17.2 Kapitel - Eine Geschichte über Blut und Wasser

Stille legte sich über den Abwasserkanal, nur durchbrochen vom Plätschern des Wassers und den Geräuschen des Ungeziefers. Ariana wich misstrauisch einen Schritt zurück.

„Moment. Eben sagtest du noch du bist ein ‚Mähnenwerwolf'!"

„Eine Mähnenwolf-Grenzgängerin, ja. Das ist etwas kompliziert. Also – du bist ein Mensch", sie deutete auf Ariana, „aber du bist auch beschenkt. Eine Magiebegabte, aber das ist eben nicht alles was du bist. Anders als du. Du bist nur ein Mensch." Kaden zuckte unter ihrem Blick zusammen, als hätte sie ihn auf diese Entfernung verbrannt. Mya hielt weiter den respektvollen Abstand zu ihnen ein. „So ist es auch bei mir. Ich bin eine Grenzgängerin und eine Sonnenverehrerin, aber nicht alle Sonnenverehrer sind Grenzgänger."

„Was soll bitte ein Sonnenverehrer sein?" Ariana war überrascht, dass Kaden Mut gefunden hatte sie direkt anzusprechen.

„Keine Menschen. Sie sind...menschenähnlich. Es würde lange dauern es euch ganz genau zu erklären, aber wir sind äußerst empathisch und...deswegen konnte ich euch auch nicht allein lassen."

„Ja, natürlich", schnaubte Ariana.

Mya starrte sie lange an. Das Licht war furchtbar schwach, aber die große Frau schien sie ganz genau zu studieren, jeden angespannten Muskel, jede Faser, jeden noch so kleinen Blitz in ihren Haaren. „Würde ich euch töten wollen, hätte ich es schon längst getan. Wäre ich mit den Wölfen im Bunde würden sie sicher einen Beweis haben wollen, dass ich erfolgreich war und eure Körper aus der Kanalisation zu ziehen, wäre äußerst anstrengend", erklärte sie ihr mit ihrer unglaublich sanften Stimme.

Die Beschwörerin sah kurz zu Kaden.

„Du weißt doch warum sie uns jagen, nicht?"

Die Fremde hielt Arianas Blick unbeeindruckt stand.

„Werwölfe brauchen dafür sicher keinen Grund, aber du bist doch Emira Sol'Artaires Schwester und du ihr...Freund." Sie war ehrlich überrascht, dass sie ihren Nachnamen richtig aussprach und sich sogar die Beziehung ihrer kleinen Schwester hatte merken können, aber wenn sie das wirklich als Grund sah...andererseits könnte sie auch lügen. Mya legte ihren Kopf schief. Menschen mit Brille sahen immer so überlegen schlau aus. „Wenn ihr mir jedoch nicht traut, kann ich auch gerne gehen. Ich kann das verstehen."

Ariana erstarrte. Wollte sie das? Wollte sie, dass sie wegging? Misstraute sie ihr wirklich so sehr? Sie hatte Recht. Hätte Mya sie töten wollen, hätte sie das wahrscheinlich schon getan, aber vielleicht wollte sie sie auch verraten, genau wie Tommaso. Kaden war lebendig sicher etwas wert, anders als sie. Aber die Beschwörerin wusste, wie sie gegen viel größere Gegner gewann, also war sie gewappnet.

„Ariana", wimmerte Kaden in ihr Ohr.

„Wir kennen uns gar nicht, du könntest uns doch alles erzählen! Ich warne dich, leg mich bloß nicht rein!" Ariana ließ einen Haufen Blitze über ihre Finger kribbeln. Elektrizität zu beschwören ließ ihr Herz immer wieder rasen, sofort war sie bereit zu kämpfen. Sie ignorierte gerne die Schwäche, die an ihren Muskeln zerrte. Das hier schaffte sie.

Gelassen blickte die Grenzgängerin zur Abwehr der Begabten und schritt dann ganz vorsichtig auf die beiden Menschen zu.

