19.2 Kapitel - Die Schöne und die Bestien
Ihr Herz flatterte panisch in ihrem Brustkorb, fast so, als wolle es ausbrechen, doch selbst dann, hätte es nicht entkommen können. Als sie nach oben guckte, um den Himmel zu sehen, bemerkte sie die dicke Glaskuppel über dem Hof. Emira schluckte, aber ihre Kehle hörte einfach nicht auf trocken zu sein.
„Da bist du ja!" Darians Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Von irgendwoher war Amalrich zu ihnen getreten, den Kopf demütig gesenkt, wagte er es nicht seinem Alpha in die Augen zu blicken, wohl besser so, denn dieser knurrte ihn leise an, ehe er sich zu seiner Gefährtin umwandte. „Ich muss Mich nun um diese leidige Angelegenheit kümmern. Alpha-Sachen, nicht wichtig für dich." Sie war viel zu überwältigt von all den Eindrücken der Stadt, von der Zitadelle und der bedrückenden Atmosphäre, dass sie ihm nur stumpf entgegenblicken konnte. „Keine Sorge, Meine süße, kleine Gefährtin. Das ist der sicherste Ort in ganz Lupar und dein neues Zuhause." Ihr Bauch verwandelte sich in einen heißen, schweren Klumpen.
„Ich...ich...", stammelte Emira.
Beschwichtigend legte er seine Hände auf ihre Schultern. Ihr wurde schwindelig.
„Jemand wird dich abholen und dir alles zeigen." Seine Stimme war so unglaublich sanft. Aus dem Mund eines anderen hätte es sie vielleicht sogar beruhigt.
Hilflos sah sie sich um und ihr Blick blieb an den einzigen anderen Menschen im Hof hängen. Eine Traube blau Uniformierter hatte sich gebildet, sie alle warteten schon fast begierig auf die Anweisungen ihres müden Anführers und zerstreuten sich zügig, fast, als würden sie sich darauf freuen ihre Aufgaben zu verrichten.
„Meo, vielleicht?"
Eigentlich hatte sie mit dem Anführer der Shinejey einen sehr schlechten Start gehabt und das Bild wie er mit der Peitsche in der Hand über Stella gestanden hatte, würde sie nie wieder vergessen, aber er hatte ihr beim Anschlag des Königsblauen Bundes mehrmals das Leben gerettet. Zudem konnte sie sich vorstellen, die schwarzhaarige Elektrizitäts-Beschwörerin an seiner Seite zu mögen.
Darian folgte ihrem Blick und runzelte dann die Stirn, als hätte er nie im Leben in Betracht gezogen, dass die Magiebegabten zu etwas anderem fähig waren, als für ihn feindliche Werwölfe zu töten und seine Befehle auszuführen.
„Nein." Er klang fast angewidert. „General Hiltwin wird dich mitnehmen."
„General?" Aber er hatte sich bereits abgewandt und war davon stolzierte, mit wenigen Schritten schon zu weit von ihr entfernt, um ihr Flüstern zu hören. Amalrich trottete ihm hinterher und auch Alina verließ sie.
„Ich muss mit ihnen gehen, sie unbesorgt!", rief die Prinzessin ihr noch zu und holte dann ihren Bruder ein.
Verlassen stand sie da. Hitze wallte durch ihren Körper, ihre Hände fühlten sich furchtbar leer an, sie öffnete und schloss ihre Finger und wünschte sich ihren Stoffhund zurück. Sie hatte ihn zu ihrem Gepäck getan und das wurde bereits für sie weggebracht. Was sollte sie jetzt tun? Warten? Einfach hier stehen? Sie sah zu den Beschwörern. Meos Haut war noch immer merkwürdig farblos. Bestimmt wollte er sich eh gleich hinlegen und sich ausruhen und sie würde nur stören. Die kleiner gewordene Gruppe Shinejey begann plötzlich zu lachen und eine eiskalte Klinge der Einsamkeit bohrte sich in ihr Herz.
