Schuld ...

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POV Fís

Das Gesicht meiner Mutter ist erschreckend grau und auf der Stirn haben sich durch das hohe Fieber glänzende Schweißperlen gebildet. Dicke Verbände verunzieren den Körper, der rechte Arm ist zur Stabilisierung der wiedereingerenkten Schulter am Körper fixiert und ein besorgniserregend großes blau-grüner Hämatom am Hals schafft es unter der blutgetränkten Bandage hervorzulugen. Die Luft riecht stark nach Oins brennenden Kräutersalben und widerlich schmeckenden Tinkturen und das Atmen fällt dadurch noch schwerer als sowieso schon.

Ich habe den Kopf neben ihr auf der Matratze abgelegt und beobachte die ungleichmäßig-flachen Atemzüge. Unzählige tiefe Wunden, eine Quetschung des Halses und Prellung der Lunge, zudem seit dieser Nacht noch Fieber durch eine Infektion ... Was habe ich nur angerichtet? Warum musste ich nur so stur sein und ungeachtet ihres Verbotes ausreiten? Unbeherrschte Tränen der Schuld bilden sich brennenden wie schon so oft in den letzten Tagen, nachdem wir die Orkmeute siegreich bekämpfen und ohne große Verluste zurückkehren konnten.

Nachdem Vater und ich Krella schwächten, war der Triumph über sie und ihre Rache beinahe zu leicht. Ja sie war noch immer schnell und wendig und selbst mit dem kurzen Dolch eine ernst zu nehmende Gegnerin, aber das unerbittliche und so oft verfluchte Kampftraining zeigte hier seine Wirkung. Wie auf dem Übungsplatz bildeten Adad und ich eine Einheit gegen den Feind, nur dass er dieses Mal nicht imaginär war oder von meinen Vettern oder Dwalin gemimt wurde. Unbarmherzig drangen unsere Schwerter in den entstellten Körper, immer und immer wieder, erschöpften die Kreatur, bis sie letztendlich ihren letzten Atemzug tätigte und in den Flammen verbrannte. Aber trotz dem glorreichen Sieg ... ich konnte Amad nicht helfen ... konnte nicht verhindern, dass sie verletzt, ja sogar beinahe getötet wurde.

Die Tür zum Krankenzimmer öffnet sich geräuschvoll und Oin kommt herein, in den Händen ein Tablett mit neuen Salben und Tinkturen balancierend. Schnell wische ich mir die unlängst rinnenden Tränen von den Wangen und setzte mich Gefasstheit vorspielend auf, auch wenn ich mich gerade vor ihm nicht zu verstellen brauche, nicht vorgeben muss, die starke und unnahbare Prinzessin zu sein, die mir von Geburt an als Obliegenheit vor Untergebenen auferlegt wurde. Denn der Heiler kennt mich in so vielen Situationen der Krankheit, in denen ich alles andere, als dieses war. „Möchtet Ihr Euch nicht auch wenig zur Ruhe begeben, Hoheit? Vernachlässigt bitte bei aller Reue und Pflege nicht, dass auch Ihr einige Wunden davongetragen habt, die noch verheilen müssen", äußert er deutlich besorgt und stellt das Tablett leise klirrend neben dem Krankenbett ab.

Ich schüttle bestimmend meinen Kopf und stehe hastig auf, um ihn eine Schüssel zu holen, in der er einen fiebersenkenden Sud zubereiten kann. „Habt Dank für Eure liebevolle Fürsorge, Meister Oin, aber ich werde an ihrer Seite bleiben, bis sie aufwacht und Euch helfen, wenn Ihr es mir erlaubt", erwidere ich zaghaft. Die Sorge in den mich musternden grauen Augen ist nur allzu deutlich sichtbar, als ich ihm die Schüssel überreiche. „Natürlich könnt Ihr mir assistieren. Ihr wisst, dass Eure Mutter auch auf die medizinische Ausbildung Wert legt, aber vergesst bitte nicht, dass Ihr momentan die Höchste Dame im Reich seid und auch andere Pflichten begleichen müsst, solange die Königin diese nicht wahrnehmen kann. Ihr benötigt Eure Kräfte auch dafür." Die plötzliche bisher nicht gewonnene Erkenntnis, die aus seinen Worten geboren wird, ist erschreckend und lässt mich spürbar erbleichen. Ich bin die Höchste Dame am Hof, Besitzerin von Macht und Einfluss wie sie nur eine Königin haben kann. Bei Mahal ...

