23.1 Kapitel - Großartige Beschützer
Mit aller Macht unterbrach Meo den rohen Magiestoß, der auf ihn zurollte noch bevor er seine wahre Manifestation annehmen konnte und hechtete vor. Sein Schwert schnellte durch die Luft und die Hiebe prasselten auf seinen Kontrahenten ein, der hastig zu parieren versuchte, dabei jedoch ins Stolpern kam. Meo holte aus und ließ die Magie in sich aufglühen. Sein nächster Schlag ließ die feindliche Waffe nutzlos in den Staub fallen. Der Windstoß war kurz und mächtig und Meo drehte sich unter dem Körper des anderen hinweg. Mit einem dumpfen Aufschlag ging der Mann zu Boden. Der Anführer der Shinejey war sofort bei ihm und hielt ihm die Spitze des Übungsschwertes an die Kehle.
„Ganz schlechte Konzentration, Juan!" Meo wandte sich von ihm ab und seufzte tief. Den ganzen Morgen schon ließ er seine Shinejey trainieren, härter als normal. Sie mussten noch viel schneller werden. Viel gerissener. Viel stärker. „Das muss alles noch viel besser werden!", rief er über den Kampfplatz. Gruppe um Gruppe seiner Shinejey hatte er heute schon über jenen gehetzt und bei keiner war er auch nur ansatzweise zufrieden gewesen. „Ein Werwolf ist ein ganz anderer Gegner, als ein anderer Mensch! Die Magie eines anderen kann man aufhalten oder zumindest eindämmen, wenn man seine eigene entgegenhält, aber gegen einen verwandelten Werwolf hilft euch nur euer Silberschwert!" Er drehte sich wieder zu Juan, der dabei war sich den Dreck von seinen Sachen zu klopfen. „Und deswegen solltet ihr es auch nicht verlieren!"
Der Hitze-Beschwörer hob fragend die Arme. „Meo. Dieses Schwert ist aus Holz."
„Ich weiß, dass das nur aus Holz ist!", brauste er auf. „Ich versuche euch auf den Ernstfall vorzubereiten! Euch alle! Aber keiner von euch strengt sich auch nur im Entferntesten an! Ein Werwolf ist kein Mensch, den ihr mit eurer Magie zerquetschen könnt! Niemand den ihr verbrennen oder ertränken könnt! Sie kommen immer wieder. Sie sind brutale, tödliche Gegner! Ein Klauenhieb von ihnen kostet euch einen Arm oder ein Bein. Ein Biss kann euch sämtliche Knochen brechen und eure Organe hervorzerren! Und solltet ihr nicht daran sterben, dann sucht euch das Schattenfieber heim und treibt euch in den Wahnsinn!"
Er zitterte und fragte sich, ob dies ebenfalls der letzte Widerhall seines Fiebers oder ganz allein Edrics Worten geschuldet war.
Ich werde dich dafür bestrafen!
Juan hatte während Meos Ausbruchs schuldbewusst seinen Kopf eingezogen und vergeblich versucht kleiner zu werden, die anderen Shinejey wirkten nicht weniger eingeschüchtert. Eine warme Hand legte sich von hinten auf die Schulter des Luft-Beschwörers und er zwang sich dazu durchzuatmen.
Überdenke deine Entscheidung lieber noch einmal!
„Vielleicht sollten wir eine kleine Pause machen", schlug Celine ihm sanft vor.
„Ja. Ja! Pause!"
Meo begann seine Schläfen zu massieren, während seine Kämpfer sich etwas zu trinken holten und zu tuscheln begannen.
„Du bist heute vollkommen aus der Fassung." Celine sprach ganz leise, als hätte sie Angst, dass sie jemand belauschen könnte. „Wenn du dich noch etwas ausruhen musst, leite ich das Training weiter."
„Nein, mir geht es gut!"
Ich werde deine kleine Ersatz-Familie umbringen, Meo!