Angespannt atmete sie tief durch. Sie musste sich zusammenreißen, um hier zu leben! Was wusste sie über die Alpha-Familie von Esparias? Darian vom Schwarzbach war derjenige, der die Schwarze Krone trug, klar, seine jüngere Schwester Alina war ein großes Vorbild für viele Mädchen und Frauen im Land und bekannt für ihre niedlichen Kleider und dann war da noch...ein Bruder. Otto vom Schwarzbach, der Jüngste der Geschwister und nicht wirklich präsent genug, damit sie mehr über ihn wusste, als seinen Namen. Und sie alle waren die Kinder von...Heinrich und Nuria vom Schwarzbach...die beide tot waren. Ihr Herz schlug panisch, ihr war, als hätte jemand ein dickes Seil um ihren Brustkorb gebunden und ihr wurde schwindelig. Hilfesuchend sah sie erneut zu den Shinejey. Sie wirkten so normal in dem allen.
Ihre Leute waren alle in der Zitadelle verschwunden und nun machten auch Meo, Celine und Oliva Anstalten den Hof zu verlassen. Die drei blieben ständig zusammen, ein unerschütterliches Kollektiv, das mehr verband, als nur ihre Uniform.
Emira wusste nicht einmal woher sie den Mut nahm, um auf sie zuzugehen, aber als sie es tat rauschte das Blut in ihren Ohren.
„Oliva!", rief sie der jungen Frau zu, doch sie sah nicht einmal auf, als sie ihren Namen sagte. Oh nein, sie störte sie wirklich. Doch dann blieb die Beschwörerin stehen und sah verwirrt zu ihr. Emira hob ihre Hand zum Gruß. „Hallo Oliva, ich..."
„Ich bin nicht Oliva", antwortete sie und Emira war, als würde sie von einem der roten Türme in die Tiefe stürzen.
„W...Was?"
„Ich bin nicht Oliva", wiederholte sie.
Oh nein. Sie hatte einen Fehler gemacht. Aber wie? Das war doch die Frau, die ihr beim Überfall beigestanden hatte? Wie konnte sie nur ihren Namen vergessen?
Ihr Gegenüber bemerkte ihr Unwohlsein und schenkte ihr ein versöhnliches Lächeln. „Mein Name ist Sophia. Oliva ist meine Zwillingsschwester. Ich bin Mitglied der Triade, sie nicht."
„Oh." Emiras Stimme war dünn. Zwillinge. Sie hatte gar nicht gewusst, dass das ging. Unbehaglich stand sie da. Jetzt kannte sie doch nicht und ihr dünner Plan war zerstört. Meo und Celine waren nun ebenfalls stehengeblieben und starrten sie an. Ihre Knie schlotterten, während ihr Kopf nach Worten suchte in dem Chaos, das einst ihre Gedanken waren.
„Keine Sorge", kam Meo ihr zu Hilfe, „ich hab sie am Anfang auch immer verwechselt." Er lächelte sie aufmunternd an und Emira erinnerte sich wieder daran, was sie eigentlich hatte sagen wollen.
„Ja. Es tut mir leid, Sophia. Ich...ich soll auf einen General Hiltwin warten und ich...also...kennt ihr so jemanden?" Natürlich. Sie fragte die höchstgestelltesten Menschen hier, die magiebegabte, Werwolf-tötende Kämpferelite des Alphas, die wahrscheinlich schon seinem Vater gedient hatte, ob sie einen General kannten. Was für eine intellektuelle Glanzleistung ihrerseits. Die drei reagierten genauso perplex, wie sie erwartet hatte und sie überlegte panisch wie sie das retten konnte. „Also...ich meine...Ich weiß gar nicht wie er aussieht und was ich tun soll."