„Ich will diese Verpflichtungen nicht", sage ich augenblicklich zitternd, aber Oin lächelt sanftmütig. „Eure Mutter begehrte sie einst auch nicht, aber übernahm sie in Zeiten der Not dennoch. Ihr seid ihr so ähnlich. Ein ehrenvolles und mutiges Herz schlägt in Eurer Brust ... belastet es nicht mit Selbstvorwürfen. Was geschehen ist, ist nun einmal geschehen", erwidert er leise, streicht mir eine der lockigen Haarsträhnen aus dem Gesicht und widmet sich dann wieder der Versorgung der Verletzten.

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„Fís ..." Der sanften Stimme gelingt es nur schwer in die brutalen Träume voll von züngelnden Flammen, Strömen von Blut und qualvoll sterbenden Feinden vorzudringen und diese aus den Gedankengängen zu vertreiben. „Ibinê ... wach auf ..." Erst die besinnliche Nennung meines Kosenamens, den nur er bei mir verwenden darf, in Verbindung mit einem liebevollen Streicheln über die Wange, schaffen es schließlich die schrecklichen Trugbilder zu verbannen.

Flackernd heben sich die Lider und geben den verschwommenen Blick frei auf die blauen Augen von Fili, der neben mir kniet. Noch immer schlaftrunken und längst an der Grenze zur absoluten Erschöpfung angelangt, schrecke ich auf. „Wie spät ist es?" Fili hält mich an den Schultern fest, da ich beinahe von dem unbequemen Stuhl gekippt wäre, als ob der abrupten Lageveränderung Schwindel und Schmerz kaum verheilter Wunden und verkrampfter Muskeln die Sinne betäuben. „Vorsicht ... du hast das Mittagessen verpasst, was dir so gar nicht ähnlichsieht ... ich habe mir Sorgen gemacht", flüstert er und richtet mich wieder auf.

„Ich bin wohl eingeschlafen", erwidere ich und reibe mir über die schmerzend-müden Augen. „Du mutest dir viel zu viel zu. Seit drei Tagen hast du das Krankenzimmer nicht mehr verlassen. Fís bitte, iss etwas und ruh dich aus, Kili oder ich können die Wache übernehmen." Seine Stimme ist sanft, aber nichts gegen die oh so zärtlichen Finger, die durch die Haare gleiten, schließlich Wange und Hals liebkosen. Ich weiß nicht mehr genau, wann sich unsere Beziehung zueinander so wandelte. Fühlbar über die einfache geschwisterliche Liebe, die wir lange Zeit füreinander hegten, hinauswuchs. Wann die Berührungen liebvoller, die Blicke intensiver und die Gespräche tiefsinniger wurden. Wann ich begann etwas anderes in ihm zu sehen als nur einen Vertrauten. Allerdings weiß ich noch nicht vollumfänglich, was dieses Andere genau ist und was es mit mir und unserer Bindung zueinander anstellt. Und eigentlich, habe ich auch ein klein wenig Angst davor es irgendwann herauszufinden.

„Nein, ich bleibe bei ihr ... so wirklich Hunger verspüre ich nicht", lautete die fest ausgesprochene Entgegnung und er schüttelt laut schnaubend den Kopf. „Der verdammte Dickschädel Thorins ...", seufzt er dazu, „... dann lass mich dir wenigstens ein zusätzliches Bett bringen, indem du dich ein wenig bequemer ausruhen kannst." Ich lächle ihn dankend für seine überzeugende Fürsorge an, aber noch bevor ich antworten kann, tritt ein Diener in das Krankenzimmer. Fili entfernt sich sofort schicklich distanzierend von mir und verwirrenderweise vermisse ich sofort die Wärme und Zärtlichkeit seiner Finger auf der Haut. „Verzeiht, königliche Hoheiten, aber Ihre Majestät wünscht die Prinzessin Fís zu sprechen ... unverzüglich."