„Ich weiß, dass ihr mir nicht vertraut. Ihr seid ja nicht dumm." Sie hob beruhigend ihre Hände. Ariana spannte ihre Bauchmuskeln an. Sie wusste ganz genau wie schnell man mit dieser Geste angreifen konnte. Aber Mya drehte ihre Handflächen nach oben und senkte ihre Arme etwas unter Bauchhöhe. „Aber ich hätte dem Werwolf auch helfen, oder ihn gewähren lassen können. Ich bin keine Gefahr für euch. Ich bin keine Bestie. Ich bin mehr ein Mensch, als alle Werwölfe, die ihr kennt. Selbst damit." Über ihre Haut rauschte plötzlich schwarzes Fell. Ihre Finger krümmten sich und endeten in Krallen, in der nächsten Stufe waren ihre Hände plötzlich Pfoten und verwandelten sich dann wieder in menschliche Finger. Ariana sah fasziniert dabei zu. Sie hatte schon gesehen wie ein Mensch zu einem riesigen Biest wurde, aber das war etwas ganz anderes. Mit großen Augen sah sie auf in Myas Gesicht, überzogen mit rotem Fell, welches immer wieder aufflackerte und dann wieder verschwand. Ihre spitzen Ohren blieben. „Sonnenverehrer wollen nur helfen, glaubt mir."

„Dann warst du der rote Hund, den Kaden gesehen hat. Nur das du kein Hund bist, sondern ein Mähnenwerwolf!", stellte die Beschwörerin aufgeregt fest.

„Ariana!"

„Was denn?", fragte sie. Er warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. Anscheinend mochte er ihren begeisterten Tonfall nicht.

„Mähnenwolf. Ja." Mya kam noch ein Stück näher. „Folgt mir und ich zeige euch einen Weg aus der Stadt."

Erst jetzt bemerkte die Beschwörerin wie unglaublich nah die Fremde war, aber sie hatte kein schlechtes Gefühl. Sie wusste ganz genau wie es sich anfühlte wenn ein Kampf bevorstand und das tat es eindeutig nicht. Ihre Haut kribbelte nicht, nicht mal mehr vor Elektrizität. Sie hatte irgendwann ihre Blitze einfach verebben lassen.

„Nun gut. Dann geh vor!"

Die Grenzgängerin nickte, drehte sich um und schritt erneut voran.

„Was? Ist das dein ernst?", fragte Kaden sie fassungslos. Sein heiseres Flüstern klang hier unten unglaublich laut.

Ariana merkte sich das und versuchte ihre Stimme weiter zu senken. „Ganz ruhig. Ich glaub wir können ihr vertrauen. Und wenn sie uns doch noch blöd kommt, jage ich ihr etwas Strom durch den Körper und wir laufen weg!"

Der Chemiker sah nicht überzeugt aus. Die ganze Nacht und all die Informationen, diese ganze Erschütterung seines Weltbildes, war wohl eindeutig zu viel für ihn. Gequält nickte er jedoch, als er sich scheinbar wieder daran erinnerte, dass sie mit Leichtigkeit Männer besiegte, die weitaus mehr Masse hatten, als diese komische Frau.

„Gut. Ich vertraue dir."

Ariana starrte ihn an, als hätte er gerade etwas unglaublich Abwegiges gesagt und folgte dann schnellen Schrittes Mya. Kaden überging dankenswerterweise ihre Reaktion und beäugte misstrauisch die Grenzgängerin.

„Ist der Gestank für Ihre Nase nicht unerträglich?", fragte er skeptisch.

„In der Tat. Aber so müsste es dir doch auch gehen, oder? Ich bin kein Werwolf, ich habe nicht mein ganzes tierisches Sinnesvermögen in meiner Menschengestalt", erklärte Mya.

„Kein Werwolf...Sie sind also ein Sonnenverehrer? Und warum hab ich von sowas noch nie gehört?", fragte er.

Sie schien überrascht. „Wahrscheinlich, weil wir uns nicht so oft zu erkennen geben. Wir leben gerne in Ruhe und Frieden."

„Ich erinnere mich! Du hast etwas von der Wüste Noriestas erzählt und dass ihr da lebt!" Ariana merkte selbst wie begierig sie klang. Das wäre ihr sogar fast unangenehm, wenn es nicht so furchtbar interessant gewesen wäre.

„Südlich davon, ja." Myas Ohr zuckte in eine andere Richtung.

„Die Nicht-Menschen?", hakte Kaden nach.

„Ganz Recht."

„Wie kann man denn bitte Nicht-Mensch sein?" Der Chemiker kam anscheinend gerade voll in Fahrt. Ariana hatte unterschätzt wie sehr er es hasste, dass sein Weltbild zerstört worden war.