„Das wirst du dann schon sehen." Die eiskalte Stimme von Celine ließ Emira zusammenzucken. Auf der Parade, als sie sie mit ihren Shinejey eingekreist hatte, hatte die Schülerin kaum einen Gedanken daran verschwendet, was die Begabte von ihr dachte, aber nun fragte sie sich betroffen, was sie falsch gemacht hatte. War es, weil sie sie mit dem Mob in Enrhym erpresst hatte, sie gehen zu lassen? „Warte lieber auf einen Führer. Die Zitadelle ist groß und es könnte gefährlich für dich sein kopflos herumzustreunen. Nachher hörst du noch Sachen, die dich gar nichts angehen."
Emiras Wangen wurden glühend heiß vor Scham. Sie wusste es. Sie wusste, dass die Schülerin im Wagon gewesen war und ihre Unterhaltung mit Meo mitbekommen hatte. Noch nie in ihrem Leben war ihr etwas so unglaublich peinlich gewesen. Ihr Mund trocknete aus und ihre Zunge klebte nutzlos an ihrem Gaumen. Und das jetzt, wo sie sich wirklich dringend entschuldigen sollte.
Doch der Gott der Sonne, oder die Göttin des Mondes oder gar der Geist des Glücks, hatten Mitleid mit ihr.
„Carrasco!", hallte es plötzlich über den Hof. Meo, der zuvor noch fragend seine Mitstreiterin gemustert hatte, seufzte tief und drehte sich dann in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
„Temmener", grüßte er mit neckendem Unterton.
Die Frau, die mit ausladendem Hüftschwung auf sie zu stolzierte, war absolut atemberaubend. Ihr volles, goldenes Haar, war eindrucksvoll geflochten worden, einige Strähnen hingen ihr dabei neckisch ins aufwendig geschminkte Gesicht. Ihre Augen waren dramatisch schwarz umrandet worden, ihre Lippen so rot bemalt wie die Sünde selbst, und ihre Haut war makellos und hell, bis auf das Rouge auf ihren hohen Wangenknochen. Ihre Kleidung bestand aus einem eng geschnürten Mieder, das ihre Brüste gut in Szene setzte und ihr Dekolleté präsentierte, welches eine schwere Kette aus Weißgold zierte. Die dazu passenden, langen Ohrringe, schwangen im Takt zu ihrem Gang, das Armband klimperte an ihrem Handgelenk. Der Rock, den sie zu dem Ganzen trug war so kurz, dass man die weiße Haut ihrer Oberschenkel sehen konnte, doch dafür gingen ihr ihre Stiefel bis über die Knie.
Emira schluckte. Diese Frau wäre anständiger gewesen, wenn sie nackt gewesen wäre.
„Ich habe gehört du hast dich von den Königsblauen zerfetzen lassen." Sie blieb direkt vor dem Anführer der Shinejey stehen und taxierte ihn. „Bei der Göttin, siehst du beschissen aus."
Meo lächelte müde. „Danke Ruth. Die Aussicht auf deine aufbauenden Worte, hat mich durch den ganzen Tag gebracht."
Die Werwölfin zog eine perfekt geschwungene Augenbraue nach oben, stemmte einen Arm in ihre Hüfte und streckte ihren Rücken durch. Meo hielt unbeeindruckt weiter Augenkontakt, während die Oberweite der Werwölfin die Blicke der anderen Menschen auf sich zog.
„Sei nicht so sarkastisch, Carrasco!" Verunsichert stand Emira neben ihnen. Sie hatte gedacht die Shinejey würden in der Hierarchie der Zitadelle eine hohe Stellung einnehmen, aber so locker wie die Frau mit ihnen sprach, hatte sie da wohl falsch gelegen. „Ich habe auch gehört du hättest irgendwie die Gefährtin des Alphas gefunden und dass sie dich fast umgebracht hätte!"
Meo blieb trotz der offensichtlichen Provokation absolut ruhig. „Wo hast du das denn her?"
„Ihr habt sie gefunden, nicht wahr?"
Anstatt zu antworten, drehten sich die Shinejey zu Emira. Das Seil um ihre Brust wurde noch fester. Ruth wandte sich ebenfalls zu ihr, legte den Kopf schief, taxierte jede Faser ihres Körpers.
