KAPITEL 02 | MAYA

Ich habe schon immer eine starke Abneigung gegen Orte gehegt, an denen ich mich blamieren könnte.

Zu diesen Orten gehören auch Partys. Ich mag sie deswegen nicht, weil ich mir anfangs immer vornehme, keinen Alkohol anzurühren, es dann wegen eines blöden Spiels doch tue und sofort betrunken bin, weil ich so gut wie nichts vertrage.

Wer will außerdem auf Partys gehen, wenn man es sich Zuhause auf dem Sofa gemütlich machen, Popcorn essen und Filme gucken könnte? Ich persönlich bin ein riesiger Fan von allem, was man in seinen eigenen vier Wänden tun kann, nur ohne dabei natürlich allein zu sein. Entweder habe ich meine beste Freundin Stacey Brenton bei mir oder meinen Lernfreund Abraham Lewis, der sogar noch bessere Noten bekommt als ich.

Ist es uncool, einen Lernfreund zu haben?

Wahrscheinlich, denn im Grunde genommen weiß ich nicht viel über Abraham. Unsere Gespräche haben noch nie über etwas anderes als neue Fremdwörter, die Wurzeln aus irgendwelchen unbedeutenden Zahlen oder Shakespears authentischsten Charakteren gehandelt. Stacey selbst besitzt, wenn es ums Lernen geht, ungefähr zwei Prozent meines Ehrgeizes, aber dafür teilt sie dieselbe Vorliebe zu Filmen wie ich.

Meistens jedenfalls.

»Jeder geht zu Porters Willkommensparty, Maya«, bekräftigt sie und sieht dabei so aus, als würde sie mir am liebsten irgendeines der vielen Kissen auf meinem Bett an den Kopf werfen. »J-E-D-E-R.«

Irritiert bringe ich so viele Kissen wie möglich vor ihr in Sicherheit. »Ich weiß, wie man das schreibt.«

»Es sollte aber dramatischer klingen, wenn ich es buchstabiere«, gibt sie zurück. »Außerdem stimmt es. Jeder Junior von der Millbrook geht dorthin. Sogar der kleine, süße und nerdige Abraham.«

»Abraham ist bestimmt nicht dort.« Außer Porters Party ist eigentlich der Mathe-Club, aber das wird wohl unmöglich der Fall sein.

Ob Porter Sinclair überhaupt weiß, was Zahlen sind?

Mit einem verschwörerischen Grinsen hebt Stacey ihr Handy in die Höhe. »Abraham hat gerade geschrieben, dass er jetzt sein elftes Bier trinkt.«

Ich pruste ungewollt los. »Ohne Beweisfoto glaube ich dir kein Wort.«

Sie schiebt sich eine schwarz gefärbte Haarsträhne aus der Stirn und blickt mich missmutig an. Irgendetwas stimmt heute Abend nicht mit ihr. Zwar vergeht kein Tag, an dem ich sie nicht hartnäckig erlebt habe, aber trotzdem zwingt sie mich normalerweise nicht zu irgendwelchen Partys, weil sie meine Abneigung dagegen sonst immer versteht.

Seufzend fängt sie an, ihre Wimpern zu tuschen, wobei sie sich damit fast ins Auge piekt. Als hätte sie auf Schminke jetzt doch keine Lust mehr, packt sie die Wimperntusche weg und wirft sie zurück in ihre Schultasche. Mit viel Schwung lässt sie sich zurück in mein Bett fallen und zieht einen Schmollmund. »Bitte begleite mich, Maya-Biene. Meinetwegen bleiben wir auch nicht lange dort.«

Den Spitznamen ›Maya-Biene‹ hat sie mir damals im Kindergarten verpasst, als ich an Halloween in einem Biene-Maja-Kostüm aufgetaucht bin. Irgendwo muss die Verkleidung noch in meinem Schrank liegen und für die erste Wohltätigkeitsveranstaltung, die jedes Jahr von Brittany Grammer geplant wird, werde ich es auf ihre Bitte hin ― es war eher eine Drohung ― wohl wieder anziehen müssen, wenn ich nicht mit ihr aneinandergeraten will. Falls es mir überhaupt noch passt.

Wenn ich so an mir heruntersehe, glaube ich eher nicht daran. Ich bin keineswegs unzufrieden mit mir selbst, aber ich besitze lange nicht so eine Figur wie die Cheerleaderinnen an meiner Schule ― darunter auch Stacey und Brittany ― und würde sie vielleicht auch nie haben. Meine Hüften sind schon immer ein wenig breiter gewesen, genau wie bei meiner Mom. Nur ihren flachen Bauch scheine ich geerbt zu haben. Wenigstens eine gute Sache, die ich von ihr habe.

