Kapitel 17 - Freund oder Feind
Der edle Brokat knitterte, als Marian ihre Finger darin vergrub und versuchte, ihre Gefühle niederzuringen.
Mit verkniffener Miene sank sie wieder auf das Polster ihres Stuhls zurück. Diesmal jedoch blieb sie aufrecht und steif sitzen, weil sie nicht die Ruhe besaß, sich entspannt zurückzulehnen.
Der Blick des Sheriffs hing ein paar Sekunden länger an ihr und Marian hasste es, wie er sie ansah. Missbilligung und Tadel mischten sich mit Argwohn in seinen Augen. Ein abschätziger Blick; als wäre sie ein kleines, hilfloses, aber wertvolles Häschen, das man am besten in ein sicheres Gatter einsperrte - bis man es endlich häuten und für seinen vorgesehenen Zweck benutzen konnte. Dann schritt er an der Tafel entlang, als wäre dies sein Zuhause, während er damit begann sich die schwarzen Lederhandschuhe von den Fingern zu zupfen.
„Aufgrund unserer langjährigen Freundschaft und Verbundenheit, Mylord, habe ich so lange wie möglich davon abgesehen, die Krone in London von den, nennen wir es 'Unannehmlichkeiten' hier in Nottingham ins Bild zu setzen.", begann der Sheriff. Seine Stimme floss wie schwarzer Samt dahin. Viel zu weich, viel zu glatt und gleichzeitig dunkel und kühl. Es gab kaum einen Klang, den Marian sie so sehr verabscheute wie diesen. Diese Vermessenheit, tatsächlich zu glauben, dass er im Recht war - einfach nur, weil er sein Handeln auf ein Gesetz stützte.
'Freundschaft und Verbundenheit?', hallte es in Marians Gedanken wider und sie hätte am liebsten laut und höhnend aufgelacht. Das Einzige, was den Sheriff zurückhielt, war die Angst um seinen eigenen Ruf und die Tatsache, dass diese Freundschaft ihm Vorteile erbrachte. Ansonsten hätte er jene abgeworfen, wie eine nutzlose Karte in einem Kartenspiel. Auch wenn in ihr vielleicht kaum mehr als ein Fingerhut königlichen Blutes steckte, so wäre die Ehe zwischen ihr und Guy eine Möglichkeit, sich endlich in die Reihen der höheren Adligen einzufügen. Der Sheriff hätte sich selbst vielleicht als ehrgeizig beschrieben. Marian nannte es machthungrig.
Ihr Blick fiel auf ihrem Vater, dessen Haltung sich kaum merklich verändert hatte. Das Lächeln aus seinen Zügen war schwach und bedeutungslos geworden, nicht mehr als höfliches Zucken mit den Mundwinkeln. Ihr Vater war ein kluger Mann und er wusste, was diese Worte implizierten. Wenn der Sheriff nach London schrieb, dann würde der Kronregent einen Schuldigen suchen. Und in diesem Fall war es entweder Earl De Burgh oder der Sheriff von Nottingham, an dem sich sein königlicher Ärger entladen würde.
„Der Vorfall gestern ist nicht mehr tragbar. Dass Zollhäuser außerhalb der Mauern bestohlen werden, das ist eine Sache, doch wiederholte Diebstähl hinter den Mauern ist etwas vollkommen Anderes". Die Augen des Sheriffs verbargen seinen gekränkten Stolz. „Er ist erneut entkommen und diesmal scheint er außerdem Verbündete innerhalb dieser Burg gehabt zu haben."
„Das sind schwerwiegende Anschuldigungen", setzte nun ihr Vater ein und Marian bemühte sich um einen entspannten Gesichtsausdruck. „Und was wollt Ihr der Krone berichten? Darf ich erinnern, dass Eure Versuche Robin Hood aufzuhalten bisher ebenso vergeblich blieben, wie die meinen? Meine Aufgabe ist es, dieses Fürstentum zu verwalten. Die eurige, Sheriff, ist es für Ordnung zu sorgen und einen feigen Dieb zu fangen!"
