Smaugs Vermächtnis

Hastig stürmen wir aus dem Berg, den wütenden Drachen Smaug hinterher. Dunkelrotes Blut zeichnet seinen Weg, genauso wie die völlige Verwüstung der Schönheit Erebors, die nur in namenloser Raserei hervorgerufen werden kann. Die kläglichen Reste des Eingangstores sind von ihm nun gänzlich zerstört worden ... überall liegen große Gesteinstrümmer herum und versperren teilweise unseren Weg, sodass wir erst mühsam über sie hinweg klettern müssen. Draußen auf der Ebene und in dem grauen Himmel darüber ist er nicht zu entdecken, also klettern wir auf den Rabenberg, von wo aus wir die komplette Landschaft überblicken können. Im Schein der bereits orangegelb aufgehenden Sonne breitet sich die Flusslandschaft mit dem Langen See an dessen Ende vor uns aus. In der Ferne können wir die Häuser der Seestadt erkennen und darüber, wie ein drohendes Mahnmal, beunruhigend nah den Drachen kreisen. Fassungslos, mit offenen Mündern und geweiteten Augen vor uns hinstarrend, müssen wir hilflos mit anschauen, wie er mit seinem feurigen Atem zuerst die Brücke, die die Stadt mit dem Land verbindet, in Brand setzt und damit die einzige Möglichkeit vernichtet, zu entkommen. Danach speit er seinen Feuerstrahl auf die hölzernen Häuser, die sofort in Flammen aufgehen. Der emporlodernde rot-flackernde Schein über der Stadt erhellt gespenstig die spärlich verbliebene Dämmerung.

„Wir müssen doch irgendetwas tun können?!", ruft Ori verzweifelt aus. „Und was? Selbst wenn wir uns jetzt aufmachen, werden wir erst in der Seestadt ankommen, wenn es schon viel zu spät ist. Wir können den Drachen nicht besiegen, er ist zu mächtig und kann mit keiner Waffe niedergestreckt werden, die wir besitzen", stößt Gloin rüde als Antwort aus. „Nein ... er ist nicht unverwundbar", werfe ich aufgewühlt sofort ein und alle Augen richten sich auf mich. „Er hat eine freiliegende Stelle an seinem schuppen- und diamantenbewährten Körper. Am Hals oberhalb seiner Brust, dort wo sein Feuer entspringt und wenn mich nicht alles täuscht, ist genau darunter sein Herz, das die Glut entfacht." Alle Zwerge, die diese Tatsache noch nicht wussten, starren mich sprachlos über diese Entdeckung an. „Und selbst wenn, wir haben keine Möglichkeit, das jemandem in der Stadt mitzuteilen!", entmutigt uns Balin hart und trauervoll und ich lasse mich niedergeschlagen über diese wahre und dennoch so bitter zu akzeptierende Tatsache auf einen Stein sinken.

Verzweifelt schlage ich die Hände vor dem Gesicht zusammen und betrauere diese verfluchte Hilflosigkeit, zu der wir verdammt sind. Der Wind trägt bereits den Geruch von verbranntem Holz, Fleisch und Haaren und den unheilvoll hallenden Klang der Turmglocke von der Seestadt zu uns herüber. Die ekelerregende Mischung aus Feuertod und Verderben kriecht unbarmherzig in meine Seele und lässt mich jegliche Hoffnung verlieren. Aber plötzlich vernehme ich erneut ein zartes Flügelschlagen und als ich mit tränennassen Augen aufschaue, flattert die kleine Drossel aufgebracht um mich herum. Ich strecke meine Hand nach ihr aus und sie lässt sich wie selbstverständlich auf meinen Finger nieder und zuckt aufgeregt mit ihren Flügeln. „Eine Drossel ...", haucht Thorin leise neben mir, um sie nicht zu verschrecken, und kniet sich zu mir herunter. „Sie ist mir schon ein paar Mal begegnet, immer dann, wenn ich die Zuversicht bereits aufgegeben habe", antworte ich ebenso flüsternd und lasse einen Finger über das schimmernde Gefieder streichen. „Meine Vorfahren haben seit Generationen die Drosseln dieser Gegend gezähmt. Sie waren langlebige Zaubervögel, mutig, intelligent und nützlich. Die Menschen von Thal verstanden früher ihre Sprache und ließen sie mit Botschaften zur Seestadt und anderswohin fliegen. Vielleicht ist sie eine der letzten ihrer Art und möchte uns helfen", erzählt er mir andächtig und ich schaue den kleinen Vogel noch ehrfürchtiger als vorher an. „Meinst du, es gibt noch Menschen in Esgaroth, die die Drosselsprache verstehen können?", frage ich aufgeregt, denn in meinem Kopf entwickelt sich zögerlich ein Plan ... eine Funken Hoffnung in der dunklen Hoffnungslosigkeit. „Das weiß ich nicht ... aber möglich wäre es durchaus, denn es befinden sich auch Nachfahren der Einwohner von Thal unter ihnen", erwidert er und die Drossel beginnt wie zustimmend zu singen.

