Kapitel 23 - Der Hinterhalt

Nottinghamshire - Sherwood Forest

Drei Wochen später


Marian zupfte an dem dunkelgrünen Stoff ihrer Kapuze. Der raue Wollstoff kratzte an ihren Fingerspitzen, die aus den fingerlosen Bogenhandschuhen herauslugten. Ihr Atem stieß gegen das Tuch vor ihren Lippen, welches ihr Gesicht verbarg und unter der Gugel kaum mehr als die Augen zu erkennen übrigließ. Mit einer Hand am Stamm kauerte die junge Maid auf einem der hohen Äste einer Eiche, deren Ausläufer sich bis weit über die Straße unter ihr neigten. Das dichte Blattwerk ließ ihre Gestalt zwischen raschelndem Grün verschwimmen - ebenso wie Robins, der auf der gegenüberliegenden Seite auf einem anderen Baum lauerte.

Marian öffnete und schloss ihre Finger um ihren Bogen, in der Hoffnung, ein Ventil für ihre Anspannung zu finden. Ein paar Meter unter ihnen schlängelte sich ein schmaler Waldweg durch den dichten Sherwood Forest. Nicht mehr als ein paar Schritt breit, bot dieser gerade so genug Platz für den Wagen mit der Steuerkaste. Durch den Regen der letzten Tage war der Boden aufgeweicht und wässrige Pfützen hatten sich in den Kuhlen und Schlaglöchern gebildet. An einigen Stellen hatte der Wind Astwerk heruntergebrochen, welches sich auf der Straße zerstreut hatte. Die perfekte Tarnung für die Falle, die Robin und sie gestellt hatten.

Ihre Handflächen schmerzten noch immer vom Graben der Rillen, die der Kutsche zum Verhängnis werden sollten. Marians Magen war dennoch unruhig bei dem Gedanken, Pferde und Reiter in Gefahr zu bringen. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Plan exakt so aufging, wie sie es vorgesehen hatte. Immerhin waren bislang sämtliche die letzten Raubzüge keine außerordentlichen Erfolge gewesen. Immerhin gingen sie hier im Wald, weit abseits der Burg, ein geringeres Risiko ein. Hier war eine Flucht weit leichter, sofern etwas schiefging.

Marian zog diese Möglichkeit nicht gerne in Betracht, doch zum ersten Mal zweifelte sie ein wenig an ihren Plänen und konnte es auch nicht vollkommen ausschließen. Wenn sie nur eine Sache von ihren gemeinsamen Diebstählen gelernt hatte, dann das immer etwas schieflaufen kann. Zu denken, dass alles funktionieren würde, war arrogant und vermessen - und diese Eigenschaften füllte Robin schon zur Genüge aus. Wenigstens einer von ihnen sollte also vernünftig und realistisch bleiben. Nervös und wild schlug ihr Herz in ihrer Brust; unruhig tänzelnd wie ein junges Fohlen, das über die Koppel stolperte.

„Bist du sicher, dass du nicht verfehlen wirst?", rief Robin aus der Baumkrone einer großen Eiche ihr gegenüber. Marian verkniff es sich, mit den Augen zu rollen.

„So gewiss, wie ich dein Gesicht in meiner Kammer traf", erwiderte Marian und hörte das glucksende Lachen von der anderen Seite. Sie sollte sich beleidigt fühlen, stattdessen schnaubte sie und konnte das eigene Schmunzeln nicht zurückhalten.

„Du hast dich im Vergleich zu früher ziemlich verändert", meinte Robin und die junge Frau lehnte sich etwas dichter an den Baum, während ihr Blick versuchte, ihren Gefährten im Laub gegenüber auszumachen.

„Wirklich? Du bist immer noch ein Blödmann", stellte Marian fest und musste das Grinsen in den Zügen des Anderen nicht sehen, um zu wissen, dass es dort war. Dabei hatte er keine Ahnung, was es sie gekostet hatte, die Naivität eines adligen Püppchens abzulegen. Marians Lächeln verblasste, ungesehen von dem Dieb auf der anderen Seite der Straße.

