Spinnenbein
Viele Tage marschieren wir, immer dem Pfad folgend, aber der Wald scheint endlos zu sein. Mit jedem neuen Sonnenaufgang fühlt es sich dumpfer in meinem Kopf an, so als ob ein undurchdringlicher Nebel darin herrscht. Zudem stellt sich langsam ein weiteres Problem ein: Wir haben zwar etliches an Proviant von Beorn mit auf den Weg bekommen und eigentlich auch genügend Wasser, konnten aber anscheinend alle die Undurchdringlichkeit des Waldes nicht gut genug einschätzen. Nach fast einem Monat sind unsere Vorräte aufgebraucht. Nur noch einige Krümel lassen sich mit Müh und Not auf dem Grund unserer Rucksäcke finden.
Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen, denn in meinem Wasserbeutel ist ebenfalls nicht mehr genügend, um den quälenden Hunger wenigsten ein bisschen zu stillen. Durch die Nahrungsknappheit müssen wir öfter Rasten und kommen dadurch noch langsamer voran. In den Gesichtern meiner Gefährten kann ich die mit jedem neuen Tag anwachsende Mutlosigkeit und Verzweiflung sehen.
„Endet dieser verfluchte Wald denn niemals?!", brüllt Dwalin plötzlich unser aller Gedanken aus und schmettert seine Axt gegen den Stamm einer alten Eiche, die daraufhin bedrohlich zittert. Ächzend senken sich ihre knochigen Äste zu uns herab, beinahe so, als ob die Verletzung ihr schmerzt und sie uns vor weiteren Angriffen warnen möchte. „Deshalb muss du ihn aber nicht gleich reizen!", schimpft Balin aufgebracht und legt seine Hand zügelnd auf den Schaft der Axt. „Wen ich verärgere, ist noch immer meine Sache!", knurrt er ihn daraufhin wutentbrannt an und augenblicklich entsteht ein Streit zwischen den Zwergen, angeheizt von Hunger, Hoffnungslosigkeit und dieser verdammten Dumpfheit, hervorgerufen durch die anhaltende Stille, Finsternis und Einsamkeit. Ich versuche verzweifelt und trotz dem schmerzenden Dröhnen in meinem Kopf die Zwerge zu beruhigen, muss mich aber bereits kurze Zeit später erschöpft an einem Baum abstützen. Irgendetwas muss geschehen ... Langsam blicke ich den Stamm hinauf und sehe durch die dichten Blätter hindurch ein kleines Stückchen blauen Himmel, dass die dicken Nebelschwaden, die meinen Geist gefangen halten, wenigstens vereinzelt zu vertreiben vermag und sofort kann ich klarer denken. „Vielleicht kann man von dem Wipfel eines Baumes aus die Grenzen des Waldes bereits sehen", murmle ich tonlos. Vorsichtig setzte ich einen Fuß nach dem anderem auf die knochigen Äste, die mich immer weiter in Richtung Krone bringen, bis ich schließlich durch das Blätterdach hindurchstoßen kann.
Augenblicklich empfängt mich die klare, frische Luft und eine gleißende Helligkeit, die ich so sehr vermisst habe, mich aber unvermittelt dazu zwingt, die schmerzenden Augen zu schließen. Erst nachdem ich mich an die strahlende Sonne gewöhnt habe, kann ich sie wieder öffnen und muss angesichts des Anblicks, der sich mir überraschend bietet, beeindruckt den Atem anhalten. Um mich herum sehe ich die Wipfel der Bäume und in nicht allzu weiter Ferne einen glitzernden See, auf ihm eine ringförmig angelegte Stadt und im Hintergrund einen steil aufragenden Berg, dessen Gipfel durch dichte Wolken im Verborgenen liegt. Es ist so ein idyllischer Anblick, der ein extremes Gegenteil zu der bedrückenden Stimmung unterhalb der Blätter bildet. Wie verzaubert stehe ich einfach nur da und lasse das eintretende Hochgefühl auf mich wirken, tanke neue Kraft aus der Wärme der Sonne und der Frische der Luft. Ich spüre regelrecht, wie die gewonnene Energie durch mich hindurchfließt, sich mit jeder Vene und jeder Ader weiter wohlig erregend in meinem Inneren ausbreitet und jedwede bedrückende Stimmung und Gedankenfolge vertreibt.