Ich blicke zu Stacey auf und forme diskussionsfreudig die Augen zu schmalen Schlitzen. »Wir bleiben dort eine halbe Stunde, okay?«

»Eine Stunde«, kommt es prompt von ihr.

»Dreißig Minuten.«

»Sechzig Minuten.«

Ich lasse mich seufzend in meine Matratze sinken. »So kommen wir in dieser Diskussion nicht wirklich weit.«

»Was hältst du von dreitausendsechshundert Sekunden?«, schlägt sie grinsend vor.

Manchmal speichert sie so viel unnützes Wissen in ihrem Kopf ab, dass es mir schon Sorgen bereitet. Denn Stacey ist keinesfalls dumm, nur extrem lernabgeneigt. Jeder hat eben seine gewissen Abneigungen.

»Sei ehrlich.« Neugierig setze ich mich auf meinem Bett auf. »Willst du auf diese Party, um cool zu sein?«

Stacey fällt vor Überraschung fast vom Bett. »Was?«

»Bin ich dir vielleicht zu ... zu uncool?«

»Nein, darum geht es nicht. Ich bin gerne uncool, wenn das bedeutet, mir nicht jedes Wochenende die Kante zu geben und Party zu machen, bis ich umfalle. Aber die Sommerferien sind fast vorbei. Übermorgen kommen wir in die elfte Klasse. Willst du davor nicht auch einmal etwas Neues ausprobieren?«

»Ehrlich gesagt nein.«

Sie nickt ergeben. »Ja, ich eigentlich auch nicht. Vergiss mein episches Geschwafel, ich will auf diese Party wegen eines Kerls.«

»Porter?«, hake ich interessiert nach, weil es ja schließlich seine Party ist.

»Um Himmels willen, nein. Wer will schon etwas Ernstes von ihm?« Sie rümpft ein wenig die Nase. »Das wäre quasi Selbstmord. Wer ist so naiv und lässt sich auf diese Sorte Jungs ein?«

Das frage ich mich auch.

Man muss ziemlich verrückt sein, um sich auf Porter Sinclair einzulassen. Er soll ein arroganter Angeber sein, der das Geld seiner Eltern wortwörtlich aus dem Fenster wirft. Im Ernst, ein paar Schüler haben ihn einmal dabei beobachtet, wie er Geldscheine von seinem Fenster aus auf die Straße geworfen und dabei I Believe I Can Fly gesungen hat.

Komischer Typ.

Seine ganze Clique soll laut den Gerüchten vollkommen durchgeknallt sein. Warren Caster schafft es nie, seine Alkoholgrenze nicht zu überschreiten und Kyler und Daniel Dubois beenden gegenseitig ihre Sätze, was auf Dauer ziemlich irritierend ist. Zwar sind sie eineiige Zwillinge, könnten aber nicht unterschiedlicher auftreten.

Und dann wäre da noch ein gewisser Auden Villeneuve, den ich in meiner gesamten Highschool-Zeit noch kein einziges Mal lächeln gesehen habe. Wenn sein einziges Hobby darin bestehen würde, den ganzen Tag aus dem Fenster zu gucken und Vögel zu beobachten, wäre ich tatsächlich nicht überrascht.

Noch komischerer Typ.

»Es ist Warren, den ich vielleicht ein bisschen mag.«

Blinzelnd sehe ich Stacey an. »Wie bitte?«

»Leg die Vorurteile weg.« Drohend wedelt sie mit ihrem Zeigefinger vor meiner Nase herum. »Er ist lange nicht so skurril wie seine Freunde. Warren ist weder angeberisch wie Porter, noch nervig wie Kyler und Daniel, noch einsam wie Auden.«

»Einsam?« Dieses Gefühl kann ich ziemlich gut nachvollziehen.

Stirnrunzelnd denke ich darüber nach, was es bedeutet, dass Stacey jemanden aus dieser Clique mag. Ich werde deshalb doch nichts mit ihnen zu tun haben müssen, oder? Bisher bin ich für Porter, Auden, Kyler, Daniel und Warren immerhin so sichtbar wie ein Stein gewesen, obwohl unsere Privat-Highschool nicht sehr groß ist und wir uns immer mehrmals am Tag über den Weg laufen.

Während Stacey sich an meinem Kleiderschrank vergreift und nach irgendwelchen Klamotten sucht, denke ich über meine ständigen Vorurteile nach. Ich weiß nämlich genau, dass sie nicht richtig sind, aber es fällt mir immer schwerer, sie abzulegen.