Ich hebe den kleinen Vogel ganz nah an meine Lippen und flüstere ihm Smaugs Geheimnis über seine einzige verwundbare Stelle zu. „Und jetzt fliegt, getragen von allen guten Hoffnungen unter deinen Schwingen und finde jemanden, der dich versteht und den Drachen besiegen kann", sage ich achtungsvoll und lasse den Vogel von meiner Hand abheben. Laut zwitschernd entschwindet er in Richtung Seestadt und ist schon bald nicht mehr zu sehen.

Lange geschieht nichts ... Es ist regungslos um uns herum ... beängstigend ... nur der eisige Wind jault über den Gipfel des Rabenberges und lässt uns trotz der dicken Mäntel frösteln. Von ganz weit entfernt scheint es mir, als ob die Klagerufe und Schmerzensschreie der Bewohner von Esgaroth von ihm zu uns getragen werden. Noch immer zieht Smaug eine alles vernichtende Schneise durch die Stadt, verbrennt unbarmherzig in seiner Wut Häuser, Boote, Geschäfte und Menschen. Fährt mit seinen Krallen durch die Straßen und schleudert die ergriffenen Bewohner in den durch Asche und Qualm trübe gewordenen See. Schwarzer Rauch steigt unablässig auf und verräuchert die aufgehende Sonne.

Irgendwann kann ich mir das Grauen nicht länger mit ansehen und verkrieche mich wimmernd hinter einem großen Felsbrocken. Mit angezogenen Knien, auf die ich meinen Kopf bette, beginne ich zitternd zu weinen. Jegliche Entschlossenheit und Zuversicht ist aus meinem Sein gewichen und hinterlässt eine dunkle Leere ... das unermessliche Leid der Menschen brandet in mein Herz ... der Kopf dröhnt durch die Erschöpfung ... der Körper schmerzt von den vielen Wunden ... das Gesicht brennt von Drachenblut und Tränen. Sanft spüre ich plötzlich die Arme von Kili, die er zärtlich um mich legt. Völlig verzweifelt nehme ich seinen Versuch an, mir etwas Trost spenden zu wollen, und vergrabe mich schluchzend in die Geborgenheit seines Mantels. Er hält meinen bebenden Körper einfach nur fest, bestrebt mir neue Hoffnung zu geben, wo keine mehr ist, aber auch er kann ein leises und für die Zwerge so untypisches Wimmern nicht verbergen im Angesicht des erlebten Verlusts. Was haben wir nur getan?! Warum mussten sich die Prophezeiungen von Bard erfüllen?! Warum haben wir so viel Leid über diese Stadt gebracht?!

„Smaug ist gefallen!", hören wir plötzlich Noris aufgeregte Stimme die Verlassenheit durchbrechen und schauen unvermittelt jeder Trauer beraubt auf. „Ich habe es genau gesehen ... erst ist sein Feuer und dann er in den See gestürzt!" Aufgewühlt steht Kili auf und zieht mich mit sich nach oben ... und tatsächlich, der Drache ist nirgendwo mehr am Himmel zu sehen. Hoffnungsvoll starren wir auf die glitzernde Wasseroberfläche ... und Smaug taucht nicht mehr aus den Fluten auf. Stattdessen sehen wir eine Schar schwarzer und unglaublich großer Raben, die krächzend vom See zu uns hinüberfliegen. Angst ergreift mich, als sie genau auf uns zukommen und ich kralle mich Schutz suchend in das Fell von Kilis Mantel. Ohrenbetäubend lärmende Laute ertönen lassend, umkreisen sie kurz Thorin, der davon vollkommen unbeeindruckt zu sein scheint, und fliegen dann auf den Berg zu.