Widerwillig und nachdem ich noch einmal tief die klare Luft in meine Lungen gezogen habe, trete ich schließlich den Abstieg an. Augenblicklich verschluckt mich wieder die bedrückende Dunkelheit, als ich meinen Kopf unter das Blätterdach stecke, aber sie kommt mir jetzt nicht mehr ganz so schrecklich vor. Von weit unten, dringt dumpf die Streiterei der Zwerge zu mir hinauf. Leichtfüßig wie seit Tagen nicht mehr und mit neuem Mut, springe ich von einem Ast zum anderen und gelange schließlich wieder zu ihnen. Anscheinend haben sie noch nicht einmal mitbekommen, dass ich weg war. Thorin steht resigniert neben seinem Gefolge und verfolgt schweigend die Auseinandersetzung ... zu ausgezehrt und hoffnungslos, um einzuschreiten. Ich zupfe am Fell seines Mantels, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen und er schaut mich augenblicklich mit glanzlosen Augen an. „Thorin ... ich habe ihn gesehen...", flüstere ich stockend, erschrocken über sein mutloses Gebaren, „... ich habe den Berg gesehen." Jäh erhellt sich sein Blick und er umfasst erregt meine Schultern. „Du hast was?!", fragt er mich aufgebracht und langsam ersterben die lauten Stimmen der Zwerge neben uns, als ihnen seine plötzliche Wesensänderung auffällt. „Ich bin auf einen Baum geklettert, um zu sehen, ob wir nicht schon näher am Ziel sind als wir denken", beginne ich meine Erläuterung. „Es sind vielleicht nur noch drei Tagesmärsche bis zum Waldrand." In seinen Augen entsteht ein hoffnungsvolles Leuchten. „Was hast du genau gesehen?", will er aufgewühlt von mir wissen. Ich lächle verträumt, als ich mir das eben gesehene Bild wieder in Erinnerung rufe. „Einen großen See, mit einer Stadt darauf und dahinter der einsame Berg ... sein Gipfel lag in den Wolken und seine steinernen Hänge haben in der untergehenden Sonne wie reines Silber gefunkelt ... Thorin ... er ist so wunderschön." Meine Stimme gleicht nur noch einem herzbewegten Flüstern, als ihm dank meiner Schilderung Tränen der Begeisterung in die Augen treten.
„Drei Tagesmärsche ... wir sind fast am Ziel", wiederholt er schwer atmend meine Worte. Ich sehe in die Runde der Zwerge, die jetzt dicht bei uns stehen und in ihren Gesichtern kann ich die neu aufflammende Leidenschaft und den wiederkehrenden Tatendrang erkennen. Erleichtert lache ich Thorin an und er schließt mich glücklich in seine Arme.
Während meiner Nachtwache bilde ich mir ein, das flüsternde Stimmen über mir in den Bäumen hängen und menschliche Augen uns beobachten. Aber sehen kann ich niemanden von den Beobachtern, außer ab und an die Ahnung eines Schattens, der leichtfüßig durch die Wipfel springt.
Als wir am nächsten Morgen weiterwandern, hält der Wald auf den letzten Meilen eine weitere Gemeinheit für uns bereits. Unheilvolle Sinnestäuschungen und schreckliche Visionen, die uns ereilen, wenn wir in das undurchdringliche Nichts links und rechts des Weges starren.
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Mystifikation Bil
Meine Fantasie des unerschrockenen und mutigen Zwergenkönigs mit den dunklen Haaren erscheint mir erneut und der Drache dem er gegenübersteht, ist gewaltig und wütend. Seine schuppige Haut schimmert schwarz und golden ... seine mächtigen Flügel sind aufgespannt ... die Hörner, die seinen Kopf schützen, sind aufgerichtet und lassen ihn nur noch größer wirken. Unablässig schlägt er mit seinem keulenbesetzten Schwanz nach ihm, lässt seine Feuerbrust auflodern und spuckt die brennenden, alles zerstörenden Flammen aus dem furchterregenden, mit messerscharfen Zähnen gespickten Maul. Der furchtlose Krieger weicht den todbringenden Angriffen unablässig aus, während die Luft erfüllt wird von sengender Hitze und schwefelhaltigem Atem. Und dann, ganz unerwartet, trifft der Drache ihn mit seinen Flammen und der König stürzt zu Boden ... blutüberströmt und schwer atmend.