„Wartet was? Sie?" Sie lachte auf, kurz und grausam. „Ist das euer Ernst?" Mit einem Schritt war die Wölfin bei ihr, stellte sich direkt vor sie und das so nah, dass Emiras Haare sich vor Unbehagen aufstellten. Sie musste feststellen, dass sie die gleiche Fähigkeit wie Ariana hatte, sie konnte auf jemanden hinabsehen, obwohl sie nicht größer war, als ihr gegenüber. „Du? Du bist es? Du bist ja nur ein kleines Menschenmädchen. Und nicht mal wirklich beeindruckend! Kannst du etwas?"
Ihr ganzer Körper war steif vor Aufregung und sie konnte noch immer keine Ordnung in das Chaos ihrer Gedanken bringen. Etwas können? Was sollte das heißen? Dann funkte es plötzlich. Sicher! Magie. Werwölfe hatten keine Begabungen, aber manche Menschen waren beschenkt. Genau.
„Nein", sagte sie kleinlaut.
Ruth verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Nein? Nun, zumindest siehst du es ein. Du kannst nichts, aber trotzdem hat der Alpha dich erwählt. Dich, einen kleinen, weichen Menschen. Ohne Kräfte, ohne Macht. So geboren bist du nichts weiter als leichte Beute, richtig?" Es klang wie eine Frage, aber Emira wusste nicht was sie darauf erwidern sollte. „Richtig!" Ruth nickte, wie um sich selbst zu bestätigen. „Weißt du eigentlich was für Umstände du allen Anwesenden bereiten wirst? Meinst du Shinejey und Werwölfe zu deinem Schutz abzustellen ist Spaß für uns alle?"
„Ruth. Bitte", seufzte Meo.
„Sie muss wissen, wie es hier bei uns abläuft! Und jetzt pass genau auf, Menschenmädchen. Ich bin nicht deine Freundin. Ich bin die Art von Frau, vor der deine Mutter und dein Vater dich gewarnt haben und dir sagten, dass du dich von ihnen fernhalten solltest, verstanden?"
Emira blinzelte sie perplex an. Sie hatte noch immer keine Ahnung wer diese Ruth war, oder welches Amt sie bekleidete. Irgendwo jedoch hatte sie mal davon gelesen, dass die Werwölfe, vor allem die Herrschenden in der Uhrwerk-Zitadelle, manchmal Mädchen und Frauen bei sich wohnen ließen, um ihre weltlichen Gelüste zu befriedigen. Nervös sah sie nochmal an Ruth hinab und sagte dann den Satz, von dem sie gefürchtet hatte, dass sie ihn nicht rausbekommen würde.
„Ich glaube meine Eltern kennen keine Leute wie dich."
Meo schnappte plötzlich nach Luft und aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass er sich wegdrehen musste. Auch die anderen beiden Shinejey verbargen ihre Münder hinter ihren Händen. Mit verschränkten Armen wandte Ruth sich zu ihnen um, als dem Anführer doch noch ein leises Kichern entkam.
„Was ist daran bitte so witzig?"
Die drei Menschen rangen verzweifelt um Beherrschung, während Emira nur verwirrt danebenstand. Sie hatte gar nichts Komisches sagen wollen. Ehrlich gesagt hatte sie gar nicht länger über ihre Worte nachgedacht.
Nach Luft schnappend winkte Meo ab, der verzweifelte Versuch seine Freude zu unterdrücken schien ihm dieses Unterfangen nur noch schwerer zu machen.
„Alles gut. Alles gut. Ich hab nur..." Er atmete einmal tief durch. „Nicht so wichtig. War ein...Menschenwitz."
Meo und Celine wechselten einen kurzen Blick, Sophia kicherte immer noch. Die blonde Wölfin verlagerte ihr Gewicht und selbst diese Geste wirkte abschätzig. Vernichtend sah sie auf Emira hinab.