„Ich erinnere ich mich an das Mädchen mit dem feuerroten Haar, das wie ein Knabe die Hände in die Hüften stemmte, während der ach so noble Gisborne hinter ihr stand und böse dreinblickte."

„Und ich erinnere mich an den Sohn des Earls, mit einem viel zu großen Mundwerk und haushoher Selbstüberschätzung. Wie gesagt: Du hast dich kaum verändert!" stichelte Marian heiter. Wirklich ernst meinte es keiner von ihnen und hätte es die Situation erlaubt, so hätten sie bestimmt beide herzlich gelacht.

Aber so schwiegen sie wieder, denn ihnen war bewusst, welches Wagnis sie eingingen. Wenn man sie erwischte, wäre Marian entehrt und ihr Vater mit ihr. Der Name beschmutzt, ihr ganzer Wert auf einen Schlag ausgelöscht. Man würde sie einsperren, strafen, vielleicht sogar als Exempel hinrichten. Das hier war kein Spiel. Und dennoch war sie bereit, alles zu setzen!

'Oh Mutter, oh Gillian. Wenn ihr mich jetzt sehen könntet, wärt ihr dann stolz auf mich?'

Marian atmete tief durch und versuchte die finsteren Gedanken an die Folgen zu verbannen. Wenn das hier gelang...

„Pssst! Ich glaube, es geht los!", zischte Robin und Marian zuckte vor Nervosität kurz zusammen.

Als sie den Blick hob, war Robins Gestalt zwischen den Zweigen und den Blättern nicht mehr auszumachen. Nur noch ein paar schaukelnde Blätter zeugten davon, dass er eben noch dort gekauert hatte. Was Ihre Aufmerksamkeit dann jedoch voll beanspruchte, waren Bewegung an einer Stelle im Unterholz. Das verräterische Knacken von Ästen, die unter zu viel Gewicht brachen, das Rascheln von Blättern und Zweigen, die beiseitegeschoben wurden.

Marian presste sich enger an den Stamm des Baumes. Grüne Flecken beschränkten ihre Sicht, sodass sie vorsichtig eines der spindeldürren Ästchen beiseite drückte. Eine ihr unbekannte Gestalt löste sich plötzlich aus dem dicht verwachsenen Buschwerk am Rand der Straße und Marian hielt den Atem an. Ihre Finger schlossen sich fester um den Bogen, sodass das Leder ihrer Handschuhe leise ächzte.

Ein Mann, vielleicht Mitte oder Ende zwanzig, betrat die matschige Straße. Seine Statur war drahtig und schlank, seine Kleidung unpassend edel. Marians Stirn legte sich in Falten. Er trug ein blutrotes Wams, auf dem silberne Fäden und Stickereien im wenigen Sonnenlicht, welches durch das Blätterdach fiel, schimmerten. Der Gürtel um seine Hüften war abgenutzt, aber die Zierplaketten darauf besaßen noch einen matten Glanz von Silber. Der Kerl besaß ein schnittiges Gesicht und einen gestutzten Bart, der sich über seinen Lippen wie bei den Franzosen pik fein kräuselte. Was hatte ein solcher Schnösel hier zu suchen?

Der Mann sah sich kurz um, dann stapfte ein in die Mitte der Straße. Seine Stiefel ließen den Matsch darunter schmatzen wie hungrige Köter und Marians Herz holperte einen Moment, als er nur knapp an einer der abgedeckten Furchen vorüber schritt. Seine Hand glitt unter sein Wams, schien etwas zu suchen und dann... hielt er plötzlich einen Pfeil in den Händen.

'Was zum Henker tut der da?'

