Kapitel 14 - Eingekerkert
Marians Herz setzte einen Schlag aus und mit einem Aufschrei sprang sie zur Seite. Dabei stolperte sie über die Kiste zu ihren Füßen. Es klirrte, als der Inhalt darin verrutschte. Zum Glück konnte Marian den Sturz abfangen, sie landete dennoch unsanft auf ihrem Hintern. Eine Münze fiel aus einem der Säcke und das Pfund Sterling rollte über den Boden, wo es wie ein kleiner, gefallener Stern in der Dunkelheit glänzte.
Alarmiert fuhr Robin herum und stürzte sofort mit gezogener Klinge zu Marian, um sich der neuen Gefahr zu stellen. Blut tropfte von der Klinge und floss über die Hohlkehle bis zum Parier.
War ihnen jemand hier herunter gefolgt? Hatte sich doch noch ein anderer Wachmann im Schatten verborgen?
Marian lag am Boden, stöhnte und raffte sich gerade wieder auf.
„Was ist geschehen?!" Robin griff sofort nach dem Oberarm der Lady, um ihr aufzuhelfen. Ein Kettenhemd war schwer und erst jetzt fiel ihm auf, dass er sich keine Sekunde gefragt hatte, ob es nicht vielleicht zu schwer für Marian war.
„Ich... da war...", stammelte die Diebin und deutete zu der Zelle neben jener Stelle, an welcher Marian eben noch gestanden hatte.
„Bitte. Nur ein wenig Wasser", ächzte eine junge Stimme so leidlich, dass Marian und Robin Mühe hatten, ein Wort zu verstehen.
Vorsichtig machte Marian als erstes einen Schritt auf die Zelle zu und ihr Herz wurde schwer.
Das wenige Licht reichte kaum bis zu den finsteren Kammern, vor der dicke Eisenstäbe die Zellen von den Gängen trennten. Ihr Blick haftete sich an den zerlumpten Haufen, der dort an den Gitterstäben kauerte. Blondbraunes Haar des Jungen war verklebt von Blut und Dreck, genauso stand es um sein Gesicht. Die Lippen waren aufgeplatzt und verkrustet.
Er sah müde und erschöpft aus. Lange konnte der Junge jedoch nicht hier sein - sonst würde er zweifellos noch schlimmer aussehen. Allein seine Anwesenheit jedoch verwunderte Marian.
„Warum bist du hier?", fragte sie daher, während sie näher an die Gittrr trat.
„Ich-", krächzte es aus dem Schatten.
„Dafür haben wir keine Zeit!", zischte Robin, der erneut nach Marian griff.
Der Junge runzelte die Stirn. Seine Augen glitten zwischen den beiden komischen Wachen und der Kiste hin und her, in welcher... Gold schimmerte? Da begriff er und der Bursche riss die Augen weit auf.
„Ihr seid Robin Hood!", keuchte er laut auf. Sofort schien mehr Leben in ihn zurückzukehren und seine Finger umklammerten energisch die Eisenstäbe.
„Schhhhh!" Robins Augen funkelten dem Jungen mahnend entgegen.
„Ich bin Samuel", ächzte der junge Knabe, „Samuel Hughes. Ich komme aus Eldridge. Der Sheriff wollte meiner Familie den Hof wegnehmen. Aber der gehörte schon meinem Großvater!" Die Finger des Jungen legten sich fester um das angelaufene Eisen, „Da haben wir uns gewehrt", presste er hervor. Seine Stimme zitterte vor unterdrücktem Zorn. Doch dann wandelte sich der Ausdruck in Verzweiflung. Die Spannung fiel aus seinen Zügen und Tränen glänzten in seinen Augen. „Ich flehe euch an! Lasst mich raus! Nehmt mich mit!"
Robin verzog das Gesicht. Er war lange im Krieg und er wusste sehr genau, was andere Soldaten an seiner Stelle gesagt hätten: 'Wir haben keine Zeit, uns um ein Kind zu kümmern! Und mit uns ist er noch mehr in Gefahr als hier!'
Robins Körper spannte sich augenblicklich an. Vor seinen Augen sah der den Wüstensand Palästinas und Waisen, die im Dreck kauerten. Plötzlich wurde es dumpf in seinen Ohren und Übelkeit drückte ihm Galle in die Kehle. Seine Brust war eng, das Kettenhemd zu schwer... mit einem Mal war ihm, als kämpfte er um jeden weiteren Atemzug. Auf seiner Haut brach kalter Schweiß aus. Schreie... waren da Schreie...? Er konnte sie klar vernehmen, auch wenn er wusste, dass sie nur aus seiner Erinnerung, aus einem bösen Traum stammten. Er war hier, in Nottingham. Aber mit einem Bein stand er noch im Krieg.
„Ich hole die Schlüssel!"
Marians Stimme durchschnitt den Vorhang aus Finsternis und Blut, der sich um ihn zuzuziehen schien wie Nebel an einem frostigen Wintermorgen. Sie nahm ihm die Entscheidung ab und Robin spürte eine seltsame Erleichterung. Als zogen ihre Hände einen Mantel voller schwerer Steine von seinen Schultern und erlaubten ihm zitternd einzuatmen... wenigstens für diesen Moment.
