Prophezeiungen

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Fís ist ein außergewöhnlich ruhiger Säugling, zumindest, wenn ich die Erzählungen von Dís und Yrsa als Grundlage für die Einschätzung nehme, die mich vor der Geburt mit Voraussagungen von schlaflosen Nächten und durchweinten Tagen ängstigten. Aber vielleicht sind die weiblichen Erben Durins auch nur ein wenig pflegeleichter. Anders als ihre männlichen Verwandten, die sogar im Erwachsenenalter schwierig sein und Gutmütigkeit und Beherrschung nur allzu oft auf die Probe stellen können.

Trotzdem die Geburt anstrengend war, bin ich dank einiger stärkender Tees, Suppen und Tinkturen bereits wenige Tage später wieder auf den Beinen. Allerdings lässt Thorin dieses Mal keine Dickköpfigkeit meinerseits durchgehen, als ich so schnell wie möglich auch wieder einige Pflichten aufnehmen will. Und eigentlich, bin ich ihm dafür auch dankbar. Denn die entspannten und ruhigen Momente alleine mit meiner Tochter ... stillend, kuschelnd oder einfach nur nebeneinander schlafend, vergraben zwischen bunten Kissen und warmen Fellen wie in einer alles abschirmenden Höhle ... sind die wohligsten und innigsten meines Lebens. Und oft sogar, löst sich Thorin von seinen Herrscherpflichten und genießt die Tatsache, dem bereits erwachsenen Thronfolger Aufgaben übergeben zu können, um mit uns zusammen gemächliche und friedliche Stunden voller Nähe und Geborgenheit zu verbringen.

„Ich kann immer noch nicht ganz begreifen, dass dieses perfekte Wesen tatsächlich meine Tochter ist", flüstert er eines Tages, während sie ruhig zwischen uns schläft und wir uns wie schon so oft nicht an dem wunderschön-friedlichen Anblick sattsehen können. Ich lächle Thorin warm an, fasziniert davon, wie prächtig und stark er ohne jegliches Zeichen seiner Stellung und Macht erscheint. „Glaub mir, sie ist dein, denn der prophezeite Sturkopf ihrer Linie kommt bereits jetzt durch", erwidere ich ruhig und erhalte sofort eine ärgerlich-hochgezogene Augenbraue. „Sie ist zehn Tage alt, wie kann dann bereits ein Eigenwille erkennbar sein?", wirft er empört ein, beinahe beleidigt darüber wie ich nur seinen kleinen Edelstein verunglimpfen kann und streicht ihr eine der seidigen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Du hast sie noch nicht erlebt, wenn sich der Hunger ankündigt ... wehe ich bin dann außerhalb ihrer Sichtweite und nicht sofort zur Stelle." Thorin kichert daraufhin erheitert. „Nein, aber ich hörte es, ihre Schreie drangen bis in mein Arbeitszimmer vor."

Sanft lässt er die immer noch kallösen Fingerspitzen eines Kriegers über meine Wange gleiten. Ich schließe genießerisch die Augen, schmiege mich in die wohltuende Berührung und merke plötzlich, wie müde ich doch bin, obwohl ich erst vor wenigen Stunden erwachte. „Ich weiß, Balin erzählte mir davon, als er kurz danach hier war", murmle ich bereits schläfrig und kann ein Gähnen nicht mehr unterdrücken. „Balin? Er besucht euch?", fragt Thorin erstaunt und bettet hörbar seinen Kopf auf die Kissen. Ich nicke mit noch immer geschlossenen Augen, kuschle mich in eines der vielen Felle und nehme bereits wohlig und entspannt wahr, wie der Schlaf auf mich zukommt. „Täglich. Fís scheint wie ein lang ersehntes Enkelkind für ihn zu sein. Er liebt sie aus tiefster Seele und das Strahlen in seinem Gesicht, wenn er sie hält, ist herzerwärmend schön."