Marians fragender Blick glitt auf die andere Seite der Straße, aber dort fand sie ebenso wenig eine Antwort. Stattdessen erkannte sie nun Robins Gesicht, welches voller Unglaube und Irritation aus der Vegetation, in die er sich so meisterhaft verkrochen hatte, heraus starrte. Auch er reckte neugierig das Kinn, um über einen Ast hinweg zu spähen.

Da trat der Fremde auf der Stelle und blickte auf den Boden, als suche er etwas. Er schien fündig zu werden - denn plötzlich grinste verschmitzt und ließ sich erst auf den Hintern und dann rücklings in den Dreck fallen.

'Was zur...?'

Marian blinzelte. Robin blinzelte. Beide blinzelten und verstanden nicht, was sich hier vor ihren Augen abspielte.

Da nahm der am Boden-liegende den Pfeil in die Armbeuge, klemmte ihn mit den Federn nach oben zwischen Brust und Arm... und da ging Marian ein Licht auf.

'Neinneinneinnein!'

Marian stockte der Atem, während sich ihr Herz in ihrer Brust überschlug.

In diesem Moment surrte es verräterisch auf der anderen Seite und Marian sah fassungslos dabei zu, wie Robin an dem Seil aus seinem Versteck im Baum hinabstieg und mit einem dumpfen Scharren seiner Stiefel auf dem Boden aufkam. Er schritt einfach auf die Straße, wo er neben dem Kerl, der da im Dreck lag, stehen blieb und in die Hocke ging, als wollte er einen Käfer betrachten.

„Was genau soll das werden, mein Freund?", erklang die Stimme des Diebes nonchalant und mangelnd jeder Ernsthaftigkeit, die dieser Situation angemessen gewesen wäre. Vor einer kurzen Weile noch, wäre sie an seiner Attitüde verzweifelt. Robin war im Krieg gewesen und sie hatte sich nach ihrer ersten Begegnung seit langer Zeit gefragt, wie er nach allem, was geschehen war, SO sein konnte. Er trieb Unfug, nahm kaum etwas ernst und verhielt sich kindischer denn je. Seit sie ihn jedoch in der Hütte erlebt hatte, wagte Marian zu vermuten, dass es Robins Art war, mit dem Erlebten umzugehen. Hätte er sich der Trauer hingegeben, vielleicht wäre er dann nicht mehr als ein antriebsloser Säufer in einer der schmutzigen Straßen Nottinghams. So wie viele andere der Männer, die aus dem Krieg gebrochen zurückkehrten. Robin jedoch sperrte alles in sich ein und verbarg es hinter einer ausschweifenden, lachenden Maske. Ob das gut gehen konnte, wusste sie nicht. Und es sollte ihr eigentlich egal sein, solange sie ein gemeinsames Ziel besaßen.

Marian wollte sich vor Frust die Haare raufen, doch dann wäre sie vermutlich vom Baum gefallen. Was tat dieser Narr? Verstand er den nicht, dass er nun dort wie auf dem Präsentierteller stand?

'Verdammt!'

Leidig verzog sie das Gesicht und versuchte Robins Blick erneut zu finden. Sollte sie rufen? Bloß nicht! Damit hätte sie ihre Position preisgegeben. Also, was dann? Sollte sie ihm einfach den Rücken decken? Das wäre vermutlich das vernünftigste.

Marians Gedanken überschlugen sich, als sie sich an den Baum lehnte und vorsichtig, ganz langsam, einen Pfeil anlegte. Ihre Augen huschten über die Büsche, Blätter und wackelnden Zweige zu beiden Seiten der Straße. Da war Bewegung im Unterholz, und das Herz wurde ihr schwer.

'Es sind noch mehr!', schoss es ihr in den Kopf und Panik machte sich in ihr breit. Ihr Blick glitt umher und Marian versuchte, die verborgenen Männer zu erspähen.

Dann jedoch vernahm sie in der Ferne das sich nähernde Klappern von Hufen... die Kutsche!




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