Ich zucke erschrocken zusammen. Die wenigen Male, die ich Adad seit unserer Rückkehr zum Berg sah, sprachen wir gemeinsam die Krankenwache haltend kein Wort miteinander. Was möchte er nur so Dringendes von mir? Erwarte mich jetzt die Strafe für mein schändliches Handeln? Hilfesuchend sehe ich zu Fili, aber er lächelt nur ein beruhigendes Lächeln und ist mir beim Aufstehen dienlich. „Ich werde dich begleiten, wenn du es mir erlaubst", bietet er an und was wäre ich für eine Närrin, diese Unterstützung nicht anzunehmen.

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Vater wartet in seinem Arbeitszimmer auf mich. Selten war ich bislang hier, denn die Anwesenheit in den Räumlichkeiten, in denen wichtige politische und strategische Entscheidungen getroffen werden, war bislang für Person und Stellung in meinem noch immer jungen Alter nicht von Bedeutung. Untertänig verbeugen wir uns vor ihm, als unser Hereinkommen bemerkt wird. „Fili, bitte lass meine Tochter und mich allein", brummt er und ich erschaudere. Voller Angst und Verzweiflung sehe ich zu meinem Vetter, aber er schüttelt kaum merklich den Kopf. „Bei allem Respekt, Onkel, aber Fís bat mich an ihrer Seite zu stehen." Vater verzieht die Augen missmutig zu kleinen Schlitzen, verdeutlicht dann aber mit einer Handbewegung, dass er sein Ersuchen akzeptiert.

Schwer lässt er sich auf einen Stuhl fallen und legt das gerade in den Händen gehaltene Pergament auf den wie immer übervollen Schreibtisch ab. „Tritt vor, nathith." Sein ungewöhnlich finster ausgesprochener Befehl an mich verdeutlicht, dass sich die Befürchtung einer nun folgenden, gerechten Strafe bestätigen wird. Befangen gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu und knickse erneut respektvoll. Er fährt sich Würde und Fassung suchend über das müde und traurig wirkende Gesicht, dessen Haut beunruhigend fahl wirkt, wie mir erst jetzt deutlich im schwachen Kerzenschein auffällt. Dunkle Schatten umranden die müde-glänzenden Augen und lassen ihn älter aussehen, als er wirklich ist. Auch ihn belastet die schon so lange andauernde Verfassung meiner Mutter unverkennbar, nur zeigt er sie nicht jedem. Er versteckt sie lieber hinter Arbeit und ernstem Antlitz und ich unterjoche nur mit Mühe den Drang, ihn tröstend in die Arme zu schließen. Ich spüre plötzlich die warme, beruhigende Hand von Fili auf meinem Rücken und das bange Zittern meines Körpers wird augenblicklich einige Nuancen abgeschwächt.

„Du gehorchst uns nicht und das mit voller Absicht", beginnt Adad schließlich und ich senke schuldbewusst-schweigend den Kopf. „Durch dein ungezogenes und unbedachtes Verhalten hast du nicht nur dich, sondern auch Bilris und schließlich sogar deine Mutter, Tante, Gimli und Breda in Gefahr gebracht, ganz zu schweigen, von den Hundertschaften an Kriegern, die euch aus dieser freikämpfen mussten. Was wäre gewesen, wenn mich der Rabe nicht erreicht hätte oder wir zu spät gekommen wären? Dass die Königin so schwer verletzt ist, ist allein deine Schuld!" Die derbe und deutliche Maßregelung meines Gebieters ist mehr als berechtigt, dass weiß ich nur zu gut. „Ich verstehe Majestät und es gibt keine Erklärung, die mein verachtungswürdiges Vergehen rechtfertigt und keine Entschuldigung, die es reinwaschen könnte. Bitte sprecht Euer gerechtes Urteil über mich, ich werde es stillschweigend annehmen."

