6 : Shila

Ich sitze auf dem Boden, während um mich herum das Hauptquartier einstürzt. Mein komplettes Leben stürzt praktisch über mir zusammen. Seit Seras Vater mich damals entlassen hat, habe ich hieran gearbeitet. Die Ekrasiten habe ich schon damals als echte Gefahr angesehen, doch mich hat natürlich noch niemand ernst genommen. Wer glaubt schon einer sechzehnjährigen, gefeuerten Zofe, die von Gefahr aus Tophenia, einer Insel von Cresidia spricht. Cresidia ist riesig, das Land besteht aus einer großen Hauptinsel und vier Nebeninseln, die auch nur etwas kleiner sind. Tophenia, Arabella, Melrow und Wundau. Arabella ist meine Heimat, dort habe ich Sera kennengelernt, der netteste Mensch den ich je kennengelernt habe. Sie war genau das Gegenteil ihres herrischen Vaters. Wir haben alles gemeinsam durchgestanden, ich habe ihr Halt gegeben, als ihre geliebte Mutter und ihr neugeborener Bruder starb, ich sprach ihr Mut zu, als sie heiraten musste. Und jetzt? Sie hat sich entschieden zu kämpfen. Ich wische mir die Tränen aus den Augen, ich muss Sera finden. Wie konnte ich sie nur gehen lassen, ich bin eine schreckliche Freundin! Gerade als ich den Gang herunterrennen möchte, in die Richtung in die Sera verschwand kommt mir ein Junge zusammen mit Seras Gefangenen, dem Ekrasiten entgegen. „Shila!", schreit der Junge, er ist vielleicht fünfzehn Jahre alt, sein Gesicht sieht noch sehr jung aus, seine Züge sind weich. „Shila, bitte, hilf uns hier rauszukommen!". Der Ekrasit schweigt. Ich frage mich plötzlich, woher er meinen Namen kennt, doch dann erinnere ich mich an meine wichtige Stellung in unserer Gemeinschaft. „Wir müssen diese Tür aufbekommen, aber erst müssen wir Sera finden!", schreie ich über den Lärm des einstürzenden Gebäudes hinweg. „Wo ist sie?", fragt plötzlich der Ekrasit. Ich runzele die Stirn, was will er bloß von ihr? „Willst du sie umbringen oder was?", frage ich und lache kalt, „Wieso hat Arlon dich eigentlich nicht schon längst umgebracht?"

„Seraphina hat misch gerettet.", sagt er. Plötzlich gibt es einen weiteren ohrenbetäubenden Knall und ein Teil der Decke stürzt ein. Ich kreische und knalle auf den harten Betonboden, meine rechte Hand schmerzt höllisch. Ich muss husten und krieche weg von dem ganzen Staub, endlich kann ich etwas besser atmen. Plötzlich überrennt ein Gedanke meinen Kopf, ich springe auf und brülle: „Ekrasit?", mir fällt auf, dass ich den Namen des Jungen nicht kenne, „Wo seid ihr?". Keine Antwort. Mein Herz beschleunigt wieder. „Hallo? Ekrasit? Ähm...Junge?", schreie ich erneut.

„Ich heiße Max!", höre ich plötzlich eine leise Stimme und ich fühle mich als könnte ich fliegen. Mir fällt auf, dass ich die Luft angehalten habe und ich atme mit einem großen Seufzen aus. „Wir müssen sofort hier weg!", sagt eine tiefere Stimme, die ich dem Ekrasiten zuordne. „Wir müssen Sera finden!", schreie ich zurück und bewege mich in Richtung der Stimmen, dabei atme ich in meinen Ärmel, um nicht zu viel Staub einzuatmen. Trotzdem muss ich husten. „Ich verstehe dich ja, aber wir können wirklich nicht warten, hier sterben wir. Sera ist wahrscheinlich auch schon..."

Ich weiß was er sagen will aber diesen Gedanken will ich gar nicht denken. In diesem Moment höre ich Schritte und plötzlich schreit jemand: „Shila?"

Ich stoße einen lauten Schluchzer aus und Tränen der Erleichterung rinnen über meine Wangen. Sie ist nicht tot, sie ist nicht tot. Sera ist nicht tot! Schnell wische ich mit meinem Handrücken über meine Augen. Ein Schmerz durchzuckt mich und ich stoße einen Schrei aus. Toll, wahrscheinlich habe ich meine Hand gebrochen. In dem Moment bin ich durch den Staub zu Max und dem Ekrasiten gelangt und Sera rennt auf mich zu. Wir fallen uns in die Arme und ich bemerke, dass auch sie weint. Etwas hinter ihr humpelt ein Mann in unsere Richtung, doch ich entscheide mich erstmal um Shila zu kümmern: „Geht es dir gut?", frage ich und als sie nickt füge ich hinzu: „Jetzt müssen wir nur noch einen Weg finden, diese Tür zu öffnen!", sage ich fest und fühle mich wieder als Sergent. „Müssen wir nicht.", sagt eine Männerstimme und ich drehe mich zu dem Mann. „Ich habe unseren Ausweg dabei!", sagt Arlon triumphierend und hält einen Schlüssel in seiner Hand. Ich umarme ihn reflexiv doch er stöhnt kurz auf und ich lasse ihn los. Sera sieht irgendwie etwas angesäuert aus doch sie sagt: „Pass auf, er wurde vorhin von einem Stück Decke begraben. Ich denke er hat sich...ein paar Knochen gebrochen."

Ich werfe einen auf Arlon und sehe dass sein linker Arm in einem ungesunden Winkel absteht und seinen Beinen scheint es auch nicht gut zu gehen. Ich habe allerdings keine Zeit, seinen Zustand weiter zu begutachten, denn hinter uns ertönt ein unheilvolles Grollen und der Gang beginnt langsam aber sicher einzustürzen. Ich reiße Arlon den Schlüssel aus der Hand und renne zur Tür zurück, der Staub hat sich zum Glück etwas gelegt. Meine linke, brauchbare Hand zittert so sehr, dass ich unerträglich lang zum aufschließen brauche. Dann springt die Tür auf und alle rennen nach draußen, Arlon auf Sera und Max gestützt, während der Tunnel hinter uns einstürzt. Geradeso schaffe ich es und lasse mich aufs Gras fallen. Ich keuche und sehe mich um. Alle meine Freunde sind da, ich stoße einen lauten Seufzer aus. Weitere Tränen der Erleichterung rinnen über meine Wangen und es ist mir scheißegal, ob mich jemand weinen sieht. Euphorie überläuft mich und ich fühle mich, als ob ich fliegen könnte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top