„Die Vögel Erebors kehren zu ihm zurück und werden die Nachricht in alle Teile Mittelerdes verbreiten: Der Drache Smaug ist tot!", jubelt Balin und augenblicklich bricht ein euphorischer Beifall aus und wir liegen uns alle freudig in den Armen ... alle bis auf Thorin. Seine Hände sind auf dem Rücken übereinandergelegt, die Haltung steif und gebieterisch ... als er sich einfach von uns wegdreht und mit bedächtigen Schritten auf den Abhang zuläuft ... den durchdringenden Blick fest auf das zerstörte Eingangstor und die kahle Ebene richtet. Langsam löse ich mich aus Kilis Umarmung und trete noch immer freudestrahlend neben ihn. „Thorin ... der Drache ist tot ... es ist geschafft ... der Erebor ist dein", sage ich leise, aber er schaut mich nicht an. Erst als ich ihn zaghaft am Arm berühre, dreht er seinen Kopf zu mir und seine Augen glimmen bedrohlich schwarz. Befangen weiche ich einen Schritt zurück, denn es ist der gleiche gefahrbringende Blick, denn er innehatte, als er mich mit Orcrist bedroht hat. „Aber der Arkenstein ist noch immer verloren...", stößt er aufgebracht aus und wirft wütend einen Stein den Abhang hinab. Poltern kommt er etliche Male auf den harten Hängen auf und versinkt schließlich in den Fluten des Eilend.

„Baut den Wall hoch und sicher!", schallt Thorins finsterer Befehlston durch die weitläufigen Hallen. Die festen Schritte seiner schweren Stiefel verbreiten eine beängstigende Atmosphäre, als er durch die Reihen seiner Gefolgsleute stapft und aufgebracht Anweisungen erteilt. Die Zwerge wuchten riesige Felsbrocken mit Flaschenzügen, Schubkarren oder bloßen Händen heran und stapeln diese zu einer riesigen massiven Wand auf, die das bis zur völligen Unkenntlichkeit zerstörte Haupttor sichern soll.

Mit ernstem Blick beobachte ich ihn immer wieder argwöhnisch, während ich einige Hilfsmittel herbeischaffe, versuche Erschöpfung, Durst und Hunger zu lindern so gut ich kann ... leider das einzige, mit dem ich die Zwerge unterstützen kann. Seine Stimmung ist in den letzten Stunden noch dunkler und mürrischer geworden als sie bereits auf dem Rabenberg war. Noch nie habe ich ihn so erlebt. Harsch fährt er sogar seine Neffen an, wenn diese seiner Meinung nach nicht schnell genug arbeiten, ungeachtet der Tatsache, dass wir nach dieser abenteuerlichen Nacht alle ein wenig Ruhe dringend nötig hätten. „Niemand wird diesen Berg ohne meine Erlaubnis verlassen oder betreten, das ist ein Befehl! Ich will, dass ständig eine Wache auf dem Wehrgang unterhalten wird. Jedes ungewöhnliche Vorkommen wird mir unverzüglich gemeldet!", erteilt er harsch Order und prüft misstrauisch die bereits geleistete Arbeit.

Was ist nur los mit ihm? Warum benimmt er sich auf einmal so ungerecht und rücksichtslos seinem ihm treu ergebenen Gefolge ... seinen Freunden ... gegenüber? „...wie er sein Herz verdirbt ...", hallen die unheilverkündenden Worte von Smaug in meinem Kopf wider und ich schüttle ihn hastig, um die plötzlich aufkommenden düsteren Gedanken und Vorausahnungen zu vertreiben.