„Indem man zu einer der Menschenarten gehört", sagte sie wie selbstverständlich.

„Arten? Wie bei Hunden?", fragte die Beschwörerin.

Mya seufzte.

Kaden machte sofort weiter. „Und warum sollte es Werwölfe, Menschen und Sonnenverehrer geben? Und wie regieren die Werwölfe in Ihrem Land..."

„In meinem Land gibt es keine Werwölfe." Kaden und Ariana wechselten einen ungläubigen Blick. „Und wenn weiter wenig Menschen von uns wissen, wird das auch so bleiben."

Die beiden hörten das leise Lachen in ihrer Stimme, als wäre ihr letzter Satz als Scherz gemeint gewesen. Komisch.

„Und warum gibt es jetzt drei Rassen?" Kaden ließ nicht locker.

„Gibt es nicht. Es sind mehr. Ihr kennt doch sogar eine. Die Wellensänger. Sie verkaufen den Menschen exotische Güter."

Ariana sah Kaden zweifelnd an. Das war doch abwegig.

„Wellensänger sind doch keine...Menschenart, sondern eine Handelsgesellschaft!", korrigierte die Beschwörerin sie.

Mya nickte anerkennend. „Sie haben das sehr klug gelöst."

„Und was ist dann..."

„Es interessiert euch vielleicht, dass etwas direkt vor uns ist, was sich mit menschenähnlichem Gangbild bewegt. Wir sollten leise sein."

Es irritierte Ariana, dass die Sonnenverehrerin ihre Sprachmelodie kaum änderte, aber als sie sich duckte, tat sie es ihr sofort nach.

Vor ihnen endete der Gang in absoluter Schwärze, als er sich gabelte. Das war komisch, sie müssten den Schein der anderen Margar-Steine doch sehen. Als Ariana zu der Stelle blickte, an der die nächste Lampe sein sollte, erkannte sie die Fassung, aber der leuchtende Stein war herausgeschlagen worden. Sofort spannte sich alles in ihr an. Ihre Kopfhaut begann zu kribbeln. Hier war etwas ganz und gar nicht in Ordnung.

Sie hielt Kaden zurück. Mya nickte ihnen zu und schlich durch die Finsternis zur Weggabelung. Ariana konnte noch halbwegs ihren Schemen ausmachen und bildete sich ein, dass sie sehen konnte wie sie sich um die Ecke lehnte. Sie fragte sich ob Mähnenwerwölfe gut im Dunkeln sehen konnten.

Dann war der Schatten der Grenzgängerin verschwunden.

Ein Herzschlag lang. Drei. Zehn. Zwanzig.

Kaden wurde unruhig, aber sie zwang sich dazu durchzuatmen. Alles würde gut werden. Sie kamen hier raus. Gerade als sie überlegte, ob sie den Weg zurück zu diesem Eingang finden würde, kam Mya zu ihnen zurück. Sie löste sich aus der Dunkelheit, als wäre sie ein Mantel. Die Beschwörerin hatte vollkommen unterschätzt wie schlecht sichtbar selbst so eine riesige Frau sein konnte.

Die Sonnenverehrerin hatte etwas über ihre Schulter geworfen und legte es nun im Licht der Margar-Steine auf den schleimigen Boden. Die Ratten drehten sich sofort um und verschwanden fiepend hinter einem Gitter. Ariana hätte es ihnen gerne gleichgetan. Sie war froh, dass Kaden eine Hand vor den Mund schlug, als er erschrocken aufschrie.

„Ganz ruhig. Es ist bewusstlos", sagte Mya.

Aber nicht weniger furchteinflößend. Direkt vor ihren Füßen lag ein Wesen, wie aus einem Alptraum. Seine Haut war merkwürdig dunkelrot, sein Schädel kahl, aber wirklich nackt und nicht mit Flaum überzogen, wie der der Sonnenverehrerin. Es trug noch die letzten verdreckten Fetzen eines Hemdes und einer Hose, seine Finger endeten in langen, bereits brechenden Nägeln, aber das Schlimmste war sein Gesicht. Der Unterkiefer war selbst jetzt vorgeschoben, spitze Zähne ragten knapp über die Oberlippe, die Nase war plattgedrückt.

„So ein Vieh war damals auf dem Marktplatz! Urgh! Was macht das denn hier unten?", fragte Ariana angewidert.

