, dass er sich daran bedient. Meine Eltern kommen erst übermorgen nach Hause und werden dank Warren und der Willkommensparty ziemlich große Augen machen, wenn sie in die Schränke gucken und nur noch Leere darin finden.
Mom und Dad sind so etwas aber bereits von mir gewohnt, also rechne ich nicht mit ganz so viel Ärger. Man könnte meinen, dass reiche Eltern ihre Kinder zu sehr verwöhnen und sie mit Geschenken anstatt mit Zeit überhäufen. Ersteres ist wahr, letzteres eher ein Klischee. Mom und Dad haben zwar nicht ganz so viel Zeit für mich, wie sie haben könnten, wenn sie nicht so viel arbeiten würden, aber trotzdem würde ich sie keinesfalls als schlechte Eltern bezeichnen. Sie tun wirklich alles, was sie können.
Und ich kooperiere, wenn ich eben will. Das mache ich bei jedem so.
Gespannt blicken wir Kyler an, der in die Schüssel greift und mit Absicht lange dafür braucht, seinen Schnipsel auseinanderzufalten. Wir alle können den Namen kaum abwarten ― sogar Trixie hebt aufgeregt den Kopf.
»Stacey Brenton?«, ruft Kyler völlig perplex. Dann wird er ganz ruhig und hebt fragend die Augenbrauen. »Warte mal, wer ist das überhaupt?«
»Mayas beste Freundin«, kommt es schnell von Auden. Zu schnell, wenn man mich fragt.
Misstrauisch lehne ich mich auf dem Sofa zurück.
»Maya?«, hakt Kyler gespielt ahnungslos nach, während sein Blick allein auf Auden liegt. »Ach so, du meinst den Rotschopf, von dem du deine Augen nicht losreißen konntest.«
Das dumpfe Gefühl in meiner Magengegend ist unangenehm und irgendwie lästig. Wie kann ich auch nur den Hauch von Eifersucht spüren? Ich kenne Maya schließlich nicht und hoffe ehrlich gesagt auch, dass ich sie nicht ziehe. Immerhin wirkt sie wie jemand, die ziemlich viel Widerstand aufbringen kann.
Und ihr Widerstand plus mein Wille wird sich nicht ergänzen können. So gut kann ich auch noch rechnen.
Auden verdreht die Augen und streichelt Trixie weiterhin, während Warren Kyler ein wenig wütend beäugt. Es muss ihn ziemlich treffen, dass Stacey Audens Cousin zugeteilt wurde, aber neu zu ziehen kommt gar nicht in die Tüte. Es wäre gegen die Spielregeln.
»Ich bin als Nächstes.« Warren schnappt sich die Schüssel ― eigentlich reißt er sie eher an sich ― und wühlt verloren darin herum. Dann zieht er einen Zettel hervor, faltet ihn auseinander und sieht im nächsten Moment so aus, als würde er sich am liebsten übergeben.
»Wer ist es?«, will Daniel wissen.
Anstatt ihm zu antworten, flucht Warren laut und ausgiebig.
Bei den ganzen Schimpfwörtern wird sogar mir ein wenig mulmig zumute. »Lass mich raten: Brittany?«
»Warum hast du sie auf die Liste geschrieben?«, fragt Auden, der den Eindruck macht, als würde er mir am liebsten eine reinhauen.
»Damit sie die Klappe hält«, antworte ich. Und grinse ein wenig fies. »Na ja, und damit jemand sie abbekommt und sich genauso ärgert wie Warren.«
Ich weiß, was gerade jeder über mich denkt. Ich verhalte mich heute wie ein Arschloch, genau wie Maya es ausgesprochen hat. Ob ihr Kunstwerk immer noch auf meiner Wange prangt? Ich erinnere mich nicht daran, es abgewaschen zu haben.
