Kapitel 49 - Kluge Köpfe müssen rollen

Nottinghamshire - Castle de Burgh

Später Abend


Das Fest, welches zunächst so fröhlich begonnen hatte, endete mit bitterem Beigeschmack und Tränen. Als Earl De Burgh vor der Tür stehen blieb, die von zwei treuen Männern des Sheriffs bewacht wurde, war sein Magen ein einziger Felsen harten Steins und sein Herz ebenso schwer.

„Öffnet die Tür", befahl er, die Stimme so dunkel wie die Schatten, welche den Gang und die Stimmung aller in Finsternis hüllten.

Der kleine Raum war einer Lady kaum angemessen und doch zweifellos besser, als die kalten und schmutzigen Zellen im Kerker, in dem jeder andere Gefangene gelandet wäre. Dennoch blieb es das, was es war: ein Gefängnis. Es gab Adlige, die nach Verbrechen ihr ganzes Leben hinter verschlossenen Türen oder Mauern gefristet hatten.

Als der Earl den Raum betrat, saß Lady Marian de Burgh auf einem einfachen Stuhl am Fenster. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet und der erste Gedanke, der ihm kam, war, wie sehr dieses Bild zu ihr passte und wie sehr sie seiner geliebten verstorbenen Gattin glich.

Marian wirkte auf eine seltsame Weise fehl am Platz, wohin sie auch ging. Das war schon immer so gewesen, sobald man sich erlaubte, genauer hinzusehen. Es lag darin, wie aufrecht sie saß und wie sie das Kinn reckte, statt es gehorsam gesenkt zu halten. Wenn die Amme sie zur Strafe schlug, dann sah Marian auf und selbst wenn ihr Tränen in den Augen standen, vermochten diese nicht über das Feuer dahinter hinwegzutäuschen, dass kein Schlag und keine Bibelverse ersticken konnte.

Manchmal hatte der Earl sich gefragt, ob er strenger hätte sein müssen. War es seine Schuld und lag es an ihm? Auch seine Frau war besonders gewesen. Eigensinnig und stur, mit genau demselben Licht in Herz und Augen, das andere zu inspirieren vermochte. Wäre Marian als Mann geboren, sie hätte sicher Großes erreichen können. Wo ihre Art zu denken und zu leben bereits einem einfachen, bürgerlichen Weib Probleme verursacht hätten, war es für eine Adelstochter ein unumschiffbares Verhängnis. Earl De Burgh hatte das immer gewusst und doch nicht übers Herz gebracht, es zu unterbinden.

Und nun saß sie dort, wie eine zarte Puppe aus Porzellan. In einem edlen Kleid und mit fein gekämmtem Haar - aber mit eisernen Schellen um ihre Beine und Handgelenke. Das Metall klirrte leise, als sie sich bewegte und sich dem Besucher zuwandte, der offensichtlich nicht nur gekommen war, um ein Tablett mit Essen abzustellen.

„Mein Kind. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass mir so etwas in meinen finstersten Träumen niemals hätte vorstellen können", meinte er leise und trat an seine Tochter heran. Die ganze Nacht war er wach gewesen - doch nicht in gelähmter Bestürzung oder Untätigkeit. Er hatte Partei ergriffen und versucht, Wogen zu glätten.

Sanft legte er die Hände an Marians Wangen und neigte sich, um einen Kuss auf ihre Stirn zu hauchen. „Was du getan hast, war äußerst tapfer. Ich weiß, dass du nur helfen wolltest. Aber musstest du so weit gehen und die Waffe auf den Sheriff richten?"

Marian schloss die Augen. Ihr Vater roch nach Holz und Feuer, vermutlich hatte er die ganze Nacht vor dem Kamin gesessen und gegrübelt. Trotzdem hüllte sie sein Geruch nach einer aufwühlenden Nacht wie eine beruhigende Decke ein und strich wie tröstende Finger über ihr aufgewühltes Gemüt. Wenn ihn etwas plagte und umtrieb, blieb er gerne in der Nähe des Feuers und starte nachdenklich in die tanzenden Flammen. Der Duft gab ihr ein Gefühl von Beständigkeit.

„Ich bereue nicht, was ich getan habe, Vater." Die Ganz Nacht, hatte sie darüber nachgedacht. Wieder und wieder. Ob es ein Fehler gewesen war. Aber die Antwort stand für sie fest: Nein. Das war es nicht. „Ich wollte den Menschen helfen. Jeden Sonntag predigt der Pater von Nächstenliebe, von Güte und Gnade - aber die Kelche der Kirchen und des Königs sind aus Gold, aber die Teller der Bauern leer."

