KAPITEL 04 | MAYA
Gerade habe ich Auden Villeneuve meine schrecklichste Grimasse gezeigt. Warum kann ich mich nicht einmal zurückhalten?
Mit Sicherheit sind das die Gedanken, die Porter und Warren gerade durch den Kopf gehen, während sie mich anstarren. Stacey dagegen muss immer noch die Hände auf den Knien abstützen, um vor Lachen nicht umzufallen, und ich stehe einfach nur stirnrunzelnd da und weiß nicht, was ich sagen soll.
Nach ein paar Sekunden der Stille kann sich Porter kein Grinsen mehr verkneifen. »Also, Mayla.«
»Ich ... ich heiße Maya«, stelle ich verwirrt klar.
Porter winkt bloß ab und zeigt auf seinen mehr als betrunkenen Freund neben ihm. »Wie auch immer, Cherry. Das hier ist mein bester Freund und Mitgründer der Willkommensparty. Er heißt ―«
»Warren Caster«, antwortet Stacey für mich, während sie ihn einmal von oben bis unten abcheckt. Ich bewundere meine beste Freundin dafür, dass sie nicht hochrot anläuft und auch kein nervöses Gestammel von sich gibt. Wie macht sie das nur? »Du bist der Kerl, der mir vor drei Tagen seinen Erdbeermilchshake über mein Lieblings-T-Shirt gekippt hat.«
Warren fährt sich grinsend einmal durch die kinnlangen, dunkelbraunen Haare. »Und du bist diejenige, die mich daraufhin angemacht hat.«
»Was soll ich sagen? Ich stehe eben auf Erdbeeren.«
»Und ich stehe auf Mädchen, die wissen, was sie wollen«, gibt Warren zurück und wirkt auf einmal viel nüchterner, während er Stacey anstarrt.
Unbeholfen sehe ich zu Porter, der fast schon angewidert das Gesicht verzieht. »Könnten wir uns bitte wieder auf das Wesentliche konzentrieren, Warren?«
»Was ist denn der Grund dafür, dass du mit mir redest?«, frage ich Porter direkt und bereue es sofort. »Ich meine ... na ja, wir haben nie ein Wort miteinander gewechselt und jetzt ―«
»Kuss-Deadline«, platzt es aus Warren heraus.
»Was?«, fragt Stacey.
»Ich wollte zwar noch ein bisschen damit warten, bis ich die Bombe platzen lassen, aber vielen Dank, Warren.« Drohend sieht Porter seinen besten Freund an. »Wehe, du zählst jetzt wieder deine Finger.«
Warren schwankt gefährlich hin und her. »Porter will dieses ... hicks ... Spiel spielen, weil er ... hicks ... kein Leben mehr hat.«
Während ich mich frage, wie ich mich wieder aus dem Staub machen kann, ist Stacey natürlich sofort Feuer und Flamme. »Wie spielt man denn dieses Spiel?«
»Ein paar Freunde und ich«, Porter zeigt auf so gut wie jeden um sich herum, als wäre er mit allen Partygästen befreundet, »ziehen einen Namen und müssen dieses Mädchen dann dazu bringen, uns einen kleinen Kuss zu schenken.«
»Bestenfalls auch Sex«, wirft Warren ein.
»Wer es bis zum Ende des Schuljahres nicht schafft, muss als Strafe das Schulmaskottchen-Kostüm beim letzten Basketballspiel tragen.« Porter sieht so aus, als würde er sich darauf besonders freuen. Wer sich wohl als Eddie, das Eichhörnchen, verkleiden muss? Wenn ich genauer darüber nachdenke, könnte es jeder sein, der mich zieht. Nur über meine Leiche würde ich irgendeinen von ihnen meinen ersten Kuss schenken.
Wie langweilig kann einem sein, dass man so ein Spiel spielen muss?
»Ich mache mit«, platzt es plötzlich aus Stacey heraus.
Am liebsten hätte ich dramatisch aufgeseufzt.
»Trag mich ein, Porter«, fügt Stacey mit einem Blick auf Warren hinzu. Schnell sieht sie wieder weg. »Aber wehe, du schreibst ›Snakey‹ auf dein Klemmbrett. Keine Ahnung, warum ihr es als Freshmen immer so lustig fandet, mich so zu nennen.«
Mit einem beinahe verrückten Grinsen setzt Porter seinen Stift auf das Papier an. Er lässt sich so viel Zeit damit, Staceys Namen aufzuschreiben, bis ich bezweifle, ob dort überhaupt irgendein Name steht. Er wirkt so, als würde es ihm Spaß machen, anderen Leuten Kosenamen zu verpassen.
