14.1 Kapitel - Ein ganz neues Leben
Es war unglaublich wie golden alles war. Nervös blickte sie sich in dem großen Zugabteil um. Es war so hochpoliert, so schick und edel hier, dass sie sich vollkommen deplatziert fühlte, schäbig und schmutzig neben den roten, gut gepolsterten Sesseln, den kunstvoll gemusterten Teppichen, den hochpolierten Schränken und den warmleuchtenden Lampen. Sie drückte ihren Stoffhund fester an ihre Brust, wie ein kleines, verängstigtes Kind. Eigentlich sollte sie viel mutiger sein, aber sie fühlte sich leer.
Der Alpha stolzierte durch den Wagon, als wäre es sein zu Hause. Aber irgendwie war es das ja auch. Der Gedanke, dass dieser Mann genug Geld hatte, dass er den ganzen Zug besaß, schüchterte sie noch mehr ein.
„Gefällt es dir, Meine kleine Gefährtin?", fragte er mit einem selbstzufriedenen Grinsen, als er ihre großen Augen sah.
Anscheinend verwechselte er ihre Unsicherheit mit Ehrfurcht. Verwirrend, normalerweise wussten Hunde wie Menschen sich fühlten. Aber er war ja kein Hund, rief sie sich ins Gedächtnis.
„Es ist schön", sagte sie dann kleinlaut.
„Schön? Schön? Das ist der modernste Zug in ganz Esparias! In ganz Lupar! Die anderen Alphas kriechen vor Neid im Staub vor der Effizienz und Schönheit all Meiner Sachen, Meine kleine Gefährtin! Es ist mehr als nur schön!"
Sie beschlich der Gedanken, dass sie nun ebenfalls dazu zählte. Sie begann erneut zu zittern.
‚Verdammt Emira! Reiß dich zusammen!', knurrte sie sich selbst an. Aber die Nervosität verließ ihren Körper nicht.
Das Geräusch einer zurück gleitenden Wagontür ließ sie herumfahren wie ein gejagtes Tier. Sie wusste nicht ob sie froh sein sollte, dass jemand zu ihnen kam. Meo Carrasco und dieser Amalrich hatten sie alleingelassen und sie hatte keine Ahnung über was sie mit diesem Fremden sprechen sollte.
Es war jedoch kein Shinejey oder ein Werwolf mit äußerst dramatischer Stimme, sondern eine junge Frau, die eintrat. Noch umwerfender als ihr hellblaues Kleid, besetzt mit Rüschen und Schleifen, als ihre hochgesteckten Haare oder ihre unglaublich edlen Gesichtszüge, war ihre Ausstrahlung. Aufgeregt tänzelte sie herein.
„Darian!" Ihre Stimme war so golden und warm wie die Inneneinrichtung. Sie sah kurz zum Alpha und dann sofort zu Emira. Ihre Augen begannen zu leuchten und freundlich lächelte sie ihr entgegen. „Oh bei der Göttin!", quietschte sie.
Emiras Gehirn brauchte eine Weile, um sich wieder daran zu erinnern, wer sie war. Überrumpelt blickte sie der jungen Wölfin entgegen, ehe ihr wieder einfiel, dass sie sie ja begrüßen sollte. Sie wollte Luft holen, doch da verfiel die andere schon in einen eleganten Knicks, den Kopf demütig geneigt, die zarten Hände hoben ihr Kleid an.
Emira erstarrte in Schreck. Die Werwolf-Prinzessin von Esparias, das schönste, grazilste Wesen, das sie je gesehen hatte, verneigte sich vor ihr.
Ihr!
Einem verschüchterten, zitternden Mädchen, dem immer noch der Staub der Straße die Kleidung verschmutzte, dessen Haaren der Gestank von Rauch anhaftete und in dessen Gesicht die salzigen Spuren von Tränen klebten.
