20.1 Kapitel - Männer von unzweifelhafter Ehre
Er hätte ihn verbrennen sollen.
Als Meo in sein Zimmer gekommen war, abgeschlagen und erschöpft, hatte er wirklich vorgehabt Hiltwins Rat zu folgen und zu ruhen, aber Werwölfe wussten nicht wie es war Schattenfieber zu haben. Wie es war ruhelos und doch erschöpft zu sein. Also hatte er seine Kerzen angezündet, sich sein Abendessen auf sein Zimmer bringen lassen, seine Uniform abgelegt und dann durch seine Briefe gesehen. Manchmal schrieben ihm einige aufgebrachte Wachen darüber, dass seine Shinejey sie geärgert hätten oder er bekam Einladungen zu ermüdenden Abendessen oder recht unkreative Todesdrohungen. Er hätte all diese Möglichkeiten dieser Post vorgezogen.
Der Umschlag war so normal, dass es ihm hätte auffallen sollen, doch er versteifte sich erst, als ihm das unscheinbare Wasserzeichen ins Auge fiel. Die Krone. Das Zeichen des Alphas.
Er hätte ihn einfach nehmen und ihn in der Flamme der Kerze vor ihm zu Asche verbrennen sollen. Aber er hatte es nicht getan. Er hatte ihn geöffnet und gelesen und ihn dann verbrannt. Er war so dumm.
Meo saß verlassen in der flackernden Helligkeit, immer wieder zitterten die kleinen Feuer und die Dunkelheit schien nach ihm zu greifen, aber er durfte sich nicht davon verunsichern lassen. Seine Finger waren kalt, als er versuchte seinen Geist zu klären, als er versuchte zu meditieren und sich über all seine Optionen klar zu werden.
Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken und steif erhob er sich, kurz hatte er wirklich darüber nachgedacht nicht zu antworten, aber er öffnete.
„Celine." Der Geschmack ihres Namens auf seiner Zunge war ihm mehr als vertraut. „Was möchtest du?" Das war eine dumme Frage, er wusste es natürlich, aber sie durfte nicht bei ihm sein. Nicht heute. Sie musste gehen. Er hatte noch nie etwas vor ihr verheimlichen können.
Sie legte den Kopf schief und ihr Blick war trotz ihrem fragend verzogenen Gesicht voll mit der Wärme, die sie nur für ihn reserviert zu haben schien.
„Ich bleibe bei dir damit du schläfst", erinnerte sie ihn und sein innerer Widerstand schmolz dahin. Sie beide verbrachten viele Nächte miteinander, nicht nur für Zwecke wie diesen. Niemand wusste davon. Es gab weitaus klügere Ideen, als einen voll ausgebildeten Luft- oder Erd-Beschwörer unbemerkt verfolgen zu wollen, vor allem wenn dieser die dunkelblaue Uniform der Shinejey trug.
Sie trat ein und er schloss die Tür hinter ihr. Ihm fiel kein Grund ein sie abzuweisen und wenn er in sich sah, musste er sich eingestehen, dass er sich förmlich nach ihrem Trost, ihrer Nähe und ihrer Fähigkeit seine Energien wiederzuerwecken, die die Alpträume aus ihm gesogen hatten, sehnte.
„Ich schlafe schon weitaus besser", meinte er, ein letzter, müder Versuch, damit er zumindest sagen konnte, dass er es probiert hätte, aber das hätte er nicht tun sollen. Celine trat zu ihm, so nah, dass ihm warm wurde. Ihre Finger legten sich an seine Wange und strichen behutsam über seine Haut, hinab zu seinem Nacken. Er sah auf in ihre wunderschönen Augen, sanft beschienen vom Kerzenlicht und lehnte sich an sie. Ihr Körper war so wunderbar lebendig. Erinnerte ihn daran, dass die Leere nicht alles war.
„Dann ist es ja gut."
Er nickte und legte seine Arme um sie, zog sie näher zu sich. Celine war ganz sanft, als sie ihn küsste, fast so, als hätte sie Angst davor ihm doch noch weh zu tun, aber sie könnte ihm nicht weh tun. Nicht so sehr, nicht so schlimm wie seine Alpträume, in denen dunkle Silhouetten in den langen, zerfließenden Schatten seines Bewusstseins standen und ihn mit einem toten Namen riefen; in denen seine Freunde starben und in denen er versagte, immer und immer wieder.
Celine stoppte sofort und sah besorgt in sein Gesicht, zu den Tränen, die seine Wange entlangliefen. „Meo."