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Es sind zwei wundervolle Wochen vergangen, als Thorin mich mit Fís in den Armen allerdings überraschend und ohne eine vorhergehende Erklärung eine steile, in enger Dunkelheit liegende Treppe tief in das Berginnere hinabführt. Die Luft ist kühl und ungewöhnlich feucht, sie bildet einen feinen Film auf der Haut und lässt mich erschaudern. „Thorin, wohin bringst du uns?", frage ich schwankend und drücke langsam beunruhigt das kleine Bündel wärmender Decken näher an meine Brust. „Ich folge einem Brauch, der in keinem Buch und in keiner Sage Erwähnung findet, überliefert allein durch Erzählungen. Denn er ist so alt wie der Berg und nur den Erben Durins bekannt und vorbehalten", antwortet er und hilft mir einen Vorsprung hinunter. Der Schein der Fackel zeichnet gespenstig tanzende Schatten an die klammen Wände, die von Adern aus grünschimmernden Malachit und sommerhimmelleuchtenden Blauquarz durchzogen sind, kostbare und äußerst seltene Mineralien, die ich sonst noch nirgends zu sehen bekam.

Und dann endet plötzlich die uns umgebende Begrenzung des schmalen Ganges und gibt den Blick frei in eine Höhle gigantischen Ausmaßes. Die Decke so hoch, dass der Schein des Feuers sie nicht erreicht. Die Felsen glänzend und glatt, poliert von beständig austretenden und hinabfließenden Tropfen, die sich in einem beinahe meerähnlichen See sammeln, dessen schwarzes Wasser uralt ist und still liegt wie Glas. Nicht die Spur eines Kräuselns auf der glatten Oberfläche. Die Grenze zwischen Ufer und Land ist nicht auszumachen, als mich Thorin vorsichtig und immer darauf bedacht, dass ich nicht ausrutsche, die glitschigen Felsen hinabführt. Erst als er die Fackel in eine anscheinend speziell dafür ausgehöhlte Vertiefung im Gestein steckt, kann ich das seichte Schlagen von Wellen an dunkle Steine wahrnehmen. Blinde und womöglich genauso wie das Wasser schwarze Fische müssen in ihm leben, ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, was diese sonst aufgeworfen haben könnte, hier, wo Jahrhunderte weder Wind noch Wetter die Stille durchbrach. Genauso wenig, wie meine Phantasie ausreicht um zu erdenken, was ich mit meinem kleinen Mädchen hier in dieser irgendwie ängstigenden Unwirklichkeit soll.

„Thorin?", setzte ich zu einer Frage an und kann mit der zitternden Stimme nicht verleugnen, dass diese bedrückende Angst bereits Besitz von meinem Herzen ergriffen hat. Aber mein Gemahl gebietet mir mit einer Bewegung der Hand zu schweigen, während sein Blick starr und stumm auf die wieder regungslose Wasserfläche gerichtet ist. Und dann höre ich plötzlich ein Plätschern und die beunruhigende Furcht lässt mein Denken sich nur noch auf eines konzentrieren ... mein Kind und seine Sicherheit.

Schützend und mit erschrocken-weiten Augen presse ich sie an mich, weiche einen verängstigten Schritt zurück, als sich unerwartet eine lichtlose Gestalt aus den Fluten löst. An Land kriecht wie ein Reptil. Sich mit spillrigen Armen und langen Fingern an spitze Felsen krallt um sich aus dem Wasser zu zerren. Ich ziehe scharf die Luft in die Lungen, darum bemüht nicht in eine erstarrte Lähmung zu verfallen, sondern flucht- oder sogar kampfbereit zu sein, falls dieses Untier meiner Tochter zu nahekommt. „Nein, weiche nicht zurück ... habe keine Angst vor ihr ... glaube mir, sie wird uns nichts tun", reißt mich Thorins erstaunlich ruhige und selten so mahnende Stimme aus der Bangigkeit, aber ich zweifle dennoch an seinen Worten, auch wenn grenzenloses Vertrauen zu ihm in meinem Herzen herrscht.