Langsam und hoffentlich ungesehen gehe ich Thorin nach, der gerade in den Schatten eines Seitengangs verschwunden ist. Als ich ihn erreiche, lehnt er erschöpft an einer bröckelnden steinernen Säule und hat die Augen ermattet geschlossen. Er wirkt in diesem Moment so ungewohnt zerbrechlich, so abgekämpft und verloren und es bereitet mir unglaubliches Entsetzen, ihn in dieser Verfassung zu sehen. „... wie er ihn zerstört ...", denke ich schwermütig erneut an Smaugs folgenschwere Prophezeiung die unheilvolle Wirkung des Arkensteins betreffend.

Vorsichtig, um ihn nicht unnötig zu erschrecken, gehe ich auf ihn zu, aber er hat mich wie immer bereits wahrgenommen. „Was möchtest du, Bil?", ängstigt mich unerwartet seine brummende Stimme. Und die Feststellung, dass ich anscheinend so etwas wie Angst vor ihm habe, erschüttert mich zutiefst. Noch immer sind seine Augen geschlossen und sein Atem geht flach und angestrengt wirkend, so als ober er mit etwas in seinem Inneren kämpft. Ich stelle mich direkt vor ihn und umschließe nach kurzem Schwanken liebevoll seine Finger mit meinen und auch wenn sie schon so oft miteinander verwoben waren, wirkt der Größenunterschied unserer Hände noch immer sonderbar auf mich. „Thorin ... bist du wirklich der Meinung, dass das nötig ist?", beginne ich zögernd und beschwichtigend. „Sollten wir nicht lieber die Hallen deiner Väter wiederherrichten, sodass sie erneut mit Leben gefüllt werden können ... anstatt dieses mit einer Mauer auszusperren?", empfehle ich ihm, obwohl es mir nicht im Geringsten zusteht, dem König unter dem Berge ... der er nun wahrhaftig und unanfechtbar ist ... irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Und im Angesicht dieser Erkenntnis rollt ein aufgeregtes und ehrfurchtvolles Zittern durch meine Existenz ... lässt mich vor seiner plötzlichen Herrschaft erschaudern und nur langsam begreifen, was sie vollumfänglich bedeutet.

Schleppend hebt er seine Lider und noch immer ist jegliche Farbe aus seinen Augen gewichen. Finster liegt der bedrohliche Blick auf mir und ruft ein namenloses Gefühl hervor, durchdrungen mit Argwohn, Entsetzen und Besorgnis. „Ja das bin ich!", fährt er mich abgehackt an und entreißt mir nachdrücklich seine Hand. Meine Augen weiten sich erschrocken und ich weiche instinktiv einen Schritt zurück. „Ich werde nicht zulassen, dass mir irgendjemand diesen Berg wieder nimmt! Niemals wieder, hörst du!" Seine Tonlage wird mit jedem Wort dröhnender und schroffer. Zornig und drohend kommt er auf mich zu, hebt einschüchternd seine Faust und lässt mich noch ein klein wenig mehr Zurückweichen. „Und wer bist du, dass du an MEINEM Handeln zweifelst, Frau?!"

Ich starre ihn entgeistert über seine so ungewohnt eisigen und herabsetzenden Worte an und schlucke den harten Kloß, der sich in meinen Hals bildet und mir fast die Fähigkeit zum Denken und Leben nimmt hinunter. Es ist tatsächlich Angst die ich vor ihm habe. Tränen wollen sich bereits brennend ihren Weg meine Wangen hinab bahnen, aber ich schaue schnell zur Seite, bevor er sie sehen kann. „Verzeiht mir, Majestät, ich wollte Euch nicht erzürnen", sage ich hastig und wende mich eilig von ihm ab, bevor ihm meine Bedrückung und Zerrissenheit auffallen kann. „Wo willst du hin?", ruft er mir allerdings aufgebracht hinterher ... und die darin mitschwingende Empörung und Verbitterung schmerzt mein Herz unsäglich. Tief durchatmend um ihn ja nicht zu zeigen wie sehr mich sein Verhalten verletzt, blicke ich über meine Schulter zurück. „Meine Pflichten als Dienstmädchen wahrnehmen...", seufze ich traurig und gehe einfach weiter. Das einzige was ich noch von ihm höre, ist, wie er erregt seine flache Hand gegen den Stein der bröselnden Säule donnern lässt und sich die daraufhin lösenden Gesteine polternd auf dem Boden verteilen.