Meo beobachtete wie Juan zu der Seite des Kampfplatzes ging, die mit einem Zaun versehen war. Otto vom Schwarzbach lehnte dort und kritzelte in das Notizbuch, welches er immer mit sich herumschleppte. Sein Aufzug war so merkwürdig fehl am Platze wie immer, grellbunte Farben bissen sich in seiner Kleidung und die rotglasige Schweißerbrille baumelte um seinen Hals. Der Werwolf-Prinz lungerte gerne bei den Shinejey herum jedoch wirkte er heute weniger glücklich als sonst, was wahrscheinlich an Ruth Temmener lag, die neben ihm stand und hemmungslos mit ihm flirtete. Meo stöhnte und ging ebenfalls zu den Werwölfen.
„Eine wirklich hübsche Zeichnung, mein Prinz! Ihr seid so talentiert", säuselte sie und klimperte mit den Augen. Meo wusste nicht wie sie es schaffte selbst in der strengen Uniform der Garde verrucht auszusehen.
„Ja, schon", murmelte Otto. Er sah nicht einmal zu ihr auf, so sehr war er vertieft in seine Arbeit.
„Sonderbare Gerätschaften, die Ihr da zeichnet, mein Prinz. So – wild, kreativ, aber auch mit einer sonderbaren Brutalität in ihnen!"
„Ja, schon."
„Ich besitze auch einige Gerätschaften, die diese Eigenschaften besitzen, wisst Ihr, mein Prinz?" Sie lächelte und entblößte eine Reihe weißer Zähne hinter ihren vollen Lippen.
„Ich habe dir schon so oft gesagt, dass du mich bei meinem Vornamen nennen und mich duzen kannst, Ruth!"
Das Grinsen der Werwölfin wurde zu einem Zähnefletschen und augenrollend drehte sie sich zu den Shinejey, die auf sie zutraten. Meo hatte genug Anstand so zu tun, als hätte er diese Konversation nicht gehört.
„Na Carrasco! Hast du deine Leute genug herumgescheucht?" Er seufzte. Nicht annähernd. „Du bist vielleicht ein guter Werwolf-Schlächter aber kein guter Motivator! Wenn du deine Shinejey immer so Anfährst ist es kein Wunder, wenn sie keine Lust haben. Richtig?" Celine übernahm das Schnauben für ihn. „Richtig! Ich weiß was! Wir sollten kämpfen! Deine Shinejey gegen meine Werwölfe und, um das Ganze etwas spannender zu machen, ziehst du dich immer aus, wenn meine Leute gewinnen und ich mich, wenn deine Kämpfer siegen! Klingt doch gut, richtig?"
„Ja!" – „Nein!"
Meo warf Juan einen wütenden Blick zu und selbst Otto guckte kurz irritiert auf.
„Ruth. Eigentlich wollte ich dich nur begrüßen, aber ich sehe, dass selbst du deine Pflichten nicht wirklich ernst zu nehmen scheinst!"
Neben ihm verdrehte der große Hitze-Beschwörer die Augen.
„Oh je. Du bist heute anscheinend gar nicht zum Spaßen aufgelegt!", stellte auch Ruth fest.
„Nein." Natürlich war er das nicht. Alle Anwesenden ruhten sich vollkommen entspannt auf ihrem Talent und ihren Kräften aus, auf ihrer Arteigene Unverwundbarkeit, auf Silberschwerter und auf den Ruf der Zitadelle uneinnehmbar zu sein. Sie waren alles Narren und feststellen würden sie es erst, wenn Edric Bleck es schaffte die Mauern zu überwinden, um sie alle abzuschlachten.
Ich werde deine kleine Ersatz-Familie umbringen, einem nach dem anderen!
Meo ballte seine Hände zu Fäusten.
Frustriert von ihren kläglichen Erfolgen bei den Männern um sie herum, stöhnte Ruth auf. „Wie dem auch sei. Du blockierst den Kampfplatz schon seit Sonnenaufgang und wir sind jetzt an der Reihe. Am besten bevor es regnet!"
„Niemand will schließlich den Geruch von nassem Hund in der ganzen Zitadelle haben", kommentierte Juan. Meo und Celine ließen sich zu einem Lächeln hinreißen, aber am Lautesten lachte Otto auf. Ruth fletschte die Zähne.
