21.1 Kapitel - Familienausflug
Inhaltsnotiz: Rassismus
Als Ariana erwachte, war sie wach. So unglaublich wach.
Ihre Familie war die ganze Morgendämmerung über gewandert, immer weiter, bis sie zu diesem Gasthaus gekommen waren und die Unauffälligste von ihnen ein Zimmer nehmen konnte. Ironischerweise war die Unauffälligste von ihnen die zwei Meter große, tätowierte und gepiercte Frau gewesen, jedoch hatte auch niemand in Enrhym gesehen, dass Mya ihnen geholfen hatte zu entkommen. Und demjenigen, der es gesehen hatte, hatte sie ein Schwert und den Stab mit Kadens Werwolfgift in die Brust gerammt und ihn danach in einem Seitenarm des Glialt versenkt. Ihr Herz schlug immer noch schneller, wenn sie daran dachte und aufgeregt sah sie sich um, ob die anderen auch schon wach waren. Ihre Eltern natürlich, sie hatten noch nie viel Schlaf gebraucht, aber Kaden lag noch immer neben ihr und bewegte sich unruhig. Draußen vor dem Fenster neigte sich die Sonne gerade dem Horizont entgegen und sie freute sich zum ersten Mal darüber, dass sie ihren Schlafrhythmus so zerstört hatte. All die Geheimniskrämerei vor ihren Eltern, all die Nächte die sie mit Kämpfen zugebracht hatte und all die Morgen an denen sie noch vor dem Sonnenaufgang zu Hause war, um so zu tun, als würde sie sie nicht alle betrügen. Als hätte sie ehrbare Arbeit zu der sie Frühs aufbrach und von der sie am Nachmittag zurückkehrte, während sie in Wirklichkeit den Tag in Renatos Lagerhallen verschlafen hatte, all das zahlte sich jetzt aus, denn dieses Leben war nun vorbei und der Gedanke erfüllte sie mit Ekstase.
Heftiger als es nötig gewesen wäre, rammte sie ihre Finger direkt in die Stelle in der Kadens Rippen in seinen weichen Bauch übergingen und der Junge schrie erschrocken auf, ehe er sich von ihr weggrollte und vom Bett fiel. Ariana zog kichernd ihre Beine an ihren Körper.
„Hör auf Kaden zu quälen, Ariana!", rief ihre Mutter sie zur Ordnung.
„Ich quäle ihn doch gar nicht", verteidigte sie sich.
Mya hatte ihnen ein Zimmer für drei Personen besorgt, das einzige was kein allzu großes Aufsehen erregt hätte. Ihre Eltern hatten sich in das Ehebett zurückgezogen, während Ariana mit dem Freund ihrer Schwester diese Pritsche hatte teilen müssen. Mya hatte sich, auf eigenen Vorschlag, auf dem Teppich zusammengerollt, eine erstaunliche Leistung, wenn man ihre Größe beachtete.
Kaden rappelte sich mühsam auf und sah wie ein geprügelter Hund zu ihr.
„Warum hast du das gemacht?", jammerte er und er tat ihr fast leid. Den Ringen unter seinen Augen nach zu urteilen hatte er kaum Ruhe gefunden, während sie ihre unglaubliche Gabe benutzt hatte überall sofort einschlafen zu können.
Sie zuckte mit den Schultern und zupfte ein paar von Kadens münzgroßen Schuppen vom Bettzeug. „Wir müssen bald weiter. Die Sonne geht unter." Ihr Einwurf wurde sogar von ihrem Vater mit einem abschätzigen Nicken bedacht.
Kaden setzte sich ans Fußende ihres Bettes. Sie fragte sich ob ein Teil seiner Schlaflosigkeit davon herrührte, dass er neben ihr hatte liegen müssen. Sie hätte das Bett auch lieber mit der riesigen Werwolfschlächertin geteilt.
Ariana blickte sich aufgeregt im Zimmer um. „Wo ist Mya?"
„Weg."
„Weg?", wiederholte die Begabte ungläubig. Sie brauchten sie! Jemanden der so beeindruckend war, jemanden der so entschlossen und brutal handelte – die Reise nach Craycarasz dauerte mit dem Zug schon zwei Tage! Ohne sie wären sie doch komplett verloren!
„Ist vielleicht auch besser so!", beschied ihr Vater und Ariana warf ihm einen wütenden Seitenblick zu. Ihr schmuckloser, direkter Vater, der nichts an sich heranließ und sich mit Werwölfen verbündete.