„Ich weiß, mein Kind. Ich weiß." Earl De Burgh stieß ein tiefes Seufzen aus. Langsam löste er sich von seiner Tochter. Das kleine Bett ächzte, als er sich daraufsetzte. Zulange war es nicht verwendet worden. Erschöpft kippte sein Oberkörper leicht nach vorn, während er die Ellbogen auf seinen Schenkeln ablegte und die Hände zusammenführte. Mit einem nachdenklichen Ausdruck drehte er den Siegelring an seinem Finger ein wenig hin und her. „Marian, unser Stand bietet uns Rechte, dadurch haben wir jedoch auch Pflichten. Auch ich wünsche mir täglich, dass es den Menschen hier in Nottingham gut geht, dass sie gesund sind und ihre Arbeit leicht von der Hand geht. Aber wie in einem Schachspiel müssen wir vorausplanen und über den nächsten Zug hinausblicken."

Als ob sie das nicht wüsste! War sie es nicht, die Robin und den Bauern genau das gepredigt hatte? „Vater, ich-"

Earl De Burgh hob die Hand, um seine Tochter zu unterbrechen. „Du weißt, ich habe die Bemühungen deiner Mutter und auch deine stets unterstützt. Ganz gleich, ob Essen ausgegeben oder Korn geteilt werden sollte."

Marians Stirn runzelte sich verständnislos. Die Stimme ihres Vaters klang weder vorwurfsvoll noch wütend.

„Ich kann als Earl die Steuern nicht verweigern. Ansonsten wären königliche Soldaten, Abgesandte und Verwalter gekommen und hätten sich geholt, was der Krone zusteht. Auch wenn unsere Hilfe deshalb nur eingeschränkt möglich war - es hielt die Menschen am Leben, Marian. Ein neuer Earl wäre vielleicht rücksichtsloser, als ich es bin. Wir gewinnen nichts damit, uns die Krone offen zum Feind zu machen."

„Dann ändert sich aber nichts, Vater. Wie du selbst sagtest: Münzen auf die Straße zu werfen, ändert nichts an der Lage der Menschen. Auch Brot und Korn trösten nur vorübergehend. Unsere Kammern sind inzwischen leer Vater, das meiste Vieh ist verkauft, getauscht oder geschlachtet. Und der Prinzregent sitzt in London, weit weg von hier und schert sich nicht um das Leid, solange er seine Tafeln reichlich decken und seiner französischen Mätresse neue Geschenke machen kann." Marian blickte düster auf die Ketten an ihren Handgelenken. Dann erhob sie sich langsam und das Rasseln der Ketten begleitete ihre Schritte, als sie sich vor ihrem Vater auf den Boden sinken ließ. Diesmal war sie es, die nach seinen Händen griff.

„Es gibt Gerüchte", raunte sie diesmal leiser. Als müsste sie sichergehen, dass die Männer des Sheriffs es auf keinen Fall hörten. „Dass König Richard noch leben und er zurückkehren könnte." Ihre Finger drückten die ihres Vaters ein wenig fester.

Sie erwartete Überraschung, Verwunderung und dieselbe Hoffnung, die jene Nachricht auch in ihr erweckt hatte. Stattdessen jedoch legte ihr Vater lediglich seine Hand über ihre.

„Solange wir nicht mehr haben als Gerüchte, können wir darauf nichts bauen. König Richard ist nicht hier, um uns... oder dir zu helfen."

Marian starrte ihren Vater an, während sie in seinen Augen die Wahrheit erkannte. Langsam und surrend drehte sich die Münze in ihrem Geist, verknüpfte lose Fäden und plötzlich wurde alles so viel klarer.

„Du wusstest davon", hauchte sie und ihr Vater nickte langsam.

„Aber ist es wahr, Vater? Wo ist der König, während sein Land blutet? Während sein Bruder den Tyrannen gibt?" wollte Marian wissen.

„Es heißt, er sei irgendwo auf seiner Rückreise festgesetzt worden. Irgendwo auf dem Festland. Es gab Schriftverkehr, die Sire Malet am Hofe gesehen haben will. Dies ist auch der Grund, warum Sire Malet, die Barone Fitzwalter, de Percy und ich Soldaten sammeln. Wenn der König zurück kehrt... falls der König zurückkehrt, wird er womöglich ein Heer brauchen."

Marians Augen wurden groß. Sie glaubte, sie hätte ihren Vater, den Sheriff und Guy ausgespielt, sie klug belogen und ihnen etwas vorgemacht. Dabei war ihr Vater so unendlich viel geschickter dabei gewesen. Er mimte den Kronloyalen und schürte im Schatten des ihm zugewandten Sheriffs das Feuer der Rebellion.