Robin sah das Zögern, welches Marian überfiel, als sie an den Wachmann herantrat. Sie streckte die Hände zweimal aus und zog sie wieder zurück. Ihre Hände zitterten, als sie den Leichnam beiseiteschob und unter diesem nach den fallen gelassenen Schlüsseln griff.
„Warum ist ein Mann des Sheriffs hier? Sollten nicht eure eigenen Wachen die Kerker bewachen?", fragte Robin mit einem abfälligen Blick zur Seite. In seinen Augen waren jene, die für den Sheriff arbeiteten, nicht mehr als Dreck. Sie taten schreckliche Dinge und versteckten sich hinter den Befehlen eines ehrgeizigen Ritters. Als ob ihre Sünden reingewaschen werden würden, nur weil ein anderer den Befehl zu diesen Taten gab. Ekelhaft. Sie waren Feiglinge, nichts weiter. So sah er sie allesamt und es war ihm gleich, dass er sie über einen Kamm scherte.
Robin wandte sich ab und atmete zitternd ein. Feuchte, schwere Luft flutete seine Lungen, doch so widerlich es war, so sehr kühlte es etwas das schwelende Feuer in seinem Innern und besänftigte die Bilder vor seinen Augen.
Indessen schob Marian den Schlüssel in das verrostete Schloss der Zelle.
„Das weiß ich nicht. Wir haben eigentlich so gut wie nie Gefangene hier im Schloss. Ich wusste nicht einmal", sie brach ab und schüttelte den Kopf. Ihre Lippen bildeten eine schmale und bleiche Linie. „Ich wusste, dass der Sheriff grausam ist. Aber ein Kind einzusperren?"
„Ich bin kein Kind mehr", murrte der Junge höchst gekränkt und Marinas Miene wurde weicher - wenn auch nur um einen Hauch.
„Du warst sehr tapfer, Samuel", gestand sie ihm zu, doch dann alarmierte ein lautes Knallen einer Tür alle drei.
„Durchsucht jeden verdammten Winkel!", bellte eine zornige Stimme.
Keine Zeit mehr für Worte oder Freundlichkeiten. Sie hatten schon zu viel Zeit verloren!
„Schnell! Eilt euch! Folgt mir!" Marian griff nach der Kiste und führte Robin in den hintersten Winkel des Kerkers. Dort, hinter einem brüchig aufgebauten Wall aus Steinen und bröckeligem Mörtel wehte ihnen der modrige Geruch weit schwerer entgegen. Als sie nach den schweren Steinen griffen und ihre Hände sie grob und eilig einrissen, bis sich ein Loch in die Dunkelheit öffnete, drängte sich ein anderer Laut dazwischen: das Plätschern von Wasser.
„Das Gewässer führt euch hinaus. Der Abwassertunnel ist noch aus der Römerzeit und liegt sehr versteckt, kaum jemand kennt den Zugang. Von dort ist es nicht weit in den Wald", meinte Marian und Robins Gesicht zeugte von seiner Verwirrung. „Ich kann nicht mit euch kommen! Man wird bemerken, dass ich fehle. Ihr müsst ohne mich fliehen. Vielleicht kann ich den Sheriff und seine Leute unauffällig auf eine falsche Fährte führen." Marians Blick glitt immer wieder unruhig über ihre Schulter.
Robin widerstrebte es mit jeder Faser, Marian jetzt und hier allein zurückzulassen. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, doch am Ende hatte er keine Wahl.
„Pass auf dich auf", bat er dennoch und Marian lächelte schwach.
„Lasst euch nicht erwischen!", ermahnte sie ihn stattdessen und machte bereits auf dem Absatz kehrt. Robins Gesicht zierte ein unzufriedener Ausdruck. „Los Junge, schnapp dir die andere Seite!", meinte er dann und Samuel - voller neuem Tatendrang - tat wie ihm geheißen. Obwohl seine Knie weich waren, griff er beherzt mit beiden Händen nach der Kiste und gemeinsam schlüpften sie eilig in die Dunkelheit des Ganges.
Worte zerflossen zu Gemurmel in den Kerkern, die Robin und Samuel eilig hinter sich ließen. Die Aufregung stärkte den erschöpften Jungen für die Schritte, die notwendig waren. Dennoch taumelte er mehrmals und stolperte über den unebenen Boden. Als sie das Gewässer erreichten, an dem sich das Plätschern mit dem Gestank von Fäkalien und Unrat vermischte, warf Robin einen Blick zurück.
Vor ihnen lag die Freiheit. Hinter ihnen hallten die Schritte ihrer Verfolger. Obwohl sie die gehetzte Beute waren, galt Robins Sorge Marians Entkommen. Dabei konnte es ihm doch egal sein... oder nicht?
Hah. Marian war die Tochter des Burgherrn, die Verlobte von Guy, diesem Verräter... um sie musste er sich wohl kaum sorgen. Robin schnaubte, ehe er dem Tunnel den Rücken zuwandte und sich eilig mit Samuel im Schutz der Nacht davonstahl.
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