2. Kapitel - Langweilig

Emira sah zu Ariana und die Schwestern blickten sich kurz an, die Ältere grinsend, die Jüngere unamüsiert. Sie wandte sich kopfschüttelnd ab und ging an der Sol'Artaire Tierarztpraxis vorbei in Richtung Stadt.

„Jetzt warte doch mal!" Ariana sprang neben sie, ihre Augen funkelnd vor Schalk. Das hatte sie definitiv von ihrem Vater. „Was sagst du denn dazu?"

Die Angesprochene unterdrückte ein Seufzen und warf ihrer Schwester nur einen unbehaglichen Blick zu.

Ariana hob ihre Arme und deutete auf die riesige, gepflasterte Straße vor ihr und auf die großen, bunten Häuser an ihren Seiten. Ihre Familie verdiente genug Geld, um auf der guten Seite von Enrhym zu leben, weit weg von den Steinraffinerien, die ihren stinkenden Qualm in die Luft pusteten und die Backsteine in den ärmeren Stadtvierteln dunkel verfärbten.

„Der Alpha von Esparias sucht seine Gefährtin und den Anfang macht er unter den Menschen- und Werwolfmädchen von Enrhym, da Craycarasz für ihn eine komplette Enttäuschung war."

„Ja das ist mir durchaus bewusst", murmelte Emira.

Ariana lief ein paar Schritte vor, drehte sich dann um und lief rückwärts, um die ganze Zeit ihrer kleinen Schwester in die Augen zu sehen. Sie wusste ganz genau, dass sie sie damit niemals aus der Fassung bringen würde. Emira sah nicht weg.

„Und was sagst du dazu? Du musst doch eine Meinung haben?"

Die Jüngere legte ihren Kopf schief. „Es ist der Brauch der Werwölfe und nun mal Teil ihres ganzen Wesens den Gefährten zu finden, der ihnen für ihr ganzes Leben vorbestimmt ist."

„Na und? Ist das unser Problem, dass diese Mondanbeter nicht ohne ein Frauchen oder Herrchen überleben können? Müssen wir Menschenfrauen es jetzt über uns ergehen lassen, von ihnen angestarrt zu werden bis sie...", sie wedelte wie vorhin mit ihrer Hand durch die Luft, „...diese ominöse Verbindung spüren? Gott was soll das überhaupt sein? Ein Magenkribbeln? Was ist wenn der Alpha-Köter an dem Tag eine Magen-Darm-Erkrankung hat?"

„Ariana...", seufzte Emira gutmütig.

„Oder eine Blinddarmentzündung."

„Ariana..."

„Vielleicht bescheißen die Viecher uns auch schon seit Ewigkeiten."

„Ariana, hör auf damit", bat sie ruhig und bestimmt, doch ihre Schwester dachte gar nicht daran und zuckte nur mit den Schultern während sie unbeirrt weiter rückwärtslief.

„Gott! Ist es unser Problem, dass diese Halbhunde keine emanzipierten Weiber haben? Sollen wir jetzt unseren Nachnamen ablegen, ihren Annehmen und dann auch noch unsere Töchter nach ihren ekligen Vätern, voll mit Flöhen und aggressiver als Säure, benennen?" Sie redete sich in Rage und das war nie gut. Strom pulsierte um sie herum, ihre Haare begannen erneut abzustehen.

„Ariana." Bei der Bestimmtheit in ihrer Stimme, blickte die Angesprochene zu ihr, anstatt wütend durch sie hindurch. „Die Werwölfe und die Menschen leben schon ewig gut zusammen. Sie können nichts dafür, dass die Mondgöttin sie so geschaffen hat, dass sie jemand anderen brauchen. Maria und Bernhard sind ein schönes Paar. Sie lieben sich. Sie vervollkommnen sich." Ariana zischte nur abwertend und verdrehte die Augen, aber ihre Schwester ließ sich von ihr nicht beirren. „Wenn es sein muss um den Frieden in Esparias zu wahren, muss ich wohl zu dieser Veranstaltung. Aber wie Mama schon sagte: Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, dass einer von uns, oder überhaupt irgendjemand den wir kennen, die Gefährtin des Alphas ist, ist unwahrscheinlich."