Dafür erinnere ich mich aber noch sehr gut daran, wie selbstsicher und umwerfend sie ausgesehen hat, als sie so nah vor mir stand. Plötzlich hoffe ich, dass niemand von uns dieses Mädchen ziehen wird, aber ich werde das Unvermeidliche nicht verhindern können.
»Ich will jetzt ziehen«, wirft Daniel ein, bevor es zu einer Auseinandersetzung zwischen Warren und Kyler kommen kann. »Gib mir die kleinere Schüssel, Sinclair.«
Die kleinere Schüssel ist die Schüssel mit den Jungennamen. Daniel hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er schwul ist, weshalb ich von Anfang an dafür gesorgt habe, dass viele Jungs auf meiner Willkommensparty erscheinen, die sich darüber freuen würden, von Daniel geküsst zu werden. So ein toller Freund kann ich sein, wenn ich gerade nicht ein Arschloch bin.
»Abraham Lewis«, spricht Daniel laut aus und ist der Erste in der Runde, der nicht völlig perplex wirkt. Eigentlich macht er sogar einen glücklichen Eindruck. »Ist das nicht der heiße Nerd, dessen Hand im Unterricht die letzten Jahre immer oben war? Ich kann es wirklich kaum erwarten ...«
»... ihn zu küssen«, beendet Kyler schadenfroh seinen Satz.
Daniel grinst. »Ich wollte etwas Unanständigeres sagen, aber belassen wir es dabei.«
Auden scheint das Ganze hier mehr als bloß zu langweilen. Mich würde es nicht wundern, wenn er anfangen würde, gleich mit Trixie zu reden, um uns vollkommen auszublenden.
»Hier, du ziehst als Nächstes«, sage ich und überreiche ihm die kleine Schüssel mit den Jungennamen, um ihn ein wenig aufzuziehen.
Auden findet es natürlich nicht lustig.
Weil er mir viel zu launisch ist, greife ich nach der großen Schüssel und ziehe einfach vor ihm. Gespannt wühle ich durch die Zettel, wobei einer aus der Schüssel fällt und mutterseelenallein dort liegt. Auden ist derjenige, der seufzend danach greift und ihn auseinanderfaltet.
»Maya Edwards.«
»Den Zettel kannst du haben«, sage ich schnell. Immerhin hat er ihn sich angeguckt, nicht wahr? Auden runzelt verwirrt die Stirn, so als könnte er selbst nicht glauben, dass er Mayas Zettel in der Hand hält. Haben die beiden sich vorhin etwa auch unterhalten? Wenn, dann habe ich es nicht mitbekommen. Soll ich ihn vielleicht doch danach fragen, sie mir abzugeben?
Nein. Sie würde mir dieses Spiel zur Hölle machen, so viel ist klar.
Kyler und Daniel grinsen so breit, dass ich ein wenig Angst bekomme. »Auden et Maya s'assoient sur l'arbre et s'embrassent, on n'y croit pas«, fängt Kyler an.
»D'abord l'amour, puis le ventre large, les enfants et le mariage de rêve«, fügt Kyler hinzu.
Warren greift verwirrt nach seinem Wasserglas. Ob dort wirklich Wasser drinnen ist? »Ich verstehe kein Wort«, gibt er zu, »weil ich echt eine Niete in Französisch bin.«
»Ich werde die beiden jetzt ganz sicher nicht übersetzen.« Auden schaut noch eine Weile nachdenklich auf den Zettel in seiner Hand, dann steckt er ihn sich in die Jeanstasche und sieht mich abwartend an.
Ich blicke misstrauisch zurück, weil irgendetwas nicht mit ihm stimmt. Gerade eben war er noch deutlich launischer und Mayas Name auf diesem Zettel scheint alles schlagartig verändert zu haben.
Immer noch misstrauisch greife ich selbst in die Schüssel und ziehe einen kleinen Zettel hervor, der sich wohl irgendwie richtig anfühlt. Ungeduldig falte ich ihn auseinander und lasse ihn im nächsten Moment vor Schock fallen.