Der begeisterte Ausdruck im Gesicht der Wölfin war nicht verschwunden, als sie sich wieder gerade hinstellte und ohne Vorwarnung ihre Hände ergriff. „Mein Name ist Alina vom Schwarzbach. Ich bin Darians jüngere Schwester."
Sie musste erst einmal ihre Sprache wiederfinden. „Mein Name ist Emira Sol'Artaire. Ich bin...", sie stockte, „...neu."
Alina kicherte und auch Emira war froh. Sie war sich sicher, dass die Wölfin ihren Namen bereits gekannt hatte und auch sie wusste natürlich wer sie war, aber sich vorzustellen hatte so etwas...Normales. Ihr fiel ein, dass der Alpha sie nicht nach ihrem Namen gefragt hatte.
„Das ist ein reizender Name! Und du bist auch wunderschön!" Bewundernd sah Alina ihr in die Augen, dann auf ihr schwarzes, lockiges Haar und auf ihre Hand in ihrer, die Haut so viel dunkler, als ihre eigene. „Sol'Artaire. Das klingt ja lustig. Wie schreibt man das?" Ohne zu wissen wie man es schreibt, knurrte die Wölfin die R in ihrem Namen so wie alle ihres Volkes.
„Egal. Viel zu kompliziert. Du wirst eh bald Meinen Namen tragen", meldete sich der Alpha – Darian – zu Wort.
Emira wurde kalt, sie erinnerte sich an die Worte ihrer Schwester, damals noch so hasserfüllt gefaucht. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich einmal in dieser Situation wiederfinden würde. Von der Sache mit dem Familiennamen sprangen ihre Gedanken sofort zu Ariana, zu ihrem schmerzerfüllten Schrei und wie sie zu Boden gegangen war. Von dort zur Parade und Stellas grausigem Weinen. Zu dem Schwindel und dem Zittern, dass ihr der Adrenalinrausch beschert hatte, als sie sich Meo Carrasco und seinen Shinejey entgegengestellt hatte, den Werwölfen, dem Alpha selbst.
Alinas golden helle Stimme riss sie aus ihrer dunklen Gedankenspirale. „Aber Darian!" Sie ließ sie los und trat einen Schritt auf ihren Bruder zu. „Jetzt bleiben wir erst einmal ganz ruhig. Hast du sie dir einmal angesehen?" Erneut drehte sie sich zu ihr, diesmal musterte sie sie mitleidig. Ihre Worte erinnerten Emira daran, dass sie absolut schäbig aussah und unsicher strich sie über ihre Sachen. „Bevor wir über Hochzeiten sprechen, sollten wir uns erst einmal alle gut kennenlernen! Und wo geht das besser als in Emiras Heimatstadt? Dann kannst du auch ihre Eltern treffen!" Es wurde unangenehm still im Wagen.
„Das habe Ich schon", klärte er sie auf.
Alinas Lächeln gefror, das Funkeln wich aus ihren Augen, ihre Finger zuckten, kurz darauf war sie wieder ein glückliches Bündel Überschwung und sie wirbelte zu Emira herum.
„Ich habe von eurem doch recht turbulenten ersten Treffen gehört! Das klang wirklich unglaublich aufregend!" Emira zog fragend eine Augenbraue hoch. ‚Aufregend' und ‚turbulent' klang aus ihrem Mund nach einem Abenteuer. Einem unschuldigen, süßen Spaß. Aber das alles war kein Spaß und der kurze Blick hinter ihre glückliche Fassade bereitete ihr Bauchschmerzen. „Wir sollten uns etwas beruhigen! Am besten wenn wir durch die schönen Straßen von Enrhym..."
„Wir fahren zurück nach Craycarasz!" Darian drehte sich von ihr weg und genau da ging ein Ruck durch den Zug.