„Du denkst wohl du kannst hier einfach herkommen und ein gutes, fettes Leben genießen? Kannst jetzt einfach entspannen, dich verwöhnen lassen und nichts tun, so wie ihr Menschenmädchen es doch alle tut, richtig?" Ihre Worte erinnerten sie an ihre Freundin Nadine, daran wie sehr sie sich danach gesehnt hatte in so eine Wirklichkeit zu fliehen, wegzukommen von Enrhym und ihrem Vater, aber Emira hatte solche Gedanken nie gehabt. In Wahrheit bereitete ihr die Vorstellung absolut nichts zu tun nur noch mehr Unbehagen. „Richtig!", beantwortete Ruth ihre Frage erneut selbst ohne sie überhaupt zu Wort kommen zu lassen. „Aber pass mal gut auf, du bist nur ein Schwächling, ich weiß nicht was der Alpha in dir sieht, aber das kann man nie wissen. Gib bloß acht darauf, dass deine verdammte Schwäche mir nicht in den Weg kommt!"
Ruths Gesicht verzerrte sich in purer Verachtung und Emira fühlte sich schäbig und klein neben ihr. Nervös fuhr sie über die knubbeligen Narben an ihren Unterarmen und war sich plötzlich mehr als bewusst, dass die Kleider, die sie trug, nicht ihre waren, dass sie nicht hierhergehörte.
„Ich..." Emira verstummte kleinlaut. Sie hatte keine Worte, um ihr etwas zu entgegnen.
„Es ist immer gut zu wissen, wo man seinen Platz hat, richtig?" Sie zog ihre Mundwinkel nach oben und ihre blutroten Lippen verformten sich zu einem bösen Lächeln. „Richtig."
Es war als hätte die Werwölfin sie zu Boden geworfen und mit ihren hohen Stiefeln zerquetscht, so als wäre sie nichts weiter als ein schäbiges Insekt. Emira war schwindelig von ihrem schnell rauschenden Blut in ihren Ohren, die Ohnmacht betäubte sie. Sie wollte einfach nur nach Hause.
„Ruth! Warum bist du heute nur wieder so eine unleidliche Schlampe?" Die fröhliche Stimme hallte über den ganzen Hof und obwohl sie so hell war, zuckte Emira vor Angst zusammen. Das Mädchen hüpfte auf sie zu, ihr blond-braunes Haar schwang im Takt ihrer Schritte zusammen mit dem hübschen, blauen Tuch, das sie locker um die Schultern trug. Alles an ihr schien freundlich zu sein, von ihren funkelnden Augen, zu ihrem liebreizenden Lächeln, bis zu dem niedlichen, geblümten Kleid, welches perfekt zu ihrer hellen Haut passte.
Ruth zog ihre Lippen zurück und entblößte weiße, gerade Zähne, doch das Mädchen ignorierte sie.
„Du musst Emira Sol'Artaire sein!" Zwar sprach sie ihren Nachnamen falsch aus, aber das taten alle Werwölfe und ihr war das gerade ziemlich egal. Noch bevor Emira antworten konnte, verbeugte sich das Mädchen vor ihr und unbehaglich sah sie ihr dabei zu. Dieses ständige emotionale Auf und Ab machte sie vollkommen fertig. Sie wollte weder absolute Demut noch offene Aggression. „Mein Name ist Karoline Klangbeil. Du solltest Ruth einfach ignorieren! Sie ist..."
Unvermittelt packte die blonde Wölfin nach der Schulter der anderen und zerrte sie zu sich herum.
„Ja? Was hast du mir zu sagen? Oder willst du gar nicht reden? Wir können das auch gerne woanders klären. Wir gehen auf den Kampfplatz, nur du und ich. Und dann verwandeln wir uns. Du mit deinen vier Minuten gegen mich mit meinen zwanzig Sekunden und dann werden wir ja sehen."
„Ruth, ich bitte dich", mischte sich Meo ein. Er war auf die zwei Wölfinnen zugetreten, die Hände beruhigend erhoben. Emira war froh, dass er etwas sagte, aber sie beschlich das ungute Gefühl, dass er nichts ausrichten konnte.
Karoline Klangbeil hob unerschüttert ihr Kinn. „Ja. Zieh deine lackierten Nägel wieder ein!"