„Ich bin so froh, dass du bei mir bist", flüsterte er in die flackernde Dunkelheit und vergrub seinen Kopf in ihrer Schulter. Ihre Arme umschlangen seinen Körper fester. Ihr Geruch beruhigte seinen rasenden Geist und löste die Spannung aus seinen schmerzenden Schultern. Damals, als er das erste Mal ihre Hand gehalten hatte, als sie sich zum ersten Mal heimlich geküsst hatten, als er zum ersten Mal die Tür zu ihrem Zimmer blockiert hatte, damit sie ungestört blieben, ja damals hatte ihn das schlechte Gewissen fast aufgefressen. Die üble Erinnerung daran, dass sie etwas Verbotenes, etwas Verwerfliches machten, etwas, was sie ihr Leben und die Erlösung kosten konnte, aber jetzt war er froh, dass er das alles in Kauf genommen hatte. Ohne sie wäre er niemals so weit gekommen.
Er löste sich von ihr, nur um sich wieder zu ihr zu beugen und sie zu küssen. Sie schmeckte so gut, so vertraut. Vorsichtig legte sie ihre Hand auf seine Schulter, als wolle sie ihn von dem Oberteil befreien, dass er zum Schlafen trug. Der Schmerz ließ ihn zusammenzucken und erschrocken wich Celine vor ihm zurück.
„Entschuldige! Ich..."
„Schon gut", seufzte er. Der Werwolfbiss war so schnell verheilt wie sie es immer taten und er dankte seiner Göttin wirklich, dass die Bestie in seine Schulter gebissen und ihm nicht seine Halsschlagader rausgerissen hatte, aber die Stichverletzung durch das Messer des Alphas schmerzte immer noch.
„Wofür bekommen die Heiler eigentlich ihr Essen? Um jedes bisschen muss man ewig bitten und eher würden die Monde ineinander stürzen, als dass sie mal etwas machen, was eindeutig ihre Aufgabe ist, aber zu dem niemand ihnen den Auftrag erteilt hat!" Celine schnaubte wütend und beugte sich dann erneut zu ihm. „Soll ich mir deine Schulter noch einmal ansehen?"
„Ist gut. Ist schon gut."
Er fragte sich seit jeher was es bedeutete, dass er es mochte, wenn sie sich in Rage redete, wenn ihre Augen glühten und sie so bedrohlich war, dass Werwölfe vor ihr zurückwichen. Es ehrte ihn wirklich, dass sie sich so für ihn einsetzte. Plötzlich ganz sanft strich sie durch seine kurzen Haare und er genoss ihre Berührung.
„Soll ich...", begann sie, doch er unterbrach sie.
„Celine. Es ist gut. Bitte lass uns...lass uns einfach schlafen. Bitte, ich bin so müde." Um seine Worte zu unterstreichen lehnte er sich erneut an sie und sie willigte ein.
Die Okkura hatten sie zu Bescheidenheit und Demut erzogen. Unter ihrer Obhut hatte er in kargen Zimmern und wenig Besitz gelebt und dieser Lebensstil hatte ihm schnell gefallen, umso verwirrter war er gewesen, als er in die Uhrwerk-Zitadelle geschickt wurde.
Hier waren die Räume vergleichsweise riesig und er hatte das ganze Mobiliar schon fast als störend empfunden – bis er die Vorzüge von Betten kennengelernt hatte, die breiter als siebzig Zentimeter waren.
Nun schmiegte er sich müde an Celines Brust und vergrub seine Nase in ihren Haaren. Er versuchte sich sogar noch festzuklammern an der Wachheit indem er mit ihr sprach, aber letzten Endes hatte er absolut keine Chance gegen die schwere Schwärze in ihm, die ihn hinab in den Schlaf zerrte.
Unter ihm strahlten die Lichter von Craycarasz, ein schwarzes Meer gespickt mit golden glühenden Leuchtkugeln, wunderschön und rastlos.
Das Blau seiner Uniform hätte ihn nur in Gefahr gebracht, also hatte er sich schlichte, unauffällige Sachen angezogen und sich in einen schwarzen Umhang gehüllt. Ein weiterer unbedeutender Mensch in einer riesigen Stadt. Ganz zum Schluss war er noch einmal an sein Bett getreten und hatte sich über Celine gebeugt, um seine Lippen auf ihre Wange zu legen.
„Es tut mir leid. Ich liebe dich", hatte er ungehört in die nachtschwarze Stille gehaucht, ehe er verschwunden war.