Das Ungeheuer richtet sich auf ... riesengroß, dunkel, abgemagert, unheildrohend ... scheint schwerelos über den Uferfelsen zu schweben, denn die Spitzen der Füße berühren sie nicht. Im roten Schein des Feuers sehe ich wilde, schwarze Haare, die in langen triefend-nassen Strähnen ein nicht zu erkennendes Gesicht verdecken. Einzig rot glühende Reptilienaugen fixieren mich durch sie hindurch und ich erkenne ihn ihnen das Alter der Welt und die Schrecken und Schicksale so vieler vergangener Jahrhunderte flackern. Ungeachtet Thorins Weissagung beginne ich vor unendlicher Furcht zu zittern. Warge, Orks, Riesenspinnen, selbst der Drache hat mir bislang nicht solch Entsetzen bereitet.

Aber dann, abrupt, flammt plötzlich ein bleiches Licht in der Brust des Monsters auf. Wird größer, strahlender, dehnt sich über den gesamten Körper aus. Tropft aus den Finger- und Fußspitzen und findet seinen Weg zwischen Spalten und durch Rinnen im Gestein, fließt in den See und verdrängt dort das schwarze Wasser. Bildet langsam ein mystisch-kalt glimmendes Sternenmeer, das die gesamte Höhle erstrahlen lässt. Bis es letztendlich verglimmt und den Blick auf ein gewandeltes Wesen preisgibt. Weiße Haut und Gewänder, falbe lange Haare, die um das ausdruckslose Gesicht wallen, als würde sie noch immer unter Wasser verweilen. Funkelnde, makellose Edelsteine schmücken sie und einzig die noch immer rot glühenden Augen erinnern an die dunkle, die Zeiten überdauernde Gestalt des Wasserweibs. Und genau deshalb, habe ich trotz der Anmut und Reinheit noch immer Angst vor ihr.

Thorin verbeugt sich dienstbar vor dem Wesen und ich zögere kurz, bevor ich seinem Beispiel folge, Fís noch immer beschützend an meine Brust gedrückt. „Ich grüße die Herrin über das Wasser der Weissagung. Ich bin Thorin, Sohn von Thráin, König unter dem Berge und das ist meine Gemahlin Bil, Tochter der Belladonna und unser gemeinsames Kind Fís, eine direkte Nachfahrin Durins. Wir bitten dich, oh allwissende Patronin, schenke unserer Tochter ein Schicksal nach deinem Gutdünken", erwünscht Thorin andächtig und ich begreife endlich den Sinn dieses Schauspiels.

Die Herrin bewegt sich schwerelos auf uns zu, als würde sie durch die feuchte Luft treiben wie durch Wasser, legt den Kopf schief und betrachtet Thorin eindringlich. Und plötzlich erhebt sich die sonore Stimme. Ein machttrunkener, erstaunlich harmonischer Klang, wie sprudelndes Wasser, das in eine tiefe Schlucht rauscht. „Thorin, Sohn des Thráin ... ich kann mich an Euch erinnern, als wäret Ihr erst gestern zu mir gebracht worden. Sagt mir, hat sich meine Prophezeiung über Euer Schicksal bereits erfüllt", befiehlt sie friedvoll und lässt mich dennoch beklommen erschaudern. Ich blicke auf und kann das Lächeln in Thorins Gesicht erkennen. „Ja Herrin ... jedes Wort davon." Das Wesen lächelt, enthüllt einen Mund voller spitzer Zähne, sieht mich unerwartet an und ich erkenne in den glühenden Augen mein eigenes Schicksal aufflammen.

Das Fest zur Sommersonnenwende, an dem Gandalf von Drachen und Trollen erzählte und einzig ich ihm ohne Angst lauschte.