Emira zuckte zusammen und sah verwirrt aus den Fenstern. Die absolut menschenleeren Bahnsteige begannen sich langsam an ihr vorbeizuschieben. Steif trat sie näher an das Glas und blickte bedrückt ihrer Heimat nach. Es fühlte sich merkwürdig an Enrhym zu verlassen. Normalerweise war der Bahnhof so gefüllt mit Menschen und Werwölfen, sodass man kaum vorankam. Für den Alpha wurde alles geräumt. Für ihn und sein Gefolge. Für ihn – und nun auch für sie.
„Aber, aber Darian!" Alina klang zerknirscht unter all ihrer sanften Fröhlichkeit. „Wir hatten doch Pläne. Einen Tagesablauf. Termine mit dem Rat von Enrhym und dem Obersten Wolf der Stadt."
Ihr Bruder winkte ab. „Ich habe ein Ratsmitglied getroffen, reicht das?" Er grinste gehässig. Emira war zu sehr damit beschäftigt wie betäubt der immer kleiner werdenden Stadt hinterherzusehen, um es zu bemerken. „Amalrich soll diesem Schoßhund einfach einen Brief oder so etwas zukommen lassen."
Wenn Alina von dieser Antwort enttäuscht war, zeigte sie es nicht.
Emira starrte zur Spitze der Kathedrale, zu den Türmen der Universität, zu dem Viertel in dem ihre Familie lebte. Sie konnte es nicht sehen, ihr Haus... Eine Gänsehaut zog sich über ihre Haut, ihre Kopfhaut kribbelte und erschrocken sah sie auf. Darian stand plötzlich vor ihr. Seine hellen Augen durchbohrten sie. Ehe sie sich abwenden konnte, hatte er sie gepackt und an sich gezogen.
Ein Schauer ging durch ihren Körper und ihr Herz begann zu rasen. Widerwille. Er sollte sie nicht anfassen. Mit dem letzten Geschenk ihrer Familie in den Händen stemmte sie sich gegen ihn.
Als wäre sie so stark wie ein neugeborenes Kätzchen zerrte er sie wieder an sich.
„Warum wehrst du dich denn so?" Sie sah auf in sein Gesicht, zu seinen Wangenknochen, so scharf, dass man sich daran schneiden könnte, zu seinen Augen, leuchtend vor Selbstbewusstsein und zu seinem Haar, welches in den letzten Sonnenstrahlen wie eine goldene Krone glühte. „Wir gehören jetzt zusammen. Du und Ich. Für immer." Er beugte sich zu ihr, vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und zog ihren Geruch ein. „Du weißt ja gar nicht wie lange Ich darauf gewartet habe!"
Sein Atem an ihrer empfindlichen Haut ließ alles in ihr sich zusammenziehen. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu winden, rebellierte gegen ihn wie eine Gefangene gegen Metallfesseln. Unbeirrt hielt er sie fest.
„Ich will das nicht!", sagte sie. Die Panik brandete in ihr, als sie an die Sache auf dem Schulhof zurückdachte. Damals hatte sie sich auch so gefühlt. Hilflos. Ausgeliefert. Und dieses Mal würde ihre Schwester nicht auftauchen und sie beschützen.
„Beruhige dich!", knurrte Darian. Er wurde nicht laut, nicht aggressiv. Er sah sie verständnisvoll an wie ein Vater sein weinendes Kleinkind. „Wenn ich dich erst einmal markiert habe, wirst du alles wollen. Keine Sorge."
„Was?"
Ihre eigene Verwirrung konnte sie nachvollziehen, aber das Wort auch panisch aus Alinas Mund zu hören, befeuerte ihre Angst noch mehr. Die Prinzessin hatte die ganze Zeit nur stumm da gestanden und ihnen zugesehen, nun schien sie wirklich bestürzt.
Markieren? Was sollte das bedeuten? Sie musste an ihre Hunde zu Hause denken und begrub den Gedanken sofort energisch. Von den Werwölfen in Enrhym hatte sie so etwas noch nie gehört und Maria hätte ihr sicher von so etwas erzählt, schließlich hatte sie ständig und ausführlich von Bernhard und ihr berichtet.