„Was ist daran so witzig?"
„Ist ein Menschenwitz." Der Prinz sagte es, als würde er zu ihnen gehören und sein Stift kratzte erneut über das Papier. „Oh Meo, Meo! Ich habe ...!" Er schnappte nach Luft und deutete dann auf sein Papier. „Ganz neue Ideen für Zeug für euch. Für ..." Er schnippte mit seinen Fingern und das Geräusch belastete Meos Nerven fast so sehr wie das Training. Gequält lächelte er. „Waffen! Ich mache euch neue Waffen! Das wird! Großartig!"
Ruth war eindeutig pikiert davon, dass der Anführer der Shinejey beim Prinzen mehr Euphorie auslösen konnte, als sie. Er hätte gerne getauscht.
„Ich bin – erfreut", seufzte er.
Ottos Augen begannen zu leuchten. „Meo! Meo! Ich werde! Ich brauche ein paar deiner Leute, um sie dann auszuprobieren!" Dafür hatten sie alle keine Zeit, aber den von Schwarzbach Geschwistern schlug man schwer Bitten aus. Darian und Alina aus offensichtlichen Gründen und Otto, weil er den Charme eines verwirrten Hundewelpen hatte.
„Ich weiß nicht", druckste Meo herum.
„Ja, aber ...", er verstummte und beugte sich wieder über seine Arbeit. Der einzige der wirklich erfreut schien war Juan, der sofort ein Stück vorsprang und in Ottos Notizbuch sah. Der Werwolf-Prinz hatte ihm Explosivgeschosse und Feuerpulver gebastelt, von dem Meo immer noch überzeugt war, dass er sich damit irgendwann selbst in die Luft jagen würde.
„Na sieh mal einer an!" Ottos ganzer Körper spannte sich an und gehetzt blickte er auf. Obwohl Meo diese Stimme ebenfalls unangenehm war, atmete er nur tief durch. „Der Feuerspucker und der Feuerlöscher!" Hinter ihnen kam Ben Bradeck auf sie zu, scheinbar furchtbar zufrieden mit seinem Witz. Oliva und Sophia flankierten ihn wie seine Leibwache. Sein Grinsen hatte er sich ziemlich gut von seinem Alpha abgeschaut und sein schlendernder Schritt war wohl die Erklärung warum sie viel zu spät kamen. Otto schlug sein Buch zu und wich einen Schritt zurück. Ben stellte sich zu den anderen Werwölfen, während Sophia und Oliva zu ihnen kamen.
„Ihr beide seid zu spät. Warum seid ihr mit Ben zusammen?"
„Ich weiß es nicht", knurrte Sophia leise und sah böse zu ihrer Schwester. „Ich weiß es wirklich nicht."
Oliva schwieg, aber das leuchtende Gesicht der Elektrizitäts-Beschwörerin bescherte Meo eine ganz neue Art von Bauchschmerzen. Er tauschte einen Blick mit Celine, ihr Gesicht war wütend verzogen, ehe sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Er nickte ihr zu.
Derweil rutschte der Beta immer näher an Otto heran, selbst wenn dieser immer einen Schritt mehr zurückzumachen schien.
„Otto, ich muss dir etwas Wichtiges zeigen!"
„Ich – ich habe wirklich keine Zeit. Ich muss – zurück."
„Es dauert auch nicht lange!"
„Oh, mein Beta!", mischte sich Ruth ein und beugte sich zu ihm. „Anstatt unserem Prinzen etwas zu zeigen, sollten Sie nicht lieber mir Dinge zeigen?" Ihr Gurren erfüllte den ganzen Platz. Ben starrte sie perplex an und Meo konnte sich nicht davon abhalten zu Oliva zu sehen, bevor er vortrat.
„Was denn?", fragte der Beta mit belegter Stimme.
„Die neuen Strategien zum Aufspüren des Königsblauen Bundes und der Schwarzen Asche." Selbst diese Worte sagte die Wölfin mit einer Stimme wie die pure Verführung.
