1
Ich lehne mich gegen die Tür. Mein Atem geht schwer und flach. Langsam lasse ich mich auf den kalten blanken Beton sinken. Ich lege meinen Kopf in die Hände und versuche mich zu beruhigen. Die muffige Luft dringt in meine Lunge ein und ich unterdrücke ein Husten. Schlagartig fällt mir ein, dass ich keine Zeit habe um mich auszuruhen. Ich wusste, es wird passieren. Aber warum jetzt, warum so bald. Ich bin seit Wochen in diesem Apartment eingesperrt, habe den Kontakt zur Außenwelt komplett abgebrochen. Und wozu?
Um zu sterben. „Und zwar jetzt, wenn du nicht sofort aufstehst!" sage ich mir selbst.
Ich lasse meinen Blick über die Regale an der Wand der winzigen Kammer gleiten, ohne sonderlich viel im Mondlicht, welches durch das kleine vergitterte Fenster des Kellerlochs in dem ich mich befinde eindringt.
Ich rapple mich so schnell auf, dass ich beinahe über den gerüschten Saum meines nach Wochen meines Aufenthalts hier nicht mehr ganz so weißen Kleides gestolpert wäre. Mit weit aufgerissenen Augen und fahrigen Findern lasse ich meine zitternden Hände über die staubigen, zum Großteil mit unnützen, verlassenen Gegenständen der Bewohner gefüllten Regalbretter gleiten. Hier kann doch nicht nur Müll liegen...oder? Gerade nehme ich eine kleine, filigran gearbeitete Teetasse in meine kalte Hand als schwere Schritte, die von meinem Verfolgerstammen müssen. Die Tasse gleitet aus meiner Hand und zerschellt auf dem Boden. Das Geräusch von splitterndem Porzellan schallt durch die sonst so bedrohlich stille Nacht. Die Schritte halten inne und ich habe gerade mein Todesurteil besiegelt. Mein Kopf schreibt die unglaublich unnötigen Schätze. Jeder von ihnen hat sicherlich eine unglaubliche Geschichte, die an der Tür zu meinem Bewusstsein klopft. Doch ich gewähre keinen Einlass. Ich greife blind in das Regal und nehme den schwersten Gegenstand die ich finden kann. Einen Topf, dessen gebrochener Deckel von vielen Erlebnissen zeugt. Die Erinnerung durchzuckt mich und ich lasse meine Waffe fallen. Mehr Geräusche machen keinen Unterschied, mein unerwünschter Besucher weiß längst wo ich mich befinde. Ich zerre die feinen Handschuhe aus meiner Tasche. Ich höre das Atmen meines Mörders im Kellerraum und wie er die Türen neben meiner geräuschvoll aufreißt. Ich brauche unerträglich lange um die rettenden Schutz vor mir selbst überzustreifen.
Zu lange.
Die Tür wird aufgerissen und mein Blick wird ein letztes Mal zum Fenster gezogen und ich sehe, wie sich die Sterne bereit machen, der Sonne zu weichen. Bald wird Sonnenaufgang sein, ein Sonnenaufgang, den ich nicht mehr erleben. Plötzlich habe ich das Bedürfnis schallend zu lachen. Paradox, wo ich doch gleich sterben werde. Vielleicht ist es besser so was bringt das alles überhaupt?
Ich verstecke mich in dunklen Armenvierteln, schütze mich selbst vor der Waffe, die sich nur gegen mich selbst richtet anstatt gegen meine Gegner.
Schmerzhaft werde ich aus den tiefgründigen Grabgedanken gerissen, die meinen Kopf füllen. Zwei riesige Hände schließen sich um meine Handgelenke, die fast nur aus Knochen bestehen. Ich lache. Dann reiße ich mich los.
Was bringt es weiterzumachen...Aber noch tiefgründiger, was bringt es aufzugeben? Ich bin schwach aber ich kämpfe.
Blind greife ich in die staubigen Regale und schleudere meinem Angreifer ein ganzes Teeset entgegen. Es will mir etwas erzählen, aber seine Energie ist zerstört, bevor sie mich umhüllt. Mein Gegner brüllt und hält sich sein rechtes Auge zu. Es quillt rotes Lebenselixier hervor und ich wende den Blick ab, ich kann kein Blut sehen. Der große Mann lacht ein kehliges Lachen. „Kann die kleine Prinzessin kein Blut sehen?".
Ich zucke zusammen. Er weiß zu viel, doch wer und wer hat es ihm verraten?
Ich nehme ein Schmuckkästchen und die Energie strömt durch meinen Körper und mein Bewusstsein füllt sich mit Erinnerungen, die nicht meine eigenen sind.
Eine Frau, sie schreit und Tränen schießen in ihre Augen. Ein Mann fällt auf die Erde, Blut fließt.