Mya starrte stumm auf die Kreatur. „Es hat sich versteckt. Die Werwölfe durchsuchen doch schon eine Weile die Stadt. Wahrscheinlich nach ihm hier." Ihre Ohren zuckten hinter sie in Richtung der absoluten Schwärze. „Nach ihm und seinen Freunden."

„Wie bitte? Freunde?", wiederholte Kaden fassungslos.

Die Grenzgängerin erhob sich. „Wir müssen eine Weile an der Oberfläche weitergehen."

„An der Oberfläche?", echote er.

„Ja, hat sie doch gerade gesagt, Mann!", knurrte Ariana. Fassungslos starrte der Chemiker sie an. „Was denn? Drei Schritte in diese Richtung und du kannst nicht mal mehr deine Hand vor Augen sehen! Ich bin dabei gewesen, als so ein Vieh an der Decke gesessen hat. Also – kopfüber. Als wüsste es einfach nicht was Schwerkraft ist! Und ich sterbe ganz sicher nicht in diesem stinkenden Loch, weil so ein Monster sich von oben auf mich geworfen hat!"

„Wir können doch...so einen Stein mitnehmen! Die Kreaturen haben die Lichtquellen sicher nicht umsonst zerstört! Vielleicht haben sie Angst davor!"

„Ja, tolle Idee! Vielleicht haben sie Angst. Und nur ein ganz klein wenig vielleicht zeigt ihnen das Licht den Weg zu uns und sie machen mit unseren Schädeln das gleiche wie mit den Lampen! Großartiger Plan!"

„Ganz ruhig." Myas Hand legte sich auf Arianas Schulter und ihre schnippische Wut verflog. Die Grenzgängerin ließ sie los und stellte sich genau vor Kaden. Ihre dunklen Augen musterten ihn. „Die Werwölfe kennen wir. Diese...Kreaturen habe selbst ich noch nicht gesehen. Wir umgehen sie großzügig und schaffen es noch rechtzeitig wieder zurück in die Kanalisation, um den Rest des Weges aus Enrhym zu gehen. Euch passiert nichts."

Das was sie sagte ergab Sinn, also folgte Ariana ihr wie selbstverständlich zur nächsten Leiter und schließlich auch hinaus in die nacht-kühle Stadt. Sie hatte sich an den Gestank gewöhnt gehabt, aber als sie jetzt die frische Luft einatmete, bemerkte sie erst wie schlimm ihre Kleidung roch. Perfekt. Damit konnte sie ganz sicher kein Werwolf der Welt aufspüren – wie groß diese nun auch immer sein mochte.

Kaden folgte ihnen nur widerwillig, aber Ariana war froh um Myas Beistand. Sie vertraute ihr noch nicht vollkommen, aber es reichte. Sie kannte sich ja in Enrhym aus und würde mitbekommen, wenn die Sonnenverehrerin sie in die Irre leiten wollte und selbst wenn sie sie angriff, konnte sie immer noch auf ihre Kräfte zurückgreifen. Knochen brachen bei jeder Spezies der Welt gleich, selbst wenn es unterschiedliche Zeit betrug bis sie wieder zusammenwuchsen.

Sie folgten einer Straße zu einem kleinen Plaza und Ariana fiel erst jetzt auf wie unglaublich dunkel es war. Die verdammten Wölfe hatten die Straßenlaternen löschen lassen, als sie in der Kanalisation gewesen waren. Klug. Sie brauchten kein Licht um Beute aufzuspüren und die Menschen verließen sich gerne viel zu sehr auf ihren Sehsinn.

Mit grimmiger Befriedigung blickte sie auf zum bleichen Mond, der ihnen etwas Geleit schenken würde und dann zu den immer noch spitzen Mähnenwerwolfohren der Grenzgängerin. Sie hatten auch noch einen Trumpf!

Zwei Werwölfe standen auf dem sonst verlassenen Plaza, eng beieinander, und berieten sich lautstark darüber, wo sie die Flüchtigen wohl aufspüren könnten.

„Sie tragen keine Uniformen", stellte Mya fest, ihre Stimme so leise wie das Flüstern des Windes.

Ariana verengte hasserfüllt ihre Augen. „Das sind auch keine Wachen. Miese Hunde. Die beteiligen sich nur aus Spaß an der Hetzjagd."

Kaden zitterte hinter ihr.