Ich höre, wie er aufsteht und ruhelos mit festen Schritten im Raum herumläuft. „Da du gewissermaßen meinen unmissverständlichen Befehl den Berg nicht zu verlassen missachtest hast, müsste ich dich eigentlich aus dem Königreich verbannen, egal welche Stellung du innehast." Kaum, dass er seinen unerwartet folgenschweren Rechtsspruch gefällt hat, beginnt sich plötzlich alles um mich herum zu drehen. Das siedende Blut pulsiert durch den Körper und rauscht in den Ohren und wäre da nicht noch immer die warme Hand von Fili auf meinem Rücken, ich würde augenblicklich in Ohnmacht fallen. „Onkel, das kannst du nicht machen!", protestiert er sofort und tritt beschützend vor mich.

Ich blicke auf und sehe an den gefährlich funkelnden Augen, dass der energische Einspruch seines Neffen Erstaunen und Unmut hervorruft. Denn noch nie wagten wir ihm und seinem königlichen Willen so deutlich zu widersprechen. „Fili nicht!", versuche ich ihn flehend von dem gefährlichen Vorhaben abzubringen, aber er hört nicht auf mich. „Wenn du sie verstößt, dann gehe ich mit ihr ins Exil." Mein Atem rasselt panisch-schnell in den Lungen und ich umschließe seinem Arm, um ihn wieder zur Vernunft zu bringen. Nein, das kann er nicht machen, er kann doch nicht sich und die hohe Stellung ... seine glückliche Zukunft innerhalb dieses Berges ... für mich opfern ...

Adad stapft auf uns zu, baut sich bedrohlich und erhaben zu der vollen einschüchternden Größe eines Herrschers auf und ich erwartet bereits die entsetzliche Annahme der Androhung ... aber dann, nach quälend endlos erscheinenden Momenten der Stille, legt er überraschend seine Stirn erst an meine und dann an die seines Neffen. „Ich sagte ‚eigentlich' ... denn in Anbetracht der tapferen und wagemutigen Taten während des Kampfes und dass du dich so führsorglich und aufopferungsvoll um deine Mutter kümmerst, werde ich die Strafe abmildern. Du darfst für drei Monate den Berg nicht verlassen und hilfst Oin derweil in der Krankenstation und Ori bei der Inventur der Bibliothek, wenn deine Pflichten es dir erlauben." Der Felsbrocken der mir, kaum dass er endet, vom Herzen fällt, ist so riesig, dass er den gesamten Erebor, wenn nicht sogar ganz Rhovanion zum Erzittern bringt.

Stumme Tränen der Erleichterung perlen aus den Augen und das freudige Lächeln von Fili, dass er mir schenkt, ist so warm, dass mein ganzer Körper kribbelt. „Ich danke Euch für dieses milde Urteil, Majestät, dass ich nicht verdient habe", wimmere ich wie in Trance und Adad sieht mich mit nun wieder bekannten liebvollen Augen an. „Ihr dürft euch entfernen", entlässt er uns schließlich nach einigen wohligen Momenten des Schweigens. Aber kaum, dass wir uns zur Verabschiedung erneut verbeugt und die Tür geöffnet haben, spricht er mich noch einmal an. „Ach Fís, eines noch ... morgen findet eine wichtige Ratssitzung statt. Ich wünsche, dass du in deiner momentanen Stellung an der Seite von Fili daran teilnimmt. Bereite dich darauf vor und sei pünktlich, der Vorsitzende wird schnell missmutig, wenn man zu spät erscheint."

Ich erstarre. Noch nie durfte ich einer Sitzung auch nur annähernd beiwohnen und jetzt soll ich sogar als Entscheidungsträgerin anwesend sein. Adad bemerkt anscheinend mein banges Schwanken unter der überraschend aufgeladenen Bürde. „Du bist nun alt genug. Es wird langsam Zeit, dass du Verantwortung übernimmst und an den tagtäglichen Regierungsgeschäften zumindest beteiligt bist, damit wir dich bestmöglich auf deine zukünftige Aufgabe vorbereiten", erklärt er ruhig und wendet sich mit dem Thema abschließend wieder seiner Arbeit zu.

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– Mein Juwel (Khuzdûl)

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