KAPITEL 01 | PORTER
Wenn ein Kerl ein Mädchen bedrängt, wird es als ekelhaft angesehen.
Es ist falsch.
Und absolut verboten.
Aber wenn ein Mädchen einen Kerl zu Dingen zwingt, die er nicht tun möchte, dann schauen die Leute weg. »Der Typ kann sich ja allein verteidigen«, sagen sie. »Das Mädchen braucht einfach nur ein bisschen Aufmerksamkeit, das ist alles.«
Meiner Meinung nach ist es nicht alles.
Aber wer fragt mich schon? Niemand erwartet solche Gedanken von mir, weil sich die meisten Menschen nur für meine oberflächlichen Dinge interessieren. Ich nehme es ihnen ja nicht einmal übel. Immerhin stinke ich laut meinen Freunden quasi nach Geld und Partys, auch wenn ich nicht genau weiß, ob ich diese Aussage als Kompliment deuten kann.
Unauffällig vergrabe ich meine Nase in meiner Schuluniform, die ich heute Mittag anziehen musste, weil meine Mom sie neu anpassen lassen hat. Ich hatte nicht wirklich Lust, mich danach wieder umzuziehen und versuche mich jetzt einfach daran zu gewöhnen, dass ich in ein paar Tagen ein Junior sein werde. Bevor jemand bemerken könnte, dass ich an mir selbst schnüffele, lehne ich den Kopf wieder nach hinten an. Und grinse breit. Denn falls die Aussagen meiner Freunde stimmen, dann rieche ich verdammt gut.
Geld und Partys allein haben mich jedoch nie glücklich gemacht.
Aber das Geld verschwenderisch für mich auszugeben und auf meinen legendären Partys mit Mädchen zu flirten dagegen schon.
Manche Menschen würden mich als arrogant und angeberisch bezeichnen, doch insgeheim bin ich der charmanteste Kerl, dem jemand je begegnen kann. Und mit Geld, Partys und Mädchen zu prahlen, ist meiner Meinung nach auch keine Sünde, solange ich damit keinem wehtue. Anders als meine Freunde verletze ich nämlich niemanden bewusst, indem ich sie benutze, sie dann wie eine Zigarette ausdrücke und einfach wegwerfe.
Nur bei einem ganz besonderen Spiel würde ich heute Nacht eine Ausnahme machen.
»PORTER AVE SINCLAIR!«
Mein bester Freund nimmt neben mir einen großen Schluck von der Weinflasche in seiner rechten Hand, obwohl die Willkommensparty noch nicht einmal begonnen hat. Seufzend lehnt Warren Caster den Kopf an das Polster des Sofas an, nimmt einen Zug von seiner Zigarette und wirft mir einen verwirrten Blick zu. »Denkst du, Brittany meint dich?«
»Wen soll sie sonst meinen, wenn sie ›Porter Ave Sinclair‹ ruft?«, frage ich ungläubig. »Meine Grandma heißt, soweit ich weiß, nicht so.«
Granny sitzt in dem riesigen Sessel uns gegenüber, macht ein Nickerchen und wird nicht einmal von der noch immer laut schreienden Brittany geweckt. Auch wenn ich meine Grandma sonst immer gern als Gesellschaft bei mir habe, weil man mit ihr die besten Gespräche führen kann ― und sie natürlich auch das beste Essen kocht ―, so frage ich mich seit einer halben Stunde, wie ich sie aus diesem Haus bekommen soll, bevor die Partygäste hier eintreffen.
Ich bezweifle nämlich stark, dass meine Grandma mit uns feiern will.
Unschlüssig lehne ich mich auf Dads heißgeliebten teuren Sessel zurück. Oder will Granny sich heute Nacht vielleicht doch die Kante geben? Von ihr würde man es zwar am wenigsten erwarten, aber sie ―
»PORTER? PORTER!«
Brittany Grammer steht jetzt mit verschränkten Armen vor mir und erdolcht mich mit ihren Blicken. Warren meint, dass sie scharf auf Auden ist, aber dieser steht hoffentlich nicht auf aufbrausende Zicken, die nicht wissen, wo sie eigentlich wohnen. Brittany wäre mit ihren roten Haaren zwar genau Audens Beuteschema, aber soweit ich weiß, hat er sie trotzdem nicht in sein Bett gelassen. Und dabei ist er dafür bekannt, mit beinahe allen Mädchen der Millbrook Highschool geschlafen zu haben.
Ich seufze betont laut auf.