„Genau. Es ist gut, dass Sie hier sind. Ich muss neue Befehle an meine Shinejey geben." Meos Stimme presste auch noch das letzte bisschen Freude aus Bens Gesicht und enerviert verdrehte der Beta seine Augen. Er wusste, dass es ihm nicht passte, dass er ihn nicht so hofierte wie den Alpha.
Der Werwolf stöhnte. „Durchsucht den Korynk-Bezirk!"
„Das tun wir bereits. Der ist riesig und es ist nicht einmal klar, ob wir da überhaupt fündig würden."
„Dann sucht weiter!"
„Das ist keine Strategie!"
„Ich überlege mir eine neue Strategie! Das braucht eben Zeit, Mensch!", knurrte Ben und seine Augen begannen wieder zu glühen. „So viel Zeit – ich habe in der Tat die Aufgabe zum Teil abgegeben. An Amalrichs komischen, bleichhäutigen Menschen. Der sucht jetzt die Schwarze Asche. Wende dich an ihn!"
Meos Magen drehte sich noch einmal um. „Was?" Aber Ben hörte ihm schon nicht mehr zu.
„Otto! Du musst mit mir kommen!"
„Die Schwarze Asch..."
„Vergiss die Schwarze Asche!", knurrte Ben. „Die Delegation aus Couvarde ist heute eingetroffen!"
„Die sollte erst in zwei Tagen im Hafen einlaufen." Ruths Stimme nicht gurrend, sondern verdutzt zu hören, war schon fast verwirrend.
Ben sah so aus, als wolle er dazu noch einen schnippischen Kommentar abgeben, aber dann schien er etwas hinter den versammelten Shinejey zu erblicken und sein Gesicht verfinsterte sich komplett.
„MEO! CELINE!" Der Beschwörer wirbelte herum. Seine Begleiterin brachte noch einen leisen Fluch über die Lippen, da wurde sie bereits mit Meo an jemanden hinter ihnen gezerrt und hochgehoben, als würden sie nicht mehr wiegen als kleine Kätzchen. „Meine alten Freunde!"
Emira hasste Dinge nicht. Aus Prinzip nicht. Hass war ein unglaublich starkes Gefühl, ein unglaublich starkes Wort, eines, was sie sich für besondere Anlässe aufsparen wollte. Jedoch hatte sie in kurzer Zeit eine gewisse – Aversion – gegen neue Kleider und Leuten, die an ihren Haaren herumwerkelten, entwickelt. Mit perfekten, schwarzen Locken, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur drehten und einem weichen, weißen Kleid, das sich an ihre Haut schmiegte, stolzierte sie an Darians Seite durch die Uhrwerk-Zitadelle.
Sie wollte das alles gar nicht. Am liebsten wäre sie zurück in das großzügige Zimmer gegangen, in dem die Werwolf-Dienerin ihre Frisur gemacht hatte und hätte sich dort unter den weichen Laken des Bettes zusammengerollt.
Darian hatte ihr die Situation erklärt. Sogar recht feinfühlig für seine Verhältnisse, mühsam versüßt mit Tee schwer vor Honig, der sich über ihre geschundenen Stimmbänder gelegt hatte. „Hast du eigentlich Familie? Also – mehr Familie?" Die Frage hatte sie alarmiert aufhorchen lassen. „Mein Cousin ist hier. Mein Vater war der Bruder seiner Mutter und sie war die Gefährtin eines Alphas. Er ist also auch ein Alpha." Als sie das gehört hatte, war der Tee in ihrem Magen zu einem eiskalten Stein erstarrt. „Sein Land ist nicht sonderlich groß. Couvarde."
„Franz von Küsterharm."
„Genau. Woher weißt du das?"
„Das haben wir in der Schule gelernt."
„Ah ja stimmt ja. Enrhym hat ja – Schulpflicht. Du siehst wirklich so aus wie jemand, der gerne lernt, weißt du?"
Sie hatte nicht gewusst was er damit meinte. „Nun ja – schon. Bildung ist wichtig." Sie hatte sich davor gehütet zu sagen, dass manche Menschen nur so die Möglichkeit hatten ihr Leben zu verbessern oder, dass sie selbst lernte, um eines Tages Tierärztin zu werden. Was aus diesem Traum werden würde, darüber hatte sie sich noch gar keine Gedanken gemacht.