„Wir sollten unsere Sachen zusammensuchen und von hier verschwinden!", sagte nun auch ihre Mutter.
„Aber...was ist denn jetzt mit Mya?" Ariana hasste es wie quengelig ihre Stimme klang.
„Sie ist fort und wir können nicht auf sie warten! Schon das wir uns überhaupt auf sie eingelassen haben, war doch...Wahnsinn!", knurrte Jannis, als er seine wenigen Sachen zusammensuchte.
Überrumpelt sah sie zu ihrer Mutter, aber auch sie schien nun plötzlich so zu denken. Typisch.
„Aber wir brauchen sie! Gestern wolltet ihr sie doch noch mitnehmen!"
„Ja", stimmte Beatrice ihr zu, aber in ihrer Stimme schwang ein komischer Unterton mit. Als müsse sie sich erst wieder daran erinnern, warum sie der großen Frau vertraut hatte und als könnte sie nicht mehr ganz nachvollziehen wie sie zu dieser Entscheidung gelangt war. „Aber jetzt ist sie fort und wir sollten hier weg. Nachher verrät sie uns doch noch an die Werwölfe!"
„Was?" Ariana war mehr als fassungslos, während Kaden neben ihr erleichtert seufzte.
Soweit sie es beurteilen konnte, hatte das Benehmen der Begabten ihm den ganzen Morgen schon nicht gefallen. Als sie gegangen waren, war Ariana immer in Myas Nähe gewesen, während der Chemiker dafür gesorgt hatte, dass er genug Abstand zu ihr gehalten hatte.
„Sind alle Sonnenverehrer eigentlich so wie du?", war eine der vielen Fragen gewesen, die sie Mya gestellt hatte und immer wieder hatte die Frau ihr ihr Gesicht zugewandt und sie gutmütig angelächelt.
„Nein, das sind sie nicht."
„Mhh", hatte Ariana dann immer gemurmelt, während Mya wieder nach vorn gesehen hatte, aufmerksam auf den Weg achtend, bis Ariana die nächste Frage aussprach und sich das Spiel wiederholt hatte. „Bist du die Stärkste von ihnen?!"
„Sonnenverehrer besitzen eine riesige Vielfalt an Stärken. Selbstverständlich kann ich nicht alle haben."
„Mhh. Und im Kämpfen? Bist du da die Stärkste von Ihnen?"
„Ich schätze nicht."
„Mhh. Gibt es denn Leute die stärker sind, als du?"
„Der Leibwächter der WaldClan Königin, Raidar Sedat, soll sehr gut sein. Luin und Ghandra, der Schwarz-Weiße-Tod der Flammentänzer, sind wohl sehr gefährlich und es wäre sicher auch klug Marxa Xorig aus der Wüste Tel nicht herauszufordern."
Arianas folgender Laut war voller Bewunderung gewesen und kurz hatte sie es wirklich bei diesen Aussagen belassen, ehe sie weitere Fragen beantwortet haben wollte.
Und nun sollte Mya einfach weg sein? Diese großartige Frau, die Werwölfe tötete, sich von Häuserdächern stürzte und so unglaublich beeindruckende Leute kannte? So etwas konnte man sich nicht ausdenken und die Vorstellung das Land hinter dem Sturmmeer nicht zu Gesicht zu bekommen, erfüllte sie mit Wut.
„Na los! Beeil dich!"
„Aber was ist denn mit Mya und ihrem Versprechen uns zu helfen? Wo sollen wir denn hin ohne sie?"
„Erstmal müssen wir nach Craycarasz kommen! Am besten ohne verraten zu werden und dann sehen wir weiter!"
„Mya würde uns nicht verraten", behauptete Ariana eisern, aber sie wusste, wie hohl ihr Argument war. Eigentlich kannten sie diese Frau gar nicht. Wenn sie losgezogen war, um Wachen zu holen, konnten sie nichts tun. Missmutig packte sie ihre Sachen zusammen. Immer wieder sah sie dabei erwartend aus dem Fenster, aber Mya tauchte nicht wieder auf, fast so, als hätte sie sich die Mähnenwerwolffrau nur eingebildet. „Wohin wollen wir denn eigentlich?"
Warrhym war, wie der Name bereits verriet, eine der Vorstädte von Enrhym. Nah genug um zum ‚Grünen Juwel' dazugezählt zu werden, aber eigentlich viel zu weit weg, um davon zu profitieren, es zu tun. Die einzigen Attraktionen des Ortes waren der gewaltige Funkturm am Horizont, der Hafen am Glialt, gefüllt mit Werwolf-Protz-Yachten und -Booten und diese Kneipe. Ihr Vater hatte es wirklich geschafft sie zu zwei der drei Orte zu führen und Ariana erfüllte plötzlich die unangenehme Vorahnung arbeiten zu müssen.