„Ich verstehe."

Überrumpelt sah Ariana dabei zu wie die Grenzgängerin begann eine Häuserwand zu erklimmen. Sie war geschickt, aber nicht so schnell wie sie. Still sahen die beiden Menschen dabei zu, wie sie sich auf das Geländer eines Balkons im zweiten Stock hockte. Die Werwölfe lachten gehässig, was sofort verstummte, als Mya sich auf sie stürzte. Sie fiel wie ein schwarzer Stern, riss die schweren Körper der Männer zu Boden, ein Arm in jedem Haarschopf. Es knackte, als die Sonnenverehrerin ihre Schädel auf das schwarze Kopfsteinpflaster der Stadt schlug.

Die beiden Wölfe regten sich nicht mehr und sie erhob sich elegant. Beeindruckt lief Ariana zu ihr.

„Ein echt guter Trick! Sollte ich auch mal versuchen!"

Kaden hielt Abstand zu ihnen und versuchte nicht zu den beiden Körpern am Boden zu sehen.

„Keine Sorge. Sie werden schon bald wieder aufstehen und sich so fühlen, als wäre nichts geschehen. Eventuell haben sie etwas Kopfschmerzen, aber das gibt uns die Möglichkeit unbemerkt an ihnen vorbeizukommen", erklärte sie nachsichtig an Kaden gewandt. „Und du solltest das eher nicht nachmachen."

Ariana zuckte nur unbestimmt mit den Schultern. Hätte sie auch nur bei der Hälfte dieser Sätze gehorcht, könnte sie jetzt nicht durch eine Werwolf-verseuchte Stadt auf der Jagd nach ihr fliehen.

Mya seufzte nur, als wüsste sie ganz genau, dass ihre Warnung kein Gehör finden würde und übernahm erneut die Führung.

Die heimliche Bewunderung, die sie für sie fühlte, wuchs mit jeder Wache, die die Sonnenverehrerin scheinbar mühelos schlafenlegte. Endlich mal jemand auf den sie sich verlassen konnte! Aber das konnte sie auch und obwohl Mya ihr ein eindeutiges Handzeichen gab zurückzubleiben, schlich Ariana vor und schlug einen neugierigen, jungen Werwolf der sich etwas zu leicht von ihrer Fährte im Kreis herumführen ließ, mit einem gezielten Stromschlag in den Nacken bewusstlos.

Mit einem vielleicht etwas zu wichtigtuerischen Grinsen deutete die Beschwörerin auf ihren Erfolg, damit die andere auch genau wusste, dass sie nicht die einzige war, die etwas konnte. Mya verdrehte die Augen und selbst dabei schien sie gutmütig zu sein.

Kaden sah den beiden Frauen nur stumm zu. Er glaubte wohl, dass er am nützlichsten war, wenn er so tat als würde er gar nicht existieren und das half ziemlich gut. Flink kamen sie in der Stadt voran. Nur nicht stehen bleiben. Immer in Bewegung sein. Den Schutz der Nacht nutzen, dem kalten Licht des Mondes ausweichen, oder den Schein dafür nutzen, um Werwölfe in der Ferne auszumachen.

Mya kletterte erneut auf ein Haus, um ein paar Wächter auf der anderen Seite zu überwältigen.

Ariana sah aufmerksam auf zu den Schornsteinen und überlegte, wie schnell sie da oben sein konnte. Verwirrt drehte sie sich zu Kaden, als er ihre Schulter berührte.

„Da kommt jemand!"

Sie konzentrierte sich auf die Geräusche der Nacht, zerfurcht von den misstönenden Schreien der Wölfe, direkt darunter hörte sie die Schritte. Das Knurren. Ein leiser Fluch verließ ihre Lippen und sie bedeutete dem Chemiker ihr zu folgen.

Nur ein paar Meter weiter kamen sie gut auf ein Dach. Er zögerte und warf ihr einen gequälten Blick zu.

„Komm schon!" Unvermittelt packte Ariana seinen Körper und half ihm hoch. Die Schritte näherten sich. „Beeilung!", zischte sie und sprang dann ungeduldig auf einige Kiste direkt neben ihr.

Es knackte. Das laute Bersten, als alles unter ihr wegbrach, war schon beinahe unanständig. Ihre Fingerkuppen rissen auf, als sie versuchte sich an den Dachziegeln festzukrallen und ihr Steißbein schmerzte, als sie unsanft auf der Straße aufkam.

