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Zum wahrscheinlich ersten Mal in meinem Leben bin ich froh, in Arlons mürrisches Gesicht zu blicken. Er zieht die Augenbrauen hoch und schaut mich an. Der Mann verlässt den Raum fluchtartig. Kurz schleicht sich ein kleines Lächeln auf Arlons Gesicht, es steht ihm. Schnell wird er sich seines „Fehlers" bewusst und sein Gesicht ist wieder aus Stein.

„Komm, Prinzessin", sagt er. Er lässt seinen Blick über mein Outfit gleiten und scheint kurz irritiert zu sein. Jedoch gibt er keinen Kommentar ab. Wir gehen durch die breiten Gänge und kommen schließlich in einen großen Raum, in dem ungefähr zwanzig Menschen sitzen und stehen. Es gibt Sofas, einen Fernseher und sogar einen Billiardtisch, an dem zwei Männer spielen. Ich hatte früher bestimmt zehn von diesen Dingern im Schloss, jedoch habe ich keine Ahnung, wie man dieses Spiel spielt. Ich schätze man befördert einfach alle Kugeln in die Löcher.

„Der Gemeinschaftsraum", sagt Arlon. Sowas habe ich mir schon gedacht. „Aha", sage ich, „Und was für eine Gemeinschaft seid ihr?"

Arlon schweigt kurz und überlegt sich wohl, was er sagen soll. „Also,", beginnt er, „Wir sind grob gesagt eine Rebellengruppe gegen Ekrasih, den neuen König und seine Ekrasiten. Was genau wir machen, hat dich nicht zu interessieren."

„Dann seid ihr alle Verfolgte!", sage ich, obwohl das eigentlich klar ist. Arlon rollt mit den Augen: „Du etwa nicht?"

Verfolgte.

Früher habe ich selbst meine Unterschrift unter Urteile über diese Menschen gesetzt. Für mich war jeder, der vom König verfolgt wurde ein Bösewicht und Halunke. Paradox. Jetzt bin ich anscheinend selbst genau das, obwohl ich nie gestohlen, gemordet oder gelästert habe. Königin Seraphina, die Halunkin. Zum Tode verurteilt.

Der eine Mann am Billiardtisch jubelt und übertönt das allgemeine Stimmengewirr. Er scheint gegen seinen Mitspieler gewonnen zu haben. Arlon steht mir schweigend gegenüber und ich frage mich langsam nach dem Sinn dieses Treffens hier mit ihm.

„Ich kann verstehen, warum der König dich geheiratet hat. Du bist ein hübsches Mädchen.", sagt er unvermittelt und macht auf dem Absatz kehrt. Ich bin verwirrt von diesem Mann. Er ist so kalt und unfassbar ignorant und unhöflich und plötzlich macht er mir ein Kompliment? Was ist das jetzt schon wieder für eine Masche?

„Hey, Arlon, warte mal!", rufe ich. Doch er ist verschwunden. „Na toll", seufze ich und frage mich ernsthaft, was ich jetzt machen soll. Durch dieses Labyrinth finde ich doch nie zurück!

Ich stehe auf und betrete den Gang, durch den ich gekommen bin, dabei bin ich mir nicht ganz sicher, was ich hier will. Zurück in das trostlose Zimmer? Ich beschließe kurzerhand, mich etwas in diesem Rebellenquartier umzusehen und wende mich nach rechts in einen belebten Gang. Ich sparziere durch ein paar Gänge und achte darauf, nichts anzufassen. Ich habe keine Lust, dass irgendwer hier meinen Fluch entdeckt und denkt, dass ich einen Anfall habe. Meine Handschuhe sind ja noch im Zimmer. Vielleicht hätte ich doch versuche können, dorthin zu finden. Jetzt geht das nicht mehr, ich habe mich hoffnungslos verlaufen. Ich nehme mir fest vor, die nächste Person die mir begegnet nach dem Weg zum Gemeinschaftsraum zurück zu fragen

Ach ja, mein Fluch.

Den gibt es eigentlich schon, seit ich zur Frau wurde. Immer wenn ich Dinge berühre, die der Besitzer mit einer Erinnerung, einem starken Gefühl verbindet berühre, sehe ich diese Erinnerung, ich bin dann wie in einem Traum und auf alle anderen um mich herum wirkt es, als sei ich einfach zusammengebrochen.