Um es noch nett auszudrücken: Ich hasse Brittany.
Sie ist die Sorte Mädchen, von der ich am Anfang gesprochen habe. Egal, wohin Auden und ich auch gehen, er kann ihren anzüglichen Blicken und ihren rot lackierten Fingernägeln, mit denen sie seine T-Shirts durchbohrt, nicht entgehen. Und wenn ich es nicht tue, dann sagt niemand etwas dagegen, dass sie Auden bedrängt.
»Würdest du bitte etwas leiser reden, Britt?«, gibt Warren stöhnend von sich. Immer wenn er zu viel trinkt, wird ihm so schwindelig, dass er Migräne bekommt.
Manchmal weint er sogar, weil er mich doppelt sieht und er diesen Anblick nicht ertragen kann.
Nach dieser sehr verletzenden Beleidigung beachte ich ihn meistens ein paar Tage nicht.
Obwohl Brittany sich um eine ruhigere Stimme bemüht, ist sie immer noch lauter als meine Hündin Trixie, wenn ich gerade das Haus verlassen will und sie genau dann Aufmerksamkeit von mir braucht. Es hilft leider auch nichts, wenn ich Trixie sage, dass die Highschool nun einmal wichtiger ist, als vier Mal am Tag mit ihr Gassi zu gehen, weil sie dann entweder meine Krawatten aufisst oder meine Schuhe versteckt.
Oder eben auf sie pinkelt, je nachdem, wie wütend sie ist.
»Warum genau versteckt sich Auden bei dir zu Hause?«, will Brittany wissen.
Betont amüsiert sehe ich zu ihr auf. »Ist dir noch nicht in den Sinn gekommen, dass er deine Anwesenheit noch weniger genießt als ich? Wie bist du überhaupt hier hereingekommen?«
»Lawrence hat mir die Tür aufgemacht.«
Dass sie den Vornamen meines Chauffeurs kennt, beunruhigt mich jetzt ein wenig. »Komisch, ich habe Lawrence gesagt, dass er keine rothaarigen Schreihälse hereinlassen soll.«
Brittany, die ich jetzt vollends wütend gemacht habe, nimmt Warren die Weinflasche aus der Hand und lässt sie auf den neuen Teppich meiner Mom fallen. Mit einem gespielt fassungslosen Gesichtsausdruck blickt sie auf die Scherben. »Wer das jetzt wohl aufräumen wird?«
Sie ist wirklich furchtbar nervig. »Du, würde ich sagen. Dafür seid ihr Frauen doch da, nicht wahr?«
Brittany hasst es, wenn ich mit sexistischen Bemerkungen komme und ich liebe es wiederum, sie auf die Palme zu bringen. Anders hat sie es nicht verdient. »Was hast du gerade gesagt?«, hakt sie nach, während sie sich ihre roten Haare über die Schulter streicht.
Ich lächle, aber es erreicht meine Augen nicht. Sie verdient mein schönstes Lächeln sowieso nicht, wenn sie Auden und damit auch mir so auf den Keks gehen muss. »Wenn du putzen nicht so sehr magst, dann mal ab in die Küche, Britt.«
»Sexistisches Arschloch«, zischt sie, dann macht sie einen nicht sehr würdevollen Abgang, weil sie mit ihren neuen Stöckelschuhen in die Scherben tritt. Im nächsten Moment höre ich meine Tür ins Schloss fallen. Sie ist weg. Endlich.
Warren stöhnt neben mir auf, aber diesmal vor Erleichterung. Fragend hält er mir seine Zigarette hin, aber ich lehne mit meinem Mittelfinger vor seinem Gesicht ab. Immerhin weiß er ganz genau, dass ich gerade versuche, mit dem Rauchen aufzuhören.
Sein Mund formt sich zu einem stummen »Oh«. Er blickt mich sofort entschuldigend an, nimmt einen letzten Zug und lässt den ausgedrückten Stummel schnell verschwinden. »Wie genau hält Auden es eigentlich mit ihr aus, ohne ihr ins Gesicht zu boxen?«
Schmunzelnd sehe ich mich nach Trixie um, die sich wohl immer noch nicht traut herauszukommen. Brittanys Anwesenheit hat wohl auch ihr zu schaffen gemacht. Verständlicherweise.