„Als Earl kann ich die Rebellion nicht offen unterstützen. Ich bin aufgrund meines Standes der Krone zu nah. Und es gilt, den richtigen Moment abzuwarten, um eine Position zu beziehen. Die Blicke von Prinz Johns Getreuen liegen zu wachsam auf meinen Liebsten und mir. Ich kann nicht einfach Unsummen an Geldern an Barone und Ritter vergeben, damit diese Soldaten kauften. Was ist aber, wenn diese Gelder nie in meiner Burg ankämen? Was wir brauchten, war ein Dieb. Ein Mann mit Idealen, geschickt und König Richard zugetan. Ein Mann, der nichts mehr zu verlieren hatte... Wir mussten Locksley beinahe daran hindern, nicht direkt auf London zu marschieren. Und ja", er seufzte leise, „deine Verlobung mit dem Sohn des Sheriffs war mir willkommen, um die Zweifel an uns auszudünnen."

Langsam hob er die Hand, um ihr über die Wangen zu streichen. „Er hatte nach dir gefragt, weißt du? Robin, meine ich. Ich hätte damit rechnen müssen, dass dieser Narr ausgerechnet meine Grafschaft daraufhin bestehlen würde. Sein Hass auf den Sheriff und den jungen von Gisborne wird nur von dem auf den Prinzen übertroffen." Der Earl kräuselte ein wenig die Lippen. „Ich bin nicht unbedingt ein Freund seiner Methoden. Sie wirbeln zu viel Staub in meinem Land auf. Das gestohlene Geld kommt der Rebellion zugute also versuche ich, ihm nicht mehr Steine in den Weg zu legen, als nötig. Aber ich heiße es erst recht nicht gut, dass er meine Tochter mit hineingezogen hat", stellte er dann ernster klar.

„Das war nicht seine Idee, Vater", log Marian nun. „Ich wollte mehr für die Menschen tun, als ein paar Münzen aus den Taschen korrupter Zähler zu verteilen. Deshalb bat ich Robin, mit mir zusammenzuarbeiten. Ach ja, damit du es jetzt auch weißt: Unserer Zählmeister stecken sich unentwegt Münzen in die eigenen Taschen."

„Das Überfallen der Steuerkutsche war also deine Idee?"

Marian nickte langsam.

„Nach der Zählung oder auf dem Weg dorthin untersteht die Sicherheit der Ladung der Krone und nicht dir. Ich wollte dir nicht mehr Probleme bereiten, als bisher", erklärte sich Marian und sah schuldbewusst zu Boden. „Aber wir begegneten vielen heimatlosen Männern in den Wäldern. Sie waren verzweifelt, ohne Führung und alles lief aus dem Ruder."

Begleitet von einem tiefen Seufzen sanken die Schultern des Earls etwas tiefer. Einige Momente war es einfach nur still zwischen ihnen und einzig das leise Knistern des Feuers war zu hören.

„Es tut mir leid, Vater", flüsterte Marian leise.

„Wir müssen alle unseren Weg finden. Schweigend und in den Schatten. Oder offen und bereit, die Konsequenzen dafür tragen. Ich liebe dich, Marian." Die Augen ihres Vaters waren voller Stolz, aber auch offensichtlichem Schmerz zugleich. „Als Vetter zweiten Grades seiner Majestät ist unser Königsblut dünn, doch es ist da. Dein Fingerhut voll königlichem Geblüts kann dich jedoch vor dem Galgen bewahren. Du weißt, kluge Frauen sieht weder die Krone noch der Klerus gern. Kluge Köpfe müssen rollen. Sage dich los von den rebellischen Gedanken, knie nieder und schwöre dem Regenten und dem Wort Gottes deine Treue. Dann kannst du vielleicht auf Gnade und einen weiteren Morgen hoffen. Mehr kann ich nicht mehr für dich tun, mein Kind."

Marian schluckte, doch es half nicht, die Enge um ihre Brust zu lösen. Ihre Augen brannten und sie blinzelte dagegen an, um die Tränen zurückzuhalten. Sanft nahm sie die Hand ihres Vaters, neigte sich nach vorn und legte die Stirn an seinen Handrücken. „Ich weiß nicht, ob ich das kann, Vater", raunte sie leise. „Ich kann nicht mehr einfach nur zusehen."

Die freie Hand des Earls legte sich sanft auf das Haupt seiner Tochter. Das weiche, rote Haar schlug sachte Wellen unter seinen Fingern und er erinnerte sich an alte Zeiten, in denen sein Kind auf seinem Schoß eingeschlafen war. Aber Marian war nicht mehr das kleine Mädchen, das sich vor dem Gewitter fürchtete. Sie war die junge Frau, die auf einen Galgen gestiegen war und ihre Freundin heruntergeschnitten hatte. Eine Adlige, die um eine Magd weinte und deren Schmerz sich in Stärke verwandelt hatte.

„Ich weiß", flüsterte er. So leise, dass vielleicht nur der Wind es hören mochte.

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