Seine Prinzessin stürmt auf ihn zu, wiegt ihn in den Armen und versucht mit flehenden Worten seine Seele davon abzuhalten in die Hallen von Mandos hinüberzugleiten. Ich gehe einen Schritt auf sie zu und plötzlich wandelt sich das Bild und die bis eben noch inhaltslosen Gesichter der Protagonisten formen sich in das von Thorin und mir. Mit stockt der Atem und mein Herz beginnt sich schmerzvoll zusammenzuziehen, so sehr bin ich ob des Anblicks geschockt. Thorin hustet Blut und seine Kleidung raucht noch immer von den Flammen. Gesicht, Haare, Stoff, Schwert und Schild ... schmutzverschmiert und blutbesudelt. Ich habe mich über ihn gebeugt und beweine seinen schmerzlichen Verlust mit bitteren Tränen. Erneut setze ich einen Fuß nach vorne ... merke nicht, dass ich dabei bin den Pfad zu verlassen Zu fesselnd, zu aufwühlend, zu schrecklich sind die Bilder und mein Dasein fühlt sich so an, als hätte ich Thorin bereits verloren ... inhaltslos und schmerzerfüllt zugleich.
Und dann umschließen mich zwei kräftige Arme ... halten mich eindringlich davon ab weiterzugehen. „Bleib bei mir ...", höre ich ruhig ein gefühlvolles Flüstern in meine schmerzumnebelten Gedanken dringen ... unablässig und so zart wie ein Schmetterlingsflügel. Ganz langsam umhüllt mich ein vertrauter Duft ... nach feuchter Erde und sonnengewärmten Steinen, nach reinem Metall und bearbeiteten Leder. Immer deutlicher kann ich die wohltuende Wärme spüren ... angenehm warm und trocken wie ein prasselndes Kaminfeuer im Winter. Und mit jeder neunen Sinnenwahrnehmung, verblasst die schreckliche, angsteinflößende Vision ein wenig mehr, bis sie schließlich ganz verschwunden ist und nur noch das undurchdringliche Nichts des Düsterwaldes vor mir liegt.
Erst jetzt atme ich stoßweise den unbewusst angehaltenen Atem aus und als ob damit auch alles Leben aus mir weicht, sacke ich in mich zusammen. Glücklicherweise halten mich noch immer die beiden starken Arme fest umklammert und geleiten mich auf den trockenen Waldboden hinab. In meinem Kopf brummt es und ein permanentes Augenflimmern verursacht übelerregende Schwindelgefühle. „Bil ...", höre ich plötzlich eine tief-brummende Stimme nach mir rufen und als ich aufblicke und blinzle, sehe ich plötzlich Thorins Gesicht vor mir schweben. Rein und lebendig, ohne den entstellenden Schmutz und Blut und Schweiß des todbringenden Kampfes, den ich eben mitansehen musste. Ich wispere seinen Namen und meine Stimme ist nur noch ein Schatten ihrer selbst ... gebrochen und schmerzvoll verzerrt.
„Ich bin hier Bil ...", flüstert er zurück und seine Worte können endlich den Nebel der Heimsuchung durchdringen ... er löst sich langsam auf ... Schwade für Schwade und dann sehe ich seine eisblauen Augen, die mich sorgenvoll mustern. „Bei Mahal, was hast du nur gesehen?", will er von mir wissen, aber ich kann ihn die Schrecken der Vision nicht beschreiben, denn dann müsste ich sie noch einmal durchleben und das würde mein Herz nicht überleben, da bin ich mir ganz sicher.
