KAPITEL 03 | AUDEN
Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Dass Porter tatsächlich die Namen der Mädchen für seine Kuss-Hotline sammelt oder dass Brittany seit Beginn der Willkommensparty an mir klebt und nicht verschwinden will.
Dabei bin ich nicht die angenehmste Gesellschaft, die man sich holen kann. Wirklich nicht.
Während ich mich über den Billardtisch beuge, um den nächsten Zug zu machen, streichen Brittanys Hände über den Stoff meines schwarzen Hemdes und ihr Kinn ruht auf meiner linken Schulter. Mein Versuch, sie abzuschütteln, bringt nichts, weil sie ihre langen Acrylnägel ohnehin nur fester in meine Haut bohrt und mich angriffslustig von der Seite ansieht.
Ich glaube, ich muss mich gleich übergeben. Ob auf Brittany oder auf den Billardtisch, habe ich noch nicht entschieden.
Angewidert sehe ich zu meinen Cousins, die glücklicherweise nicht weit weg von mir stehen. Ich habe nämlich wirklich genug von ihr. Seit fünfzehn Minuten fordert Brittany mich zum Tanzen auf ― was eigentlich eher ihr Codewort für Sex ist ―, aber ich bin wirklich nicht in der Stimmung.
Ein seltener, aber nötiger Fall.
Kyler Dubois ist der Erste meiner Zwillingscousins, der versteht, dass ich Hilfe brauche. Tatsache ist, dass ich Brittany nämlich keinesfalls selbst abweisen darf, weil sie ein verdammtes Miststück ist und einen Workshop zum Thema »Wie erpresse ich jemanden am besten?« eröffnen sollte. Endlich bahnt Kyler sich einen Weg durch die tanzende Menge und tippt Brittany mit einem schelmischen Funkeln in den blauen Augen auf die Schulter.
Empört lässt sie von mir ab, ohne sich umzudrehen. »Sag mir sofort, wer da gekommen ist, Auden.«
»Du schon einmal nicht.« Kyler grinst süffisant und fährt sich dabei durch die blonden Locken. »Und durch Auden wirst du heute sowieso nicht kommen, Brittany, weil du ...«
Daniel steht seinem Bruder bereits zu Seite. »... nervst.«
»Ernsthaft? Weil sie nervt?« Gespielt enttäuscht schüttelt Kyler den Kopf. »Normalerweise beendest du meine Sätze aber lustiger, Danny.«
»Vielleicht nächstes Mal, Kylie.«
Fast hätte ich gegrinst, aber ich kann mich noch davon abhalten.
»Ich bin raus hier.« Brittany stolziert davon, aber nicht, ohne mir noch einen anzüglichen Blick zuzuwerfen, den ich mit einem Augenrollen quittiere. Glücklicherweise hat sie es nicht mehr gesehen, weil sie sich bereits dem nächstbesten Kerl zuwendet und ihm schöne Augen macht. Der Ärmste ist irgendein schlaksiger Nerd, der sich letztes Jahr im Matheunterricht zu viel gemeldet hat.
Daniel ist der Erste, der sich traut, wieder zu sprechen. »Warum haust du ihr nicht eine rein, Auden?«
»Weil Gewalt keine Lösung ist«, sagt Kyler diplomatisch. Dann legt er einen Arm um mich, wobei er beinahe mein Getränk umwirft. »Außerdem begibt sich unser reizender Cousin nicht mehr in Schwierigkeiten. Ou est-ce que j'ai tort?«
Ich nehme einen großen Schluck von der Bowl, die Porters Grandma wirklich gut gemacht hat. »Nein, du liegst damit nicht falsch, Ky. Ich war die ganzen Sommerferien lang artig.« War ich nicht, aber das müssen meine neugierigen Cousins nicht unbedingt wissen.