Knurrend tat sie noch einen Schritt auf die andere zu, die Hände zu Fäusten geballt. Kälte ergriff Emiras Herz. Die drohende Haltung mit der Ruth vor ihr stand, erinnerte sie an den Anschlag; an das ganze Feuer, den Rauch, den geifernden Werwölfen, die ihr nach dem Leben getrachtet hatten und an all die Gewalt, die nun auch Ruth ausstrahlte. Am liebsten hätte sie etwas gesagt, sie aufgehalten, wie sie es auch schon mit Darian geschafft hatte, aber sie war wie erstarrt. Ohnmächtig angesichts all der Brutalität.
„Du kleine..."
„Was soll das werden?" Die Doppelflügeltür zu einem der Korridore wurde aufgestoßen und eine große Frau trat heraus. Ihre Haltung war gerade, ihr Gang zackig und schnell. Die Uniform, die sie trug, war voll mit Abzeichen, Sternen und Litzen, die Emira zwar nicht zuordnen konnte, jedoch unmissverständlich klarmachten wie hoch ihr Rang war. Ihr ergrautes Haar hatte sie streng zurückgebunden, ihre Gesichtszüge waren grob, voll mit Falten, die von ihrem Alter erzählten und Narben, die das gleiche von einem bewegten, kämpferischen Leben taten. Alles an ihr erinnerte Emira an einen Molosser, riesige, muskelbepackte Hunde, die für den Krieg gemacht wurden. Überrascht beobachtete das Menschenmädchen wie die Anspannung aus Ruths Körper schwand und sie sich von der anderen wegdrehte. „Was tust du hier?", fragte die alte Wölfin mit rauer Stimme.
„Ich habe heute frei."
Emira fragte sich wie das eine adäquate Antwort auf ihre Frage war und auch die Uniformierte verzog ihr Gesicht in Skepsis.
„Ich weiß", antwortete sie, dabei wanderte ihr Blick über die Kleidung der Jüngeren, wenn möglich wanderten ihre Mundwinkel noch weiter nach unten. „Das entbindet dich weder deines Ranges noch dem Benehmen, das ihm folgen sollte!" Die Strenge in ihren Worten ließ Ruth betreten zu Boden sehen. „Mein Name ist Gudrun Hiltwin, oberster General des Landes Esparias", wandte sie sich dann an Emira. Sie erstarrte vor Ehrfurcht und war erneut peinlich berührt, als die Frau sich vor ihr verbeugte. „Ich bitte um Verzeihung für meine Schülerin Ruth. Zumeist erinnert sie sich an ihre Manieren."
Schülerin? Schnell versuchte sie Worte zu finden, die sie aussprechen konnte.
„Ja. Ja, natürlich!" Ihre Zunge war überraschend schnell.
Gudrun verbeugte sich erneut. „Hauptmann Carrasco!", wandte sie sich an Meo, der sofort Haltung annahm. Die Andeutung von Sorge huschte über ihr Gesicht. „Ihr seht furchtbar aus!"
„Danke."
„Geht Euch hinlegen." Es klang fast wie ein Befehl und der Shinejey seufzte erleichtert. Er hob seine Hand an seine Brust, eine Geste, die seine Begleiterinnen ihm nachmachten, ehe die drei in der Zitadelle verschwanden. Emira kam der Gedanke, dass er vielleicht einfach nur froh war nicht mehr das Kindermädchen für sie spielen zu müssen.
„Ich bin...Emira. Sol'Artaire. Und...aus Enrhym."
General Hiltwin nickte. „Dies ist mir bekannt. Ich wurde mit der Aufgabe betraut Euch zu führen."
Sofort hüpfte Karoline neben sie, ihre Augen funkelten. „Wenn Ihr wollt, kann ich das übernehmen. Ihr habt sicher viel Wichtigeres zu tun."
„Es war ein Befehl."
