Kapitel 47 - Der Niedergang

Soldaten stürmten aus dem nahen und fernerem Dickicht heran, Pfeile zischten und schlugen in Leiber und Bäume. Innerhalb von Sekunden brach der Kampf im Lager der Banditen los und schwemmte wie eine tosende Welle darüber hinweg.

Die Hölle brach über sie herein - und im nächsten Augenblick surrten Klingen und Pfeile durch die Luft, Männer schrien vor Schmerz oder brüllten zum Angriff. Robin zog sofort seinen Bogen und setzte blitzschnell den ersten Pfeil an. Er traf einen der Soldaten in den Oberschenkel und riss ihn zu Boden.

„Wie haben sie das Lager gefunden?" Scarlet, der die Messer gezogen hatte, warf sich sofort auf einen der Soldaten, der einen der jüngeren Burschen angreifen wollte. Die Klingen zogen surrend durch die Luft und Will zeigte sichtliches Geschick im Umgang mit den scharfen Klingen. Er wich einem Schwert aus, sprang zur Seite und nutzte die Lücke in der Verteidigung des Soldaten, um ein Wurfesser in dessen Hand zu versenken.

Doch ein weiterer stürmte von hinten an ihn heran. Diesmal ging Robin dazwischen, preschte in die Linie des Angreifers und ging in die Hocke, wodurch der Mann mit seinem Schwung über Robin stürzte und hart zu Boden fiel. Der jüngste der Bande verlor nun keine Zeit, griff nach einem nahestehenden Eisentopf und donnerte jenen dem Soldaten gegen den Kopf. Es war ein chaotischer und ehrloser Kampf. Kein Turnier und Festspiel; es dreckig um Leben und Tod gefochten. Die Banditen warfen Laub in die Gesichter der Soldaten, von oben schmiss einer einen Korb mit Holz, um die Angreifer am Boden zu treffen. Alan-a-Dale war clever genug, eine Pfanne zu greifen und die glühende Kohle und Asche in die Richtung der Angreifer zu schleudern - und sich Zeit zu schaffen. Doch die Männer des Sheriffs waren in der Überzahl, zusätzlich unterstützt von denen des Earls.

„Marian!" Mit dem Schwert in der Hand stürmte Guy direkt auf Marian zu, die mitten im Tumult des Kampfes stand. Im Eifer eines solchen Gefechts war es gefährlich, sie konnte verletzt oder sogar getötet werden. Er hatte nur einen einzigen Gedanken: Sie zu retten und wieder sicher bei sich zu wissen.

John, der soeben einen Soldaten wie faules Obst gegen einen Baum geschmettert hatte, war gerade dabei, sich einen der langen Stöcke zu schnappen, mit der sie die Unterschlüpfe abstützten. Aus dem Augenwinkel sah jener einen bewaffneten Mann direkt auf die Lady zustürmen. Mochte man bisher am ehrenhaften Herz des Banditen gezweifelt haben, so stellte er dieses in diesem Moment unter Beweis, als er sich ohne zu zögern zwischen Marian und den vermeintlichen Angreifer stellte.

„Aus dem Weg, dreckiger Abschaum!", zischte Guy und zielte mit der Klinge auf den Hünen, der zweifellos die Lady zu stehlen oder ihr noch Schlimmeres anzutun gedachte.

„Ich denke nicht daran! Ihr werdet der Lady nichts antun!", proklamierte der große Riese und schob sich wie ein Schutzwall vor Marian. Er hatte nicht mehr als seine Fäuste und den Stab aus festem Holz, die er einem Schwert entgegensetzen konnte - doch das hielt ihn nicht zurück.

Guys Blick zeugte davon, dass er nicht verstand, was hier gerade vor sich ging. Es brauchte eine weitere Sekunde, ehe er verstand: Beide Männer wollten die Lady beschützen, ein jeder vor dem anderen?! Der Bandit wollte sie mit seinem Leben beschützen, und zwar vor ihm?