„Was wollen wir hier? Wir müssen einen Zug finden!", knurrte sie unerfreut und sah sich misstrauisch um, einerseits um die Werwölfe zu beobachten, andererseits weil sie hoffte, dass Mya wieder auftauchen würde.
„Ach Züge!", schnaubte ihr Vater da und grinste seine Frau überschwänglich an. „Lasst uns etwas trinken gehen", schlug er vor und hielt dann die Eingangstür für seine Frau auf.
„W-was?" Kaden wurde mit fortschreitendem Abend immer blasser und Ariana verdrehte die Augen.
„Von mir aus!" Sie trat vor und hielt ebenfalls die Tür auf, dieses Mal für den Chemiker.
Drinnen war es warm und stickig. Obwohl es noch recht früh am Abend war, war die Bar gut besucht und dem Geruch aus der Küche nach zu urteilen, konnte sie sich auch denken warum. Ihr Magen knurrte. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee gewesen hier abzusteigen.
„Los kaufen wir uns was zu futtern. Mit vollem Bauch lässt es sich weitaus besser vorankommen, als mit leerem!"
Unwohl blickte Kaden sich nach den Gästen um. „Ich...ich habe kein Geld bei mir."
Ariana sah ihn enerviert an. „Keine Sorge ich mach das schon", versicherte sie ihm großspurig, hob selbstsicher ihr Kinn und schritt ihren Eltern nach. Menschen waren in diesem Lokal eindeutig in der Minderheit und die anwesenden Werwölfe prosteten sich ziemlich selbstzufrieden über ihr Essen hinweg zu. Viele von ihnen waren aufwändig zurecht gemacht, andere trugen legere Eleganz zur Schau und absolut niemand schien sich sonderlich für die vier zu interessieren. Das Knarzen eines Stuhles hinter ihr alarmierte sie und fragend sah sie über die Schulter.
Kaden war stehengeblieben, sein ganzer Körper eine vollkommene Entgleisung der Angst. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine Haut kränklich grau und seine Muskeln steif vor Schreck, aber bei seinem Gegenüber war dies auch kein Wunder.
Schwarze Federn rauschten über den Boden, lang genug, dass die Kreatur keine Kleidung benötigte. Seine langen Krallen schabten über den hölzernen Boden und seine Schwanzfedern wippten aufgeregt. Die Hand, mit welche es Kaden gepackt hielt, war keine richtige Hand, sondern die schuppige, in spitzen Klauen endende Abart, die diese Wesen besaßen und von der sich ihre gewaltigen Schwungfedern herabstürzten. Die Kreatur hatte nicht einmal annähernd ein menschliches Gesicht, sondern den schmalen Schädel eines Raben, mit dunklen Augen und einem grausam gebogenen Schnabel, welchen es bewegte, als es sprach.
„Es ist Dunkelheit in dir." Seine Worte waren ein merkwürdig gebildetes Konstrukt aus gekrächzten und geflüsterten Lauten. Kadens Gesicht nahm eine noch ungesündere Farbe an. „Sie ist bitter-süß", wisperte die Kreatur weiter. „Du solltest mit mir kommen."
Sofort trat Ariana vor und schlug energisch die Klauen der Bestie beiseite. Die Berührung seiner Schuppen jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken, aber sie zeigte keinen Funken Schwäche, als sie sich vor dem Rabenmenschen aufbaute. Okkura gab es auch in Enrhym, aber dort hatten sie genug Anstand die Gesetze und Regelungen des Rates zu befolgen und in ihren Kathedralen zu bleiben. Schließlich hatten sie in Gatar ihre nächst größere Heilstätte und näher wollte man so viele von ihnen nicht am fröhlichen, lebendigen Kern von Enrhym haben.
„Gibt es hier ein Problem?", knurrte sie und baute sich so auf, dass der Kreatur klar sein sollte, dass sie zu einem Problem werden konnte.
Der Okkura blinzelte mit seinen dunklen Augen, die Ariana viel zu intelligent vorkamen für ein Wesen, dass sich nicht in einen Menschen verwandeln konnte und für immer an eine so tierische Gestalt gebunden war.
„Die Dunkelheit ist auch in dir", sagte der Rabenmensch unheilvoll. „Sie brennt mit kränklich violetter Flamme, aber ich kann dich noch davon heilen. Komm mit mir!"