Die junge Wölfin sah geradezu niedlich aus, als sie nachdenklich ihre Augenbrauen zusammenzog und ihre Lippen schürzte. „Ich glaube, ich habe von Darian gehört, dass Ihr ganz dringend gebraucht werdet! Oh ja. So schnell wie nur möglich!"
Ihr Gegenüber verschränkte die Arme vor der Brust. Zweifelnd blickte sie zwischen Karoline und Emira hin und her.
„Ach wirklich."
„Ja, wirklich! Ihr solltet sie suchen! General Hartur kann sicher Eure Hilfe gebrauchen." Sie grinste süß.
Der Blick mit dem Gudrun sie durchbohrte war so kalt, dass Emira eine Gänsehaut bekam. Sie hatte plötzlich das ungute Bedürfnis ihr alles zu gestehen, was sie je in ihrem Leben verbrochen hatte, doch Karoline blieb ungerührt.
„Gut. Gehen wir, Ruth!" Mit dem gleichen forschen, schnellen Schritt, mit dem sie aufgetreten war, ging der General an ihnen vorbei, das Ziel anscheinend schon fest vor Augen, niemand der sie aufhalten konnte. Ihre Schülerin zuckte bei ihrem Namen zusammen, protestierte jedoch nicht. Mit einem letzten giftigen Blick in ihre Richtung folgte sie der alten Wölfin.
„Oh bei der Göttin, ich dachte die würden nie gehen!", kicherte Karoline dann.
Verschüchtert drehte Emira sich zu ihrer ‚Retterin', suchte verzweifelt nach Worten die sie an diese Fremde richten konnte.
„Hast...hast du sie angelogen?"
Eine kleine Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen und ein Grübchen um ihren Mund, als sie fragend lächelte. „Ich glaube Hartur kann wirklich jede Hilfe gebrauchen, die er kriegen kann." Unvermittelt packte sie Emiras Hand und ein Schauer des Unbehagens jagte ihr durch den Körper, die Berührung erinnerte sie an die Begegnung mit dem netten Werwolfmann, der ihr ein Silbermesser in den Körper rammen wollte. Bevor sie sich jedoch wehren konnte, hatte Karoline sie schon mit sich gezerrt. Beherzt stieß sie eine Doppelflügeltür auf und führte sie wie selbstverständlich tiefer in die Uhrwerk-Zitadelle. Der riesige Eingang war ausgelegt mit rotem Teppich, der weich unter ihren Schuhen nachgab, über ihr hingen Kronleuchter, die in der beginnenden Dämmerung warmes Licht spendeten. Emira kämpfte den Drang nieder sich aus ihrer Umklammerung zu lösen. Das war doch alles nur gut gemeint und sie sollte sich entspannen. Die Wölfin führte sie, als wären sie Freundinnen.
„Du musst nach der langen Reise müde und hungrig sein, bist ganz allein in einer fremden Stadt und hast sicher immer noch Angst wegen der Königsblauen und dann ist Ruth auch noch so unaussprechlich unhöflich zu dir!" Die Wut in ihrer Stimme überraschte Emira. Sie beide kannten sich doch gar nicht und trotzdem setzte sie sich so für sie ein?
„Ich...ich weiß nicht einmal was ich falsch gemacht hab, sie war einfach so...grob."
Karoline lachte auf. „Oh ja, das ist das richtige Wort. Wie gesagt, ignoriere sie! Sie ist nur ein eifersüchtiges, überschminktes Miststück."
„Eifersüchtig?", wiederholte Emira überrascht.
„Ja, natürlich. Sie hat davon geträumt Darians Gefährtin zu werden, so wie jedes Mädchen in Esparias und darüber hinaus." Sie dachte an ihre Schwester und sich selbst und an all die Protestanten in ihrer Heimatstadt, aber anstatt Karoline zu korrigieren, nickte sie nur. „Sei unbesorgt, ihr werdet nicht allzu viel miteinander zu tun haben und auch über diese ganzen Verrückten musst du dir keine Gedanken machen. Die Uhrwerk-Zitadelle ist der sicherste Ort in ganz Esparias und an der Seite des Alphas wird es niemand wagen, dir etwas anzutun!"
