20.2 Kapitel - Männer von unzweifelhafter Ehre
Edric lächelte. Ein Lächeln, dass dem Shinejey die Nackenhaare aufstellte. Mit ausladender Geste griff der Wolf sich in sein Revers und zupfte selbstzufrieden an seinem königsblauen Jackett.
„Einen richtigen Anführer. Einen wahren Alpha. Und keine Sorge, den gebe ich dir! Mich, Edric vom Schwarzbach." Es war immer wieder komisch wie sein Vorname zusammen mit dem Familiennamen des Alphas klang. Irgendwie anstößig. Irgendwie falsch. Der Blick des Beschwörers war ihm Ansporn genug fortzufahren. „Wie jeder, der nicht absolut dämlich ist, weiß, ist Esparias nur noch wegen drei Personen nicht abgebrannt. Und keine davon ist Darian! Gudrun, Amalrich und du, ihr seid die einzigen, die die Scherben dieser Regentschaft noch zusammenhalten. Aber du Meo! Du bist etwas Besonderes!" Oh ja. Die Masche kannte er. „Du bist nicht wie die anderen Shinejey. Nicht wie diese Zwillinge, deren Eltern so reich und religiös waren, dass sie sie in aller Großzügigkeit den Okkura geschenkt haben. Nicht wie Juan Ruiz, den sie halbtot in irgendeiner Gasse gefunden haben, seine Haut gesprenkelt von den schrecklichen Dingen, die ihm angetan wurden." Edric blickte zu Celine. „Und deine Eltern haben damals so viel Geld für dich bekommen, wie schon lange niemand mehr vor ihnen."
Celine versteifte sich. „Ich freue mich für sie! Damit konnten sie eine ganze Zeit lang überleben und meine Geschwister satt bekommen." Meo spürte den Zorn, der von ihr ausstrahlte, heiß wie ein Feuersturm zu Edrics kühler Berechnung. Besorgt sah er zu ihr, am liebsten hätte er ihre Hand ergriffen, um sie zu beruhigen.
„Aber du, Meo, du nicht. Du wurdest nicht verkauft oder gefunden. Eines Tages bist du vor einer der Ausbildungsstätten der Stillen Gnade aufgetaucht und hast dich ihnen angeschlossen. Freiwillig." Edric betonte das letzte Wort dramatisch und Stille legte sich über die verlassene Kirche. Dieses Mal war es Meo der ihn stumm anlächelte, weil er genau wusste wie sehr es einen Mann wie ihn stören musste, es nicht zu wissen. Wie lange der Werwolf wohl gesucht hatte, um etwas über seine Vergangenheit herauszufinden? Wie viele Leute er wohl bestochen hatte? Wie viele er erpresst hatte? Wie lange er wohl zum Bersten gefüllte Akten gewälzt hatte? Und das alles nur für frustrierende Leere. Sein kleiner Triumpf schmeckte bereits nach einer Sekunde schal, als er sah wie Edric seine Augenbrauen nach oben zog.
„Du bist Heinrich gefolgt. Einem großen Mann, einem versierten Anführer, einem wahren Alpha." Meo fragte sich was der junge Mann so sehr an diesem Wortkonstrukt fand. Jedes Mal wenn er es sagte, fuhr ein brennender Schmerz in seine Eingeweide, aber äußerlich blieb er ungerührt. „Und nun sitzt Darian, diese kleine, unwürdige Töle auf seinem Thron. Dieser verzogene Köter, der nicht einmal eine Herde Schafe leiten könnte ohne sie alle aus Frustration zu fressen! Das muss dich doch wirklich ärgern, oder?"
Edric beugte sich zu ihm vor, so nah, dass Celine sich anspannte. Doch der Wolf wollte nur sehen wie er reagierte, wollte nicht die kleinste Regung eines Muskels, das leiseste Glitzern in seinen Augen verpassen.
„Was. Willst. Du?", wiederholte Meo erneut seine Frage, aber es graute ihm vor der Antwort.