Ich schüttele meinen Kopf und reiße mich aus der Erinnerung und haue dem Mann die Kiste auf den Kopf. Er taumelt etwas und ich nutze die vermeintlich einzige Überlebenschance, die ich habe. Ich drücke mich an meinem Gegner vorbei und schlage die Tür hinter mir zu und drehe den eisernen Schlüssel im Schlüsselloch um. Gedämpft höre ich die wütenden Geräusche des Mannes.
Euphorie strömt durch meinen Körper, doch ich kann mich jetzt nicht wieder ausruhen, ich darf mich nicht ausruhen. Ich muss weiter.
Ich haste um die Ecke, mit dem laut hörbaren Geräusch meiner klackernden Schuhe im Nacken um die Ecke.
Plötzlich greifen zwei Hände um meine Handgelenke und halten mich fest. Ich stoße einen verzweifelten Schrei aus und versuche mich aus dem festen Klammergriff zu winden, was mir nicht gelingt. Es läuft mir kalt den Rücken hinunter, als mich die Erkenntnis trifft. Ich bin verloren.
Der Unbekannte dreht sich um und nimmt meine Arme mit, die sich jetzt nutzlos festgehalten hinter meinem Rücken befinden. Eine kalte Hand mit ledernem Handschuh mit abgeschnittenen Fingern legt sich in einer ungeheuren Geschwindigkeit auf meinen Mund. Der Angreifer erinnert mich an eine Gazelle, so schnell und leise bewegt er sich. „Na, Prinzessin?", flüstert er in mein Ohr und an der Stimme erkenne ich, dass es sich um einen Mann handeln muss. Mit aufgerissenen Augen winde ich mich und versuche mich zu befreien. Ein leises Lachen erklingt im nahezu stillen Keller. Ich gebe auf. „Ich lasse dich jetzt los."
Der Klammergriff lockert sich schlagartig und ich springe ein paar Schritte zurück und stolpere. Mit aufgerissenen Augen und zitternden Händen krabbele ich nach hinten bis ich an die kühle Wand stoße. „Komm nicht näher...ich...ich", sage ich leise und mit zitternder Stimme und strecke Hand wie als Stoppzeichen in seine Richtung. Leise lacht er und kommt auf mich zu. „Keine Angst", flüstert er. Es ist dieses geheimnisvolle und gefährliche Flüstern. Und dann nimmt er meine ausgestreckte Hand und zieht mich hoch. Hinter ihm sehe ich die Kellertüren und höre das keuchende Atmen meines vorherigen Feindes hinter der ramponierten Metalltür, hinter der ich mich vor Minuten noch befand. Es kommt mir vor wie Stunden.
Das Licht der einzelnen Glühbirne über dem Angreifer, der mich gerade hochgezogen hat flackert. Mein Blick wandert über das Gesicht des Mannes, zu dem ich aufblicken muss. Er ist groß. Oder ich bin einfach nur klein. Schwarze Haarsträhnen schauen unter seiner Kapuze hervor. Sein Gesicht ist schmal und wird von einer Maske verdeckt. Er ist generell sehr dünn, wie ein Stock. Unter seinem schwarzen Pullover sieht man den Griff eines Messers. Ein Schauer läuft meinem Rücken herunter. Das einzige helle an seiner kompletten Erscheinung sind seine blauen Augen. Sie haben einen Glanz in sich, der mich verunsichert.
Wir starren uns gefühlt stundenlang an, als mir auffällt, was er sehen muss. Ein verängstigtes, kleines Mädchen, das nichts aus den Trümmern seines Lebens anfangen kann. Schmutzige, blonde Haare, zerstörte Kleider und zerrissene Ledersandalen.
„Du bist wunderschön.", sagt er. Und dann zieht er mich hinter sich her zu der gegenüberliegenden Wand. Verwirrt von seinen Worten registriere ich, wie er einen kleinen Schlüssel in ein Schlüsselloch steckt, das in die blanke Betonwand eingelassen ist. Ich schüttele den Kopf und versuche meinen Verstand wieder aufzuwecken. „Moment, wer bist du eigentlich?", rufe ich und entreiße ihm meine Hand, „Wo bringst du mich hin?"
Er dreht seinen Kopf zu mir: „Keine Zeit für Erklärungen. Ich bringe dich in Sicherheit. Unser kleiner Freund da hinten hat sicher Verstärkung gerufen." Er nickt mit seinem Kopf in Richtung des Kellerraums, indem der vermeintliche Ekrasit eingesperrt ist.
Plötzlich öffnet sich eine unsichtbare Tür in der Wand. Und ich beschließe ihm zu vertrauen. In diesem Augenblick höre ich trampelnde Schritte und eine tiefe Stimme schreit: „Da ist sie! Tötet sie!"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top