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Mystifikation Thorin
Die Vision die Bil erlegen ist, muss schrecklich und angsteinflößend gewesen sein, das habe ich in ihren Augen gesehen. Sie waren glanz- und farblos, haben minutenlang starr durch mich hindurchgesehen und es hat mich unglaubliche Kraft gekostet, sie wieder zu mir zurückzuholen. Ihre Seele war wie gefangen in Schrecken und Schock, gelähmt ob des Anblickes, dass der Wald für sie vorgesehen hatte. Sie spricht nicht davon, aber seitdem läuft sie auffallend nahe bei mir und bei jedem Geräusch, das aus dem Dickicht zu uns dringt, umklammert sie haltsuchend und rückversichernd meine Hand.
Ich sehe mich suchend um, denn der Hunger der uns trotz alledem am meisten quält, ist noch immer allzu deutlich spür- und sichtbar. Plötzlich beginnt die Dunkelheit neben mir sich zu verändern ... flimmernd entstehen Bilder und obwohl ich weiß, dass der Wald nun auch mir eine Täuschung vorspielen möchte, kann ich meinen Blick nicht von ihr nehmen, so als ob eine immense Kraft mich davon abhält.
Langsam bildet sich eine Eisfläche aus dem Schatten heraus ... schneebedeckt und blutverschmiert und darauf stehend Azog ... mein verhasster Todfeind. Das Gesicht zu einer grotesken Maske aus Raserei, Hass und Wut verzogen. Sein linker Arm scheint nur noch aus dem blitzenden Metall eines Schwertes zu bestehen und ist ebenfalls von dem reinen, unschuldigen Blut seiner Opfer besudelt. Aber sein Anblick ist es nicht, der meine Seele innerhalb eines Wimpernschlages zu Eis erstarren lässt ... sondern die Erscheinung von Bil, die ihm gegenübersteht ... gekleidet wie eine Kriegerin und mit ihrem kleinen Schwert in der Hand, das unablässig blau glimmt. Blut rinnt aus einer Verletzung an ihrem Arm und tropft beharrlich von ihren Fingern aus auf die Schneedecke.
Azog lacht verächtlich und ehe ich reagieren kann, stürmt er mit erhobenem Schwertarm auf sie zu. Ich schreie ... ihren Namen und Flüche und Gebete und als ob eine quälende Macht mich zurückhält, kann ich mich trotz aller Anstrengung nicht bewegen. Ohnmächtig und machtlos muss ich mit ansehen, wie mein Erzfeind ihr die blutige Klinge in den Körper rammt ... sie dem Tode bereits nahe, einfach bleiern zusammensackt und erst dann löst sich meine Starre. Ich setze einen Fuß nach vorne und will auf sie zustürmen, aber erneut hält mich etwas zurück ... kleiner und schwächer diesmal. Trotzdem sehe ich mich auf die Eisfläche treten und ihren Körper in meine Arme ziehen. Bils Augen sind leer und leblos, jegliche Nuance des so kostbaren Himmelblaus ist verblasst. Ihre Haut ist aschfahl und kalt und allein ihr rotes Blut ist ein Beweis dafür, dass sie bis vor wenigen Augenblicken noch bei mir war und mich mit diesem wundervollen Lächeln angesehen hat, von dem ich so lange geglaubt habe, dass es nur eine Person auf dieser Welt gab, die es mir so bezaubernd und einnehmend schenken konnte.
„Thorin ... bleib bei mir", höre ich gedämpft wie durch einen Nebel eine sanfte Frauenstimme zu mir dringen und ich möchte schreien, als ich ihre Verursacherin erkenne ... vor entsetzlichen Qualen und schmerzlichen Verlust, da ich sie verloren glaubte. Erneut ruft die Stimme nach mir, deutlicher und eindringlicher als zuvor und dann spüre ich kalte Finger auf meinen erhitzten Wangen. Federleicht und liebevoll streichen sie über die Haut, fahren durch meinen Bart und zwingen mich entschieden den Blick von dem schrecklichen Bild aus Tod und Schmerz, das die Dunkelheit mir so unerbittlich bietet, zu nehmen.