Flink wie ein Fisch war Edric vor ihm zurückgewichen und auf den Sockel zu seiner Göttin gesprungen, die Arme ausgebreitet.
„Schließe dich mir an Meo! Komm und diene mir, dem wahren Alpha von Esparias!" Meo holte bereits Luft für eine Antwort, doch der Anführer des Königsblauen Bundes fuhr fort, mit einer Stimme so laut, dass sie die ganze Kirche ausfüllte. Seine Worte ein Gebet allein gesprochen für ihn selbst. „Ich habe Anhänger aus allen Teilen des Landes gesammelt, Meo! Abtrünnige Shinejey, die vor ihrer Ausbildung geflohen sind. Blockierer, die zu schwach waren, um der Ersten Inquisitio zu dienen, doch auch nicht so schwach, dass man sie hätte am Leben lassen wollen!" Er deutete vage in die Dunkelheit und Meo erkannte seine Glaubensteiler daran, wie nervös sie plötzlich wirkten. Ob das wohl überhaupt das richtige Wort für sie war? Waren sie vor ihrer Ausbildung geflohen, weil sie Angst bekommen, oder weil sie den Glauben an ihre Göttin verloren hatten? Er könnte es ihnen nicht einmal verübeln. Beides nicht. „Ich habe Werwölfe, die mir treu bis in den Tod folgen! Junge, Alte, Beamte, Krieger. Direkt aus der Gosse und auch aus alten, ehrwürdigen Häusern. Sie sind alle gekommen und haben sich mir angeschlossen. Ich habe sogar Viiljo auf meiner Seite!" Mit großer Geste deutete er auf den tätowierten Mann neben sich. „Er sagt von sich selbst er sei ein Fluchbrecher! Ich weiß nicht einmal was das bedeutet!" Er begann zu lachen und es hallte von den seelenlosen Steinen wider. „Ich habe so viele Anhänger um mich gescharrt, dass Esparias, das größte aller Werwolfländer, vor meiner Macht erzittert, dass sogar ein wahrer Alpha vor mir erzittern würde!" Es war klar, dass er Darian nicht dazu zählte. „Dir muss doch bewusst sein, Meo, dass Darian die Felle davon schwimmen! Hast du es nicht in Enrhym gesehen, auf dieser kleinen Parade? Selbst die habe ich manipuliert, allein weil ich es konnte!"
Meo horchte auf. Davon hörte er heute zum erste Mal. „Das war die Schwarze Asche", sagte er etwas zu schnell, um weiterhin ruhig und gefasst zu wirken. Amalrich hätte ihm davon berichtet, wenn er es gewusst hätte. Er sah das kurze Funkeln in Edrics Augen.
„Ich habe dieser kleinen Absplitterung der Schwarzen Asche genug Geld zugespielt, dass sie etwas mehr machen konnten, als ihre langweiligen Protestmärsche! Ich habe sogar ein paar Anregungen für die Karikaturen gegeben und auch dieses Plakat am Haus – alles mein Einfall.", Stolz strich er sich über die Brust. „Es war eigentlich alles etwas anders geplant gewesen. Eure ganze Reise sollte gespickt sein mit einer Untergrabung von Darians Macht nach der anderen. In Castriel sollte euch allen dann das erste Mal bewusste werden, dass ich es die ganze Zeit war. Ich hatte einen der Mitarbeiter der Lautsprechanlagen bestochen gehabt und Ewigkeiten an dem Schmählied über Darian gesessen! Es ist sogar richtig lustig geworden, selbst du hättest gelacht Celine! Aber nun ja – das war schließlich alles umsonst. Wer hätte ahnen können, dass er gleich in der ersten Stadt fündig wird? Und das auch noch so!"
„Wolltest du uns deswegen auf dem Weg zurück töten?"