Ariana verengte ihre Augen zu Schlitzen und das Knistern von elektrischer Energie erfüllte plötzlich die Luft zwischen ihnen, während sie drohend ihre Faust hob.
„Hast du schon einmal einen Vogel gesehen, der vom Blitz getroffen wurde?"
Der Okkura wich zurück. Seine Federn rauschten wie ein Umhang und seine Klauen klickten, als er zum Ausgang schritt und schließlich in der sich anbahnenden Nacht verschwand.
Ariana ließ ihre Magie verklingen und sah sich prüfend um. Niemand schien das kleine Intermezzo mitbekommen zu haben.
Sie blickte zu Kaden. Der junge Mann war noch mehr in sich selbst zusammengesackt als sonst, seine Augen schimmerten vor Angst und er zitterte.
Unwohl ließ die Begabte ihre Finger knacken. „Es wäre lustig gewesen, wenn er gehüpft wäre. Ich finde er hätte hüpfen sollen! Weißt du? So wie Vögel das machen."
„Warum machst du so etwas immer wieder?", wisperte er. Es schien ihn all seine Kraft zu kosten sich zu ihr umzuwenden und ihr direkt ins Gesicht zu sehen.
Seine sich dort widerspiegelnden Gefühle waren ihr unangenehm und sie blickte schnell zu ihren Eltern. „Es hat gesagt ich sei Violett! Violett? Ich hasse Violett!" Sie beeilte sich zu Beatrice und Jannis aufzuschließen. „Komm jetzt!"
Ihre Eltern fragten sie verwundert, was passiert wäre und sie antwortete genervt damit, dass sie eine Begegnung mit einem Okkura hatten. Ihr Vater wirkte dadurch beunruhigter, als er sein sollte.
„Wir sollten uns beeilen, von hier fortzukommen", murmelte Jannis und nahm einen langen Schluck von seinem bestellten Bier.
„Und warum sind wir dann überhaupt hierhergekommen?", schnaubte sie und warf einen neidischen Seitenblick auf ihre Mutter, die einen mit kaltem Saft verdünnten Weißwein in ihrer Hand schwenkte. Sie brauchte auch ganz dringend was zu trinken, wenn sie das alles überstehen wollte.
Ihr Vater seufzte tief und sah dann zu Kaden. „Geht's dir gut, Junge?"
Der Chemiker zuckte zusammen. „Ja", log er dünn.
„Möchtest du etwas essen? Oder trinken?" Beatrice beugte sich suchend vor, um die angegebenen Speisen auf der Tafel zu inspizieren.
„Nein."
Ariana verdrehte die Augen. „Was..."
„Iss mal etwas, Junge", wies ihr Vater an. Seine Augen hatten plötzlich zu funkeln begonnen und er fixierte mit einem zufriedenen Grinsen einen Punkt im Raum. „Ich kümmere mich um alles." Er stieß sich vom Tresen ab und ging zielstrebig durch die stickige Kneipe.
Der Anblick der Ofenkartoffel auf dem Menüplan führte Ariana wirklich in Versuchung, aber als sie sah, worauf ihr Vater so zielstrebig zusteuerte, folgte sie ihm sofort.
In einer recht erleuchteten Ecke, für solch zwielichtige Gestalten, saßen vier junge, weiße Männer. Drei auf einer Seite und einer auf der anderen. Der einzelne knurrte frustriert auf, als er seine Karten auf den Tisch warf und das Ergebnis mit dem seines hämisch lachenden Gegners verglich.
„Mehr Glück beim nächsten Mal, Eckhardt! Was ist, willst du noch einmal?" Seine Arroganz und seine Siegessicherheit tropften von jeder Faser seines kantig geschnittenen Gesichtes und Ariana hätte dem Kerl beinahe anerkennenden Respekt gezollt, wenn er kein verdammter Werwolf gewesen wäre.
Eckhardt winkte ab. „Nächstes Mal." In seinen Augen standen eindeutig noch bösere Worte, aber er erhob sich und stapfte zornig davon, anstatt sie auszusprechen, etwas, was sie wohl nie können würde.