Ich muss mehrmals blinzen um den Schleier der Vision von meinen Augen zu verbannen und erst dann sehe ich in ein Paar der schönsten Seelenspiegel, die ich mir nur vorstellen kann. Sie mustern mich liebevoll und sanft, so voller Hingabe und Vertrauen. „Thorin ... es ist nur eine Täuschung ... eine Vision von etwas, dass niemals sein wird ... glaub mir", flüstert Bil ... ich spüre ihren warmen Atem auf mir und augenblicklich ist das Trugbild verschwunden ... zumindest aus meinem Blickfeld ... in meinem Herzen, hat es für immer einen Platz eingenommen und reißt auf seinem unerbittlichen Weg zu seinem Nistplatz Wunden wieder auf, die ich schon lange als verschlossen ansah.
Ich umklammere ihre noch immer auf meiner Wange ruhende Hand und sie beginnt zu lächeln, nachdem sie merkt, dass ich endlich gänzlich zurückgekehrt bin. Dieses Lächeln ... dieses lange bei mir als einzigartig geltende Lächeln ... so rein und einnehmend ... es dringt tief in mein Herz vor und befreit es für den Augenblick von allem Schmerz und Trauer.
Ich sehe mich um, direkt in die sorgenvoll verzogenen Gesichtszüge meiner Gefolgsmänner, die im Angesicht meines Zusammenbruchs mutloser und verzweifelter wirken als nach jeder Schlacht oder Verletzung. „Mir geht es gut ...", versichere ich ihnen sofort und straffe meine Haltung. Keine Schwäche, keine Ängstlichkeit zeigen ... ich bin ein Sohn Durins und sie verlassen sich auf meine Stärke und Führung.
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Um den Visionen zu entkommen, beschließen wir den Blick nicht länger als nötig von den markierenden Steinen des Pfades zu nehmen und mindestens immer einen unsere Gefährten in der Nähe zu haben, damit uns der Wald nicht doch noch in seine Düsternis zieht. Aber selbst der größte Tatendrang vermag es nicht, dass wir unsere leeren Mägen ignorieren können. In diesem Wald gibt es noch nicht einmal wilde Beeren oder Wurzeln, die wir hätten essen können. Verzweifelt durchstöbere ich mit Thorin an meiner Seite jedes Gebüsch am Wegesrand ... eine kleine Erdbeere ... eine Brombeere ... meinetwegen sogar einen Pilz ... alles könnte ich jetzt essen ... aber selbst mit meinen guten Augen finde ich nichts.
„Da drüben ist ein Licht!!!", hören wir plötzlich Noris aufgeregte Stimme und als wir zu ihm und den anderen Zwergen stoßen, zeigt er auf eine Stelle im undurchdringlichen Gestrüpp abseits des Weges. „Vielleicht Elben!", „Oder Orks!", „Oder Menschen!", „Oder ein Trugbild!" Jeder mutmaßt etwas Anderes und getrieben von unsäglichem Hunger und Durst, stürmen sie unerwartet los, ungeachtet des augenblicklich eingeworfenen Protests von Thorin. Aufgeregt verschwinden sie im Unterholz und sind kurz darauf schon nicht mehr zu sehen. Nur ihre Rufe dringen noch schwach zu uns. Thorin und mich ergreift unsägliche Panik und ehe ich etwas tun kann, hastet auch er den Anderen hinterher, sodass ich schließlich alleine zurückbleibe. Eine namenlose Angst breitet sich sofort in mir aus. Verzweifelt rufe ich die Namen jedes Einzelnen, um sie wieder zu mir zu führen, aber je lauter meine Schreie die Dunkelheit zerschneiden, umso leiser werden ihre Stimmen. Ich sehe mich von unfassbarer Angst betäubt um, als es plötzlich gänzlich still ist. Mein Atem beschleunigt sich stoßweise und Tränen treten in meine Augen. Wie paralysiert ziehe ich mein Schwert und setze einen Fuß in das Dickicht ... und dann noch einen ... und als ich mich wieder zum Pfad umdrehen will ... ist dieser verschwunden ... einfach weg ... nur die Finsternis bleibt beständig bestehen. Ich versuche meine Furchtsamkeit herunterzuschlucken, als ich zögernd weitergehe ... etwas Anderes bleibt mir ja jetzt sowieso nicht mehr übrig.