„Ich habe lieber mit den anderen Wölfen trainiert, als mir schon wieder etwas von meinen Lehrern anhören zu müssen." Er hatte die Augen verdreht, als hätte ihn allein die Erinnerung zu Tode gelangweilt.
Emira hatte an all die Kinder gedacht, die in Minenschächten, Chemiefabriken und Dachstühlen arbeiten mussten, um zu überleben, ohne die Aussicht jemals ein anderes Leben führen zu können. Immer mit der Gefahr von Unfällen und Krankheiten im Nacken, die sie verkrüppeln oder töten konnten. Außerhalb von Enrhym gab es keine Krankenversicherungen, keine Invalidenrente. Sie sollte über so etwas Dunkles nicht nachdenken, ihr ging es schließlich gut. Ihre Eltern hatten ihr ein sicheres Leben ermöglicht und in der Uhrwerk-Zitadelle würde sie auch kaum Gefahr laufen durch eine fehlerhafte Sprengung zu sterben. Trotzdem hatte sie Darians Großspurigkeit verärgert und sie hatte versucht es durch einen skeptischen Blick auf ihre Haare zu verbergen. Die Nacht im Keller hatte ihr nicht gutgetan.
„Die Hauptstadt von Couvarde heißt Küsterstadt und der Alpha Franz von Küsterharm, das lässt sich wirklich leicht merken. Wie ... soll ich mich verhalten? Ich habe noch nie einen Alpha getroffen." Darian hatte seine Augenbrauen gehoben, jedoch dabei gelächelt. Emiras Magen hatte trotzdem rebelliert. „Ich meine ... den Alpha eines anderen Landes."
„Mit Franz zu reden ist recht – speziell." Er war neben sie getreten und hatte ihr seinen Arm angeboten. Überrascht hatte sie zu ihm aufgeblickt und er hatte charmant gelächelt. Kurz hatte sie wirklich vergessen, wie er war und ihr Herz hatte schneller geschlagen, als sie sich bei ihm untergehakt hatte. „Couvarde ist nicht sonderlich groß oder wichtig und die Alphas dort sind für ihr lockeres Leben bekannt. Mein Cousin ist genauso. Wenn nicht schlimmer." Ihnen war jede Tür geöffnet worden durch die sie gegangen waren und Emira war warm geworden, als ihr klar geworden war, wie sie hatten aussehen müssen.
Nun standen sie im Flur zum Salon. Emira holte noch einmal tief Luft, um sich für die Begegnung mit dem fremden Alpha zu wappnen, da sprang die Tür schon auf.
„Franz wir sollten doch warten!" Alina, die hinter dem großen Werwolf auftauchte, klang atemlos und die pure Hilflosigkeit, die sich auf ihrem Gesicht abzeichnete, alarmierte Emira. Dass sie, als sie ihren Bruder und sie sah, sofort wieder unbekümmert strahlte, machte es nicht besser.
„Oh. Da seid ihr ja beide!"
Emira hatte nicht gewusst was sie erwartet hatte, aber es war auf jeden Fall nicht das gewesen. Der Mann vor ihr sah Darian ähnlich, aber er hatte absolut nichts mit ihm gemein. Seine ganze Aura strahlte vor Sorglosigkeit und er hatte etwas Legeres und Lockeres an sich, ganz anders als der Alpha von Esparias. Er lächelte sie an und Emira erinnerte sich an die guten Manieren, die sie gelernt hatte. Respektvoll machte sie sich von Darian los, um sich vor dem Werwolf zu verbeugen, doch dieser hielt sie auf.
„Oh, kein Grund so förmlich zu sein!" Überrascht blickte sie zu ihm auf. Es würden eher die Monde ineinander stürzen, als dass sie diese Worte je von Darian hören würde, da war sie sich sicher. „Wir können gerne die Etikette überspringen, wenn es Euch – dir – recht ist."