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Retrospektive Thorin

Der Trauerzug der Gerontius Tuk zu seiner letzten Ruhestätte in den Grabhügeln der Familie begleitet ist würdevoll und erhaben. An der Spitze kann ich von weitem Isegrim erkennen, der jetzt nach dem Tod seines Vaters der neue Thain des Auenlandes ist. Neben ihm geht seine Mutter und sie wirkt trotz ihres Alters noch immer so hübsch und edel wie an den Tag, an dem ich sie das erste Mal gesehen habe. Hinter ihnen laufen die anderen Familienmitglieder mit ihren Angehörigen und trotzdem sie alle Trauer tragen und die Frauen ihre weinenden Gesichter hinter Schleiern verbergen, kann ich Bella augenblicklich aus ihnen heraus erkennen, denn ihre Gestalt strahlt noch immer so wie die Sonne an einem klaren Frühlingsmorgen. Neben ihr läuft ein junges Mädchen und die beiden Frauen geben sich gegenseitig den nötigen Halt, um die Trauer ob des Verlustes zu überstehen.

Ich stehe unter dem in voller Blüte stehenden Kirschbaum ... die fallenden zartrosa Blätter umwehen mich, als ein seichter Wind aufkommt und sofort beschwören sie die Gedanken an die schönsten und schmerzlichsten Momente meines bisherigen Lebens herauf, die ich hier erleben musste. „Warum bist du gekommen?", höre ich plötzlich ihre Stimme hinter mir und als ich mich umdrehe, empfangen mich die gleichen wunderschönen himmelblauen Augen, die ich so sehr vermisst habe ... auch wenn sie gerötet und von Trauer über den Todesfall ihres Vaters gezeichnet sind. „Ich wollte ihm die letzte Ehre schenken ... denn er war ein großartiger Herrscher und ein noch besserer Freund", sage ich respektvoll und gehe einen Schritt auf sie zu. „Ich habe nicht gedacht ... gehofft ... dass ich dich jemals wiedersehen werde", flüstert Bellas erstickte Stimme und es bildet sich ein Kloß in meinem Hals, der mir fast die Besinnung raubt, so grausam lastet er auf meiner Seele. „Ich kann deinen Schmerz nachvollziehen ... denn ich weiß wie schwer ist es, seine Eltern zu verlieren", wispere ich zurück und stehe schließlich vor ihr. „Es ist nicht allein sein Verlust, der mein Herz in Trauer und Leid gefangen hält", gibt sie erstickt zu und senkt ob dieses anscheinend ungewollten Bekenntnisses ihren Blick um meinen auszuweichen.

Die vielen Jahre unserer Trennung haben ihrer Schönheit keinen Tribut abverlangt, auch wenn einzelne silbergraue Strähnen ihre noch immer langen Locken durchwirken und hauptsächlich Sorgenfalten ihr Gesicht zieren. „Mein Ersuchen an dich gilt noch immer ... auch nach all den Jahren", offenbare ich ihr und lasse eine der seidigen Haarsträhnen durch meine Finger gleiten. Aber sie entzieht sie mir sofort, als sie sich distanzierend einen Schritt von mir entfernt. „Was verlangst du von mir Thorin ... soll ich mein Leben aufgeben, um dir zu folgen ... meine Familie ... meine Heimat ... jetzt noch ... nach dieser langen Zeit?!", sagt sie plötzlich wütend und hebt ihre Fäuste. „Ich kann es nicht ... ich konnte es früher nicht und jetzt noch weniger ... kein Gefühl der Welt und wenn es noch so mächtig ist, gibt mir das Recht dich zu lieben und alle anderen dadurch zu enttäuschen ... dich der Lächerlichkeit preiszugeben, wenn ich einen Platz an deiner Seite einnehme."