Langsam schleiche ich weiter in das Unterholz hinein, rufe verzweifelt nach Thorin, Balin, Kili, Fili, Dwalin und Ori, aber niemand antwortet mir. Schritt für Schritt, immer weiter in die verlorene Weite des Waldes, in der jeder Baum, jeder Strauch und jeder Felsen gleich auszusehen scheint. Ich bin mir sicher, dass ich nie wieder hier herauskommen werde. „Thorin!!!", schreie ich aus Leibeskräften, aber meine Stimme bricht durch die aus unsäglicher Angst um meine Gefährten vergossenen Tränen. Verzweifelt presse ich meinen Handrücken vor den Mund, aber kann das schmerzliche Schluchzen nicht mehr darunter ersticken. Hilflos lehne ich mich schließlich an einen Baum und sinke langsam daran hinab. Und dann sehe ich etwas unter dem Teppich aus Blättern vor mir hervorblitzen ... Dwalins Axt. Aufgeregt beschleunigt sich mein Atem. „Dwalin!!!" Meine aufgewühlte Stimme durchbricht erneut die Totenstille, aber ich bekomme keine Antwort. „Wo seid ihr nur alle ..." Die letzten Worte ... nur noch ein ersticktes Flüstern in der Dunkelheit. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so verzweifelt. Die Tränen treten nun aus lauter Hoffnungslosigkeit unbändig aus meinen Augen und benetzen in dicken Tropfen den trockenen Waldboden.
Plötzlich höre ich ein Rascheln über mir, gefolgt von lauten Zischlauten und etwas, das sich anhört wie tausende kleine harte Haare, die über Holz kratzen. Angsterfüllt sehe ich nach oben und entdecke riese schwarze Spinnen von den Baumwipfeln auf mich zu klettern. Ihre langen behaarten Beine stützen massige Körper und ihre zahllosen pechrabenschwarzen Augen betrachten mich mit abgrundtiefem Hass. Ich bin starr vor Angst, aber kurz, bevor sie mich erreichen, erinnere ich mich an die schützende Wirkung meines Ringes. Als ich in meiner Tasche nach ihm greifen will, rutsch er bereits wie automatisch auf meinen Finger und sofort befindet sich die Welt um mich herum erneut wie in einem verschwommenen Nebel.
„Wo ist es hin?", höre ich die Spinnen sofort zischen. „Es war doch eben noch da?" Die erste der Kreaturen erreicht mich und ich weiche ihr wie selbstverständlich aus, sodass sie an mir vorbeikrabbelt. Auch sie kann mich nicht sehen ... zum Glück. „Findet es meine Schwestern!" Weitere Spinnen kommen von den Bäumen herunter und laufen aufgeregt um mich herum. Ihre fauchenden Stimmen durchdringen die Stille. Ich schaue mich um und entdecke schließlich in den Baumwipfeln Kokons aus Spinnweben, die sich leicht bewegen. Nur schemenhaft kann ich vereinzelt Kleidung, ein Stück Bart oder Schuh der Zwerge unter den dicken Fäden ausmachen. Mein Schwert gleitet wieder in die Scheide und vorsichtig beginne ich den Aufstieg. Als ich die erste Gespinsthülle erreiche, beginnen sich die Spinnen bereits wieder auf die Bäume zurückzuziehen ... ich muss mich also beeilen. Behutsam durchtrenne ich die Fasern, die den Kokon an einem dicken Ast halten und dieser schwebt, gestützt von einem Gewirr aus Netzen, zu Boden. So befreie ich nacheinander alle gefangenen Zwerge, bis mein Handeln einer der Spinnen entdeckt, zum Glück gerade, nachdem ich Filis Kokon als letztes heruntergelassen habe.