Nun stand er auf einer der Bastionen der äußeren Mauer, der Wind umschmeichelte ihn und ließ seinen Umhang wehen. Niemand hatte ihn gesehen, als er hier oben aufgetaucht war und niemand würde ihn sehen, weder wenn er ging, noch wenn er wiederkam. Und er würde wiederkommen. Die kleinen, versteckten Pfade machten die Zitadelle nicht unsicherer, im Gegenteil. Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass die Feste je erstürmt wurde, war es immer gut einen letzten Ausweg zu haben. Zudem war der Weg, den er heute gewählt hatte nur für Magiebegabte zu bewältigen. Tetjus hatte ihn ihm damals gezeigt.
Meo hob seine Hand und befehligte dem Wind Stillstand. Die aufkommende Ruhe war nervenzerreißend. Er sah nicht vom Lichtermeer weg, als er zu sprechen begann.
„Es gibt sicher keine Möglichkeit dich zum Umkehren zu bewegen, nicht wahr?"
Die Steine unter ihm vibrierten. Die prickelnde Magie war ihm so vertraut wie ihre Trägerin, die neben ihm aus dem Boden trat und sich den Staub von ihrem schwarzen Oberteil klopfte. Celine warf ihm einen wütenden Blick zu, während sich unter ihr das Mauerwerk wieder zusammensetzte, als wäre nichts gewesen.
„Du schleichst dich mitten in der Nacht weg?", flüsterte sie enttäuscht. „Wohin willst du?"
Meo seufzte und versuchte sich an einem gequälten Lächeln. „Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich meine andere Geliebte besuchen gehe?"
„Nein, das würde ich nicht glauben!" Die Erd-Beschwörerin verschränkte ihre Arme vor der Brust und blickte ebenfalls über die erleuchtete Stadt. „Was hast du vor?"
„Ich gehe...jemanden besuchen."
„Wen?"
Meos Schultern sanken hinab, er wusste ganz genau, dass er sie nicht abwimmeln konnte. Sie würde darauf bestehen mit ihm zu gehen.
„Das wird dir nicht gefallen."
Es hatte ihr nicht gefallen und sie hatte ihn aufhalten wollen, aber sie war nicht die einzige Person, die stur sein konnte. Und schließlich hatte sie wirklich mitkommen wollen.
„Das macht man so in einer Partnerschaft!", hatte sie beteuert.
„Wirklich? Woher weißt du so etwas? Von den Werwölfen?", hatte er müde geantwortet und sie hatte gelächelt. Celine war immer unglaublich ernst, wenn sie lächelte und Späße machte, passierten ihm meist schlimme Dinge.
„Frag deine Geliebte unten in der Stadt!", hatte sie gesagt, ehe sie erneut in der Erde verschwunden war. Er hatte ihren Konter ertragen und war ihr gefolgt. Was von oben wie ein stummes, erleuchtetes Meer aussah, war in Wirklichkeit ein dunkler Strudel aus brutalen Kreaturen, aus Reichtum, Armut, ungestilltem Hunger und Unzufriedenheit.
Meo und Celine liefen durch die künstlich erhellten Gassen des Korynk, einem Bezirk ganz am Rande von Craycarasz, der nicht einmal bei Tageslicht ungefährlich war. Hier draußen gab es keine kunstvoll gefertigten Fassaden, keine kleinen Steinblumen, keine Verschnörkelungen. Die Häuser hier waren zweckmäßig zusammengebaut worden, gerade hoch genug, um nicht unter der eigenen Last zusammenzustürzen und dabei bis zum Bersten vollgestopft mit Leben. Ratten und Menschen stritten sich in den Schatten um die Reste des Mülls, ein verwandelter Werwölf mit räudigem Fell lag, schlafend oder tot, in einer winzigen Türflucht, um ihn herum die Kadaver von über einem Dutzend Tauben. Überall lagen Exkremente und Unrat, es war quasi unmöglich dort nicht hineinzutreten.
Meo zog unbehaglich seinen Umhang fester um die Schultern. Am Ende der Nacht würde er den Gestank nach verlorenen Existenzen und der Hässlichkeit von Craycarasz vollkommen angenommen haben. Aus einer Kneipe stolperten grölende Werwölfe, sie stützten sich aufeinander und lachten dreckig zusammen. Im Rausch waren sie alle Freunde. Der stechende Gestank von Rotem Harz alarmierte ihn, aber sie hatten die Gruppe schnell passiert.
Celine spannte ihren Körper an und sah sich nach einem Geräusch um, er folgte ihrem Blick.