»Wie auch immer, Cherry«, hat er zu mir gesagt. Irgendwie macht mich dieser abwertende, gelangweilte Ton wütend.
Cherry? Will ich wissen, warum ich ihn an eine Kirsche erinnere?
Während Porter den Kopf immer noch gesenkt hält, mustere ich jeden Zentimeter von ihm, den ich sehen kann. Ich hatte jahrelang Zeit dafür, ihn anzustarren, aber heute Abend ist es tatsächlich das erste Mal, dass ich es auch tue.
Sein Haar ist kurz und schwarz und erinnert mich an Staceys gefärbte Mähne. Von Natur aus so eine Haarfarbe zu haben muss toll sein. Und ziemlich attraktiv. Er trägt eine dunkelblaue Jeans und ein T-Shirt mit dem Spruch »Think rich, look poor«, das mir ein Lächeln entlockt. Sonst sehe ich Porter immer nur in der altbekannten Schuluniform, aber es ist ziemlich erfrischend zu wissen, dass er sogar bei seinem Kleidungsstil einen Sinn für Humor besitzt.
Als er jetzt aufsieht, präge ich mir seine eher ungewöhnlichen Gesichtszüge ein. Sein Kinn ist stark ausgeprägt, der Kiefer kantig und die Stirn ein wenig breit. Seine Nase sitzt leicht schief, während seine Augen ein bisschen weiter auseinander sind, aber warm in meine blicken. Irgendwie passt alles in seinem Gesicht zusammen und lässt ihn schelmisch und verrückt wirken.
Das sind tatsächlich genau die Worte, die Porter perfekt beschreiben würden.
Wieder fällt mein Blick auf Auden, der mit irgendeinem Mädchen flirtet und längst nicht mehr auf mich achtet. Dass meine Grimasse ihn vertrieben hat, hätte mir klar sein sollen, aber was soll's.
Audens Gesichtszüge sind ebenmäßig und perfekt. Er ist die Sorte Jungs, die man in einem Katalog findet, daraufhin sofort die Seite herausreißt und an die Zimmerwand über dem Bett hängt. Sein dunkelbraunes Haar ist kurz geschnitten und sitzt perfekt, während seine Haut gebräunt und glatt aussieht. Nur seine hohen Wangenknochen sind ein wenig gerötet und zeigen, dass er nicht mehr ganz so nüchtern ist.
Wieder schweifen meine Augen zu Porter, der mich nachdenklich und abwartend ansieht, während das Klemmbrett in seinen Händen fast wie eine Drohung auf mich wirkt.
»Nein«, sage ich, bevor Porter überhaupt den Mund öffnen und mich erneut auf sein dämliches Spiel ansprechen kann. Und natürlich werde ich prompt rot. Es ist leider keine »Ja, ich habe von Natur aus einen rosa Teint«-Röte, sondern eher eine »Ich bin das Ebenbild einer Tomate«-Röte.
»Du willst also nicht mitmachen, Cherry?«, hakt Porter ein wenig neugierig nach.
»Da liegst du ganz richtig«, krächze ich hervor.
»Es war eine Frage, Cherry, ich kann also nicht richtigliegen.«
Mit einem Grinsen fährt Porter sich durch die schwarzen, kurzen Haare. Er weiß ganz genau, wie nervös ich bin. Und es amüsiert ihn auch noch.
Kann ich es ihm verübeln?
Dafür, dass ich bisher außerdem gedacht habe, dass Porter seine bisherigen Gehirnzellen von irgendwem geklaut hätte, zeigt er sich nun erstaunlich wortgewandt und aufmerksam. Dumme Vorurteile. Sie sind wie ein Fluch, den man manchmal nicht ablegen kann.
Porter wirkt fast so, als wüsste er genau, woran ich denke, als sich seine Mundwinkel noch mehr heben. »Schade, du wärst die allerletzte und reizvollste Kandidatin gewesen.«
»Dann musst du jetzt wohl umdisponieren«, murmle ich abwesend.
»Ich muss was?«, hakt er verwirrt nach, wobei er den Eindruck macht, als denke er, ich hätte französisch gesprochen. Ich wünschte ja, ich würde diese Sprache beherrschen.