Die lange Straße, der sie folgten, füllte sich mehr und mehr mit müden, beschäftigten Menschen. Frauen in feinen Kleidern liefen neben Männern in schicken Anzügen und Zylindern, ein starker Kontrast zu den schwitzenden Arbeitern neben ihnen, die bereits zu dieser Tageszeit versuchten das Graffiti an einer Häuserwand zu entfernen. Emira warf einen kurzen Blick auf die Plakate, die die Ankunft des Alphas und seiner beeindruckenden Gefolgschaft verkündeten, sie überklebten sogar die Gesucht-Aushänge, die nach in den Wäldern verlorenen Kindern, weggelaufenen Frauen und den Rebellen der Schwarzen Asche fahndeten. Dreckiges Wasser und kleine Seifenblasen verfärbten den Putz, und die Buchstaben verblassten langsam unter den groben Scheuerbürsten, trotzdem konnte sie die Worte, die über dem Bild des Alphas prangten, entziffern.

Nicht unsere Kinder

Noch mehr Menschen, die nicht erfreut waren, dass der Alpha sie besuchen kam.

Ariana holte Luft zum Sprechen, aber Emira unterbrach sie, „Zudem sind sowohl in der Stadtwache, als auch sonst überall Werwolffrauen vertreten. Ich schätze also diese Emanzipationssache ist doch nicht so wie du denkst."

„Du hast keine Ahnung wie Emanzipation abläuft, oder?", knurrte Ariana. „Und Gott, warum erzählst du mir jetzt von deinen Scheiß ‚Freunden'? Weil das mal gutging? Was ist mit Tommaso und Mariette? Sie waren ganz verrückt vor Liebe, haben mit achtzehn geheiratet, Kinder bekommen und waren dann neun Jahre glücklich zusammen bis dieser Werwolf in unsere Stadt kam, Mariette wie ein Vollidiot mit ‚Meins' anschrie und sie für sich beanspruchte."

„Ich dachte du kannst Tommaso nicht leiden?"

„Gott, natürlich nicht! Er hat sich eingepisst wie ein weinerlicher Feigling und hat seine Frau aufgegeben. Was für ein Wichser." Ariana drehte sich wieder richtig herum, ihre Augen glühten vor Abscheu und sie spuckte auf den Boden neben sich. „Und was sagt Kaden dazu?", ergänzte sie bösartig.

Emira verzog keine Miene obwohl sie ihrer Schwester einen wütenden Blick zuwerfen wollte, der sie zum Schweigen bringen würde. „Er versteht die Situation natürlich."

„Gott, labere keine Scheiße!"

„Seit wann bist du eigentlich so sehr auf Götter versessen?"

„Keine ‚Götter'. ‚Gott', den Gott der Sonne und der Herr der Flammen! Die Werwölfe jammern ihre Mondgöttin an, und ich..."

„...jammere den Sonnengott an?"

Wenn sie so lief konnte man es sehen, eine goldene Sonne mit acht flammenden Strahlen, die sich Ariana, aus purem Trotz, in ihren Nacken hatte stechen lassen. Ihre Eltern hatten damals nur belustigt ihre Augen verdreht.

„Der Sonnengott ist nun mal der Glauben der Menschen. Und ich jammere nie." Wenn man ihr ewiges Beschweren nicht als ‚Jammern' wertete, stimmte das sogar. Ariana weinte nicht, sie hatte keine Angst, sie hatte keine Hemmungen. Mit genug Alkohol wurde sie dabei sogar so leichtsinnig, dass Emira sie nicht nur einmal davon abhalten musste etwas sehr, sehr dummes zu tun. Etwas, was anderer Leute Sachen beschädigen würde. „Versteh mich nicht falsch. Ich will zwar ständig, dass du dir einen neuen Freund suchst, aber so einen verdammten Halbköter brauchst du nun auch nicht!"

Emira spürte wie die Wut sie durchströmte. Ein heißes, widerliches Gefühl, dass ihre Wangen glühen ließ, doch sie beherrschte sich. „Kaden ist ein guter Mann", sagte sie mit Nachdruck.

Ariana blickte ihrer Schwester in die Augen, sie hielten den Kontakt und sie konnte quasi sehen, dass die Ältere darüber nachdachte wie weit sie gehen würde. Wütend war Emira wohl sehr respekteinflößend, laut der Aussage ihrer Freunde, aber Ariana war kein Mensch der Respekt hatte. „Kaden ist nicht mehr als ein kleiner Junge. Langweilig und feige."

Langweilig – das war die niederste Stufe zu der ein Mensch in Arianas Augen rutschen konnte. Werwölfe und einige Arbeiter hasste oder verabscheute sie wenigstens – aber wenn jemand langweilig war, war er ihr kaum mehr als Luft wert.

Die ältere der beiden hatte schon viele Freunde gehabt, alle auf ihre eigene Weise faszinierend und doch hatten sie sie alle nach einiger Zeit gelangweilt.

Ein harter Draufgänger, der ihr nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte und lieber versucht hatte, sie mit anderen Mädchen eifersüchtig zu machen – langweilig.