Edric sah ihn an, als hätte er ihn beleidigt. „Ich wollte euch nicht töten! Ich wollte auch nicht Darian töten. Ich wollte sein Mädchen töten. Ich wollte ihm klar machen, dass er keine Macht hat. Darum geht es. Es ist kein Spaß, keine Lehre, keine Finesse darin Darian einfach so umzubringen!" Seine kalten Augen begannen manisch zu leuchten und ein entrücktes Grinsen schlich sich auf seine Züge, als er wild zu gestikulieren begann. „Er soll leiden! Er soll sehen, wie sein kleines Reich um ihn herum zusammenfällt. Soll spüren, wie ihm alles aus den Fingern gleitet, egal wie verzweifelt er versucht sich daran festzukrallen!" Edric räusperte sich, anscheinend etwas beschämt darüber, dass es so mit ihm durchgegangen war. „Darum geht es mir." Die anderen Anwesenden, Edrics Verbündete, starrten den Shinejey erwartungsvoll an. Anscheinend war es klar für sie, dass ihr Anführer im Recht war und deswegen absolut selbstverständlich, dass er seiner Bitte nachkam. „Und darum sollst du dich auch mir anschließen Meo! Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis Darians Herrschaft in sich zusammenstürzt wie das Kartenhaus, welches es ist und du solltest dann besser nicht mehr da unterstehen. Ich erwarte nicht einmal viel von dir, wenn man bedenkt wie lange du diesem Möchtegern-Alpha schon folgst. Diesen...Fehler, der in der Zitadelle herumstolziert wie ein aufgeblasener Gockel. Nein, du bekommst sogar die eine Möglichkeit ihn auszuradieren."
Auszuradieren. Was für ein Wort.
„Du wirst gehen und du wirst Darians Leben ein Ende setzen!"
Er hatte schon mit so etwas gerechnet, aber es noch einmal ausgesprochen zu hören, erschütterte ihn mehr, als er zugeben wollte.
„Ich soll was tun?", flüsterte er, der einzige Weg, um seiner Stimme nicht zu viel Emotion zu verleihen.
„Nun komm schon Meo! Ich kann dir doch überhaupt nicht vertrauen! Nicht einfach so. Diese Tat wäre der absolute..."
„Ich werde nicht den Alpha von Esparias töten und damit meinen Schwur brechen! Den Eid, den ich einst geleistet habe vor meinem Al...vor meiner Göttin."
Edric hatte den Versprecher selbstverständlich gehört und Meo verfluchte sich dafür. Er hätte gleich auf seine Göttin schwören sollen, doch er dachte an seinen Anführer, wie das dumme Kind, das er einst war.
Mit einem lockeren Sprung hatte Edric den Sockel der Göttin verlassen und kam wieder auf sie zu. Glühender Triumph flackerte in seinen blauen Augen.
„Aber Darian ist doch gar nicht dein richtiger Alpha. Du weißt es", sein Lächeln wurde noch etwas böser und er beugte sich zu dem Shinejey vor damit er seine nächsten, geflüsterten Worte verstehen konnte, „und ich – ich weiß das auch."
Meo ballte seine schwitzigen Hände zu Fäusten und ignorierte den Schauer, der seinen Rücken hinabfuhr.
„Was weißt du?" Die Worte kamen ihm unglaublich gefasst über die Lippen dafür, dass er sich fühlte, als würde er eine bodenlose Schlucht hinabstürzen.
Der junge Werwolf schlenderte rückwärts vor ihm zurück, die Arme ausgebreitet, die Schultern erhoben, als wüsste er nicht, was der Shinejey meinte. „Weißt du es auch?", wandte er sich an Celine. Ihr Blick, so unglaublich finster und hasserfüllt, dass er eine Armee zur Flucht hätte zwingen können, wurde von aufflackernder Unsicherheit getrübt. Ganz kurz sah sie zu Meo herüber. Dann war der Moment vorbei, das Flackern war verschwunden und ihr Gesicht erneut ein dunkler See des Hasses, kein einziges Anzeichen von Bedenken oder Sorge darauf zu sehen.