„Aber! Aber Darian!", rief seine Schwester und bemühte sich dann um ein Lächeln. „Findest du das nicht auch etwas überstürzt? Ich meine...", sie stockte und ihre blauen Augen taxierten Emira, „...sie hatte ja nicht einmal die Möglichkeit ein Bad zu nehmen!"
Ein Bad? Ein...Bad. Eingeschüchtert senkte das Sol'Artaire Mädchen den Kopf. Sie war wirklich nicht so hübsch wie sie, aber ein Bad... Im Moment konnte sie es nicht wirklich greifen, aber etwas an ihrem Satz machte Emira unglaublich wütend.
„Kann sie danach immer noch!", knurrte der Alpha.
Alina sprang vor und legte ihre Hand ganz sanft auf Darians Oberarm, der immer noch um Emiras Körper geschlungen war. Ihr Bruder fletschte die Zähne und funkelte sie wütend an. Sie schrumpfte unter seinem Blick zusammen.
„Denkst du etwa nicht, dass deine Gefährtin sich erstmal hübsch machen sollte?" Hübsch machen. Nicht sich entspannen. Nicht ankommen. Hübsch machen.
Darian schnaubte und löste schließlich seinen eisernen Griff. „Na gut."
Alina grinste und nahm Emiras Hand. Der weiche Stoff ihres Handschuhs fühlte sich fremd an.
„Ich werde dir ein Bad einlassen! Mit Rosenblättern und Kakaobutter und Vanille, die beste von ganz Lupar und mit Kerzen und..." Alina zählte weitere, teure Zusatzstoffe auf, während ihr Bruder sich in die weichen, roten Polster fallen ließ.
„Soll ich mitkommen?", fragte er grinsend.
„Aber Darian!", rief Alina.
Emira fragte sich kurz ob das zwischen ihnen ein fortlaufender Geschwisterwitz war und dann ob das unangenehme Glühen der Stellen ihres Körpers, die er gerade berührt hatte je wieder aufhören würde. Heimlich kratzte sie über ihre Oberarme, der Schmerz war beruhigend.
„Meo Carrasco!", rief der Alpha durch ein kupferfarbenes Sprachrohr.
Die Werwolf-Prinzessin zog sie zum einen Ende des Wagons, auf der anderen Seite wurde die Schiebetür auf gezerrt und Meo sprang herein.
Ein großes, goldenes Kissen flog durch die Luft und kam direkt vor seinem Gesicht in einer Kugel aus wirbelndem Wind zum Stehen.
Darians Gesicht verzog sich. „Schade. Ich dachte du wärst zu langsam. Ich versuche es noch einmal."
Sie hatten ein Bad. Einen ganzen Wagon nur bestehend aus schwarz-weißen Fliesen, messingglänzenden Waschbecken und einer riesigen, freistehenden Badewannen mit kupferroten Füßen und Amaturen. Die Fenster waren so groß, dass die tiefstehende Nachmittagssonne perfekt hineinscheinen und alles in einen goldenen Schein tauchen konnte. Wie passend. Dazu waren sie milchglasig, sodass man nicht hindurchblicken konnte. Auch passend.
Emira saß auf einer Bank aus teurem Kjerad-Zedernholz, ein Sichtschutz stand zwischen ihr und der Wanne, die gerade für sie befüllt wurde. Natürlich meinte Alina nicht sich selbst, als sie ‚Ich werde dir ein Bad einlassen!' gesagt hatte, sondern ein Heer aus Dienerinnen, denen sie genau ihre Vorstellungen diktierte. Der Geruch von all den feinen Sachen, die sie für sie ins Wasser mengen ließ und ein Grammophon, welches eine beruhigende Platte abspielte erfüllte den Raum, aber Emira hatte für das alles keinen Sinn. Sie fühlte sich nicht mehr wie betäubt. Sie war hilflos, ausgeliefert und die ohnmächtige Wut pulsierte in ihr. Sie wusste gar nicht wie sie mit diesem Gefühl umgehen sollte. Zitternd vor Adrenalin presste sie ihren Stoffhund fester an ihre Brust. Ihre Zähne schmerzten davon, dass sie sie aufeinanderpresste.