Zischend und mit aufgestellten Beißzangen kommt sie bedrohlich auf mich zugesprungen. „Es nimmt uns unser Essen ... findet es!" Ich versuche einen möglichst sicheren Stand auf dem dicken Ast zu erlangen und ramme ihr mein Schwert zwischen die großen Augen. Sofort weicht sie einen markerschütternden Schrei ausstoßend zurück. „Es hat einen Stachel ... es sticht!", winselt sie getroffen und krümmt sich vor Schmerzen. Noch immer in Angriffsposition verharrend, betrachte ich ehrfürchtig die blutgetränkte Schneide. „Stich ... ein schöner Name für dich", sage ich leise und wie durch Zauberei, brennen sich plötzlich elbische Buchstaben auf der Klinge unterhalb des Schaftes ein. Ohne Zeit zu verlieren, greife ich die Spinne erneut an. Wie als wäre es aus dünnem Holz, trennt Stich ihr eines der borstigen Beine ab. Kampfunfähig und dem Tode nahe, stürzt die Spinne in den Abgrund und zerplatzt auf dem Waldboden. Augenblicklich sehe ich aber ein halbes Dutzend ihrer Schwestern über die Äste auf mich zu kriechen. Auch wenn ich unsichtbar bin, fühle ich mich dieser Übermacht nicht gewachsen. Also steige ich schnell wieder hinab und lande schließlich sicher auf den Boden. Aber auch hier sind die abstoßenden Kreaturen noch zahlreich vertreten. Die Zwerge haben sich bereits zum Teil aus ihren Gespinsthüllen befreien können und versuchen sich verzweifelt gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen, die teilweise beinahe dreimal so groß sind wie sie selber. Viele von ihnen sind durch das Spinnengift noch immer leicht benommen und taumeln mehr, als dass sie stehen. Ein besonders großes Exemplar der Biester krabbelt schnell an mir vorbei und will Thorin hinterrücks angreifen. Ich stürme ihr hinterher, aber ehe ich sie erreichen kann, durchbohrt ein Pfeil ihren aufgeblähten Leib und lässt sie mit einem Todesschrei zu Boden stürzen.
Augenblicke später kommen unzählbar viele Elben aus den Bäumen geschwungen. Ihre braun-grüne Kleidung lässt sie bis zuletzt perfekt mit ihrer Umgebung verschmelzen, selbst ihre Haare sind mit Blättern, Farnen und Beeren gut getarnt. Eine Spinne nach der anderen wird von ihren Pfeilen und langen Klingen durchbohrt, so schnell, dass ich ihren geschmeidigen Bewegungen kaum folgen kann. Der Waldboden ist schließlich getränkt mit schwarzem Blut, das selbst in dem fahlen Licht feucht glänzt. Als letztendlich alle Spinnen tot sind, umkreisen die Elben mit gezogenen Schwertern und gespannten Bögen sofort die Zwerge. Hilflos kann ich nur mit ansehen, wie einer nach dem anderen von den Waldelben entwaffnet, gefesselt und mit einem Sack über den Kopf abgeführt wird.
Erneut glücklich einen Zauberring zu besitzen, der mich vor den Augen anderer verbirgt, bleibt mir nichts Anderes übrig, als ihnen zu folgen. Trotzdem möglichst unauffällig und leichtfüßig, gehe ich hinter der die Nachhut bildenden Elbenkriegerin hinterher. Ihre feuerroten langen Haare ... die äußerst ungewöhnlich für Elben sind ... leuchten im Sonnenlicht, das, je näher wir dem Waldrand kommen, immer intensiver die Dunkelheit durchbrechen kann.
Schließlich gelangen wir an einen steilen,baumbestandenen Hang. Über einen schnell fließenden Fluss, dessen Wasser sorein und klar ist, wie sonst nirgends in diesem Wald, spannt sich einesteinerne Brücke. Sie führt uns zu einem großen, runden hölzernen Tor, das sichbereitwillig öffnet, als der erste Elb seinen Fuß auf den Übergang setzt. Wirlaufen an gewaltigen Säulen aus Stein vorbei, die mit elbischen Runen undfloralen Mustern verziert sind und den Felsüberhang abstützen, der das Tor vorden Augen Fremder verstecken soll. Flink schleiche ich mich an der Elbin vorbeiund kann so vor ihr in die großzügigen Hallen, die in den Hang eingebettetsind, treten. Donnernd schlagen die mächtigen Flügel des Tors hinter unszusammen ...
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