Ein kluger Student, der begann ihr ein Haufen Regeln zu machen – langweilig.

Ein hübscher Auszubildender, der es überhaupt nicht schaffte mit ihr mitzuhalten und versuchte sie mit Geschenken bei sich zu behalten – langweilig.

Ein junger Fischer, der sie im Streit ohrfeigen wollte, sie jedoch geschickt ausgewichen war und ihn mit ein paar gezielten Fausthieben und Stromstößen bewusstlos geschlagen hatte – extrem langweilig.

Kaum eine von Arianas Beziehungen ging länger als ein halbes Jahr, wenn sie nicht schon nach den ersten Annäherungsversuchen absolut gelangweilt war.

Emira war in diesen Sachen ganz anders, Kaden war ihr erster Freund und sie waren schon seit zwei Jahren zusammen.

„Vielleicht bin ich ja auch langweilig", meinte sie schlicht.

Ein hohes Lachen verließ Arianas Kehle, ein heller Laut, unpassend und störend in dieser ruhigen Stadt. „Emira, Emira, Emira. Meine süße, kleine Schwester. Du bist nicht langweilig. Du bist eine Sol'Artaire Frau. In dir brennt Feuer!"

Sie musste an sich halten nicht wegen dieser Floskel ihre Augen zu verdrehen und lächelte nur gutmütig. „Und in dir fließt Strom."

Ariana schnippte mit ihren Fingern vor Emiras Nase und ein winziger Sturm von kleinen Blitzen stob um sie herum. „Was soll an dir langweilig sein? Du bist zielgerichtet und bekommst was du willst. Du bist bestimmt und du bist ja nicht dämlich." Sie warf ihren Kopf herum um ihre Haare aus ihrem Gesicht zu bekommen. „Außer wenn es um die Wahl deines sozialen Umgangs geht."

Emira verdrehte nun doch die Augen und sah hinauf zu den riesigen bewaldeten Bergen, die Enrhym einrahmten. „Danke, dass du dich so sehr um mich kümmerst", begann sie, „Aber ich entscheide selbst mit wem ich sozial umgehe."

Ihre ältere Schwester blickte ihr enttäuscht entgegen. „Dann umgib dich eben mit rückgratlosen Mädchen und ihren Werwolffreunden und mach mit Kaden rum. Du wirst sehen wohin dich das führt."

Eine erneute Welle an Wut flutete durch Emiras Körper, ihr Kiefer verhärtete sich, ihr Herz schlug schneller. Es war ihr vollkommen egal, wenn Ariana etwas über sie sagte, aber dass sie schon wieder ihre Freunde angriff, war zu viel.

Das war nicht das erste Gespräch dieser Art. Nicht das erste Gespräch in dem Ariana meinte, dass die Freunde ihrer kleinen Schwester nicht die Zeit wert waren, die sie mit ihnen verbrachte. Das sie schwach und langweilig waren.

Weich.

Und irgendwo hatte sie ja Recht. Nadine und Maria waren schon sehr sanft, keine Gesellschaft mit der sich Ariana abgeben würde, aber anders als ihre große Schwester bevorzugte es Emira nicht eine Einzelgängerin zu sein, jemand der lieber allein war, als mit irgendjemandem Zeit zu verbringen, der ihr nicht gefiel.

Emira streckte ihre Hand aus und packte die Schulter ihrer Schwester. Sie griff nicht mal hart zu, mit körperlicher Gewalt konnte sie wenig anfangen, sondern berührte sie nur bestimmt genug, um Ariana dazu zu bringen, stehenzubleiben, und sich zu ihr umzudrehen. Die Ältere blickte fragend hinab in ein dunkelgrünes Augenpaar, dass in einem ruhigen Feuer glühte.

„Ich danke dir für deine Anteilnahme, wirklich. Ich weiß, dass du mich beschützen willst." Ihre Schwester holte Luft um sie zu unterbrechen, doch schon bei dem selbstgefälligen Grinsen, dass davor ihre Züge beschlich, drückte Emira kurz zu. Nicht grob, aber fest. „Ich suche mir meine Freunde selbst aus. Und du wirst aufhören schlecht über sie zu reden."

Ariana hielt unbeirrt ihrem Blick stand. „Wenn ich tot bin vielleicht."

Emira wich kein Stück zurück, das Wort, dass sie sprach rollte voll und unerschütterlich über ihre Lippen: „Sofort."

Sie starrten sich an.

Irgendwann ließ Emira von ihrer älteren Schwester ab und ging einfach weiter.

Ariana sprang ihr schließlich hinterher, aufgedreht wie ein junger Hund. „Wer ist hier jetzt langweilig?", schnurrte sie als wäre sie zufrieden.

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