Kyler riecht Lügen nur leider immer sofort. »Warum rennt Brittany dir dann hinterher? Und sag jetzt nicht, dass sie es tut, weil du so ›artig‹ warst. Du bist nie artig, Auden. Und dabei rede ich nicht nur von deinen Bettgeschichten, die du ...«
»... leider immer vor uns geheim hältst«, beendet Daniel seinen Satz. »Du weißt doch, dass du uns alles erzählen kannst, oder? Und damit meine ich jetzt nicht die Bettgeschichten. Warum bist du in den letzten Monaten noch verschlossener geworden, Villeneuve?«
Weil das Leben einen manchmal dazu zwingt. »Ich bin nicht verschlossen.«
Kyler zieht sich die Kapuze seines schwarzen Pullovers über den Kopf und macht ein gespielt deprimiertes Gesicht. »Hallo, ich bin Auden. Ich lache nie, auch wenn mein Lieblingscousin Kyler etwas Lustiges sagt, um ihn aufzuheitern. Ich erzähle nichts über mich, weil ich insgeheim ein Doppelleben führe, aber niemand davon weiß. An einem Tag bin ich der Highschool-Schüler Auden Villeneuve, am nächsten Tag bin ich der geheime Bodyguard Amos Vanhagen und beschütze meine Freunde, insbesondere Kyler, weil ich ihn am meisten mag.«
Daniel sieht seinen Bruder so an, als würde er überlegen, in welche Psychoanstalt er ihn am besten stecken soll. Ich kann es ihm nicht verübeln.
»Was genau hast du heute schon alles zu dir genommen?«, will Daniel wissen.
Kyler überlegt nicht lange. »Ich habe nur etwas von Audens trauriger Aura gehabt, mehr nicht. Und vielleicht noch etwas Bowl von Porters Grandma. Und vielleicht auch ...«
Ich höre meinen Cousins derweil nur noch mit halbem Ohr zu. Denn jemand Neues hat meine Aufmerksamkeit geweckt und betritt in diesem Moment Porters gerammelt volles Haus.
Fast hätte ich meinen Becher fallengelassen, aber ich umschließe ihn im letzten Moment so fest mit meinen Fingern, dass der Inhalt ein wenig überschwappt. Mich kümmert es nicht. Eigentlich bemerke ich es nicht einmal richtig.
Denn ich habe das Mädchen, das vielleicht zehn Meter von mir entfernt steht, tatsächlich noch nie gesehen und trotzdem starre ich sie an, als wäre sie mir bekannt. Meine Augen brennen sich neugierig ― zu neugierig ― in ihr sattes, rotes Haar, das locker hochgesteckt ist, sowie in ihre großen, unschuldigen Augen, die ein wenig paranoid den Raum absuchen.
Aus irgendeinem Grund bilde ich mir sogar ein, dass sie nach mir sucht.
Soweit ich es beurteilen kann, ist sie vollkommen ungeschminkt und doch breitet sich auf ihren vollen Wangen eine zarte Röte aus, die zu ihrem Haar und ihrem kurzen luftigen Kleid passen. Sie ist wirklich hübsch, aber auf eine einzigartige Weise, die ich so noch nie sehen durfte. Beinahe hypnotisiert mustere ich ihr niedliches und rundliches Gesicht, das sich bei den vielen tanzenden Leuten misstrauisch verzieht. Ich weiß nicht, warum, aber ein Teil der Last auf meinen Schultern fliegt einfach davon, während ich jede unsichere Bewegung und eingeschüchterte Regung ihrerseits beobachte.
Alles, was ich jetzt noch denke, ist: Sie gehört hier eindeutig nicht hin.
»Unser überaus artiger Auden«, Kyler folgt grinsend meinem Blick, »hat wohl ein Auge auf Maya Edwards geworfen, die ...«
»... eindeutig nicht sein Beuteschema ist«, wirft Daniel ein.
Kyler stöhnt genervt auf. »Du hättest sagen sollen, ›die ihn trotz ihrer unschuldigen Aura fasziniert‹, das klingt deutlich besser, Danny.«
Dass Kyler und Daniel sie kennen, muss bedeuten, dass sie auf die Millbrook geht. Und ich habe noch nie von ihr gehört?