»Was hatte sie eigentlich hier zu tun?«, will ich wissen. »Wären Brittanys und meine Eltern nicht befreundet, würde ich sie jedes Mal von Lawrence höchstpersönlich aus dem Haus werfen lassen.« Lawrence würde es wahrscheinlich sogar noch mit Freude tun. »Und wo ist Auden überhaupt?«
Warren ist so betrunken, dass er anfängt, seine Finger zu zählen und mir gar nicht mehr zuhört. Das tut er immer, wenn er zu viel getrunken hat. Wobei er eigentlich nicht einmal so viel Alkohol zu sich nimmt, sondern ihn einfach nur nicht verträgt.
Ich seufze. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass dir kein elfter Finger wachsen wird, Warren?«
»So oft, bis ich dir glaube«, murmelt er, während er von vorne anfängt zu zählen.
Ich versuche mir selbst irgendwie zusammenzureimen, warum Brittany hier gewesen ist. Seit Wochen lässt sie Auden nicht in Ruhe, was der Grund dafür ist, warum er sich nach dem Basketballtraining überhaupt bei mir verstecken muss. Brittany ist als Cheerleaderin dafür bekannt, dass sie bei ihm ein wenig zu laut und kreischend jubelt und sogar schon eine weitere Cheerleaderin verletzte, weil sie Auden ihrer Meinung nach zu lange angestarrt hat.
Meiner Meinung nach ist sie einfach bloß irre.
Sie redet viel zu viel über Auden, über meine Hündin Trixie und über ihr Traumstudium Psychologie, wohingegen ich nicht einmal etwas einzuwenden habe. Brittany soll meinetwegen nach ihrem Abschluss Psychologin werden.
Und bei sich selbst mit der Therapie anfangen.
Weil dieser Gedanke mich endgültig zufriedenstellt, will ich mich nun den wirklich wichtigen Sachen widmen. Mit einem lauten Händeklatschen erhebe ich mich von meinem Sessel und sehe Warren auffordernd an. »Du hast jetzt lange genug deine Hände gezählt. Wir haben eine Party zu planen. Und ein sehr besonderes Spiel natürlich auch.«
»Bitte sag jetzt nicht, du hast vor, das heute Abend durchzuziehen.« Auden Villeneuve steht auf einmal mit verschränkten Armen im Türrahmen des Wohnzimmers und macht den Eindruck, als wäre Brittanys Anwesenheit anstrengender gewesen als die letzte Basketballsaison.
»Und wie ich vorhabe, das heute Abend durchzuziehen«, entgegne ich stolz.
Auden erwidert mein Grinsen nicht. »Wie hieß dein Kinderspiel noch einmal? Die Kuss-Hotline? Porter ist mies in der Frontline? Und in der Sideline? Auf WhatsApp ist er außerdem nie online?«
Aufgebracht werfe ich die Hände in die Luft. »Hast du noch mehr Wörter auf Lager, die sich auf ›Kuss-Deadline‹ reimen?«
Auden lacht nicht, natürlich nicht. Das tut er nie. »Wie wäre es mit, kriege ich bitte auch etwas von eurem besten Wein?«
Warren hält ihm nickend seine Weinflasche hin. »Aber nur, weil du so gut reimen kannst. Im Ernst, hast du schon einmal daran gedacht, Dichter zu werden?«
»Nein, aber der Beruf Stripper ist mir schon einmal durch den Kopf gegangen.«
Auden nimmt drei große Schlucke von der Flasche und fährt sich dann einmal mit der flachen Hand über das müde Gesicht. Seine kurzen, dunkelbraunen Haare stehen in alle Richtungen ab, als Warren ihm beruhigend über den Kopf wuschelt. Auden sieht daraufhin alles andere als glücklich aus, sagt aber nichts.
»Trink lieber etwas Härteres, damit du mir später nicht einschläfst.« Ich hole Dads alten Whiskey aus dem Schrank und drücke ihn Auden in die Hand. Er muss dringend ein bisschen lockerer werden. Diesen ernsten Gesichtsausdruck kann ich immer gebrauchen, bloß heute Abend nicht. »Immerhin spielen die Mädchen nur mit, weil du als Kandidat der Kuss-Deadline mitmachst.«
»Wärst du online gewesen, wüsstest du, dass meine Antwort auf deine Frage, ob ich mitmache, ›Zwing mich dazu und ich hau dich, Sinclair‹ gewesen ist. Ich habe nicht einmal große Lust auf die Willkommensparty. Außerdem muss ich auf Maurice und Lynette aufpassen.«
»Lawrence kann den Babysitter für deine kleinen Geschwister spielen«, schlage ich vor. »Ihm ist die ganzen Sommerferien sowieso ein bisschen langweilig gewesen, weil er mich nicht herumfahren konnte. Außerdem mag er Kinder. Es ist ihm erst einmal passiert, dass er die Haare von einem Mädchen angezündet hat.«
Auden vergräbt stöhnend das Gesicht in den Händen. »Das ist nicht witzig, Porter. Warum genau ist dir diese Party überhaupt so wichtig?«
»Bald fängt unser vorletztes Schuljahr an«, wirft Warren ein und wiederholt damit eins zu eins meine Worte von vorhin. »Und wir werden es zu unserem Schuljahr machen.«
»Ganz genau«, pflichte ich ihm bei.