„Ariana!" Kaden beugte sich panisch zu ihr herab.

„He, du da!", knurrte der Werwolf hinter ihr. „Komm her!"

Hastig kam die Beschwörerin wieder auf die Beine und drehte sich zu ihm um. Es knisterte in ihren Haaren, aber es klang ungewöhnlich leise. Der Schmerz in ihrem Rücken lenkte sie ab, aber mit diesem Halbköter würde sie fertig werden.

Er zog seine Oberlippen zu einem gehässigen Grinsen oder einem boshaften Zähnefletschen zurück und wog den riesigen Knüppel drohend in seiner Hand.

Ihre Augen huschten von seiner Waffe zu seinem Gesicht. Das Ding war schwer genug, um ihr den Schädel einzuschlagen und ganz sicher würde sich dieser Mistkerl nicht zurückhalten. Ihre Knochen knackten, als sie ihren Hals streckte. Er würde schon sehen was er davon hatte.

Sie horchte in sich, nach der summenden Magie in ihren Knochen, nach der Gewitterwolke in ihrer Brust, die jeden zerreißen konnte, wenn sie sich entlud. Über ihre Hände knisterte Strom.

„Komm du doch her!" Ariana spannte ihre Muskeln an, bereit zum Angriff. „Wenn du dich traust."

Der Werwolf knurrte und hob seinen Knüppel. Die Spannung in der Luft erfüllte jede Faser ihres Körpers.

„Aufhören!"

Sie erstarrte in der Bewegung. Die Herrschaft über ihre Kräfte verlor sich im Sand, als sie sich schockiert umdrehte.

Selbst der Mann hielt inne und sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu der Frau, die zu ihnen trat.

„Mama?", flüsterte Ariana. Ihre Schultern verspannten sich schmerzhaft und ihr Magen fühlte sich flau an, als hätte sie den Halt verloren und würde von einem Dach in die endlose Tiefe stürzen.

Der Werwolf knurrte. „Die Jagd wurde ausgerufen. Geht nach Hause oder..."

Beatrice Sol'Artaire ging auf ihn zu und brachte ihn mit einer schnellen Bewegung ihres Armes zum Schweigen. Fassungslos sah Ariana zu ihrer Mutter und dem Werwolf, in dessen Hals noch die Spritze steckte. Beatrice zog sie wieder hervor, als er zusammensackte, und ging dann auf ihre Tochter zu.

„Hast...hast du ihn...Schläft er?"

„Na, das hoffe ich doch stark! Die Menge an Narkosemittel hätte für fünf Männer gereicht und dabei ist das nicht einmal für Menschen zugelassen." Der Werwolf schnarchte laut. „Der wird schon wieder. Was machst du hier?"

Mit großen Augen starrte sie ihre Mutter an und war plötzlich wieder ein kleines Kind. Sie hatte doch von zu Hause weggewollt. Weg von ihrer Mutter, deren Weinen sie nachts wachgehalten hatte. Weg von ihrem Vater, der nur in seinem Arbeitszimmer saß, um unglaublich laut zu schweigen. Sie war davon fast taub geworden.

Die Stunden im Unteren Lyndrylbezirk hatte sie immer weiter ausgedehnt, nur, um das nicht mehr ertragen zu müssen, bis sie nur noch zum Essen und Schlafen zurückgekehrt war. Und dann nicht mal mehr zum Essen. Und dann – war sie einfach gar nicht mehr zurück zu ihren Eltern gegangen. Alles war besser gewesen, als sie so zu sehen. Das hatte sie einfach nicht mehr aushalten können. Diese Trauer, die sie auch fühlte. Diese Schwere, die sie nur bezwingen konnte, wenn Schießpulver in ihrer Nase brannte, das Blut in ihren Ohren rauschte und sie auf etwas einschlug, was unter ihren Fäusten brach. Doch nun konnte sie nur nutzlos dastehen und ihre Mama anstarren, als hätte sie sie noch nie gesehen. Der Krach hinter ihnen unterbrach das nicht-Gespräch.

„Au!"

Kaden saß genauso ungelenk auf der Straße, wie sie vorhin. Er rappelte sich auf und trottete dann mit gesenktem Kopf auf die beiden Sol'Artaire Frauen zu.