»Umdisponieren«, wiederhole ich, obwohl es offensichtlich ist, dass er das Wort nicht kennt. Sofort werde ich noch röter. »Ich meine, du musst jetzt wohl umdenken. Ich wusste nicht, dass dich Fremdwörter verwirren, Porter.«
Anstatt beleidigt zu sein, lächelt er. »Mich würde es wirklich interessieren, wie viele Fremdwörter sich noch in deinem hübschen Köpfchen befinden.«
»Synthetisch, ambitioniert, empathisch ...«, zähle ich sofort auf.
Stacey legt grinsend einen Arm um mich. »Ich habe so eine schlaue Freundin, seht ihr? HALLO, ALLE MAL HERHÖREN, DAS IST MAYA. SIE IST SCHLAUER ALS IHR UND EINSTEIN ZUSAMMEN.«
Zum ersten Mal an diesem Abend bin ich froh über die ohrenbetäubend laute Musik. Die wenigen Schüler, die zu uns blicken, wenden sich vor allem schnell ab, als Warren ihnen mit seiner Weinflasche droht.
Jetzt schwankt Warren gefährlich in Staceys Richtung, weshalb sie erschrocken von mir ablässt und ihn ein wenig stützt. Mir entgeht nicht der knisternde Moment zwischen den beiden. Warren sieht meine beste Freundin ein wenig so an, als würde er sie am liebsten küssen, während Stacey den Eindruck macht, als würde sie es, ohne zu zögern, zulassen.
Und ich stehe neben ihnen und lächle ein wenig verrückt.
Porters tiefe, angenehme Stimme reißt mich schließlich aus meiner Starre. »Hast du mit diesen Fremdwörtern gerade etwa mich beschrieben, Cherry?«
Ich schenke ihm mein schönstes Lächeln. »Möglicherweise.«
Belustigt schüttelt er den Kopf, während er sich etwas auf seinem Klemmbrett notiert.
»Sag mal, schreibst du mich gerade auf deine Kuss-Skyline?«, will ich empört wissen. »Du weißt aber schon, dass ich dich deswegen anzeigen könnte, oder?«
»Beruhige dich, Maya.« Mit einem amüsierten Blitzen in den dunkelbraunen Augen sieht er wieder auf. »Du heißt doch Maya, nicht wahr?«
Ich nicke und muss feststellen, dass mein Name aus seinem Mund deutlich besser als ›Cherry‹ klingt. Es klingt viel zu gut. So gut, dass ich spüre, wie die Anspannung, die ich immer bei fremden Menschen verspüre, ein wenig von mir abfällt und ich mich ein wenig beruhige.
»Ich habe mir die Adjektive, die mich beschreiben, notiert, damit ich sie später googeln kann«, wirft Porter plötzlich ein. Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, aber in seinen Augen sehe ich den Anflug einer Drohung. »Ich hoffe doch, dass ich mich geschmeichelt fühlen werde, sobald ich die Definitionen dieser Wörter kenne.«
»Ich bin sicher nicht hier, um dich mit Komplimenten zu überhäufen, Porter.«
»Nicht?«
»Nein«, stelle ich klar. Meine Stimme ist fest und selbstsicher und ich könnte nicht glücklicher deswegen sein. »Wenn du jemanden brauchst, der dich komplimentiert, dann hoffe ich für dich, du kriegst ein Mädchen bei deinem Spiel ab, das dir so heftig in den Arsch kriecht, dass es schon wehtut.«
Warren und Stacey sind bis gerade eben noch in einer Unterhaltung vertieft gewesen, jetzt sehen sie mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Belustigung an.
»Ich habe dich längst nicht so kratzbürstig eingeschätzt, als du mein Haus betreten hast, Cherry. Aber ich mag Schlagfertigkeit, also hast du noch einmal Glück gemacht.«
Es irritiert mich, dass seine Worte bedrohlich und locker zugleich klingen. Was wohl sein Trick dabei ist?
»Und ich habe dich längst nicht so eingeschätzt«, entgegne ich nur, weil mir für Porter Sinclair tatsächlich kein einziges passendes Wort einfällt. Meine Fremdwörter habe ich immerhin schon aufgebraucht. »Dann sind wir jetzt wohl quitt, oder?«
»Wenn du deinen Namen hier einträgst, dann ja.« Auffordernd hält er das Klemmbrett vor mich hin und drückt mir den Stift in die Hand.
Am liebsten hätte ich ihn damit angemalt. Warum tue ich es eigentlich nicht?