Irritiert zieht Auden die Augenbrauen zusammen. »Was soll das überhaupt bedeuten?«
Dafür, dass Auden mir normalerweise ziemlich schlau vorkommt, ist er gerade deutlich schwer von Begriff. »Es bedeutet, dass wir scharfe Mädchen küssen werden und wir damit mehr erreicht haben, als wir es mit unserer Basketballmannschaft jemals tun könnten«, antworte ich grinsend. »Dieses Spiel haben sich bereits unsere Vorfahren ausgedacht und es wird seitdem immer weitergegeben. Es ist quasi eine Legende.«
»Legenden sind Geschichten, die seit langem erzählt werden und meistens nicht mehr stimmen.« Auden lässt sich auf dem Sofa nieder und fährt sich einmal durch die dunkelbraunen, kurzen Haare. »Wen kennst du überhaupt, der dieses Spiel wirklich gespielt hat, Porter? Du nimmst diese Sache viel zu ernst und das beunruhigt mich.«
Vielleicht stimmt es. Ich nehme dieses Spiel deshalb so ernst, weil es dieses Jahr das Einzige sein wird, das ich unter Kontrolle haben werde. Mit viel Glück bekomme ich ein Mädchen, das mir meinen Willen sofort erfüllt und sich nicht von mir jagen lässt. Ich brauche diesen kleinen Sieg, bevor ich gehe, aber ich glaube nicht, dass ich mir deswegen Sorgen machen muss. Denn welches Mädchen würde sich denn nicht von mir küssen lassen?
In einem Jahr werden meine Eltern mit mir aus Winchester wegziehen ― das weiß bloß noch niemand ― und meine Highschool-Zeit wird woanders weitergehen. Ohne Warren. Ohne Auden. Und ohne Kyler und Daniel Dubois, Audens verrückte französische Cousins, die gerade nirgends zu sehen sind und diesen epischen Moment nicht mitbekommen.
»Du spielst mit, ob du willst oder nicht. Immerhin ist mein Haus wegen Brittany quasi dein persönliches Versteck geworden, da ist es nicht zu viel verlangt, wenn du ein einziges Mädchen küsst«, sage ich zu Auden. Dann blicke ich von ihm zu Warren und wieder zurück, damit sie den Ernst dieser Lage auch zu hundert Prozent nachvollziehen können. »Wir werden einen Zettel ziehen, den Namen dieses Mädchens akzeptieren und diesem Mädchen den besten Kuss Allerzeiten schenken, verstanden?«
Granny fängt in ihrem Ledersessel plötzlich an, laut und zustimmend zu schnarchen.
»Klingt nicht schwer«, entgegnet Warren mit einem irritierten Blick auf meine Grandma. Dann widmet er sich wieder Auden und mir. »Außer jemand hier hat zu beichten, dass er nicht weiß, wie man jemanden küsst.«
Auden seufzt tief und leise und ignoriert Warrens letzte Aussage. »Was ist, wenn zwei Juniors dasselbe Mädchen abbekommen? Hast du diesen Fall auch in deinen tollen Plan mit einbezogen, Porter?«
»Natürlich.« Habe ich nicht, aber ich nehme mir vor, mich noch vor der Party darum zu kümmern. »Niemand wird denselben Namen ziehen, dafür sorge ich. Also? Seid ihr dabei?«
»Habe ich denn eine andere Wahl?«, murmelt Auden.
»Niemand hat das.« Warren grinst und bekommt im nächsten Moment Schluckauf. »Wenn Porter ... hicks ... etwas will ... hicks ... dann bekommt er das auch.«
Meine Mundwinkel heben sich siegessicher. »Stimmt. So war es schon immer und so wird es auch immer sein.«
Und kein Mädchen auf der Millbrook Highschool wird diese Tatsache jemals ändern können.
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