Seitdem trage ich immer Handschuhe, dadurch kommen mir die Erinnerungen nicht mehr zu Nahe. Alle, sogar meine Familie denken, dass ich es einfach schön so fände oder eine Bakterienphobie oder so habe. In meiner früheren Gesellschaft war das Tragen von Samthandschuhen nicht unüblich, viele Ladys und Gräfinnen trugen sie. Von meinem Fluch habe ich nur Shila erzählt. Shila, meine beste Freundin die so kalt geworden ist.

Meine Beine tragen mich in einen Gang, von dem Gittertüren abzweigen. Hinter ihnen sitzen schmutzige Menschen und ich schaudere. Die meisten scheinen mich nicht wahrzunehmen. Ich entscheide, durch dieses Gang voller Gefangenen zu gehen und gehe langsam los, ich der Hoffnung, einem Gefängniswärter oder so etwas zu begegnen.

Ohne jegliche Vorwarnung stürmt eine Frau aus der Ecke ihrer Zelle an die Gitterwand und kreischt: „Lass mich raus, bitte! Ich habe nichts gemacht, lass mich raus, lass mich raus!"

Von ihrer Ekstase wie aufgeweckt stürmen auch noch ein paar andere Gefangene an die Türen und betteln, doch keiner ist so laut wie die hysterische Frau. Sie hat braune Haare die vollkommen verschmutzt sind, von den Tagen, die die sie auf dem verdreckten Boden geschlafen haben muss und ihre Augen sind furchtbar leer und gruselig.

Ich versuche die Menschen zu beruhigen, langsam gerate auch ich in Panik. Darf ich überhaupt hier sein? „Bitte beruhigt euch, ich...ich kann nicht helfen...ich", stammle ich doch die Frau lässt sich nicht beruhigen. Plötzlich kommt Shila durch den Gang gestürmt und brüllt mit kalter, klarer Stimme: „Was zur Hölle ist hier los?" Sie hält ein Schwert in ihren Händen, dessen silberne Klinge im Licht der mit einer Ölmischung betriebenen Neonleuchten blitzt und glänzt, fast wie mein ganzer Schmuck früher.

„Was machst du denn hier?", fragt sie jetzt mich, etwas leiser aber fordernd. Doch dann kommt ein Mann auf sie zu – Mein Besucher von vorhin, was für eine nette Überraschung – und Shila reicht ihm das Schwert mit den Worten, er solle diese Störung da entfernen. Dabei deutet sie auf die Frau die nun still ist, wahrscheinlich eingeschüchtert durch meine Freundin, die ein hohes Tier hier zu sein scheint.

Der Mann hebt das Schwert und ich realisiere nicht sofort, was er mit ihr tun wird. Seine Augen blitzen und er sieht entschlossen aus. Die Frau weint, jedoch versucht sie nicht zu fliehen, als die Zellentür geöffnet wird. Die anderen Gefangenen haben sich zurückgezogen. „Lasst euch das eine Lehre sein!", sagt Walter drohend, als er das Schwert niedersausen lässt.

Ich kneife die Augen zusammen, als plötzlich eine gewaltige Explosion den Boden erschüttert. Der Mann stolpert auf mich zu, immer noch das Schwert gehoben, ich weiche aus, lasse mich fallen.

Er trifft nicht die weinende Frau. Er stolpert in seine eigene Klinge. Ich reiße die Augen auf, als seine Brust durchbohrt wird, es ertönt ein greller Schrei und ich brauche eine Sekunde, bis ich realisiere, dass es mein eigener ist. Tränen schießen mir in die Augen. Plötzlich werde ich ruckartig auf die Beine gezogen und sehe in Shilas grüne Augen.

„Wir werden bombardiert", sagt sie kühl.

Plötzlich kracht ein Rohr von der Decke und begräbt die Frau unter sich. Ich schreie erneut.

Das Rohr hat den Kopf der Frau hart getroffen, sie ist tot. Die Erde zittert und immer mehr fällt von der Decke. „Komm jetzt, Sera!", ruft Shila über den Krach hinweg. Ich will schon rennen aber da fallen mir die Gefangenen wieder ein. „Wir können sie nicht hierlassen!", schreie ich zurück und hebe meine Hände, um nichts ins Auge zu bekommen. Shila seufzt, das sehe ich und zupft einen kleinen Schlüssel aus einem dicken Schlüsselring an ihrer Hüfte und schmeißt ihn durch die Gitterstäbe in eine Zelle in dem ein Mann hockt. Dieser starrt sie eine Sekunde lang an, bevor er realisiert, was passiert ist.