Bestimmt greife ich nach dem Stift, setze ihn an seiner linken Wange an und ziehe ihn quer über sein Gesicht. Porter ist so schockiert, dass er sich tatsächlich keinen Zentimeter rührt. Ich stehe jetzt näher vor ihm, als ich eigentlich beabsichtigt habe und bewege mich immer noch nicht vom Fleck, obwohl ich mit meinem Kunstwerk in seinem Gesicht bereits fertig bin. Ich weiß nicht, wie, aber meine Lippen verziehen sich zu einem selbstbewussten Lächeln, als ich flüstere: »Ich kann mir denken, dass reiche Schnösel wie du Spielchen lieben. Ich verstehe den Reiz dafür sogar. Aber wenn du denkst, dass ich mitspiele, dann liegst du falsch.«
Falls er gerade eben noch belustigt war, so ist er jetzt eingeschüchtert. Irgendwie gefällt es mir, dass ich ihn ein bisschen in die Schranken weisen konnte. »Wieso?«, flüstert er zurück.
»Weil mir im Gegensatz zu dir nicht langweilig ist.«
Mein Blick fällt auf seine Lippen, die mich fast schon magisch in den Bann ziehen. Sie haben eine schöne Form und sehen irgendwie so aus, als wüssten sie, was sie tun müssten, wenn sie sich gegen meinen Mund pressen würden. Ein komischer Teil meines Gehirns denkt tatsächlich daran, ihn zu küssen, aber diesen Teil werde ich wohl für immer lahmlegen müssen, wenn ich meine Würde behalten will.
»Das ist ein Argument«, wirft Warren diplomatisch ein. Dann legt er einen Arm um Porter, wobei ich mir nicht sicher bin, ob es eine freundschaftliche Geste ist oder ob er einfach Hilfe beim Stehen braucht. »Ich gebe dir einen Rat, Maya. Porter sollte man lieber keinen Wunsch abschlagen.«
»Das ist kein Rat, sondern eine Drohung«, kommt es von Stacey.
Warren zuckt unschuldig lächelnd mit den Schultern.
Und ich frage mich, warum zum Teufel ich nicht einfach Zuhause geblieben bin.
»Du musst nichts machen, was du nicht willst.« Staceys Blick ist klar und durchdringend und sagt mir ganz genau, dass sie zur Not Porters Klemmbrett nimmt und aufisst, wenn ich dort nicht stehen will. »Niemand zwingt dich zu irgendetwas, Maya-Biene.«
»Süß, aber mit ein bisschen Druck kriege ich meistens immer meinen Willen«, wirft Porter ein, der irritiert sein Handy vor sein Gesicht hält, um mein Kunstwerk zu beäugen. »Soll das ein Arschloch auf meinem Gesicht sein, Cherry?«
»Ich finde es gar nicht so abwegig«, entgegne ich trocken, »wenn man bedenkt, dass du dich gerade auch wie eins verhältst.«
»Ich mag dich«, kommt es offen und ehrlich von Warren. Als Porter ihm einen genervten Blick zuwirft, zuckt er bloß mit den Schultern. »Was denn? Sie bringt dir endlich mal ein paar Manieren bei, Sinclair.«
Porter findet die Richtung, in die dieses Gespräch geht, sichtlich unangenehm. Beinahe hoffnungsvoll sieht er zu mir. »Kuss-Deadline?«
Stacey verschränkt wütend die Hände vor der Brust. »Wohl eher Faust-Deadline. Denn wenn du sie jetzt nicht mit diesem Spiel in Ruhe lässt, landet sie gleich in deinem Gesicht.«
Ich weiß nicht, welcher Schalter sich in diesem Moment in meinem Kopf umdreht, aber mir wird etwas bewusst. Stacey und ich teilen seit dem Kindergarten dieselben Hobbys, Vorlieben und Lieblingsgerichte ― in letzter Zeit hat sich das alles aber ein wenig verändert. Natürlich ist es normal, dass man sich weiterentwickelt und oft auch auseinanderlebt, aber Stacey ist mir zu wichtig dafür. Sie ist meine beste Freundin und das seit über zehn Jahren. Für sie werde ich doch wohl einmal etwas riskieren können, oder?
Vielleicht ist das dieser Ort. Partys bringen das Schlimmste in einem heraus, anders als Popcorn und Filmabende. Vielleicht ist es auch Porters Anwesenheit, die mich ein bisschen aus der Bahn wirft. Oder vielleicht bin es einfach nur ich, die diese völlig bescheuerte Entscheidung trifft.
Mit einem mehr als gespielten Selbstbewusstsein recke ich das Kinn und blicke in Porters selbstgefälliges, wissendes Gesicht. »Okay, ich spiele mit. Trag mich in die Liste ein, Arschloch.«
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