Der Gewinner lehnte sich zurück und seine Kumpanen strichen das Geld ein, welches auf dem Tisch lag. Mit hungrigen Augen sah er sich um. Ariana hatte zu ihrem Vater aufgeschlossen, aber das Klingeln hörte sie erst jetzt. Entsetzt drehte sie sich zu ihm, der dicke Geldbeutel in seiner Hand klimperte, als er damit herumspielte. Ihre Eltern verfügten über weit mehr Kapital, als sie sich je mit ihren Kämpfen verdienen hätte können. Wenn sie auch nur einen Bruchteil davon hatten mitnehmen können, wären sie sicher für mehrere Wochen versorgt. Gerade als ihr die ganze Tragweite des Planes ihres Vaters klar wurde und selbst sie einsah, dass er vollkommen hirnrissig war, hatte der Werwolf schon das Wort erhoben.
„He! Fremder!" Ariana hasste seine Stimme. Jannis blickte milde interessiert auf. Ein Blick, den sie nur allzu gut kannte. „Sie haben da ja ein recht ansehnliches Bündel! Na was ist? Lust auf ein Spiel?"
Noch bevor Ariana fähig war eine Antwort zu finden, war ihr Vater vorgetreten.
„Mhh ein Spiel? Was spielen Sie denn?"
„Maryn Vorar." Er sprach die Worte aus, als wären sie besonders gefährlich. Wahrscheinlich wollte er besonders gefährlich wirken. „Schon mal gespielt?"
„Papa", mischte sich Ariana ein.
„Oh ja, das habe ich", antwortete Jannis und setzte sich, gerade als der Kerl begann die Beschwörerin zu mustern.
Er grinste sie gönnerhaft an und Ariana musste an sich halten, um ihm nicht ins Gesicht zu springen. Letzten Endes drehte er sich wieder zu seinem Spielpartner, ohne sie angesprochen zu haben. „Dann lasst uns doch eine Runde spielen!"
„Papa!", schnaubte sie erneut wütend und drehte sich dann verzweifelt nach ihrer Mutter um, die zu ihnen aufgeschlossen war. Der nicht mehr ganz so unglückliche Kaden neben ihr hielt ein Glas mit kaltem Saft in den Händen. „Mama! Das halte selbst ich für eine blöde Idee!", wandte sie sich an Beatrice, als einer der beistehenden Werwölfe begann die Karten auszuteilen.
Interessiert legte die Tierärztin den Kopf schief und sah dabei zu wie die blau gemusterten Rückseiten der Spielkarten über den Tisch tanzten.
„Ganz ruhig. Gucken wir erstmal was passiert." Ihre Mutter lächelte und setzte sich dann neben ihren Mann. Damit spiegelte sie die Haltung der Freunde des Spielers. Ariana schnaubte. Wahrscheinlich sollte sie eine gute Tochter sein und auf seiner anderen Seite Platz nehmen, aber die Frustration ließ sie zu Kaden stolzieren und ihm sein Getränk abnehmen.
„Oh man!", pustete sie und nahm einen Schluck. „Das ist ja wirklich nur Saft!" Wütend drückte sie ihm das Glas zurück in die Hand und Kaden zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Was soll das Ganze denn?"
„Wahrscheinlich will Jannis die Schlüssel da gewinnen", flüsterte der Chemiker.
„Schlüssel?" Ariana sah verwirrt zum Tisch, wo gerade ihr Vater eine Karte mit einer blauen Sichel und dem Zahlenwert 5 spielte. Ihr Blick wanderte über den noch recht kleinen Einsatz zu den Habseligkeiten des Mannes. Recht versteckt konnte sie einen Schlüsselbund ausmachen.
„Keine Ahnung wofür die sein sollen", murmelte Kaden, aber sie wusste es, als sie die klobige Gestalt des Größten gesehen hatte und plötzlich war ihr klar, weswegen sie hier waren. Aber das war doch vollkommen idiotisch! Sie stapfte vor zu ihrer Mutter und beugte sich zu ihr, um ihr ihre Gedanken mitzuteilen.
„Setz dich hin und lass uns das machen!", wies Beatrice sie an.
„Aber...!"
„Setz! Dich!", befahl sie und frustriert ließ sie sich neben Kaden nieder, der bereits Platz genommen hatte.
Ihr Magen knurrte noch immer, aber da ihr Vater gerade dabei war ihr ganzes Reisekapital zu verspielen, konnte sie sich weder was zu trinken noch zu Essen bestellen.