„Kaden, was machst du hier?", fragte Beatrice aufgebracht.

Die beiden Fliehenden tauschten einen kurzen Blick.

„Weißt...du das gar nicht?"

„Dein Vater wurde gerufen, weil irgendjemand zur Jagd geblasen hat und du? Ich bin vollkommen aufgelöst in dein Zimmer gegangen und finde da nicht dich, aber das hier vor!" Beatrice griff hinter sich und zog einen großen, schwer gepackten Rucksack ins spärliche Mondlicht. Und dafür. Dafür war sie auch mal zu Hause gewesen. Aber sie hatte ihn dann doch liegen gelassen und hatte jetzt gar keine Zeit mehr gehabt ihn zu holen. „Natürlich war ich da in Sorge!"

Es war ihr unangenehm wie genau Kaden sie anstarrte, aber noch schlimmer war, dass ihre Mama wütend auf sie war.

„Ja, also..."

„Da seid ihr ja!"

Die drei Menschen drehten sich zu den beiden Neuzugängen. Auch das noch. Jannis und ein äußerst wütend aussehender Werwolf traten auf sie zu. Jetzt kamen sie nirgendwo mehr hin.

„Papa", quietschte Ariana.

„Jannis!", sagte auch Beatrice und musterte dann misstrauisch den hellhäutigen Mann.

Er schien überrascht sie hier alle anzutreffen.

„Was machst du denn hier?" Fragend sah er zu seiner Tochter und packte dann die Flinte in seinen Händen fester.

Geschlagen warf Ariana ihre Hände in die Luft. „Ich helfe doch nur Kaden!"

Der Chemiker versuchte wohl gerade mit ihrem Rücken zu verschmelzen, aber er hob einmal unsicher seinen Blick, als Jannis ihn anstarrte.

„Wir haben sie gefunden! Stellt sie unter Arrest!", knurrte der Werwolf.

Jannis winkte ab. „Ja, ja, gleich. Was soll das heißen du hilfst Kaden?! Wir wurden gerufen, um einen flüchtigen Silberbesitzer zu fassen, der eine Wache getötet haben soll. Das war ja wohl ganz sicher nicht Kaden!"

Nach dem Zittern und Wimmern hinter ihr zu urteilen, glaubte er es selbst auch nicht so ganz und den Blicken ihrer Eltern nach war sie jetzt sehr verdächtig.

„Das war alles...ganz anders!"

Der Werwolf an Jannis Seite bemerkte seinen gefallenen Artgenossen auf der Straße. „Was? Was soll das alles!? Jannis Minatore Ihr seid ein Ratsmitglied! Nehmt sie jetzt endlich fest oder tretet beiseite und lasst mich es tun!"

Jannis warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Ich rede gerade mit meiner Tochter! Also! Und was machst du hier?"

Beatrice hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt.

„Ich wollte gehen und Ariana suchen!" Sie drehte sich zu ihr. „Ein Glück hab ich dich gefunden!"

Die Beschwörerin hasste sich selbst dafür, dass sie so unkontrolliert zitterte. Fast so schlimm wie Kaden. Sie war viel mutiger als er! Sie konnte das! Es kostete sie alle Kraft ihren Mut zusammenzukratzen und sich gerade hinzustellen.

Unerschütterlich sah sie ihren beiden Eltern entgegen.

„Mama! Papa! Ich kann jetzt nicht mit euch zurück nach Hause gehen!"

Beatrice und Jannis sahen sie an, als könnten sie nicht glauben, dass sie so etwas hatte sagen können.

„Sei nicht dumm, Ariana! Wir gehen jetzt nicht nach Hause!", sagte ihr Vater todernst.

Jannis hob den Lauf seiner Flinte. Der Schuss aus nächster Nähe war absolut ohrenbetäubend und übertönte sogar Kadens Aufschrei. Blut und Hirnmasse verteilte sich über die schwarzen Pflastersteine von Enrhym, wie bei einem grotesken Gemälde, trotzdem verzog Jannis nur leicht angewidert sein Gesicht, als er zum Körper seines Werwolf-Mitstreiters sah.

„Wir gehen jetzt nach Craycarasz!" Ihre Mutter warf ihr ihren Rucksack zu. Arianas Finger schlossen sich sofort um den rauen Stoff und mit großen Augen sah sie zu ihnen auf. „Und dann holen wir deine Schwester!"

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