Kapitel 7 - Flüstern in der Nacht

Auf diese Frage wusste Marian keine Antwort. Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder.

„Es gibt viele Barone Englands, die der festen Überzeugung sind, dass König Richard noch lebt; die sogar behaupten, Beweise dafür zu besitzen. Und sie sind dafür bereit, die Schwerter zu erheben, um dem rechtmäßigen Regenten Englands den Thron zu sichern."

„Robin, wenn du Recht hast..."

Wenn das stimmte, könnte diese Nachricht ein neues Feuer der Hoffnung entfachen. Es gab reichlich Unzufriedenheit im Land und nur wenige waren begeistert von der Idee, den aktuellen Kronregenten als König auf dem Thron von England zu sehen. Wenn Robin recht hatte und Richard noch lebte... konnte das alles verändern. Das würde den amtierenden Herrscher zu einem Usurpator machen, welcher das Volk schröpfte. Wenn sich Robin jedoch irrte, dann wäre es Hochverrat, sich gegen die Krone aufzulehnen. Dieser Umstand beantwortete jedoch eine Frage immer noch nicht.

„Aber... warum stiehlt der berüchtigte Dieb Robin Hood ausgerechnet in Nottingham? Du warst der Earl von Huntingdon - oder wärst es gewesen." Kaum da sie das ausgesprochen hatte, konnte sie das dünne Eis förmlich knirschen hören, auf das sie sich aufgrund diesen Kommentars wegen bewegt hatte. Robins Hände ballten sich zu Fäusten und Marian biss sich auf die Lippen. Sie hatte einen Nerv getroffen, dessen war sie sich durchaus bewusst. Doch selbst wenn er toben und wüten würde; Marian war in diesem Moment entschlossen, die Kluft, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, seit Robin von Locksley den Krieg einer Heirat mit ihr vorgezogen hatte, zu überwinden. Aber dazu musste sie wissen, was ihn bewegte. Die Fragen brannten ihr auf der Seele wie glühende Kohlen und die Ungewissheit entfachte sie zu einem regelrechten Feuer aus Zorn und Unverständnis. Da kehrte er zurück und fristete sein Dasein als dreckiger Dieb, anstatt zu ihr zurückzukommen.
Die Vergangenheit lag wie ein dunkler Schlund zwischen ihnen... und Marian, für ihren Teil, schien bereit zu sein, darüber wegzuspringen. Wenn er seinen Stolz vergaß, ihr Antworten auf ihre Fragen gab und sie auffing.

'Das spielt keine Rolle mehr. Uns verbindet nichts außer einer Vergangenheit, über die du hinweggekommen bist. Also konzentriere dich auf das Wesentliche!', zischte ihre mentale Stimme sich selbst zu. Also eilte sie sich, das Gespräch auf den Kern ihrer Frage zu lenken. „Was ich meine, ist: Huntingdon liegt mehrere Meilen südlich von hier. Warum stiehlst du nicht-"

Da wurde es ihr plötzlich klar. Sie brach mitten im Satz ab und Robins Lippen zierte ein bitteres Grinsen.

Marian konnte förmlich spüren, dass die Temperatur sich um ein paar weitere Grade erhitzte und die Spannung zunahm.

„Natürlich muss es hier sein. Der neue Lehnsherr von Huntingdon ist der Sheriff von Nottingham. Und der hält sich die meiste Zeit nicht dort auf."

Es ging ihm also doch um Rache. Um Genugtuung an Guy und dessen Vater! Dafür, dass sie sein Land und seinen Reichtum beschlagnahmt hatten. Von wegen 'edle Motive' oder 'Hilfe für das Volk von England'... Es ging nicht wirklich um Politik. Jedenfalls nicht nur. Robin war noch immer der beleidigte Junge, der nicht ertragen konnte, dass Guy ihm etwas weggenommen hatte. Das war schon früher so gewesen. Und scheinbar hatte er sich nicht verändert. Dies ließ die Flamme des Zorns in ihr lodern und flackern, wie eine Fahne im Wind und Marian konnte nicht verhindern, dass sich auch ihre Stimmung verfinsterte.

„Sagen wir, indem ich hier stehle, kann ich eine persönliche Rechnung begleichen und dabei zeitgleich meine Ziele verfolgen. Es ist nicht wirklich 'Rache' - es ist vielmehr ein Bonus! Zudem kennt mich hier nicht jeder Bauer oder Wachmann und ich falle in der Menge nicht so auf."

Robin zuckte nonchalant mit den Schultern. Doch Marian sah den härteren Ton, den seine Mimik bekommen hatte und der deutlich seine Attitüde überschattete. Darüber konnte er auch nicht mit einem falschen Lächeln hinwegtäuschen.

„Kommen wir zurück zum wahren Grund meines Besuchs", schlug er plötzlich einen Haken, dass es ihr beinahe schwerfiel, ihm zu folgen. „Eure Burg ist nun mal der Ort, an dem die Steuern ausgezählt und von dort weiter transportiert werden."
Er machte einen Schritt auf sie zu und plötzlich fühlte sich Marian, als würde sie ein Wolf in eine Ecke treiben. „Da dachte ich mir, wir könnten vielleicht zusammenarbeiten? Immerhin wollen wir doch im Grunde das Gleiche?"