Gelangweilt saß sie da und sah dabei zu wie Jannis seine Karten legte und ein ums andere Mal verlor. Schwarze Schwerter, rote Herzen, grüne Blätter und blaue Sicheln tanzten über das Spielfeld zusammen mit den Münzen aus ihrer Kasse. In den Augen des Werwolfmannes glänzte die Gier und sein Grinsen wurde von Spiel zu Spiel breiter. Die honigsüßen Worte mit denen er ihren Vater ein ums andere Mal erneut zum Weitermachen brachte, ließen ihr fast schlecht werden. Angespannt belauschte sie die anderen Gäste. Sie saßen schon viel zu lange hier, aber die Anwesenden fanden sich selbst weitaus interessanter, als die vier Menschen, die ihr ganzes Geld an einen Halsabschneider verloren.
Ein Pärchen gurrte am anderen Ende des Raumes, ständig schienen sie sich zu berühren und Ariana war froh, dass sie ihre Worte nicht verstehen konnte. Eine Familie mit erwachsenen Kindern besprach, ein paar Tische weiter, den Erfolg ihres Nachwuchses, die Eltern befanden schließlich, dass sie mit dem Ergebnis unzufrieden seien. Als ein Mann links hinter ihr aufstand und auf Toilette verschwand, hörte Ariana wie seine Freunde darüber zu lachen begannen, dass einer von ihnen wohl recht erfolgreich dabei gewesen war, dessen jüngere Schwester zu verführen. Ein Schauer aus Ekel jagte ihren Rücken hinab und sie konzentrierte sich wieder aufs Spielfeld.
„Das tut mir wirklich leid für Sie", säuselte der Werwolf gerade, obwohl die Karten noch nicht aufgedeckt waren. „Ich schätze Sie haben alles verloren!"
Grinsend deckte er sein Blatt auf. Ariana verdrehte die Augen. So reagierten diese Trottel alle. Sie wusste es, sie war selbst so ein Trottel gewesen.
Jannis lächelte gutmütig und drehte ebenfalls seine Karten um. Herz Narr, Blatt Gericht und das Schwert des Schicksals verkündeten, dass er gewonnen hatte. Ein Lebensurteil schlug alles. Fast alles. Die Richtkarte wurde auch gedreht, aber eine mickrige rote 8 konnte ihren Sieg nicht zerstören.
Schließlich musste die Beschwörerin doch Grinsen, als sie den erfrorenen Gesichtsausdruck des Werwolfs sah.
„Noch einmal!", blaffte er, etwas zu laut, um noch gefasst zu wirken.
Ihr Vater hob sein leeres Bierglas und bekam sofort ein Neues und auch Beatrice wurde nachgeschenkt. Als Ariana dem Kellner winkte, wurde sie übergangen und sie musste sich damit zufriedengeben dabei zuzusehen, wie der dumme Werwolfkerl ausgenommen wurde.
Maryn Vorar war einfach nur eine etwas skrupellosere Variante von dem eh schon skrupellosen Vorar, erfunden und verbessert in der Stadt Maryntrin. In diesem Spiel ging es nur darum seinen Gegner gut auszutricksen und seine Nerven dabei nicht zu verlieren. Als ihr Vater es ihr und ihrer kleinen Schwester beigebracht hatte, hatte er dies immer wieder wiederholt und egal für wie gewieft und klug sich Ariana gehalten hatte, sie hatte immer gegen Jannis verloren. Sie hatte zudem viel zu lange dafür gebraucht, um herauszufinden, dass sie besser nicht mit ihrem Vater um die Erledigung von Hausarbeit spielen sollte.
Schließlich hob der Werwolf ergeben seine Hände. „Sie scheinen ja wirklich Sortunos' Segen zu genießen!", säuselte er.
Ariana hob abschätzig eine Augenbraue. Man musste schon ein ziemlicher Einfallspinsel sein, um sich auf Geister zu verlassen. Während Götter ihre Schöpfungen liebten und ihnen nichts Schlimmes wollten, sagte man den Geistern, die in den Dingen wohnten, ein launisches, trügerisches Wesen nach. Sortunos, dem Geist des Glücks, besonders.
Jannis blickte dem Mann mit einem zufriedenen Lächeln entgegen, mit einer Antwort bedachte er ihn nicht.
„Sie sind ein wirklich großartiger Spieler! Geben Sie mir die Möglichkeit mein Geld zurückzugewinnen! Ich biete Ihnen..."
„Den Schlüssel!", verlangte Jannis. Wahrscheinlich konnte ihr Vater sein Gesäusel auch nicht mehr ertragen.
Der Werwolf stutzte und seine Augen musterten den Gegenstand, als müsse er sich stark anstrengen herauszufinden, was der Mensch wohl mit seinem Schlüssel anfangen wollte. „Das ist der Schlüssel für mein..."
„Ich weiß wofür der ist", unterbrach Jannis ihn.