Die dicken Pelze und Wintermäntel, die er meiner Mutter und mir im grausam-kalten FellWinter brachte und die so herrlich nach Erde und Metallen rochen. Dessen Geborgenheit, in der man sich verlieren konnte, mir nur allzu wohlig im Gedächtnis geblieben ist und von denen ich nun weiß, dass sie zwergischen Ursprungs waren.

Das Versprechen niemals meine Liebe infrage zu stellen, dass ich einer Mutter auf ihrem Sterbebett gab.

Thorin ... sein Handkuss als ich Kind war, den, den er mir als Begrüßung gab, nachdem er so viele Jahre später in meiner Höhle stand und das Gefühl seiner bartumrandeten Lippen, während er mit ihnen meine Haut und den Ehering berührte.

Und dann plötzlich ... erstrahlen weiße Strände unter einer rasch aufgehenden roten Sonne, die einen behaglich blauen Tag ankündigt. Ich höre beinahe das Rauschen der seichten Wellen, die beständig an das Ufer branden. Fühle die wohltuende Wärme, die nicht nur vom Licht der Sonne stammen kann. Rieche den Duft der am weiten Horizont zu erkennenden Wälder und Weiden, üppig grün und wunderschön ...

Meine Gedanken verlieren sich in diesem herrlich-friedlichen Anblick, an den ich mich bei aller Gedankenstärke nicht entsinnen kann und merke daher erst, dass sich Thorin hinter mich begeben hat, als er seine Arme um mich legt und unser Kind zusammen mit mir hält.

Das Wasserweib tritt an uns heran, streckt die knochige Hand aus und als wären Erinnerungen und Prophezeiung die sie mir zeigte eine Besänftigung, lasse ich sie ohne Angst gewähren. Fís schläft erstaunlich ruhig in meinen Armen, auch noch, als die langen Finger ohne sie zu berühren über sie fliegen und Licht wie Wasser aus den Spitzen fließt, sie einschließt wie in einen flüssigen Diamanten aus Glanz und Gloria. „Ein wahres Kind Durins, erhaben und wunderschön, voller Entschlossenheit und Mut, wie es ihre Ahnherren allzeit waren. Ein Schicksal voller Liebe, Verstand und Herrlichkeit, aber auch bestimmt durch große Kämpfe steht ihr bevor. Sie wird einmal über das Leben Vieler verfügen und eine bemerkenswerte Entscheidung treffen, die das Verhängnis aller Geschöpfe Mittelerdes beeinflusst", spricht das Wasserweib mit zitternd-geschlossenen Augenlidern ihr Urteil.

Aber plötzlich zuckt sie zurück und sieht mich mit erschrocken-weiten Augen an, Schmerz und Qual und ... Angst ... in ihnen aufflammend. „Ihr tragt etwas, dessen Los an ein dunkles Wesen gebunden ist ... alt und beinahe vergessen. Behütet es gut, denn es hat die Macht jegliche Bestimmung, die ich vorhersagen kann aufzuheben", äußert sie mit bebender, augenblicklich von allem Wohlklang befreiten Stimme und das Licht ihrer prophezeienden Gestalt flackert bedenklich in der schnell pumpenden Brust. Ich weiß, welchen Gegenstand sie meint, spätestens, als dieser in der Tasche meines Kleides so schwer wird wie kein Metall oder Gestein, dass ich bislang in den Händen halten durfte.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

„Was war deine Bestimmung?", frage ich Thorin flüsternd, nachdem ich Fís wieder in ihre Wiege gelegt habe und wir sie voller Herzenswärme und Stolz betrachten. Er lächelt, sieht mich mit diesen oh so liebenden Blick an, in dem ich mich allzeit verlieren könnte und gibt mir einen gefühlvollen Kuss ohne Erklärung. „Einst wurde mir prophezeit, dass ein Flammenmeer meine Lebens- und Willenskraft erwecken wird, aber die Entscheidung, wie und für was ich diese nutze, auf einem Eismeer stattfindet. Und dass allein ein Wesen eines fremden Volkes die Stärke besitzt, diese Gewalt zu lenken ..."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top