Meine Mom kommt gerade so über die Runden, wenn es um die Kosten der Millbrook Highschool geht. Sie will mich dort unbedingt haben, weil sie ziemlich große Zukunftsvorstellungen für mich hat, aber trotzdem vergeht quasi kein Tag, an dem sie sich nicht über die allesamt reichen Eltern der Schüler an der Millbrook aufregt. Ich wünschte manchmal, sie hätte nicht so einen großen Hass auf alles. Aber seit Dad vor drei Jahren die Scheidung eingereicht hat, ist sie leider nicht mehr die immerzu fröhliche Person, die ich gekannt habe.

Ich sollte mir ihre schlechten Eigenschaften nicht abgucken, nur ist das leichter gesagt, als getan. Porter, Auden und ihre Freunde sind mit Sicherheit nicht nur, was sie vorgeben, zu sein.

Ich sollte das am allerbesten wissen.

»Hier, zieh das an«, murmelt Stacey und wirft, ohne hinzusehen, einen Stofffetzen in mein Gesicht.

Mürrisch beäuge ich das kirschrote Kleid, mache aber keine Anstalten, meiner besten Freundin zu sagen, dass ich immer noch keine Lust habe, auszugehen. Das Kleid streife ich mir wortlos über, dann werfe ich einen kurzen Blick in den Spiegel, um meine roten Haare irgendwie zu bändigen.

Ich verstehe nicht, wie sie glatt und gewellt zugleich sein können. Stacey hat das Glück wunderschöne ebenmäßige Locken zu haben, die von Natur aus zwar blond sind, aber von ihr immer schwarz gefärbt werden. Sie sagt, sie tut es aus Protest wegen des strikten Dresscodes in unserer Highschool. Wenn ihre Eltern sie nicht dorthin geschickt hätten, wäre sie mit Sicherheit auf irgendeiner öffentlichen Schule und würde zerrissene Klamotten und Piercings tragen. Stehen würde es ihr nämlich allemal. Ihrer Meinung nach sollte sich jeder so entfalten können, wie er möchte, wobei ich ihr vollkommen rechtgebe.

Gleichzeitig bin ich über die Schuluniform froh, weil ich keine Ahnung von Entfaltung habe.

»Warte, ich helfe dir.« Grinsend tritt sie hinter mich und steckt meine schulterlangen Haare halb hoch. Ich beäuge währenddessen ihre schwarze, zerrissene Jeans und ihr quietschgelbes Top, das einen schmalen Streifen Haut freilässt. Bei ihr wirkt Entfaltung immer so einfach.

Ihre grünen Augen sehen mich im Spiegel aufgeregt an. »Hübsch siehst du aus.«

Ich lächle sie breit an. »Du auch.«

»Das wird cool heute Abend, okay? Wir bleiben eine Stunde, Alkohol ist tabu für uns, weil wir sonst noch abgedrehter werden als ohnehin schon, und ich zeige dir genau, dass Warren kein mürrischer Miesepeter ist.«

»Mach das bitte, bevor du mir erzählst, wie ihr überhaupt miteinander geredet habt«, gebe ich leise seufzend zurück. »Und lass uns auf der Autofahrt beten, dass ich nichts Peinliches tue. Ich habe wirklich keine Lust, mich vor unserem ersten Schultag bereits zu blamieren.«

Einverstanden kreuzt sie die Finger. »Du wirst so viel Spaß haben wie noch nie, vertrau mir. Ich habe außerdem das Gefühl, dass heute etwas passieren wird, mit dem wir beide nicht rechnen.«

»Lass uns lieber gehen, bevor Mom von der Arbeit kommt und von deinen hellseherischen Kräften eingeschüchtert wird.« Stacey besitzt wirklich solche Fähigkeiten, aber ich weigere mich, ihr gegenüber zuzugeben, dass ich sie ernst nehme. Das tut sie nämlich schon genug.

Grinsend greift sie nach ihrem Handy und schießt ein Foto von mir, wie ich sie perplex anstarre. »Ich schieße nur ein Beweisfoto dafür, dass heute die letzte Nacht ist, in der du normal sein kannst. Ich zeige dir das Bild am Ende des Schuljahres und dann werden wir dieses gewisse Siehst-du-ich-hatte-recht-Gespräch führen, bei dem natürlich immer ich diejenige bin, die rechthatte.«

Ungläubig verschränke ich die Arme vor der Brust. »Denkst du das wirklich?«

»Maya-Biene.« Gespielt ernst sieht sie mich an. »Ich denke nicht nur, dass ich recht haben werde, ich weiß es. Und ich wette, du wirst es bald ebenfalls wissen.«

Grinsend hebe ich das Kinn leicht an. »Herausforderung angenommen, Stacey.«

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