Überrumpelt riss er die Augen auf und begann dann herzhaft zu lachen. Seine zwei Freunde fielen aus Pflichtbewusstsein ein. „Oh bitte. Das ist doch vollkommener Irrsinn! Das bisschen, was Sie da von mir gewonnen haben, wiegt niemals ihren Wert auf! Mich auf solch ein Spiel einzulassen, würde sich nur lohnen, wenn Sie ebenfalls etwas Wertvolles setzen!" Bei seinen letzten Worten funkelten seine gierigen, kleinen Augen auf.
„Ich besitze Wertvolles." Jannis blieb gelassen.
„Das bezweifle ich stark. Sie sind doch nur ein Mensch", schnaubte sein Gegenüber abschätzig und betrachtete dann die anderen. „Sie können die beiden Frauen setzen, die Sie begleiten. Das zusammen mit meinem Geld würde vielleicht hinkommen."
Ariana ballte ihre Hände zu Fäusten und malte sich bereits aus wie der Kerl zuckend und gurgelnd am Boden lag, die Stimme ihrer Mutter hielt sie jedoch zurück.
„Oh je. Das halte ich aber für keinen angebrachten Einsatz", sagte Beatrice mit aller Ruhe.
Ariana schnaubte. „An mir würdet ihr drei keine Freude haben." Um ihre Worte zu untermalen ließ sie ihre Haare sich aufladen. Kleine Blitze begannen in ihren Locken zu knistern und Strom kitzelte, als er über ihre Haut fegte. Der Tritt unter dem Tisch ließ sie wieder verschwinden.
Interessiert inspizierte der Spieler sie. Er schien sie plötzlich in einem ganz anderen Licht zu sehen. „Du kannst meine Generatoren laden", lachte er. „Das halte ich für angemessen."
„Nein." Die Stimme ihres Vaters war nicht laut, aber seine Tonlage machte eindeutig klar, dass er nicht verhandeln würde.
„Aber..."
„Nein", wiederholte er nachdrücklich und zerrte ebenfalls einen Schlüssel hervor, den er auf den Tisch warf. „Der öffnet einen Häuserkomplex im Herzen von Enrhym, von dem ihr nur träumen könnt. Drei Etagen, acht Zimmer, drei Bäder und alles was darin ist."
Ariana hätte nie gedacht, dass sie jemals so schockiert sein würde, ihren Haustürschlüssel zu sehen. Der Gedanke daran ihr Zuhause an diese widerlichen Halbköter zu verlieren, schmerzte fast so sehr wie der, dass sie ihre kleine Schwester nie wiedersehen würde und sie wollte protestieren, bis ihr klar wurde, wie ihr Zuhause jetzt aussehen musste. Die Wachen von Enrhym mussten den Ort schon längst aufgebrochen, ihre Habseligkeiten durchwühlt und die Möbel in ihrer Wut zerstört haben. Es gab kein Zuhause mehr, in das sie zurückkehren konnte. Niemals wieder.
Das grausame Lachen des Werwolfes zerrte sie zurück in die Gegenwart und sie konnte ihre Angst und Trauer erneut unter dem Hass verbergen, den sie für diese Kreaturen empfand.
„Ein Haus im Herzen von Enrhym? So etwas kannst du dir doch gar nicht leisten! Du bist nur ein Mensch!"
Obwohl nun seine ganze Hässlichkeit zu sehen war, nicht mehr verborgen unter der blütenzarten Fassade des Anstands, ließ sich Jannis nicht reizen. „Fürchten Sie sich etwa vor dem Verlieren?"
Krachend ließ der Mann sich in seinem Stuhl zurückfallen. Er wirkte gelassen, als er sprach, aber sie hatte das Zucken um seine Wundwinkel gesehen. Wie dumm er doch war, anzubeißen. „Ich verliere nicht. Machen wir es anders! Du siehst aus wie ein ziemlich kräftiger Kerl. Wie wäre es, wenn du drei Wochen lang umsonst für mich arbeitest!"
Jannis breite Schultern strafften sich. „Einverstanden", sagte er, ohne zu zögern.
Drei Wochen. Das war eine Ewigkeit. So lange konnten sie nicht hierbleiben, das wäre ihr Untergang. Wenn man dazu noch das Kopfgeld betrachtete, dass die Wölfe sicher bald für die Ergreifung ihres abtrünnigen Ratsmitglieds erheben würden, wäre das Jannis Todesurteil und dieser Hund hätte auch noch daran verdient. Arianas Muskeln verhärteten sich und der Schweiß lief ihr den Rücken hinab. Ihr Vater durfte nicht verlieren! Er konnte nicht! Bei dem gehässigen Grinsen auf dem Gesicht des Werwolfes, wurde ihr ganz anders.