Marian benötigte eine Sekunde, um zu begreifen, was er da sagte. Dann lachte sie und machte einen Schritt von ihm zurück. „Du bist wahnsinnig, Robin! Vollkommen verrückt!"

Doch Robin folgte ihr nach und ließ den Abstand sofort wieder dahinschmelzen. „Denk darüber nach", bat Robin. Seine Stimme klang begeistert und summend, wie eine Biene, die sich in ihrem eigenen Honig verklebt hatte. „Ihr wisst immer, wann die Zählungen stattfinden und die neuen Steuern eintreffen. Wie viele Wachen es geben wird, ob man eine Falle plant oder wann die Kutschen nach London aufbrechen", erklang seine Stimme verheißungsvoll. „Wir beide..." Robin hielt mitten im Satz inne und sein Blick verfing sich einige Herzschläge lang in dem bezaubernd entgeisterten Gesicht der jungen Lady. „...können so viel mehr erreichen. Zusammen." Als sich seine Lippen langsam wieder zu einem süffisanten Grinsen auseinanderzogen, pflanzte es Marian ein ungewohntes und ungewolltes Gefühl von Sehnsucht in den Bauch.

Robins Lippen wurden zu einem einlullenden Lächeln, die jedem Troubadour hätten Konkurrenz machen können. „Wenn Eure hochgeschätzte Ladyschaft mir Informationen gibt, die ich für die Raubzüge benötige, vielleicht gar die ein oder anderen Gemächer unverschlossen lässt oder die Schlüssel 'verlegt', so kann ich problemlos in die Kammern hinein und wieder hinausgelangen. Ohne großes Aufsehen, um dass ihr Euch so fürsorglich Gedanken macht", bot er großzügig an.

Marian hätte ihm widersprechen sollen. Ihm sagen, wie wahnwitzig das war und dass er froh sein konnte, dass sie noch nicht die Wachen gerufen hatte, über die er sich so großspurig lustig machte. Aber anders als manche anderen hübschen Damen, loderte hinter ihren Augen ein heller, wacher Verstand. Also schloss sie ihren Mund und dachte tatsächlich einen Augenblick darüber nach.

'Wäre das richtig, Gillian? Ist es das, was du und Mutter gewollt hätten?', fragte sie sich.

Im Vergleich zu den kleinen Beträgen, die sie von den korrupten Steuereintreibern stahl, nahm Robin Prinz John Unsummen... Wenn sie zusammenarbeiten würden, konnten sie weit mehr erbeuten als bisher. Damit konnte sie vielleicht wirklich etwas bewirken. War es Schicksal, dass ihre Wege sich ausgerechnet heute mit Robin gekreuzt hatten? Hier und jetzt würde sich entscheiden, wer oder was sie sein wollte: eine stibitzende Fürstentochter... oder eine waschechte Diebin.

„Ich verlange einen Anteil. Die Hälfte der Beute für die Bürger Nottinghams."

Robin verschluckte sich beinahe. Sie war sich nicht sicher, ob er lachte oder empört war.

„Die Hälfte? Habt ihr Euch bei der Flucht euren hübschen Kopf gestoßen oder etwa zu viel des Brackwassers Eures Burggrabens geschluckt?"

„Vorsichtig, Hood!", warnte Marian, doch der Dieb schüttelte nur den Kopf.

„Ihr habt wohl Euren Verstand verloren, Lady! Immerhin gehe ich das Risiko allein ein und mache die ganze Arbeit." Hood schnaubte. „Ihr bekommt einen Anteil, aber gewiss nicht die Hälfte!"

„Glaubst du etwa, ich gebe dir nur die Informationen und warte dann, dass du deine Abmachung einhältst und das Geld tatsächlich fair geteilt bei mir ablieferst?", Marian stieß ein verächtliches Schnauben aus, „Du bist großartig im Weglaufen, wie wir beide wissen." Sie konnte sich den Seitenhieb einfach nicht verkneifen. Sie vertraute ihm nicht und das durfte ihn wohl kaum überraschen.

Sie neigte sich dem Dieb entgegen und ihr Blick haftete an seinen Zügen. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sein Gesicht zu verschleiern. Wenn jetzt eine Magd oder eine Wache auftauchte, hätte man den Dieb direkt in ihrer Kammer erwischt! „Du hinterlässt nur Durcheinander, wo du auch stehst und gehst. So warst du schon immer und so wird es auch immer bleiben! Du denkst nicht nach und willst mit dem Kopf durch die Wand, wie ein Stier. Eines Tages wird dir das noch das Genick brechen. Und ich will sicher nicht in solch planloses Handeln mit hineingezogen werden!"

„Ach? Und Ihr könnt es besser?"

„Ich bin bisher ungesehen in die Zählkammern hinein und auch wieder hinausgekommen, nicht wahr?"