„Natürlich. Gerne. Wie Ihr wünscht – eh", stotterte Emira sich zusammen.
„Oh je, wenn du nicht das süßeste Geschöpf des Festlands bist, das ich je gesehen habe!" Er reichte ihr die Hand und sie ergriff sie pflichtbewusst. Unvermittelt riss Franz ihren Arm hoch und führte sie in eine Drehung, die direkt an seiner Seite endete. „Sehr schön!", lobte er sie und legte einen Arm um ihre Schulter. „Wenn ich mich vorstellen dürfte, ich bin Franz von Küsterharm, Alpha von Couvarde und der Cousin dieser reizenden beiden." Wie selbstverständlich schob er sie mit der sanften Bestimmtheit eines Tänzers voran. Emira bemerkte wie bereitwillig sie seinen unausgesprochenen Anweisungen folge leistete. „Ich will Till suchen, kommt ihr?", waren die einzigen Worte die er an Alina und Darian richtete, ehe er sich wieder der Frau in seinen Armen zuwandte. „Aber genug von mir. Du musst Emira Sol'Artaire sein! Ich freue mich ja so sehr dich kennenzulernen! Erzähle mir etwas von dir!"
Sie erstarrte schockiert und suchte nach Worten, die leicht genug waren, um ihre Zunge zu verlassen.
„Ich ... ich ..." Ihr fiel beim besten Willen nichts ein, was sie antworten konnte.
„Oh ganz ruhig", säuselte er und schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. Ein kleiner Teil ihrer Anspannung verflüchtigte sich. „Wo kommst du her?"
„Enrhym."
„Oh ja. Das Grüne Juwel. Eine wundervolle Stadt, nicht wahr?"
„Ja, sehr."
„Und was machst du in Enrhym?"
„Ich gehe noch zur Schule."
„Oh wie interessant! Und was machen deine Eltern?"
Sich selbst umbringen, indem sie den Alpha des Landes herausfordern. „Mein Vater ist Zimmermann. Meine Mutter ist Tierärztin."
„Das ist ja reizend! Tierärztin!" Er lächelte dabei und sie wusste nicht ob er sich über sie lustig machte oder nicht. „Ich meine nur – weil wir so etwas ja nicht brauchen", beschwichtigte er sie und peinlich berührt fragte Emira sich warum er so schnell ihre Verunsicherung bemerkt hatte. „Und was möchtest du nach der Schule tun, Emira?"
Die Frage verblüffte sie. „Ich ... ich wollte auch studieren und auch Tierärztin werden."
„Wie deine Mama!"
Sie meinte hinter sich Darians Knurren zu hören, so tief, dass sie es noch in ihrem Brustkorb spürte. Ihr Bauch begann zu schmerzen und sie musste sich davon abhalten, zu ihm herumzuwirbeln.
„Ich meine – ich ...", stammelte sie.
„Es ist doch wunderbar zu sehen was für Ziele Menschen haben! So dezidiert und entschlossen! So ungebunden und frei!" Aus Franz' Mund klang es, als wäre er neidisch auf sie, aber auf die Art wie erdgebundene Kreaturen neidisch auf Vögel waren, bis ihnen wieder einfiel, dass sie weitaus länger lebten. „Nun bist du Luna! Warst du schon einmal außerhalb von Esparias?"
„Ich – nein."
„Oh, Couvarde ist wunderschön, musst du wissen! Als Mutter deines Landes wirst du auch die anderen Staaten bereisen und solltest unbedingt auch Küsterstadt besuchen! Die Strände sind kilometerlang und zum Niederknien! Viele hohe Werwolf-Familien verbringen ihren Urlaub dort. Wenn dir also das einladende Wetter", sie betraten den Hof. Emira hatte nicht einmal bemerkt wie weit sie schon gegangen waren geschweige denn in welche Richtung, aber Franz schien sich sehr gut auszukennen. Abschätzig blickte der Alpha von Couvarde auf zum wolkengrauen Himmel über ihnen. „von Craycarasz einmal zu viel werden sollte, solltest du uns unbedingt besuchen kommen!"