„Hast du Angst vor Katzen?", fragte er amüsiert.
„Das war keine Katze", sagte sie nüchtern. „Das war eine Ratte. Ich dachte so etwas würde man wissen, wenn man auf dem Land großgeworden ist."
Im letzten Moment unterdrückte er den Impuls sich nach dem Tier umzudrehen. Sie sollten wenigstens versuchen sich normal zu benehmen.
„Warum muss nur alles immer so überdimensioniert sein? Ratten. Wölfe. Furchtbar."
Sie schnaubte belustigt und beäugte dann eine Gruppe von jungen Männern. Unter dem kalten Licht der Überspannlaternen, hatten sie sich versammelt. Vier hellhäutige Werwölfe auf einer Seite und ein Mensch auf der anderen. Die Bestien grölten und feuerten ihren muskulösen Mitstreiter an, der sich bedrohlich aufpumpte. Sein Kontrahent war größer, aber nicht so kräftig und sah auch nicht so aus, als wäre er versessen auf eine Prügelei.
„Das erinnert mich sehr an mein zu Hause", bemerkte Celine. Meo spürte das Zittern der Erde, eine kleine, fast unmerkliche Regung, als der muskelbepackte Kerl mit erhobener Faust vorstürmte. Es sah aus, als würde er ungeschickt über seine eigenen Füße stolpern und er fiel mit vollem Schwung in einen Haufen Müll. Seine Freunde verstummten verdutzt und fingen dann schallend an zu lachen. Der Mensch war klug genug sich umzudrehen und davonzulaufen. „Gutes, altes zu Hause", knurrte Celine und ging unbeirrt weiter. Als sie in den Schatten weiterschlichen streckte er seine Hand aus und berührte kurz ihre Finger. Eine kurze Geste der Zärtlichkeit in diesem widerlichen Sumpf aus Dreck und Hass.
Sie passierten einige Bordelle, vor dessen Pforten männliche und weibliche Huren versuchten Freier zu werben. Sie machten sogar den beiden ein paar eindeutige Angebote – Celine mehr als ihm – und Meo war froh, als sie in leerere Straßen abbogen. Niemand folgte ihnen und niemand hatte versucht sie zu überfallen. Das war ein schlechtes Zeichen.
Die Kirche vor ihnen schmiegte sich perfekt ins Straßenbild. Sie war nicht so reich verziert oder so groß wie die gewaltigen Kathedralen in der Innenstadt, aber die Buntglasfenster waren noch alle intakt, die Tür schien nie aufgebrochen worden zu sein und der goldene Halbmond auf ihrer Spitze reckte sich noch immer gen Himmel. Die Straßenbeleuchtung war ausgefallen, aber Meo brauchte kein Licht, um den Atem der Kreaturen zu spüren, die sich auf dem Dach herumdrückten und welche sich drinnen versammelt hatten.
„Wir werden erwartet", kommentierte Celine. Er spürte ihren drängenden Blick. Meos Finger zuckten, als er den Impuls unterdrückte erneut ihre Hand zu nehmen.
„Celine. Du darfst gerne gehen. Wirklich, ich versteh..."
„Nein!", knurrte sie. Mit einer unbändigen Entschlossenheit wandte sie sich wieder der Kirche zu, als wäre sie der schreckliche Feind, den es zu bezwingen galt und unwillkürlich fragte Meo sich, ob sie für ihn ein Haus ihrer Göttin zum Einsturz bringen würde.
Der Shinejey atmete tief durch, um sein rasendes Herz zu beruhigen und sich zu sammeln. „Gehen wir!"
Der flackernde Schein von Hunderten von Kerzen erfüllte die Kirche, waberte um die Bündelpfeiler, die mehr als dreimal so groß waren wie er, und verlor sich in den Kreuzrippengewölben über ihnen, wo immer noch die Dunkelheit lauerte. Die Bodenfliesen waren gesprungen oder ausgehobelt, an einigen Stellen schoben sich bereits wilde Gräser an die Oberfläche. Meos Arme überzog eine Gänsehaut, so kalt war es, zudem spürte er wie seine Magie schwächer wurde, als würde jemand einem Feuer die Luft entziehen, aber er ging unbeirrt vor zum Altar. Celine folgte ihm aufmerksam. Ihre Schritte hallten unglaublich laut von den Sandsteinblöcken wider. Vor ihnen erhob sich die Statue ihrer Göttin, eingerahmt von den riesigen, mit Steinrosen verzierten Fenstern am Ende des Kirchenschiffes.