Da lachte Robin spöttisch. „In Eurem eigenen Heim ist das wohl kaum eine Kunst. Aber richtiger Diebstahl ist schmutzige Arbeit... und nichts für eine Lady."

Diese Unverschämtheit! Diese Dreistigkeit! Oh, wie sehr sie ihn ohrfeigen wollte!

„Du unterschätzt mich, Robin Hood", grollte Marian zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch. Wenn es etwas gab, dass sie verachtete, dann das Bild der kleinen, zerbrechlichen Porzellanpuppe, das die meisten von ihr hatten, sobald man sie ansah. Es stimmte, dass sie lange Zeit im Kloster gewesen und erst vor Kurzem zurückgekehrt war. Dadurch mochte sie vielleicht ein weicheres Herz besitzen und sich nicht zieren, den bemitleidenswerten Bürgern Nottinghams mit Decken oder der Verteilung von Suppe auszuhelfen. Doch das bedeutete nicht, dass sie sich nur hinter dem Rücken eines Mannes verstecken konnte! Sollte nicht gerade Robin das wissen? Immerhin kannten sie sich bereits aus ihren Kindertagen. Aber nein... inzwischen waren sie sich fremd. Jahre trennten sie und Marian war nicht mehr dasselbe junge Ding wie damals. „Ich bin durchaus in der Lage, mich zu wehren."

„Ihr, Euch wehren? Gegen Soldaten und die Männer des Sheriffs? Wohl kaum! Ihr wärt nicht mehr als eine Last. Ich habe keine Zeit, auf meinen Raubzügen eine Maid in Nöten zu retten. Ich bin ein Dieb - kein Ritter aus irgendwelchen Geschichten."

Damit ging er zu weit. Marian holte aus und sehnte sich nach dem befriedigenden Klang ihrer flachen Hand in seinem Gesicht. Doch Robin fing ihren Schlag ab, ehe sie ihn treffen konnte. Er griff nach Marian und umschloss ihr Handgelenk.

„Lass sofort los!"

„Bringt mich dazu", raunte Robin herausfordernd. Noch immer lag in seinen Augen dieses Leuchten, das Marian so sehr verärgerte. Spielerisch und provozierend.

'Er nimmt dich nicht ernst. Wie eine Katze, welche sie die Maus nur mit der Pranke anstupst', dachte sie verärgert. Sein schelmisches Lächeln war der Beweis dafür.

Ein Herzschlag, zwei vielleicht. Dann zog Marian unvermittelt ihr Knie nach oben und rammte es in seinen Magen. Hood keuchte, sein Körper kippte nach vorn und er entließ ihre Hand aus seinem Griff. Marian hatte nicht vor, diese Gelegenheit verstreichen zu lassen. Sie holte erneut aus und diesmal ballte sie die Hand zur Faust, ehe sie ihm jene mit Wucht ins Gesicht schlug.

Schmerz zuckten durch ihre Finger und ruckartig zog sie die Hand wieder zurück. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie sich die Hand mit der anderen rieb und das Gesicht leidvoll verzog.
„Bei Gott, woraus ist dein verdammter Kiefer! Aus Eisen?", stöhnte sie, während Robin sich aus der gebeugten Position wieder aufrappelte.

„Ihr habt einen ganz schön festen Schlag, Maid Marian", flötete Robin und strich sich die Strähnen aus dem Gesicht, die durch Marians unvorhergesehenen Schlag hineingefallen waren. Dann rieb er mit den Fingern über seinen Kiefer, ächzte kurz und streckte sie dann erneut aus.

Als Marian instinktiv zurückzuckte, hob er beide Hände beschwichtigend an und fasste dann nach den zarten Fingern, die bereit waren, sich gegen einen Dieb zu behaupten.

Marians Herz schlug viel zu schnell. Sie sah zu, wie Robin die hellen Knöchel betrachtete, die weich und verletzlich waren... aber nicht so zart, wie es die einer Lady sein sollten, die den ganzen Tag nichts tat, außer sich unter Sonnensegeln zum Tee zu treffen und zu sticken. Er drehte ihre Hände vorsichtig ein wenig hin und her, betrachtet die Rötung darauf und seufzte erleichtert, da sie scheinbar nicht schlimmer verletzt war. Dann ließ er ihre Finger aus seinem Griff gleiten und blickte prüfend auf sie herunter, während Marian misstrauisch zu ihm aufsah.

„Ein Drittel, Mylady", lenkte er dann ein, „Ihr erhaltet ein Drittel, mit dem Ihr tun und lassen könnt, was Euch beliebt. Und ihr dürft mich begleiten." Robin Hood streckte die Hand aus. „Also... wie sieht es aus? Sind wir Partner?"

Marian zögerte einen Moment. Noch immer pochten ihre Finger schmerzhaft. Dieser Mann bedeutete Ärger. Er war ein Gesetzloser, vogelfrei und alles, was dem Kronregenten von England ein Dorn im Auge war. Aber... er war auch ihre einzige Möglichkeit, mehr zu bewirken. Marian atmete tief durch, dann reichte sie Robin Hood die Hand.

„Einverstanden. Partner."


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