„Jemandem zu dienen, der es absolut nicht verdient hat, zeugt von Loyalität. Oder von Dummheit. Oder von...", erneut warf er seine Münze in die Luft, „...Verzweiflung." Geschickt fing er sie wieder auf. „Eine Verzweiflung, von der ich dich befreien kann! Töte Darian, diene mir und ich sage dich nach meinem Regentschaftsantritt von all deinen Sünden los."
„Werwölfe können keine Absolution erteilen, das können nur Okkura!", knurrte Celine und er war froh, dass sie etwas sagte.
„Falls es dir nicht aufgefallen ist", mit ausladender Geste wies Edric auf die Kirche, die so furchtbar verwaist und verlassen war nur gefüllt von seinen Anhängern, „die Okkura sind alle ausgeflogen! Sie haben ihre Kirchen verlassen, den Hof, viele ihrer Heilstätten, alle ihrer Außenposten. Aber ich bin da! Ich bin hier und ich bringe sie wieder zurück! Einem wahren Anführer folgt man, auch die Rabenmenschen!"
Meo biss die Zähne zusammen. Manchmal hatte er sich gewünscht einer von ihnen zu sein. Die Okkura konnten sich einfach zurückziehen und aus allen Dingen raushalten ohne, dass jemand ihnen Fragen stellte oder es anfochten konnte. Und er, er musste sich mit den Werwölfen herumschlagen.
„Wo liegt die Finesse darin, wenn ich Darian töte?", fragte er, um Zeit zu schinden.
Edric verschränkte die Arme vor der Brust und sah fast so aus, als müsse er an sich halten, um nicht die Augen zu verdrehen.
„Du bist jemand aus seinen eigenen Reihen. Jemand, der die ach so unüberwindbaren Mauern der Zitadelle im Spaziergang hinter sich lassen kann. Jemand, dem alle Tore geöffnet werden, einfach weil er die Wachen auf den Türmen nett anlächelt. Ich will nicht so weit gehen, zu sagen, dass Darian dir bedingungslos vertraut, aber es hätte etwas Poetisches, wenn du es tun würdest." Er taxierte Meo plötzlich eingehend und es war ein unangenehmes Gefühl. Darian sah niemanden so durchdringend an wie Edric es konnte. Der Königsblaue setzte einen ernsten Blick auf und selbst mit diesem zogen sich seine Mundwinkel leicht nach oben. „Ich habe nur Geschichten gehört wie der Kampf zwischen Heinrich und Darian abgelaufen sein soll, aber selbst die waren sehr anschaulich." Meo wurde kalt. Warum fing er jetzt damit an? „Wie war es dabei gewesen zu sein? Zwei der größten Werwölfe unserer Zeit in diesem Thronsaal. Er kam mir immer als viel zu überproportioniert vor, aber die beiden müssten ihn doch gut ausgefüllt haben." Die Erinnerung traf ihn unvorbereitet. Spitze Zähne, von denen der Geifer tropfte, roter Teppich, zerfetzt von Klauen, Wände voll mit Blut. „Ihre Schreie soll man noch bis zum Ende des Palastdistrikts gehört, die Erschütterung des Kampfes bis in den kleinsten Turm der Zitadelle gespürt haben!" Das war nichts gegen das Geräusch ihrer splitternden Knochen gewesen. Nichts gegen den Gestank nach Eisen, den er noch immer meinte wahrzunehmen, wenn er den Saal betrat. „Heinrichs Todesheulen soll das Furchtbarste gewesen sein, was dieses Land jemals gehört hat!" Er hatte nicht geheult. Er hatte gegurgelt. Hatte panisch versucht nach Luft zu schnappen, während sein Körper unfähig war sich selbst zu heilen. „Und Darians braunes Fell soll vor Blut schwarz gewesen sein." Das war wahr. Die warme Berührung seiner Hand zog ihn aus der Erinnerung und überrascht sah er hinüber zu Celine. Besorgt hatte sie ihre Augenbrauen zusammengezogen und er spürte ihre Angst. Mit einem energischen Kopfschütteln versuchte er die grässlichen Bilder, die sich in seinen Schädel gebohrt hatten, loszuwerden. Damals hatte er sich im Anblick des massakrierten Körpers verloren. Heinrich vom Schwarzbach, der Mann, der sein wahrer Alpha war. Gewesen war. Doch nun musste er stark sein.Gefasst blickte er wieder zu Edric. Der junge Wolf hatte überlegend seinen Kopf schief gelegt. „Du hast so viele Werwölfe getötet, dass man auf ihrem Blut segeln könnte und trotzdem nimmt dich diese Erzählung so mit", stellte er fest. „Und warum? Weil du genau weißt wie ungerecht es ist! Darian hat Heinrich ermordet und für was? Für ein bisschen mehr Macht, die er nicht einmal verdient hat. Heinrich war ein Anführer. Darian ist ein Tyrann."