Lunais Schädel war der eines Wolfes, mit spitzen Ohren, gefletschten Zähnen und glühenden Augen, so rot wie die Zeichnungen, die sich über ihr Fell zogen. Ihr Körper stand ungewöhnlich aufrecht und war über und über behangen mit feingliedrigen, silbernen Ketten, ihm war schon immer unmöglich zu sagen ob sie sie fesseln oder schmücken sollten. Langes, schwarzes Haar wallte um ihren Kopf, ganz anders, als bei ihren Kindern. Bevor er wusste, dass es Blasphemie war, hatte Meo gedacht, dass sie mehr wie ein Mensch mit wölfischen Zügen, denn wie ein Werwolf aussah, aber natürlich war dieser Gedanke unsinnig. Es gab keine Tiermenschen.
In der flackernden Dunkelheit sah er die Silhouetten der anwesenden Kreaturen, sie saßen oben auf den Emporen, trieben sich im Schatten der Gewölbe herum und lungerten auf den Kirchbänke herum.
Meo nahm sie alle zur Kenntnis, doch er gab sich nicht die Blöße zu ihnen zu blicken. Er ging aufrecht und bestimmt auf die Statue seiner Göttin zu, zu deren Füßen ein junger, großgewachsener Werwolf saß und leger seine Beine baumeln ließ. Man musste sich schon selbst als ein ganz besonders geliebtes Kind von Lunai sehen, um sich so vor einer ihrer Abbildungen zu fläzen.
Glockenhell hallte das Klingen durch die Kirche und Meo sah das Glitzern der Münze in der Luft, ehe sie zurückfiel und von dem Mann gefangen wurde. Die beiden Shinejey blieben kurz vor der Abschlussreihe der Bänke stehen. Meo hob selbstsicher sein Kinn und sah erwartend zu demjenigen, der ihn eingeladen hatte.
Edric Bleck grinste wie immer sein süffisante Raubtiergrinsen, als er sich zu ihnen wandte. Mit großer Geste erhob er sich und selbst als er auf sie zutrat warf er die Münze in seiner Hand. Wie immer, wenn er den Werwolf sah, ertappte Meo sich dabei wie er versuchte in seinen Gesichtszügen irgendetwas zu finden, was ihn an Darian erinnerte. Sie waren beide groß, ihre Wangenknochen scharf, ihre Nasen gerade, ihre Lippen voll, aber das waren schon all ihre Gemeinsamkeiten. Mit seinem Dreitagebart wirkte er weitaus kantiger, als der Alpha, seine Haare waren dunkelbraun, seine Augen blau, seine Statur durch das Leben in den Straßen von Craycarasz bestimmt, selbst wenn er versuchte mit einem dunkelblauen Jackett über seinem Hemd, das einen Knopf zu weit offen war, die Eleganz des Hofes nachzuahmen.
„Meo Carrasco! Du bist meiner Einladung gefolgt", stellte er erfreut fest und sah dann seine Begleiterin an. „Und du bist auch gekommen, Celine." Sein helles Lächeln verrutschte nicht ein Stück, aber es flackerte in seinen Augen. „Du wirst mir hoffentlich verzeihen, dass meine Einladung nur Meo galt. Ich habe natürlich nicht die guten Manieren vergessen, die man mir in der Zitadelle eingeprügelt hat. Ich hatte nur befürchtet, dass du immer noch wütend auf mich seist." Er bewegte seinen Arm und es sah fast aus, wie eine Verbeugung. Selbst seine kleinsten Bewegungen waren so vollkommen anders, als die von Darian.
Angewidert starrte Celine ihn an. Das was sie fühlte, ging weit über Wut hinaus, aber sie waren wegen etwas ganz anderem hier.
„Ich bin hier um aufzupassen, dass Meo nicht aus Versehen stolpert oder ihm ein anderer Unfall passiert!"