„Befrei dich und deine Freunde!", ruft sie und greift nach meinem Arm. Ich werde mitgezogen und überall um mich herum höre ich Dinge einstürzen, alles wird immer lauter, ich weiß genau ich kann jetzt sterben und es macht mir Angst, dass ich keine Angst empfinde. Ich bin zu ruhig. „Ich kenne einen Notausgang!!", schreit Shila und ich reiße meinen Kopf herum, mein Puls beginnt zu rasen. Okay, werde jetzt nicht panisch, Sera!

Ruckartig hält Shila an, wir stehen vor einer dicken Eisentür. „Scheiße ich habe meinen Schlüssel doch weggegeben!", schreit sie hysterisch. Ich merke wie mir Tränen in die Augen steigen, ich will nicht sterben, gerade habe ich wieder Hoffnung geschöpft. Pech gehabt.

„Was machen wir jetzt?", schluchzte ich, „Ich will nicht lebendig begraben werden!"

Shila überlegt und holt Luft, sie will etwas sagen. Shila weiß immer weiter.

Doch sie stößt die Luft wieder aus, ohne etwas zu sagen. „Ich weiß es wirklich nicht.", seufzt sie resigniert, „Wir brauchen ein Wunder"

Wut steigt in mir auf und ich balle die Fäuste, während Shila sich auf den Boden sinken lässt. Staub liegt in der Luft und ich muss husten. Außerdem sticht es mir in den Augen und meine Schuhe sind von abgebröckelten Teilen bedeckt. Mir wird schlagartig klar, dass die Tunnel nicht mehr lange halten werden. Es ist still geworden, bis auf ein paar Schreie von Verletzten. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Doch mir wird klar, dass ich nicht einfach aufgeben will, das kann ich nicht. Menschlicher Überlebensinstinkt oder so. Ich bin zwar nicht Shila aber die sitzt mutlos vor mir.

„Ich hol' dir ein Wunder, sage ich und renne wieder in den Tunnel zurück. Rechts neben mir knallt ein Deckenteil herunter und Ich bin weiß vom Staub. „Sera, bleib sofort stehen!", schreit Shila, doch ich bin schon weg. Kaum eine halbe Minute ist vergangen, als mir einfällt, dass ich weder weiß, wohin ich gehe, noch wonach ich suche. Die Erde bebt unter und über mir und ich schütze meinen Kopf mit meinem Arm.

„Nicht stehen bleiben, aber merk dir den Weg!", präge ich mir ein. Auf einmal kracht es und ich drücke mich instinktiv an die Wand. Als ich die mich wieder umdrehe, da nur noch die übliche Geräuschkulisse zu hören ist – Todesschreie und das Beben der Erde – Sehe ich, dass der Tunnel vor mir komplett eingebrochen ist. Schlagartig wird mir klar, wie viel Glück ich hatte und wie dumm ich eigentlich bin. Shila wäre bestimmt etwas eingefallen, ich muss dringend zurück zu der Tür!

Gerade als ich mich zum Rennen bereit mache höre ich etwas. Etwas das ich davor nicht gehört habe. Unter den Trümmern des Tunnels kommen Schreie hervor, Schreie eines Mannes. Ben?! Nein, Bens Stimme ist freundlicher. „Hallo? Ist da jemand?!", schreie ich und sofort kommt es zurück: „Ich bin hier! Unter den Trümmern! Hilfe!". Jetzt wird mir klar, wem die Stimme gehört. Es ist Arlon.

Erst habe ich den Reflex zu lachen, der große, arrogante Arlon braucht Hilfe. Von mir! Doch ich tue es nicht, mir fällt sofort auf, dass die Situation alles andere als lustig ist. „Arlon?", rufe ich, „Ich bin's!" „Seraphina?", fragt er, „Lauf lieber weg!" Dann schüttelt er kurz den Kopf, „Nein, warte, hilf mir!".

„Ich kann nicht! Erstens habe ich mich verlaufen, zweitens haben wir keinen Schlüssel und drittens kann ich dich hier nicht lassen!", rufe ich. Dann beginne ich Trümmer zur Seite zu räumen.

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