Ihr Atem geht stoßweise und ihr Körper zittert heftig. „Warum kannst du mich nicht einfach vergessen ... warum musst du mich mit deinen Gefühlen quälen?", will sie erstickt von mir wissen und trommelt aufgewühlt mir ihren kleinen Fäusten auf meine Brust ein. Unvermittelt halte ich ihre Handgelenke umklammert, um sie zu beruhigen. „Weil ich dich liebe ... bedingungslos und aus tiefstem Herzen ...", gebe ich ihr als Antwort und mit Schrecken stelle ich fest, dass ich ihr diese Liebe das erste Mal offenbare. Sie verzieht unvermittelt ihr Gesicht zu einer Maskerade aus Schmerz, Kummer, Leid und Qualen. „Warum noch immer ... warum?" Ihre Stimme ist nur noch ein Hauch ihrer selbst. „Du bist das wundervollste Geschöpf, dass ich jemals getroffen habe und ich verstehe es nicht, warum du ein liebloses Leben eines an meiner Seite vorziehst?!" Sie schlägt die Hände vor dem Mund zusammen, um ein Schluchzen zu unterdrücken, was ihr aber nur unzureichend gelingt.

„Mama?", vernehmen wir plötzlich eine zarte, fragende Frauenstimme vom Waldrand zu uns dringen und als ich zu der dazu passenden Gestalt blicke, kann ich sogar durch den schwarzen halbtransparenten Schleier hindurch die strahlende himmelblaue Farbe ihrer Augen erkennen. Bella strafft ihre Haltung und versucht gefasster zu wirken, als sie ist, bevor sie sich umdreht. „Ich komme sofort, Ghivashel", antwortet sie, aber ihre Stimme ist noch immer stockend und zerrissen. Die junge Frau richtet ihren durchdringenden Blick misstrauisch auf mich und geht dann wieder zurück zu ihrer Familie.

„Du hast eine Tochter", stoße ich fassungslos aus und kann augenblicklich verstehen, warum sie ihr Leben im Auenland jetzt noch weniger als damals aufgeben möchte. „Sie wird in drei Jahren bereits mündig", antwortet Bella mir und der aufblitzende bedingungslose und übermächtige Stolz in ihren Augen ist nicht zu übersehen. „Sie ist bestimmt eine wundervolle, intelligente und bezaubernde Person ... nichts anderes würde ich von deinem Kind erwarten", flüstere ich anerkennend und sie lächelt leicht. „Ja, sie liest alles, was ihr in die Hände fällt ... Abenteuer und Sagen, in denen mutige Helden gegen Ungeheuer kämpfen am liebsten ... sie ist ein echter Tuk, durch und durch ... abenteuerlustig und mit einem furchtlosen, starken Herz gesegnet ... das einzige Licht meiner grauen Tage."

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Wenig später stehe ich in der Gesindeküche und betrachte matt die mir bietende Unordnung. Thorin hat ebenfalls befohlen, dass die ehemaligen Räumlichkeiten der Königsfamilie und deren direkte Dienerschaft als Erstes für uns wiederhergerichtet werden sollen. Denn diese sind aufgrund ihrer erhöhten Lage im Eingangsbereich, von der Zerstörung durch den Drachen größtenteils verschont geblieben. Allerdings hat auch hier deutlich die rücksichtslose Zeit ihre Spuren hinterlassen. Staub und Dreck der vergangenen 170 Jahre vermischt sich mit in der Panik des Angriffs umgestoßenen Dingen. Schwermütig drehe ich eine gekippte Bank um und lasse mich kraftlos darauf nieder. Bedrückt schaue ich auf meine Hände und bewege fahrig die müden und entkräfteten Glieder. Sie sind genauso wie meine Arme von tiefen Schrammen und dreckigen Spuren überzogen und noch immer klebt zum Glück nur das Blut des Drachen und meines an ihnen.

Was ist nur geschehen? Vor wenigen Stunden noch habe ich Seite an Seite mit Thorin gegen Smaug gekämpft und jetzt hat er sich so unglaublich verändert, dass sogar Angst vor ihm in meinem Herzen aufkommt und ich weiß nicht warum. Erschöpft, durcheinander und mutlos lasse ich die Finger über meine müden Augen fahren, die brennen als hätte ich sie schon seit Tagen nicht mehr ausruhend geschlossen.