Meo sah nun doch zu den anderen Anwesenden. Sie schwiegen alle brav, aber er spürte ihre Blicke von fragend bis berechnend. Angespannt schluckte der Shinejey gegen den riesigen Kloß in seinem Hals. Es fühlte sich so an, als hätte er kaum die Kraft zu sprechen, aber Celines Wärme erinnerte ihn an die Stärke, die in ihm schlummerte.
„Tu nicht so, als hätte dir Heinrich etwas bedeutet. Als hättest du ihn gemocht, geschweige denn zu ihm aufgesehen. Sein Tod hat dir doch auch Befriedigung gebracht!"
Der Werwolf blickte kurz hinauf ins Kreuzrippengewölbe der Kirche, als müsse er überlegen, ob eine Lüge sich überhaupt lohnen würde und zuckte dann mit den Schultern.
„Ja", gab er unverfroren zu. Wütend verhärtete sich Meos Kiefer. Zumindest hatte er nicht im Haus seiner Göttin gelogen. „Jetzt sieh mich nicht so an! Du wusstest es doch!" Er schnippte seine Münze erneut in die Luft. „Ich bin nicht derjenige, der Heinrich rächen will, dass bist du! Und du bekommst die einmalige Gelegenheit dazu damit auch noch ungeschoren davon zu kommen. Das Ganze ist ohne Risiko für dich!" Er fing die Münze wieder auf und zeigte Meo beide Seiten. „Kopf – wir gewinnen. Zahl – Darian verliert. Es ist so einfach!"
Das Blut rauschte in seinen Ohren und Meo fühlte sich wirklich immer mehr, als würde er eine großartige Gelegenheit verpassen, wenn er ablehnte. Aber er erinnerte sich daran, wie Edric war. Was er war. Ein Betrüger.
„Ich mag es wie du das Wort ‚wir' verwendet hast", entgegnete der Beschwörer trocken.
Der Anführer des Königsblauen Bundes presste seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Man musste ihm lassen, dass, selbst wenn er langsam seine Geduld verlor, er noch immer sehr kontrolliert wirkte.
„Meo", begann er erneut. Seine Stimme war samtig. „Wie alt bist du? Zweiunddreißig? Dreiunddreißig? Und wie alt werden Beschwörer, die so mächtig sind wie du, bevor ihre Magie sie auffrisst? Fünfzig?" Meos Schultern spannten sich an. Er konnte von Glück reden, wenn er fünfzig wurde. „Tetjus wurde auf jeden Fall nicht so alt", sinnierte der Werwolf und wandte sich erneut um. Mit langen Schritten trat er zu einer der Kerzen vor der Statue seiner Göttin und hielt seine Finger über die Flamme. „Willst du wirklich deine kostbare, absehbare Lebenszeit darauf verschwenden Darian zu dienen? Willst du wirklich, dass, am Ende von allem, dein Herz von so einem erbärmlichen Hochstapler gefressen wird?" Edric sah auf zu Lunai. „Du hast etwas weitaus Besseres verdient."