»Wer zum Teufel hat Mayas Namen zweimal aufgeschrieben?«
»Das war wohl ich«, kommt es von Kyler, »damit sie zwei Leute abbekommen und sich dann genauso ärgern wie du, Porter.«
Aufgebracht hebe ich die Hände. »Du schlägst mich mit meinen eigenen Waffen? Nicht cool, Ky.«
»Ja, ja. Ich bin so ein böser Mensch und bla bla bla.« Ungeduldig wechselt er den Blick zwischen Auden und mir. »Können wir jetzt bitte sehen ...«
»... wir ihr um Mayas Kuss kämpft«, wirft Daniel ein. »Das wäre ziemlich aufregend meiner Meinung nach.«
Französische Idioten.
Obwohl ich ihnen nur ungern einen Wunsch erfülle, schweifen meine Augen zu Auden, der genauso feindselig zurückstarrt. Auden und ich sind seit dem Kindergarten miteinander befreundet, weil ich etwas wusste, was bis heute niemand über ihn weiß. Anstatt diese Information jedoch gegen ihn einzusetzen, habe ich ihm ein Angebot gemacht, wie wir uns gegenseitig helfen können. Bis heute hat das ziemlich gut geklappt.
Jetzt überdenke ich noch einmal alles.
Ich sehe Auden nur deshalb als Konkurrenz an, weil ich weiß, dass er nur seinen nicht vorhandenen Charme spielen braucht, damit die Mädchen ihm um den Hals fallen. Andererseits wirkt Maya nicht wie jemand, die so etwas tun würde. Und trotzdem haben Auden und ich eine Sache gemeinsam: Wenn wir etwas wollen, holen wir es uns einfach, denn das haben er und ich schon oft genug bewiesen.
Angriffslustig forme ich meine Augen zu schmalen Schlitzen. »Wer sie wohl zuerst küssen wird?«
Als Auden sich ein wenig zu mir vorbeugt, entfernt sich Trixie eingeschüchtert von ihm und legt sich stattdessen auf Warren, der kurz aussieht, als wollte er ihr etwas von der Whiskeyflasche in seinen Händen anbieten. »Die Antwort ist ziemlich klar und deutlich, Sinclair.«
Langsam und bedrohlich erhebe ich mich vom Sofa. »Das denke ich auch. Die Antwort fällt nämlich auf mich, Villeneuve.«
Er steht ebenfalls auf und kommt auf mich zu, bis er direkt vor mir steht. Das leichte Grinsen in seinem Gesicht zeigt mir, dass er einfach Spaß an der Situation hat und nicht ernsthaft eine Auseinandersetzung anfangen will. »Und da Denken nicht wirklich zu deinen Stärken gehört, nehme ich dir diese Antwort nicht ab.«
Seine Worte allerdings schreien geradezu nach einem Streit.
»Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber Maya sah ziemlich angetan aus«, sagt Auden, während er aussieht, als wäre er in Gedanken wieder bei der Willkommensparty. »Sie sah von uns beiden angetan aus.«
»So wie ich das mitbekommen habe, hast du irgendein anderes Mädchen aufgerissen, anstatt mit ihr zu reden. Du hast recht, sie war sichtlich hiervon angetan«, ich zeige auf Audens Gesicht, das jetzt nicht mehr grinst, »aber wird sie auch hiervon angetan sein?«, füge ich hinzu und deute auf sein Herz hin.