Marian sah einen Muskel unter dem rechten Auge des Sheriffs bei diesen Worten zucken.
„Gestern sind nicht nur Steuern entwendet, sondern auch ein Gefangener aus dem Kerker befreit worden. Jemand hat ihm dabei geholfen zu entkommen. Jemand mit Kenntnissen vom Schloss und seinen Gängen", meinte der Sheriff scharf und wandte jetzt seinen Blick auf Marian. Ein Raubvogel, der seine Beute ins Visier nahm und glaubte, blitzende Krallen und Drohungen würden ausreichen, um sie aus der Reserve zu locken. Bei den meisten jungen Mädchen hätte das vielleicht sogar funktioniert. Marian hingegen spürte nichts als eisigen Hass, der sie wie einen Schild gegen die einschüchternde Wirkung des Sheriffs abschirmte. „Und dann begegne ich mitten in der Nacht Eurer Tochter in den Fluren. Mit schmutzigen Füßen noch dazu."
Marian spürte, wie die Luft einige Grade kälter wurde. Diesmal wurden die Augen ihres Vaters schmaler, während sie den Sheriff fixierten.
„Meine Tochter neigt manchmal dazu, schlecht zu schlafen. Zudem war ein gehöriger Aufruhr in der Burg. Es wäre wohl eher verwunderlich, wäre sie davon nicht geweckt worden", meinte ihr Vater und auch seine Stimme nahm einen gehärteten Klang an. Er verteidigte sie eisern vor dem Sheriff, obwohl er selbst bereits Zweifel gehegt hatte. All die Enttäuschung und der Groll, den sie zuvor empfunden hatte, fielen von ihren ab wie Schnee vom Ast eines Baumes am ersten Frühlingstag.
„Es war warm und stickig in meiner Kammer, Sire. Ich gehe des Nachts manchmal in den Gärten spazieren. Das Gras und die Erde unter meinen nackten Füßen und der Himmel über mir, geben mir das Gefühl, dem Herrgott näher zu sein", log Marian und reckte dabei das Kinn. „Zudem ist es mir wohl kaum verboten, mich in den Gängen meines eigenen Hauses aufzuhalten! Oder habe ich dabei gegen ein Gesetz verstoßen?"
Der Sheriff selbst hatte ihr einst auf grausame Art und Weise gezeigt, dass das Wort von Adligen stets über dem von Männern wie ihm oder ärmeren Seelen stehen würde. Einfach nur, weil sie einen Titel trugen. Er mochte der Sheriff sein. Doch sie war die Tochter des Earls.
„Genug", mischte sich nun Earl De Burgh ein, der die Eskalation dieses Gespräches bereits vorausahnte. "Sheriff. Ich nehme an, dass die Andeutungen, die ihr hier aussprecht, dem Druck auf Euren Schultern anzulasten sind", sprach der Earl mit fester Stimme und griff dabei nach seinem Kelch. Als wäre das Anliegen des Sheriffs und seine Drohungen nicht mehr als einen Pfifferling wert, zeigte er ihm die kalte Schulter und erinnerte ihn so an seinen Platz. Es war eine spezielle Art dem Sheriff zu zeigen, dass er ihm überlegen war. Und er wusste, dass der Sheriff sich diesem Gefälle beugte. Denn es war Gesetz.
„Ich werde Euch gewiss nicht aufhalten, London zu schreiben. Es ist schließlich eure Pflicht und Aufgabe, der Krone Bericht zu erstatten. Doch Ihr solltet dabei bedenken, dass die Aufgabe, die Gefangenen in den Kerkern zu bewachen, ebenso in Eurer Verantwortung lag. Auch die Sicherstellung der Steuern ist genau genommen allein Eure Aufgabe, nicht die meiner Soldaten, Sheriff. Ich bin bereit, die Verantwortung für mein Versagen zu tragen. Aber seid ihr auch dazu bereit?"