Schwer atmete der Shinejey aus. Er spürte die Wut in sich aufkochen, ein formloses, böses Monster und als er in sich ging und darüber nachdachte, wurde ihm klar, woher sie kam. Egal was er von Edric und seinen Methoden halten mochte, er hatte Recht. Und das war schlimmer, als alles andere. Seine Schultern sanken hinab. Er spürte Celines besorgten Blick auf sich, zusammen mit dem brennenden Stieren von Edrics Anhängern und den weisen, aber teilnahmslosen Augen seiner Göttin.
„Warum machst du es nicht einfach selbst?" Meos Worte waren leise, aber in der verlassenen Kirche klangen sie laut und stählern.
Fragend blickte Edric über seine Schulter. „Das hätte keine..."
„Heuchle mir nichts vor!" Er drückte seinen Rücken durch und funkelte den Werwolf herausfordernd an. „Ich mache es. Ich lasse dich hinein in die Zitadelle und du kannst Darian ehrlich herausfordern und dir deinen Platz als Alpha verdienen."
„Was?" Die Worte trafen den Königsblauen eindeutig unvorbereitet, er sah aus, als müsse er sich erst wieder zusammenreimen, was sie bedeuteten.
„Fordere Darian heraus. Du kannst es." Es stand ihm zu, genauso wie es damals Darian zugestanden hatte Heinrich herauszufordern. „Auf diese Weise kann dich niemand danach anfechten und bei dem Kampf darf sich keiner einmischen, nicht einmal Gudrun, Amalrich oder ich."
Er malte sich aus wie die beiden sich gegenüberstanden, zwei über zwei Meter große Tötungsmaschinen mit gewaltigen Zähnen und Klauen, bereit einander die schrecklichsten Verletzungen zuzufügen, die das Land je gesehen hatte. Ganz kurz dachte er darüber nach wie es wohl wäre, wenn sie sich gegenseitig töten würden.
„Ich werde Darian nicht herausfordern!" Edric schnaubte. „Ich fordere Darian bereits seit vier Jahren heraus, jeden Tag aufs Neue! Allein mit meiner Existenz!" Er hielt kurz inne. „Eigentlich fordere ich ihn schon heraus, seit wir uns das erste Mal getroffen haben. Wie viele Jahre sind es schon?" Fragend blickte er zu den beiden Shinejey, die ihm stumm entgegen starrten.
„Du bist nicht stark genug." Celines Stimme war wie ein Peitschenschlag. „Bei einem Kampf würdest du verlieren und das weißt du auch! Darian ist besser als du." Edric holte durch seinen halbgeöffneten Mund Luft und es klang wie ein Knurren, aber sie fuhr fort. „Du hast Angst!"
„Ich habe keine Angst vor diesem...", brauste Edric auf und unterbrach sich dann sofort selbst. Kontrolliert atmete er ein und wieder aus, um sich für seine nächsten Worte zu beruhigen. „Ich bin eines von Lunais geliebten Kindern, ich habe im Korynk überlebt und ich habe in der Zitadelle überlebt! Mir folgen Leute freiwillig! Ich bin ein weitaus besserer Anführer, als Darian es sich je erträumen könnte und die Krone steht mir zu! Es ist mein Geburtsrecht!" Um Verständnis heischend blickte er die beiden Shinejey an. „Ich weiß gar nicht warum ihr euch so gegen mich sträubt! Ich bin eine weitaus bessere Wahl als er! Würde ich an die Macht kommen, könnten alle davon profitieren! Ich bin nicht grausam! Die ganzen Werwölfe des Hofstaats könnten in Frieden weiterleben, die Shinejey würden noch mehr Rechte bekommen und ich würde auch niemals auf die Idee kommen meinen kleinen Geschwistern etwas anzutun! Alina und Otto könnten ihr dummes, oberflächliches Leben weiterführen."
„Deinen kleinen Geschwistern nie etwas antun?", wiederholte Meo skeptisch. „Bis auf Darian?"