„Bil, hier bist du ...", höre ich plötzlich eine vertraute Stimme von der Eingangstür und als ich aufschaue, sehe ich Ori durch diese treten. „Ori, was machst du hier, warum bist du nicht bei den Anderen?", frage ich ihn leise und wische mir schniefend mit dem Ärmel über die tränenden Augen, damit er das Unglück und die Verzagtheit meines Herzens nicht sehen muss. „Ich bin für solche Arbeiten nicht geschaffen und deshalb hat Thorin mir befohlen, dass ich dir behilflich sein soll ... bei was auch immer das ist...", sagt er unsicher und kommt auf mich zu. Ich lächle leicht und stehe meine Betrübnis mit aller verbliebenen Kraft bekämpfend auf. „Ich danke dir, Ori ...", erwidere ich mit ehrlicher Anerkennung und tatsächlich neuem Tatendrang. „Ich möchte die Räumlichkeiten in Ordnung bringen, die Vorräte hier verstauen und wenigstens ein klein wenig das Heimatgefühl für euch in diese bedrückende Trostlosigkeit zurückbringen", sage ich plötzlich beschwingt und sammle demonstrativ die Scherben eines zerbrochenen Kruges vor mir auf. Ori's Mund verzieht sich zu einem erfreuten und Mut spendenden Lächeln und er nimmt mir sofort hilfsbereit die Bruchstücke aus den Händen.

Es dauert den ganzen restlichen Tag, bis wir die Küche mit dem großen Esstisch und den langen Bänken, der kniehoch aufgemauerten offenen Feuerstelle und dem gewaltigen Kerzenleuchter in der Deckenmitte von Staub, Schmutz und Spinnweben befreit haben. Die Vorräte, die wir gestern Mittag draußen beim Lager gelassen haben, sind ordentlich in den Regalen verstaut und werden auch noch die nächsten Wochen für uns reichen. Zufrieden mit unserer Arbeit und sogar ungehemmt lachend und scherzend, bereiten wir das Abendessen für unsere Gefährten zu, die nach diesem harten und anstrengenden Tag, kurze Zeit später erschöpft zu uns stoßen. Nicht mit der gewaltigen Veränderung rechnend, schauen sie sich erstaunt in der Küche um und loben uns überschwänglich für unseren Fleiß.

„Konntet ihr das Wehr fertigstellen?", frage ich in die Runde, als alle Platz genommen haben und ausgehungert wie Wölfe im Winter, nach den auf den Tisch stehenden warmen Brot und der dampfenden Kartoffelsuppe greifen. „Ja, Bofur unterhält bereits die erste Wache", nuschelt Fili mit vollem Mund und erntet daraufhin sofort einen tadelnden Blick von seinem Onkel. Ich sehe Thorin mir gegenüber beschwichtigend an, denn die letzten Stunden waren für uns alle hart und kräftezehrend, sodass Anstand ruhig einmal nebensächlich werden kann ... auch für einen Thronfolger. Er erwidert stumm meinen Blick und das erste Mal seit einigen Stunden, kann ich einen kleinen Schimmer Licht in seinen schwarzen Augen erkennen.

„Lasst bitte etwas für ihn übrig, ich bringe ihm nachher seine Portion", weiße ich die Zwerge anschließend freundlich an und nehme Thorin verwirrt den vollen Teller ab, den er mir auf einmal kommentarlos reicht. Ich bin kurz erstaunt und verunsichert über diese Geste, denn sie wirkt so außergewöhnlich und bizarr, und ich kann mir nicht ins Gedächtnis rufen, dass sie in den letzten Monaten schon einmal vorgekommen ist. Wie zufällig berühren sich unsere Finger und ich erinnere mich plötzlich unbeabsichtigt daran, dass ich ihm damals in Beutelsend auch nur noch einen Teller voll Suppe anbieten konnte. Nie hätte ich auch nur gewagt zu erträumen, dass ich ein gutes halbes Jahr später mit ihm und den Anderen in den Hallen des Einsamen Berges speise, nachdem wir diese von dem Drachen zurückerobert haben.