Jetzt nimmt ihre Freundin aufmunternd ihre Hand, damit sich Maya nicht vollkommen fehl am Platz fühlt. Sie kenne ich. Stacey ist immerhin die Cheerleaderin, die sich mit Brittany oftmals in die Haare kriegt und damit das Training viel zu sehr stört.
Maya bekommt einen Becher in die Hand gedrückt, was ihr ein Naserümpfen entlockt. Ich beobachte sie dabei, wie sie in den Becher spuckt, ihn dann zufrieden an die nächste Person weiterreicht und dabei unschuldig grinst.
Bis jetzt habe ich gar nicht gemerkt, dass ich ein wenig gelächelt habe, aber es spielt ohnehin keine Rolle. Denn meine Mundwinkel senken sich in dem Moment, in dem Porter auf sie zugeht und sie mit Sicherheit durch einen passenden Spruch zum Lachen bringt.
Nur lacht Maya zu meiner Überraschung nicht.
Sie legt den Kopf leicht schief, sieht Porter an und blickt im nächsten Moment zu mir. Stirnrunzelnd nehme ich einen Schluck von der Bowl, wobei ich den Blickkontakt nicht abbreche. Um sie ein bisschen aus der Fassung zu bringen, hebe ich fragend die Augenbrauen, fast so, als hätte sie mich zuerst angestarrt, dabei kennen wir beide die Wahrheit.
Im nächsten Moment stemmt sie beinahe herausfordernd die Hände in die Hüften und zieht dann eine Grimasse, bei der sie mit den Augen schielt, den Mund weit öffnet und mir die Zunge herausstreckt.
Ich kann nicht anders, als loszulachen.
Ihre Grimasse und Porters irritierter Gesichtsausdruck bringen mich schließlich dazu. Glücklicherweise übertönt die Musik das tiefe, laute Geräusch, das irgendwo in mir zum Vorschein kommen konnte und sich erstaunlich gut anfühlt.
Daniel fährt sich einmal durch das blonde Haar und stößt dann langsam die Luft aus seinen Wangen aus. »Mon dieu, so etwas habe ich bei dir ...«
»... schon sehr, sehr lange nicht mehr erlebt«, sagt Kyler leise, so leise, dass ich für einen Moment denke, ich habe mich verhört. Dabei hat er vollkommen recht. Denn ich habe so ein Lachen auch schon lange nicht mehr bei mir erlebt.
»Okay, ich muss sie auf die Kuss-Deadline schreiben.« Daniel fixiert mit seinem Blick das Klemmbrett in Porters Händen. »Meinem Gefühl nach wird dieses Mädchen nämlich ...«
»... bald dein Mädchen sein«, ergänzt Kyler stolz und nimmt einen Schluck von seiner Bowl.
Stirnrunzelnd trinke ich meinen Becher, oder was davon eben noch übrig ist, aus und schenke mir sofort randvoll nach. Mir ist plötzlich danach, mich zu betrinken, irgendein Mädchen ― nicht Brittany ― zu verführen und zu meiner alten Routine zurückzufinden, der ich in den Sommerferien nicht nachgegangen bin, um, wie ich bereits gesagt habe, artig zu bleiben.
Genau wie es jeder von mir erwartet hat.
Kyler und Daniel gehören nicht dazu, denn sie schenken sich ebenfalls nach, obwohl ich genau weiß, dass sie es nur tun, um mich in meinem Vorhaben zu bestärken. Stolz berührt Daniel seinen Becher mit meinem. »Tu n'es pas seul, Auden, parce que ...«
»... on est toujours là pour toi«, wirft Kyler ein und zwinkert mir lächelnd zu.
Ich erwidere das Lächeln nicht, denn die beiden liegen falsch. Niemand ist wirklich für mich da, weil niemand weiß, was bei mir wirklich vor sich geht.
Ich bin allein und werde es auch noch für lange Zeit bleiben.
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