Bei ihrem letzten Satz horchte Emira auf. Sie hatte es bis dahin nicht bemerkt, aber sie hatte ihn vorher nicht ‚Alpha', sondern beim Vornamen genannt.
„Kennst du ihn schon lange?"
Karoline führte sie durch eine lange Halle, die Wände behangen mit wunderschönen Bildern, eindrucksvolle Skulpturen hielten Wache neben einer Vielzahl von Türen. Plötzlich stoppte die Wölfin sie, das vorfreudige Funkeln in ihren Augen machte sie unglaublich sympathisch und Emira entspannte sich etwas mehr in ihrer Nähe. Ein Ruck ging durch ihren Körper und erschrocken klammerte Emira sich an Karoline, um nicht zu fallen. Der Boden hatte sich in Bewegung gesetzt und schob die beiden Mädchen vorwärts. Peinlich berührt ließ sie die Werwölfin los, die sich kaum bemühte ihr Kichern zu unterdrücken.
„Ganz ruhig, du fällst schon nicht!" Sanft tätschelte sie ihre Schulter und Emira überlegte, dass es wahrscheinlich schlimmeres geben konnte, als dieses Mädchen, das so gerne ihre Freundin sein wollte.
Wie ein langes Band wurde unter ihnen der Boden nach vorne gezogen, neben ihnen geschah das Ganze in die andere Richtung.
„Sowas hab ich noch nie gesehen."
„Die Uhrwerk-Zitadelle ist voll davon und anderem technischen Spielzeug. Wenn dir das schon gefällt, warte bis wir zu dem Billardtisch kommen, der sich selbst aus der Wand klappt."
„Wahnsinn", hauchte sie. Die ganzen neuen Eindrücke stürzten über ihr zusammen wie ein Wasserfall und drohten sie vollkommen zu übermannen. Das Band endete und Karoline zog sie zielsicher weiter. Werwölfe in ausgefallenen Kleidern oder eleganten Anzügen, sowie menschliche Bedienstete passierten sie, jeder von ihnen stoppte und verbeugte sich vor ihnen, einige schienen sie sogar ansprechen zu wollen, aber Karoline scheuchte sie alle mit einer energischen Handbewegung davon. Emira war ihr dafür unglaublich dankbar, sie war viel zu betäubt von allem, um mit irgendjemandem zu reden.
Sie hatte keinen einzigen Menschen gesehen, der nicht die Uniform eines Dieners, oder eines Shinejeys getragen hatte und sie war sich ziemlich sicher, dass sie auch keinen mehr antreffen würde. Sie dachte zurück an den Menschen, der unter einem großen, verwandelten Werwolf gelegen hatte, klein und verwundbar, und daran, wie Darian das einfach abgetan hatte, als wäre das überhaupt nicht wichtig. Als wäre ein Leben nichts wert. Als wäre ein Menschenleben nichts wert.
„Wohin gehen wir?"
„Es ist bald Zeit zum Dinieren, doch bis der Alpha seine Angelegenheiten beendet hat, begeben wir uns in den Salon. Dort wirst du schon einmal den Beta und Darians Bruder Otto kennenlernen. Sei unbesorgt, sie sind nett."
Unschlüssig nickte Emira. Noch mehr Fremde, die sie anstarren würden und mit denen sie sich unterhalten musste, dabei war sie so müde, dass sie einfach nur noch schlafen wollte. Karolines Worte gaben ihr jedoch Hoffnung, dass die beiden zumindest nicht so ruppig mit ihr umspringen würden wie Ruth.
Sie kamen vor einer reich verzierten, gläsernen Doppelflügeltür zum Stehen, die von zwei Menschen flankiert wurde. Leise Musik drang an Emiras Ohr und der Duft nach Gebratenem ließ ihren Magen knurren. Karoline grinste sie aufmunternd an und das Menschenmädchen holte einmal tief Luft, um sich zu wappnen.
„Ganz ruhig. Sie werden dich lieben!"
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