„Weiß du mein Kind, du bist das, was der Erebor jetzt am meisten benötigt ... eine aufmerksame Seele, die die Herzenswärme in diese kalten Hallen zurückbringt", höre ich unerwartet Balins Stimme und ich drehe mich erschrocken über seine plötzlichen bedeutungsvollen Worte zu ihm. Anscheinend habe ich Thorin die ganze Zeit nachdenklich angestarrt und dabei sehr abwesend gewirkt. „Wir sind froh, dass du bei uns bist...", ergänzt Fili und auch Kili erhebt seine Stimme, „Wir danken dir, dass du uns so sehr geholfen hast und noch immer hilfst ..." Und alle Zwerge nicken und brummen sofort zustimmend. Alle, bis auf Oin und Gloin, die am anderen Ende des Tisches sitzen und mit missgelaunten Gesichtsausdrücken ihre Köpfe zusammenstecken ... und ich frage mich, was ich in ihren Augen nun schon wieder Schlimmes angestellt habe. „Das bin ich auch und ich helfe euch wirklich gerne, euer Zuhause wiederaufzubauen", erwidere ich leise und stockend, merke, wie die Schamesröte in meine Wangen steigt und lächle schüchtern. Prickelnd und eindringlich kann ich Thorins gedankenvollen Blick auf mir spüren. Unsicher schaue ich ihn wieder an und seine Augen sind auf einmal nicht mehr dunkel wie die Nacht, sondern so klar und rein und stark wie grünlich-blaues Eis im tiefsten Winter und sofort wird mir leichter ums Herz ... alle Angst verfliegt und ein kleiner Funke Freude blitzt auf. Er sieht zu Balin, Fili und Kili hinüber und für den Hauch einer Sekunde denke ich zu erkennen, dass er ihnen dankend und anerkennend zunickt.

Nach dem Essen mache ich mich mit einer Portion Suppe und einem hart erkämpften Stück Brot auf den Weg zu Bofur, der auf der Befestigung Wache hält. Die Wand, die die Zwerge innerhalb dieser erstaunlich kurzen Zeit aufgetürmt haben, ist gewaltig hoch, unüberwindbar scheinend und nur über eine gewundene Treppe von innen zu erklimmen. Als ich oben ankomme, sehe ich Bofur Pfeife rauchend an die Brüstung gelehnt sitzen und in die Dunkelheit hinausstarren. Noch immer ist die Luft durchsetzt mit dem Geruch und dem Rauch der zerstörten Stadt auf dem See und brennt unerträglich in der Nase und den Augen.

Nachdem er mich entdeckt hat, bildet sich ein freundliches Lächeln auf seinen Lippen. „Ich habe dir etwas Suppe mitgebracht ... iss, solange sie noch warm ist ...", sage ich leise und reiche ihm ebenfalls lächelnd den Teller. „Ich musste mich ganz schön anstrengen, damit du auch noch etwas davon abbekommst. Die Zwerge waren wie ausgehungert, nach dem anstrengenden Tag." Langsam lasse ich mich neben ihm nieder und wickle den Mantel fester um meine zitternden Schultern. Die Nacht ist bitterlich kalt und die flimmernden Sterne am Firmament, erhellen mit ihrem fahlen Licht die kahle Ödnis vor uns. Am Horizont kann ich ein rötliches Flimmern und dunkle Rauchschwaden erahnen und begreife entsetzt schwer schluckend, dass Esgaroth noch immer in Flammen steht.

„Ist dir Thorins verändertes Verhalten auchaufgefallen?", frage ich den Zwerg mit den abstehenden Mützenenden schließlichohne Umschweife, denn er war immer ehrlich zu ihm und mir. Bofur lässt geräuschvollseinen Löffel auf den Tellerrand fallen und beißt sich auf die Unterlippe. Ichmerke, dass er mit sich ringt, ob er nun etwas Negatives über seinen König sagendarf oder nicht. „Was auch immer der Auslöser für seine unpässliche Laune ist,ich bin mir sicher, wenn wir den Arkenstein gefunden haben, wird sich diesebessern", sagt er schließlich diplomatisch. Ich presse meine Lippenverdrießlich aufeinander. „Hoffentlich ..." Ich möchte seinen Optimismus nurallzu gerne teilen, befürchte aber tief in meinem Inneren, dass es nochschlimmer werden wird ... Und zum Glück weiß ich jetzt noch nicht, was für verhängnisvolleWolken sich bereits über unseren Köpfen zusammenbrauen ... dunkler undgefahrbringender noch als der Zorn des Drachen jemals sein konnte.

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