„Bist du verrückt geworden, John? Lauf weg!", zischte Marian indessen dem turmhohen John zu, der sich zwischen sie und Guy gestellt hatte. „Er wird mir nichts antun!", versicherte sie ihm und zerrte an dem großen Arm des Banditen, um ihn aus dem Weg zu ziehen. „Flieht!", flehte sie zischend, „Ihr habt keine Chance gegen diese Soldaten! Flieht mit Robin!"

John zögerte. Sein Blick glitt nervös zwischen Guy, der Klinge und Marian hin und her. Der Stab in seinen Händen ächzte unter dem Druck, dann nickte er und wandte sich ab. „Für heut habt ihr gewonnen, Herr Ritter. Aber wenn Ihr der Lady wehtut, finde ich Euch!" drohte John, eher er davonlief.

„Marian!", warnte Guy, der nun einen Schritt näher machte und die Hand ausstreckte, um nach ihr zu greifen. „Was tust du da! Wenn jemand sieht, dass du dich mit Banditen eingelassen hast...!"

Als hätte der Teufel seine Gedanken gehört, hob in diesem Augenblick der Sheriff den Arm und zeigte inmitten des Kampfgetümmels auf Robin Hood. Jener erkämpfte sich zusammen mit Will Scarlet und John den Weg zu den wenigen Pferden, um auf deren Rücken entfliehen zu können. Da die meisten Männer des Sheriffs zu Fuß unterwegs gewesen waren, um leise zu sein, wäre es ein unverkennbarer Vorteil.

„Dort ist er! Bogenschützen! Schießt!", befahl der Sheriff und Marians Augen weiteten sich voller ungläubigem Schrecken, als sie sah, wie einer der Bogenschützen dem Befehl sofort nachkam. Er hob den Bogen, Holz bog sich. Er kniff die Augen zusammen und die Spitze des Pfeils zielte auf Robins Rücken, glitt hin und her und suchte die freie Schussbahn zwischen Bäumen und Kämpfenden. Der Pfeil zischte durch die Luft und Marians Herz verkrampfte sich.

Als er sich in einen Baum bohrte, nicht weit von Robin entfernt, stieß sie die Luft aus und ihre Panik brach sich bahn.
„Guy!", ihre Finger griffen nach der Tunika ihres Verlobten und in ihren Augen lag ein Flehen. Er war sein Freund gewesen. Marian konnte nicht glauben, dass Guy nichts unternahm. Er konnte doch nicht einfach tatenlos zusehen, wie man Robin einfach erschoss?!

Doch dies war ein Flehen, welches Guy nicht erhören konnte. „Los, komm, ich bringe dich fort!", meinte Guy stattdessen und griff fest nach Marians Hand. Er drehte sich um - und Marians blieb stehen. Wie angewurzelt.

Sie brauchte nicht lange, um ihre Entscheidung zu treffen. Marian folgte ihrem Herzen und griff nach Guys Bogen aus dunklem Holz. Sie riss ihn Guy vom Rücken, dessen Augen sich vor ungläubigem Schreck weiteten. Dann schoss ihre Hand nach vorn und ehe Guy es verhindern konnte, entwendete sie drei Pfeile aus seinem Köcher. Blitzschnell legte sie den Ersten an. Marian drehte sich und die Sehne gab ihrem Zug bereitwillig nach.

„Marian!" Guys Stimme klang fern.

Farben um sie herum zerflossen zu Schemen. Geräusche versanken. Rascheln von Blättern, Knacken von Ästen, Klirren von Waffen, Schreie und Rufe. Alles lief ineinander wie verwässerte Farben auf eine Palette, verloren an Form und Struktur.

Ein Atemzug. Dann Stillstand. Selbst Marians Herzschlag schien zu schweigen, während ihre Gedanken und der Kampf um sie verstummten. Da waren nur sie und der Pfeil. Marian ließ die Sehne los. Surrend gab sie den Pfeil frei. Das Holz bog sich um den Bogen und er schoss davon. Er flog, durchschnitt die Luft und traf sein Ziel mit voller Wucht.

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