Edric schnaubte. „Ts – Natürlich bis auf Darian. Er hat es auch nicht anders verdient. Seht mal, ich würde sogar dieses Menschenmädchen freilassen, dass er aus Enrhym mitgenommen hat. Bei Lunai, ich kaufe ihr sogar eine Fahrkarte zurück nach Hause, solange nur Darian endlich stirbt und ich meine Krone tragen kann!"
Meo atmete einmal tief durch. Wenn man ihm so zuhörte, konnte man wirklich denken, dass er es verdient hatte, aber so leichtgläubig war er nicht. „Nein."
„Nein? Nein", wiederholte Edric ungläubig. „Nach all dem? Nach all meinen guten Argumenten – all meinen großzügigen Angeboten – weigerst du dich immer noch?"
„Du wurdest nicht ohne Grund aus der Zitadelle verbannt", zischte Celine hasserfüllt.
Der Anführer des Königsblauen Bundes warf ihr einen vor Zorn triefenden Seitenblick zu, sein Gesicht lächelte immer noch. „Dann wisst ihr ja auch, dass ich auch anders sein kann, nicht wahr? Ich bin nicht wie die anderen Alphas vor mir. Ich glaube dir, Meo, dein dummes ‚Ich diene nur der Krone' nicht! Du kannst dir sicher denken, wie es für dich ausgeht, wenn du mir deine Loyalität nicht beweist!"
Das wollte er sich lieber nicht vorstellen. Darian war brutal, aber Edric war kreativ. Das war weitaus schlimmer.
„Nein!", wiederholte der Shinejey selbstsicher.
„Überdenke deine Entscheidung lieber noch einmal! Denn wenn du jetzt gehst und ich endlich in der Zitadelle herrsche, dann werde ich dich dafür bestrafen." Plötzlich hellte sich seine Miene auf und Meo wurde schlecht. „Ich werde deine kleine Ersatz-Familie umbringen, einem nach dem anderen, und dich zwingen dabei zuzusehen. Vielleicht lasse ich dich, da du ja so gut bist Entscheidungen zu treffen, sogar wählen, wen von ihnen ich zuerst zu Tode foltere." Die Erd-Beschwörerin spannte sich an und schnell griff Meo nach ihrem Handgelenk, um sie davon abzuhalten Edric anzugreifen.
„Nicht! Komm, gehen wir!"
Er griff nach ihrer Schulter, drehte sie herum und führte sie bestimmt Richtung Ausgang. Sie mussten hier ganz schnell verschwinden.
„Du darfst als Letzte sterben Celine!", rief Edric ihnen hinterher und seine Stimme hallte verzerrt von den kalten Kirchenwänden wider. „Und dann ganz am Ende werfe ich dich, Meo, in eine der Zellen im Keller! Und dann sehen wir mal, wie alt du wirklich werden kannst!"
Mit einem Windstoß ließ Meo die schwere Tür hinter ihnen zuknallen. Mit schnellen Schritten ließen sie die Kirche hinter sich. Erst fünf Querstraßen weiter wand Celine sich aus seinem Griff.
„Was sollte das, Meo?"
„Du hättest ihn nicht töten können! Edric war auf dich vorbereitet und wäre dir ausgewichen und all seine Anhänger..."
„Das meinte ich nicht!", zischte sie wütend und beschleunigte ihren Gang. Je schneller sie aus dem Korynk verschwanden, desto besser. „Warum triffst du dich mit ihm?"
„Er weiß es. Er hat irgendwo einen Spion in der Zitadelle."
„Natürlich hat er das! Das wissen wir schon!"
„Es ist jemand im näheren Umfeld von Darian. Einer der engeren Vertrauten. Und Edric – er hat Angst zu verlieren."
Celine blickte verwirrt zu ihm zurück und wurde langsamer. „So klang er nicht."
Der Shinejey hob seinen Kopf. Am Horizont konnte er den roten Turm der Zitadelle sehen.
„Er ist verzweifelt", sagte er. „Irgendetwas stimmt nicht. Es bereitet ihm Unbehagen. Wir müssen zurück und uns vorbereiten. Verzweifelte Bestien schnappen um sich."
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