Wäre sie Ariana, hätte sie dem Alpha so viel Strom durch den Körper gejagt, dass er mit Schaum vorm Mund am Boden gelegen hätte. Wäre sie Beatrice, hätte sie ihn mit der bloßen Macht ihrer Worte niedergerungen. Wäre sie Jannis...ihr Vater hatte sich mit so einem Blödsinn sicher niemals rumschlagen müssen. Er war kräftig, muskulös und ein Mann. Ihn würde niemand dumm von der Seite ansprechen oder versuchen ihn festzuhalten.
In düsteren Gedanken versunken kraulte sie ihrem Plüschtier das Fell. Die künstlichen Haare fühlten sich steif unter ihren Fingern an. Bei einem der Nähte bemerkte sie etwas Festes. Fester als die Füllung. Nein, nicht fester. Anders. Sie drückte prüfend auf die Stelle und hörte das Rascheln von Papier. Die Naht war dort aufgegangen, nur ein Stück. Emira hatte sich vorgenommen diesen Makel auszubessern, aber es war ihr immer etwas dazwischengekommen. Neugierig vergrub sie ihre Finger tiefer in der Füllung. Sie griff nach dem Papier. Es war größer und dicker als gedacht. Fragend zog sie es heraus. Sie konnte sich nicht daran erinnern etwas in ihrem Hund versteckt zu haben. Was sie dann hervorzog fühlte sich merkwürdig an, mehrfach gefaltet und an irgendwas erinnerte sie die Textur. Mit bebenden Händen glättete Emira das Blatt und erstarrte. Ihre brodelnde Wut beruhigte sich, aber die Ohnmacht war unglaublich. Stumme Tränen liefen über ihre heißen Wangen, obwohl sie sich vorgenommen hatte nicht mehr zu weinen.
‚Mama', dachte sie, ehe die Trauer ihr alle Sinne nahm.
„Das Bad ist gleich fertig! Ich habe dir etwas Sekt besorgt, möchtest du..." Alinas Geplapper verstummte. In ihrer Wolke aus Hilflosigkeit bemerkte sie, wie die Prinzessin sich zu ihr setzte und sich vorsichtig näher beugte. Sie schwieg taktvoll.
Emira trank kaum Alkohol. Schon gar nicht so früh am Nachmittag. Nun setzte sie sich müde auf und nahm der blonden Wölfin das zweite Glas in ihren Händen ab. Ihr ganzer Körper kribbelte, als sie es auf einen Zug leerte.
Die Prinzessin nickte verstehend.
„Das sind sie, nicht wahr? Deine Familie?" Alina blickte auf die Fotografie in Emiras Händen hinab, welche früher in einem Rahmen in ihrem Wohnzimmer gestanden hatte. Ein letztes Geschenk. Nur eine blasse, schwarz-weiße Erinnerung an den Tag, an dem sie sich alle schön angezogen und zu diesem Fotografie Studio gegangen waren. „Sie sehen nett aus", sagte Alina anerkennend. „Du hast eine Schwester? Bei der Göttin, ich habe mir so oft eine Schwester gewünscht, das kannst du dir nicht vorstellen!"
Emira atmete zitternd aus. Der irrsinnige Gedanke daran wie Ariana und Alina zusammen in einem goldenen Raum saßen und Sekt wie Wasser tranken, ließ sie unfreiwillig lächeln und erleichtert ging sie auf ihren Ablenkungsversuch ein. „Ich glaube du stellst dir das zu einfach vor. Eine Schwester wie Ariana zu haben, kann echt anstrengend sein." Sie sah zu der aufwendig gemachten Frisur der Werwölfin. „Außerdem ist sie nicht so die Schwester, die mit einem Haare flicht, sich zurechtmacht und Kleider kaufen geht."