Craycarasz war ihr schon zu viel ohne das Wetter mit einzubeziehen.
„Das ist wirklich ... großzügig. Ich ha..." Weiter kam sie nicht, ein heiserer Schrei ließ sie zusammenzucken. Kalter Schweiß brach ihr aus und sie spürte ihren Herzschlag in ihren Ohren.
„Ganz ruhig." Franz' gelassene Präsenz beschwichtigte sie mehr, als seine Worte und zum ersten Mal fragte sie sich wie er so viel anders sein konnte, als Darian.
Sie näherten sich dem Trainingsplatz, wo ein riesiger Werwolf-Mann, den sie noch nie gesehen hatte, Meo und Celine in seine Arme geschlossen und hochgehoben hatte, als würden sie nichts wiegen. Die beiden Beschwörer schienen die Behandlung nicht sonderlich zu genießen und entwanden sich seinen Liebkosungen. Der Werwolf-Krieger begann sich mit ihnen lachend zu unterhalten und die Mienen der Anwesenden hellte sich wieder auf, während Emira noch versuchte zu erraten, in welchem Verhältnis sie nun alle zueinanderstanden.
Wie aus dem Nichts trat Ben auf sie zu, sein Gesicht zu einem schelmischen Grinsen verzogen, hätte sie wohl an jedem anderen Tag erwidert, doch nicht heute.
„Willkommen in Craycarasz, Franz! Wie ich sehe, hast du schon die neue Luna kennengelernt. Pass auf! Die hat schon ganz schön viel auf dem Kerbholz." Er meinte es sicher nicht böse, aber sie war nicht für Späße bereit. Der Alpha schien genauso angetan von Bens Präsenz wie sie und Emira bemerkte die kurze Anspannung in seinen Muskeln, als der Beta ihn duzte.
„Oh ja, Kerbholz! Wie man mit Kerbholz in die Zitadelle kommt davon weißt du und deine Familie sicher am besten Bescheid. Und wenn man genug Kerbholz gesammelt hat, kann man sich auch ein paar sehr schöne Dinge kaufen, nicht wahr? Edelsteine, Gold, Land, hohe Posten." Ohne Ben anzublicken ging Franz weiter. Wie vor den Kopf gestoßen blieb der Beta stehen und sie bekam mit wie Darian ihn mit einer ungeduldigen Handgeste zum Gehen aufforderte.
Mit neu entfachter Freude führte Franz Emira zu dem fremden Mann. Der Werwolf war ein großer Kerl, wahrscheinlich so groß wie Mya, seine langen Haare hatte er kunstvoll an einer Seite seines Kopfes geflochten, ehe er sie mit dem Rest seiner Mähne auf seine Schultern hinabfallen ließ. Seine außergewöhnliche Frisur war nicht das einzige, was Emiras Aufmerksamkeit auf sich zog, die Tinte von Tätowierungen floss von seinen Oberarmen bis hinab zu seinen Fingern.
Als der Mann sie erblickte, kam er mit beschwingten Schritten auf sie zu und verbeugte sich tief und akkurat vor Darian, der dies mit einem süffisanten Lächeln zur Kenntnis nahm, ehe er sich an Alina wandte und charmant ihre Hand an seine Lippen hob.
„Darf ich vorstellen? Das ist Till Sturmhardt", erklärte Franz, als der Krieger schließlich zu ihnen trat und Emira fragte sich plötzlich, ob er wirklich nur ein Krieger war, weil er sie auf eine ganz merkwürdige Art anlächelte und die Stille sie nervös machte. Sie verbeugte sich.
„Oh!" Der große Werwolf hob seine Hände. „Ganz ruhig! Gleichgestellte verbeugen sich nicht voreinander."
„Gleichgestellt", wiederholte sie perplex, ihr Hirn unfähig diese Information zu verarbeiten. Dann legte ihr Gegenüber in einer liebevollen Geste seinen Kopf an Franz' Schulter und sie verstand. „Oh!", entfuhr es ihr etwas zu laut. Hinter ihr schnaubte Darian abschätzig. Sie wusste, sie hatte einen Fehler gemacht.