Wäre die Lage nicht so ernst, Marian hätte vielleicht schadenfroh gelächelt als sie sah, wie die Fäuste des Sheriffs sich ballten und das Leder der Handschuhe leidig unter dem Druck knirschte.
„Es kann nicht so weitergehen wie bisher, Mylord!" Nun wurde der Sheriff tatsächlich lauter. „Ich kann das Verschwinden der Steuergelder weder decken noch entschuldigen. Es wird an seiner Majestät liegen, wie schwer er die Sachlage bewertet. Ihr steht ebenso in der Verantwortung wie ich, Earl De Burgh. Ihr habt die Mannstärke und die Mittel-"
Da hob der Earl die Hand und die Lippen des Sheriffs bildeten eine schmale Linie, als er verstummte.
„An meiner Bereitschaft Euch zu unterstützen, hat es auch nie gemangelt, Sheriff", meinte ihr Vater nun scharf, „Immerhin ließ ich Euch die Zählstube sogar in die Burg verlagern, oder irre ich mich? Aber weitere Anschuldigungen gegen mein einziges Kind, die Tochter eines Earls, wird auch die Krone nicht gutheißen." Earl De Burgh war ein gutmütiger Mann. Doch wenn es um den Schutz seines Kindes oder derartige Drohungen ging, endete seine Geduld.
„Selbstverständlich werde ich Euch auch weiterhin meine Unterstützung zusichern. Es ist nicht tragbar, diesen Dieb weiter auf freiem Fuß zu wissen. Es ist mir als Earl natürlich in höchstem Maße daran gelegen, den Dieb zu schnappen, um kein schlechtes Licht auf Nottinghamshire fallen zu lassen. Zudem sind wir schließlich alte Freunde", dabei fixierte der Earl nun die gewitter-grauen Augen des Sheriffs, der sich in sein Heim gewagt hatte und glaubte, ihn herausfordern zu müssen und der nun beinahe demütig aus dem Fenster sah und versuchte dem anklagenden Blick des Fürsten auszuweichen. „Wir stellen Euch Männer zur Verfügung, um Eure Reihen zu stärken und natürlich wird eine umfassende Befragung der Wächter und Dienerschaft stattfinden - die ich in Eure fähigen Hände lege. Und jetzt dürft Ihr Euch entschuldigen, Sheriff. Sicherlich wartet viel Arbeit auf Euch."
Im Saal war es so still, dass Marian nicht einmal wagte, zu atmen. Die Anspannung kribbelte förmlich wie kleine Nadelstiche auf der Haut.
„Eure Lordschaft. Mylady."
Der Tonfall des Sheriffs war gedämpft, als er auf dem Absatz kehrtmachte und die Halle mit großen, wütenden Schritten verließ.
Marian bemerkte erst jetzt, dass sich ihre Finger förmlich in die Armlehnen des Stuhls gebohrt hatten. Langsam löste sie jene und spürte ein unangenehmes Ziehen in den Fingern, doch noch wollte die Anspannung sie nicht loslassen.
„Auch Du kannst gehen, Marian."
Die Angesprochene blinzelte irritiert und vollkommen überrumpelt. Sie hatte, nach allem, was der Sheriff gesagt hatte, mit Fragen oder Tadel gerechnet. Mindestens mit einer Rüge, dass sie des Nachts ihre Gemächer nicht mehr verlassen sollte. Aber er sagte nichts dergleichen. Er sah sie nur an und es schien Kummer in seinen eisblauen Augen zu liegen.
„Ja, Vater." Marian war nicht gewillt, ihr Glück noch weiter herauszufordern. Deshalb nickte sie eifrig, und erhob sich von ihrem Platz, um den Saal ebenso rasch zu verlassen, wie es eben der Sheriff getan hatte. Außer Sichtweite presste sie die Hand auf ihr noch immer wild pochendes Herz. Das war gerade nochmal gut gegangen. Aber sie musste mit Robin über dieses Ereignis sprechen. Und das rasch.
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