Er hebt eine Augenbraue. »Also ich weiß ja nicht, ob du mich ohne T-Shirt schon einmal sehen durftest, aber ―«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Warum hältst du auf einmal so viel von inneren Werten?« Audens Gesicht wird immer wütender, weil er die Erkenntnis, dass ich Maya wohl irgendwie interessant finde, nicht wahrhaben kann. »Sonst bist du auch nicht so, Porter. Das wissen wir beide am besten.«
»Du bist ein Narr.« Ich schließe den letzten Schritt zwischen uns, bis wir auf Augenhöhe direkt voreinander stehen. Irgendwie mag ich die Dramatik in dieser Situation. »Und ja, ich sage ›Narr‹ und fühle mich großartig dabei.«
Audens Mundwinkel zucken ein wenig. »Du bist selbst ein Narr, wenn du wirklich denkst, dass sie dich zuerst küssen wird.«
Bisher sind Warren, Daniel und Kyler erstaunlich ruhig gewesen, jetzt hebt Warren jedoch empört seine Weinflasche. »Ihr seid beide Narren, wenn ihr glaubt, dass Maya auch nur einen von euch küssen wird, solange ihr so großkotzig wie jetzt seid.«
Kyler nickt zustimmend. »Außerdem bezweifle ich, dass sie überhaupt schon ihren ersten Kuss bekommen hat und ...«
»... so ›angetan‹ ist, ihn euch beiden zu schenken«, fügt Daniel hinzu. »Gerade macht ihr keinen besonders unwiderstehlichen Eindruck.«
Unsere Freunde haben recht. Auden und ich benehmen uns wie Kinder, aber wie soll ich sonst klarmachen, dass ich diesen Kuss wirklich brauche? Als Senior werde ich woanders auf die Schule gehen und dieser Sieg ― so klein er auch ist ― ist für mich fast schon lebensnotwendig. Ich kann Winchester nicht verlassen, ohne mir diesen Kuss abgeholt zu haben.
Auden sieht Kyler verwirrt an. »Warum glaubst du, hatte sie noch nicht ihren ersten Kuss?«
»Wenn du mich fragst, sind es hellseherische Kräfte«, grinsend lehnt Kyler sich zurück, »aber du kannst es nennen, wie du willst.«
»Es ist wahrscheinlich eher Wunschdenken«, gibt Auden zurück. Dann sieht er wieder zu mir und zieht ein beschwichtigtes Gesicht. »Ich habe keine Ahnung, warum dir dieses Spiel so wichtig ist, Porter, aber du bist mein Freund. Und ich werde mich mit dir ganz sicher nicht wegen eines lächerlichen Kusses streiten, also nur zu. Küss Maya und ich ziehe das Eichhörnchen-Kostüm an. Es macht mir wirklich nichts aus.«
Er sagt zwar, dass es ihm nichts ausmacht, aber ich weiß, dass er lügt. Zwar zeigen seine Worte, was für ein guter Freund er ist, aber er würde mir nicht so leicht davonkommen. Wir sollten beide die gleichen Chancen besitzen, wenn es um Maya und ihren ersten Kuss geht. Und ich würde dafür sorgen, dass Auden genau wie ich diese Chancen bekommt, auch wenn er sie gerade noch nicht will.
Maya wird sich im nächsten Schuljahr auf etwas gefasst machen müssen, aber ich weiß, dass sie kratzbürstig und stark genug ist, um mit Auden und mir klarzukommen.
Mit einem Grinsen drehe ich mich zu Warren um. »Wo, hast du noch mal gesagt, arbeitet Maya jedes Wochenende?«
»Ich sehe sie immer im Josie's«, antwortet Warren, der genau weiß, was ich plane. »Bitte verschreck den Rotschopf nicht zu sehr, Porter. Ich mochte sie nämlich und sie ist Staceys beste Freundin, also will ich es mir mit ihr nicht vermasseln, indem ich dazu stehen muss, mit dir befreundet zu sein.«
»Danke«, entgegne ich trocken.
»Was hast du vor, Porter?«, will Auden durch zusammengebissene Zähne wissen. »Ich habe doch gerade gesagt, dass ich nicht an Maya interessiert bin.«
Natürlich ignoriere ich seine letzte Aussage. »Wir werden ihr morgen einen kleinen Besuch abstatten und sie ein bisschen bei der Arbeit stören.«
»Wir tun zusammengefasst nur das, was wir so ziemlich am besten können«, murmelt Auden. »Also stören.«
Ich hätte es nicht besser auf den Punkt bringen können.
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