Edric warf theatralisch seinen Kopf zurück. „Habt ihr das gehört, Leute?!" Seine Stimme erfüllte die ganze Kirche und die Anwesenden begannen zu lachen, von den dunklen, formlosen Geschöpfen, von denen Meo bis jetzt nur den Atem vernommen hatte bis hin zu den Leuten im schwachen Kerzenschein, die er ausmachen konnte. Eine junge Werwölfin mit hochgesteckten Haaren, die Edric fasziniert anstarrte, ein großgewachsener Mann, der immer wieder nervös an seinen leeren Gürtel griff, als würde der Verlust seiner Waffe ihn in Angst versetzen, die nur der Anblick seines Anführers besänftigen konnte, bis hin zu einem merkwürdigen Kerl, dessen Haut etwas zu dunkel war, um die eines Wolfes zu sein und welche über und über mit Tätowierungen verziert war. Die unheilvollen Geräusche der Schadenfreude hallten bis in Meos Knochen wider und seine Muskulatur wurde hart, als ihm bewusst wurde wie zahlenmäßig unterlegen sie waren. „Das", rief Edric, „ist wahre Liebe! Scheiß auf diese dumme Verbindung, auf diesen dämlichen Gefährten-Blödsinn und das verdammte Schicksal, wenn man eine Frau haben kann, die für ihren Mann Bestien tötet!" Der Werwolf grinste sie beide wissend an, seine blauen Augen glühten. „Ich kann einfach nicht fassen, dass Darian bis heute zu dumm ist, um das mit euch herauszufinden! Was für ein Schwachkopf." Er warf erneut seine Münze, fing sie auf und verschränkte dann seine Arme hinter dem Rücken. „Celine. Natürlich bin ich nicht hier um Meo etwas anzutun." Er zuckte mit den Schultern. „Selbst mit meinen ganzen Blockierern und ohne diese hübschen Steinchen, die er da unter seinem Umhang hat, würde ich das auch nicht hinbekommen. Meo würde jedem hier die Luft aus den Lungen saugen und uns alle töten." Dieses Mal blieben seine Gefolgsleute verstört stumm und Meo versuchte eine neutrale Miene zu wahren. Edric wies mit großer Geste auf sich selbst. „Deswegen sind wir ja auch nicht hier. Meo und ich, wir beide sind ehrbare Männer unseres Wortes. Männer von unzweifelhafter Ehre! Wir würden niemals so ein Treffen mit Misstrauen und Blut besudeln."
Edric war seit jeher außerordentlich gut darin gewesen mitreißende Monologe zu halten, die seine Zuhörer bannten und in ihnen genau die Gefühle weckte, die er haben wollte. Meo fragte sich ob es für ihn frustrierend war, dass er keine Regung zeigte und Celine ihn nur anstarrte, als wäre er eine widerliche Made, die sie am liebsten zertreten würde, oder ob es ihm absolut egal war.
„Natürlich würde Meo das nicht tun", knurrte Celine feindselig.
Mit großer Geste hob er seine Hände und deutete zur gewaltigen Statue über ihm. „Und auch du würdest kein Blut vergießen an einem so heiligen Ort wie diesem, auch noch das eines Kindes der großen Göttin, oder? Du lässt deine Silberdolche, da wo ich sie nicht sehen kann, richtig?" Die Erd-Beschwörerin blieb still. Ungerührt erwiderte sie Edrics süffisantes Grinsen mit stoischer Miene, ehe sie ihrem Geliebten einen kurzen Blick zuwarf. Meo schüttelte nur den Kopf und sie atmete hörbar aus. Ihre Schultern sackten herab, aber die Spannung wich nicht aus ihrem Körper. „Sehr gut. Ich wusste unser kleines Band würde halten. Ihr wart beide immer sehr nett zu mir."
Celines Kiefer verhärtete sich, als würde sie sich selbst für all die Male verfluchen in denen sie den jungen Werwolf angelächelt und ihm nicht das Genick gebrochen hatte. Meo ergriff schnell das Wort, bevor sie etwas Unüberlegtes tun konnte. „Was willst du, Edric?"
Er wandte sich wieder seinem eigentlichen Gast zu, stellte sich etwas gerader hin und Meo wappnete sich für alles was nun kommen würde.
„Es geht hier nicht um das was ich will. Es geht darum, was du willst!" Der Anführer des Königsblauen Bundes wandte sich um und begann vor der Statue seiner Göttin auf und ab zu laufen. Die Spiegelungen der Buntglasfenster schillerten auf seiner Kleidung. „Und natürlich darum, was du brauchst." Edric hob seine Hand, die Münze tänzelte über seine Fingerknöchel, als wäre sie getrieben von Magie. Doch das stimmte nicht. Wahrscheinlich hatte er so lange auf das Metall eingeredet bis es bei ihm bleiben wollte. „Gib einem Mann, was er will und er geht wohin du möchtest. Gib einem Mann, was er braucht und er folgt dir freiwillig."
Die Weisheit hörte Meo heute zum ersten Mal, skeptisch legte er seinen Kopf schief.
„Ach und was brauche ich?"
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