„Das habe ich gehört", sagte Alina lächelnd. „Ach ich denke, dass es weitaus schöner ist mit einer Schwester aufzuwachsen, als mit dr-zwei Brüdern." Emira hatte das komische Stolpern in ihren Worten gehört, aber die Prinzessin ging so schnell darüber hinweg, als wäre es gar nicht dagewesen und deutete erneut auf das Bild. „Das sind also deine Eltern? Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich."
„Ja...ich weiß", sagte sie wehleidig.
„Wie lautet der Nachname deines Vaters?"
„Minatore."
„Das lässt sich leichter merken", meinte sie dann seufzend. Emira wollte sie mögen. Wirklich. Sie schwiegen. Alina nippte an ihrem Sekt. Die aufgesetzte Fröhlichkeit war aus ihrer Haltung verschwunden und ernst sah sie sie an. „Ich weiß wie es ist. Ich weiß es...wie es ist seine Familie zu verlieren."
Emiras kalte Finger gruben sich tief in das Fell ihres Stoffhundes und überrumpelt sah sie zu der Prinzessin.
Aber natürlich. Ihr Bruder. Ihr eigener Bruder. Er hatte seinen Vater umgebracht, um selbst Alpha zu werden. Danach war seine Mutter gestorben.
Seine Mutter.
Und ihre.
Alina hatte ihre Eltern verloren, aber anders als sie. Grausamer. Genommen von ihrem eigenen Bruder. Das war doch krank!
Emira versuchte ihre Situation nachzufühlen, versuchte sich auszumalen wie es wäre, wenn Ariana ihren Eltern so etwas angetan hätte, aber der Gedanke war viel zu abstrakt, viel zu weit weg, um ihn zu denken.
„Darian." Es war das allererste Mal, dass Emira ihn beim Namen nannte und er schmeckte falsch auf ihrer Zunge. Viel zu normal für den stärksten, mächtigsten Werwolf in ganz Esparias. „Er ist...", sie verstummte.
Alina holte einmal tief Luft. „Mein Bruder ist ein unglaubliches Arschloch." Sie sagte die Beleidigung so locker und normal daher, dass Emira fast aufgelacht hätte, wäre sie nicht absolut schockiert gewesen. Die Wölfin winkte ab. „Da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Aber deswegen ist es ja auch gut, dass er dich gefunden hat! Du bist seine vorbestimmte Seelengefährtin. Sein fehlendes Puzzleteil. Du kannst ihn ändern!"
Ändern.
„Aber...ich will niemanden...ändern. Ich bin nicht...", sie wusste nicht einmal wie sie ihr Unbehagen in Worte fassen sollte, „...so." Wie diese Frauen, die sich Nachmittags zum Kaffee in kleinen Restaurants trafen, wie diese Mädchen, die sich abends mit ihren Freundinnen verabredeten und dann kichernd aufzählten welche ‚Macken' sie ihren Männern und Freunden schon alles ‚abtrainiert' hatten, als wären sie Dressurhunde. „Ich ändere keine Menschen. Das ist doch...So etwas kann ich nicht einmal, selbst wenn ich es wollen würde." Das erforderte nämlich ‚Geschick und Feingefühl', so hatten Maria und Nadine es genannt und Emira war einfach davon ausgegangen, dass die Sol'Artaire Frauen das einfach nicht besaßen. Sie hatte sich immer gut mit Kaden verstanden und jeder Mann, mit dem Ariana nicht ausgekommen war, wurde nicht verändert, sondern rausgeworfen.