Der Freund des Halsabschneiders begann erneut die Karten zu mischen und auszuteilen.
Dieses Mal war sie absolut konzentriert auf das Spiel. Irgendwie bekam sie das Gefühl nicht los, dass dieser hellhäutige Mistkerl sie reinlegte. Aber nein! Jannis war ein guter Spieler! Er konnte ihn besiegen!
Die ersten Karten landeten auf dem Tisch.
„Weißt du", begann der Spieler plötzlich. Ariana war immer noch schleierhaft, wann ihr Vater ihm das Du angeboten hatte. „Es ist gut, dass du bald für mich arbeiten wirst."
„Ach ja?" Jannis legte verdeckt Karten ab.
„Nun ja. Dafür wurden Menschen schließlich gemacht. Um Werwölfen zu dienen." Er verwarf eine Karte und nahm sich eine Neue. Jannis antwortete nicht. „Ich mag es, dass du so wenig sprichst! Menschen sollten viel öfter ihren Mund in der Nähe von ihnen überlegenen Wesen halten." Er drehte den Kopf und grinste seinen kartengebenden Kumpanen an.
Ihr leerer Magen wurde zu einem schweren, heißen Bündel, als ihr der Gedanke kam, dass das alles geplant gewesen war. Vielleicht war ihr Vater ja gar nicht so gut, wie er immer behauptet hatte. Vielleicht war das alles Teil ihres Planes gewesen. Nicht an ihr kleines Bündel Geld zu kommen, sondern neben dem auch noch mehr zu gewinnen. Eine Schweißperle lief ihre Schläfe entlang und sie zitterte vor Aufregung, als sie erneut zum Pott sah. Nach diesem Spiel würde er nicht nur ihr ganzes Kapital und ihr Haus besitzen, sondern auch das Leben ihres Vaters! Ihre Muskeln verhärteten sich. Das würde sie nicht zulassen.
Sie würde! Sie könnte!
„So hat es die Natur schließlich eingerichtet", monologierte der Wolf weiter.
Ariana war kurz davor aufzuspringen, aber eine Hand auf ihrem Oberschenkel hielt sie zurück. Es war nicht ihre Mutter, sondern ihr Vater. Er hielt sie fest und blickte sie genauso an, wie den Werwolf zuvor.
„Jetzt beruhige dich doch!" Er klang leicht ungehalten und drehte sich dann wieder zu seinem Spiel.
Wütend wandte sie sich ab.
Der Moment der Wahrheit war gekommen. Die Karten würden jeden Moment umgedreht werden, doch während Ariana gespannt war wie noch nie, lehnten sich die Freunde des Spielers zurück. Einer stocherte sogar in seiner gerade servierten und noch viel zu warmen Ofenkartoffel herum.
Ein kurzer Blick zur Seite verriet ihr, dass auch die anderen Menschen angespannt waren. Kadens Gesichtsfarbe war noch ungesünder als bei dem Gespräch mit dem Okkura und auch ihre Mutter wirkte beunruhigt.
Sie mussten gewinnen! Es war ganz leicht! Schwarz schlug alle Farben, danach Grün, dann Rot, dann Blau. Schicksal über Gericht, Gericht über Narr, danach alle Zahlen von 10 abwärts bis hinab zum Siegel, der 1. Ein Lebensurteil konnte von fast nichts ausgehobelt werden und ihr Vater hatte bereits eines gehabt! Das nochmal eines von irgendjemandem gezogen wurde, war unglaublich unwahrscheinlich!
Der Werwolf drehte zeitglich mit Jannis seine Karten. Ihr Kopf war so voll, dass sie erst nicht verstand, was vor ihr lag.
Ihr Vater hatte eine rote 3, eine grüne 5 und...mit steifen Gliedern starrte sie das Symbol auf der letzten Karte an. Das Schicksal in blau. Die schwächste aller starken Karten. Aber vielleicht trotzdem genug. Ihr Herz schlug ihr im Hals, als sie den Kopf hob um zu sehen, was auf der anderen Seite lag.
Das rote Herz des Narren schien sie verspotten zu wollen, das grüne Blatt des Gerichts bereits unterschrieben vom Alpha, der ihren Kopf mit dem schwarzen Schwert des Schicksals forderte.
Ein Lebensurteil.
Sie hatten verloren.
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