„Till ist mein Gefährte und Anführer meiner Leibgarde."
„Nun ja – zurzeit wohl mehr Gefährte als Leibgarde. Am Eingang der Uhrwerk-Zitadelle haben sie mir meine Silberäxte abgenommen, aber schließlich ist dieser Ort einer der Sichersten aller Werwolf-Länder. Einst diente ich hier den von Schwarzbachs und arbeitete zusammen mit Tetjus, Meo und Celine." Till deutete auf die Shinejey hinter ihnen, die respektvoll Haltung vor den beiden Alphas angenommen hatten. Neben ihnen bemerkte Emira auch Ruth Temmener, die sich ebenfalls verneigte. Auch Otto war anwesend und schlich leise zu seinen Geschwistern. Alina warf ihm einen kurzen Blick zu und ihr rothaariger Bruder wich einen Schritt von ihnen zurück. Darian ignorierte ihn vollkommen. Für einen Außenstehenden sah es kaum so aus, als wären die drei verwandt. Emira sah schnell wieder zu den beiden fremden Werwolf-Männern und dachte noch einmal über Tills Worte nach. Wie konnte dieser große Kerl gleichzeitig Anführer der Leibgarde und Gefährte sein? War das nicht widersinnig? „Was ist? Warum siehst du mich so an? Hast du eine Frage?" Till lächelte gutmütig, aber Emira wurde trotzdem heiß, als ihr klar wurde, wie viele Leute sie nun anstarrten. Nervös knetete sie ihre Finger. Sie konnte unmöglich ihre Gedanken aussprechen.
Plötzlich trat Darian zu ihr, auf seinen wunderschön geschwungenen Lippen ein gönnerhaftes Lächeln. „Menschen sind leider nicht so weit entwickelt wie wir Werwölfe und die meisten von ihnen verurteilen gleichgeschlechtliche Beziehungen. Na ja. Man kann es ihnen nicht vorwerfen. Die Göttin kümmert sich nicht um sie."
Das Menschenmädchen spürte wie ihr heißes Blut ins Gesicht schoss und verzweifelt biss sie ihre Zähne aufeinander. „Da – das stimmt nicht!" Die Worte hatten ihre Zunge schneller verlassen, als sie sie aufhalten konnte. Ihr Magen wurde schwer und sie spürte den kalten Schweiß in ihrem Rücken. „Ich – ich habe mich nur gefragt wie ...", sie stockte. Ihre Augen hefteten sich auf Tills sonnengebräunte Haut. „Wie schaffen Werwölfe es sich zu tätowieren? Müsste der Körper nicht die Farbe abstoßen?"
Überrascht blickte der große Mann auf seine Arme hinab. „Mhh. Was denkst du wie ich das gemacht habe?"
Emira schluckte. „Vielleicht mit einer Silbernadel oder ... vielleicht war Silber in der Farbe, sodass sie nicht ausgeschieden werden konnte."
„Ausgeschieden, ja? Dann wäre das Silber ja immer noch unter meiner Haut und würde mich an der Verwandlung hindern."
„So wenig reicht? Nun ... und wenn man es nach der Ausheilung entfernen würde? Würde das gehen?" Das klang ziemlich umständlich und sie überlegte weiter. Über Wege zu sinnieren Farbe unter Werwolfhaut zu bekommen, war eigentlich unsinnig, aber sie vergaß wo sie war und plötzlich fühlte sie sich zum ersten Mal so, als wäre sie hier richtig.
„Silberpartikel entfernen? Dazu bräuchte man einen wirklich begabten Erd-Beschwörer. Celine!" Till drehte sich zu ihr. „Du würdest sowas können, nicht wahr?"
Die Shinejey lächelte. „Ich kann jedes Quäntchen Silber aus dem Fels ziehen, auf dem wir stehen."
„Beeindruckend, nicht wahr?", wandte Till sich dann an seinen Gefährten und Emira nutzte den kurzen Augenblick für einen Seitenblick auf Darian. Er hatte seine Kiefer zusammengebissen und sah einen kurzen Moment wütend aus, ehe er sie wieder anlächelte.
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