„Natürlich kannst du das!" Alina griff nach ihrer Hand und Emira nahm schnell die Fotografie ihrer Familie in die andere. Niemand sollte es anfassen. „Du verstehst es noch nicht, weil du ein Mensch bist, aber diese Bindung ist für immer. Sie ist göttlich. Die Mondgöttin Lunai hat uns als Ganzes erschaffen, aber wenn wir auf die Welt kommen sind wir gebrochene Stücke. Wir müssen unseren Partner finden, unseren Seelengefährten, um absolut glücklich werden zu können." Sie deutete Emiras zweifelnden Blick richtig. „Ich weiß, ich weiß. Ihr Menschen seid da anders. Verliebt euch neu, lasst euch scheiden, bekommt Kinder von anderen. Aber das ist nicht das gleiche. Es ist mehr als nur Liebe. Ihr gehört zusammen! Ergänzt euch!
Du wirst das absolut Beste in Darian hervorbringen und er das Beste in dir!
Wie die Monde Lunai und Tumion. Lunai füllt sich jeden Monat mit Licht und verblasst dann wieder, aber nicht so Tumion, ihr Mann. Er ist absolute Finsternis und das vierzehn Jahre lang, dann füllt er sich mit dem silbernen Schein von Lunai und zusammen erstrahlen sie vierzehn Tage lang zusammen! Sie sind so hell, dass sie der Sonne Konkurrenz machen. Als es das letzte Mal passierte, war ich noch ein Kleinkind, aber dieses Jahr geschieht es erneut. Das ist ein gutes Omen, dass du ihn jetzt kennengelernt hast, ja!
Der Mondzyklus ist ein Sinnbild unseres Seins. Mit vierzehn Jahren soll der erste Werwolf seine Gefährtin gefunden haben, aber wahrscheinlich ist es nur eine Metapher, weil sie dort in die Pubertät kommen.
Was ich sagen will: Du und Er. Ihr gehört zusammen. Und du kannst es machen. Ihn ändern. Zu einem besseren Werwolf und Anführer machen."
Emira seufzte. Diese Geschichte von den Monden hatte sie aber anders gehört. In den Versionen der Menschen waren sie Zwillinge – Geschwister – und keine Geliebten, aber über so etwas zu streiten war wohl unsinnig.
Ihr letzter Satz ließ sie stutzen und sie dachte an die Parade. Seine Wut, sein gekränkter Stolz, wie er sie alle bestrafen und seinen gesamten Zorn auf Stella abladen wollte. Und das sollte sie alles in Zukunft verhindern. Ganz allein. Die Aufgabe war so gewaltig, dass sie erschauderte.
Alina drückte ihre Hand fester. „Du musst keine Angst haben. Meine Mutter war genau wie du ein Mensch, aber sie hat es auch geschafft und hat meinen Vater glücklich und zu einem sehr guten Alpha gemacht! Du wirst das schaffen!"
Emira schluckte, aber den riesigen Kloß in ihrem Hals löste das nicht auf.
„Eine andere Wahl hab ich wohl nicht", murmelte sie und blickte hinab zu ihrer Familie. Sie waren so weit weg. Sie und all die einstmalige Unbeschwertheit, die sie bis zum heutigen Tage begleitet hatte. Auf der Fotografie lächelte Emira. Sie sah glücklich aus.
Innerhalb eines Tages hatte sie ein ganz neues Leben begonnen. Innerhalb eines Tages wurde ihr ein ganz neues Leben aufgezwungen. Aber sie musste es tun. Sie musste es zumindest versuchen. Für alle kleinen Mädchen in Esparias.
Alina sprang auf, sie strahlte wieder vor Freude und Aufregung. „Keine Sorge! Wir sind ja jetzt quasi auch Schwestern und Schwestern sind immer für einander da!" Sie schien absolut entzückt darüber jetzt ein neues Familienmitglied zu haben, aber Emira musste sich dazu zwingen ihre Mundwinkel anzuheben. Sie hatte schon eine Schwester.
„Du solltest jetzt ganz dringend ein Bad nehmen!", zwitscherte Alina.
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