Missglückte Meisterdiebin
Nach weiteren fünf Tagen erreichen wir schließlich die Stadt Bree. Die östlichste Ansiedlung in von Hobbits bewohnten Gebieten und zudem auch die letzte halbwegs zivilisierte Stadt westlich des Nebelgebirges. Als wir durch das große Eingangstor reiten ... dass uns ein sehr mürrischer Wächter erst nach einigen Diskussionen und dem Nennen von Thorins und Gandalfs Namen ... geöffnet hat, da es bereits dunkel ist, verschlägt es mir beinahe den Atem.
Trotz der späten Stunde sind die Straßen überlaufen mit Kreaturen jeglicher Rasse. Wir müssen von den Rücken unserer Ponys steigen und sie durch die sich dicht aneinanderdrängenden und vorbeihastenden Massen an Leibern führen. Menschen, Zwerge und Hobbits kommen uns entgegen und auch wenn die Halblinge hier sehr viel aufgeschlossener sind als die im Auenland, sehen sie mich überrascht an, da es anscheinend ungewöhnlich ist, dass einer von ihnen in Begleitung von Zwergen reist. Ich umschließe die ledernen Zügel meines Ponys fester und letztendlich greife ich sogar ängstlich nach Kilis Hand, der neben mir läuft. „Alles in Ordnung?", fragt er mich sofort und seine Stimme klingt ehrlich besorgt. „Ich habe noch nie Menschen gesehen ... sie sind so schrecklich groß ...", flüstere ich furchtsam und drücke seine Finger noch ein wenig kräftiger, als uns eine Gruppe lärmender und anscheinend betrunkener Männer entgegenkommt und rücksichtslos zwischen uns wankt, „... und so entsetzlich laut." Kili lacht leise auf. „Keine Sorge, die meisten von ihnen sind friedlich ... wenn auch ein wenig dumm, einfältig und habgierig", erklärt er mir und beugt sich dann zu mir hinunter, damit ich seine nächsten, jetzt nur noch geflüsterten Worte, auch verstehen kann. „Sie werden dir nichts tun und wenn doch, werde ich dich beschützen", verspricht er und zwinkert mir zu.
Wir halten schließlich an einem Gasthof an, dessen Schild, auf dem ein Pony abgebildet ist, knarzend im leichten Wind hin und her schwankt. Trotzdem ich mir unter dem Schutz von Kilis Versprechen lieber noch ein wenig das geschäftige Treiben auf der Straße angesehen hätte, deutet mir Gandalf, zusammen mit ihm in das Wirtshaus einzutreten. Die Schankstube ist stickig und schummrig, vollgestopft mit Gästen und dadurch unsäglich laut. Das alte und im Laufe der vielen Jahre durch kalten Rauch und den Flüssigkeiten und Gerüchen der vielen Speisen dunkel gewordene Holz an den Wänden, macht sie noch bedrückender. Rauchschwaden der entzündeten Pfeifen wabern langsam durch die Luft.
Selbst der dicke Wirt, der sich augenblicklich über die Theke lehnt, als er uns hereinkommen sieht, scheint lediglich aus einer Ansammlung von Schmutz und Rauch zu bestehen. „Gandalf ... mein alter Freund ... Euch habe ich ja schon eine kleine Ewigkeit nicht mehr hier gesehen", sagt er sofort freudig und zeigt seine gelblichen Zähne, als ein gekünstelt wirkendes Lächeln erscheint. „Butterblume ... ja das stimmt", ruft auch der Zauberer mit einem deutlich unnatürlichen Lachen aus. „Wir benötigen für zwei Nächte Zimmer und Verpflegung für dreizehn Zwerge, einen Hobbit und mich, sowie Stellplätze für unsere Ponys", sagt Gandalf und lehnt sich bedeutsam erschöpft wirkend auf seinen Stab. Der Wirt schüttelt nur seinen Kopf. „Mit Verpflegung und einen Platz in den Stallungen kann ich euch dienlich sein, aber Zimmer habe ich nicht mehr für solch eine Anzahl an Personen", erklärt er augenblicklich und meine Hoffnung endlich wieder einmal eine Nacht in einem richtigen Bett und nicht unter den Sternen zu verbringen, verpufft in selben Moment. „Aber ich kann euch einen der privaten Schankstuben zurechtmachen lassen, wenn es den Herrschaften nichts ausmacht, auf den Boden zu schlafen", schlägt er uns allerdings gleich darauf vor und wir beiden nicken zur Bestätigung.
Das Essen im „Tänzelnden Pony" ist allerdings, anders als die Einrichtung, vorzüglich. Mit endlich wieder einmal gefüllten Magen, lehne ich mich zufrieden in dem hölzernen Stuhl zurück, der bedenklich unter der Bewegung knarzt. Ich lasse den Blick über meine an dem Tisch sitzenden Gefährten gleiten. Sie lachen laut, singen, rauchen Pfeife, unterhalten sich ausgelassen oder prosten sich laut grölend zu, bevor sie ihre riesigen Bierkrüge mit fast einem Zug leeren. Vor wenigen Wochen noch, ist mir ihr ausgelassenes Verhalten als sehr unmanierlich erschienen, aber jetzt finde ich diese herrliche ungezwungene Art einfach nur faszinierend und erheiternd. Fast automatisch beginne ich zu lächeln. In Hobbiton galt ich als Einzelgängerin, hatte schon seitdem ich ein kleines Mädchen war nur wenige Freunde und besonders meine etwas ausgefalleneren Freizeitbeschäftigungen und Lebensweisen schreckten manche ab. Ich möchte nicht wissen, wie viele meiner ach so ehrbaren und kleingeistigen Nachbarn sich bereits ihren Mund zerreißen, weil ich überstürzt in ein Abenteuer aufgebrochen bin ... und dann auch noch in Begleitung von Zwergen und einem Zauberer ... Mein Blick wandert zu Thorin, der herrschaftlich und vielsagend an der Stirnseite des Tisches sitzt und als ich direkt in seine Augen sehe, erahne ich, dass er mich beobachtet haben muss. Ich lächle ihm leicht zu, aber er wendet sich sofort mit einem lauten Schnauben ab.
Am nächsten Morgen wollen wir uns mit neuen Vorräten für die Weiterreise versorgen und gehen dazu auf den großen Marktplatz von Bree. Auch hier erwartet uns das bereits von den Straßen gewohnt geschäftige Treiben. Händler preisen unablässig laut rufend ihre Waren an, überall riecht es nach starken Gewürzen, abgehangenen Fleisch, frischen Fisch, süßlichen Blumen, edlen Stoffen ... aber auch nach staubigen Schmutz und feuchtem Schlamm und den an uns vorbeihastenden Kreaturen jeder Rasse. Wir drängen uns durch die Massen und automatisch umklammere ich wieder die Hand von Kili, der bereits vorausahnen keinen Zentimeter von meiner Seite gewichen ist. Fast widerstandslos lasse ich mich von ihm von einem Stand zum nächsten ziehen und mit jedem neuem wunderbaren Gut, das uns dargeboten wird, weitem sich meine Augen noch ein klein wenig erstaunter.
Da gibt es Stände mit auserlesenen Tuch ... Seide und Samt und Damast ... Stoffe, deren Weichheit alles übertrifft, dass ich bis jetzt berühren durfte. Kleider ... die so wundervoll und edel sind, wie für Königinnen geschaffen ... Esswaren ... reichhaltig und vielfältig und noch so unglaublich viel mehr, dass ich es gar nicht alles erfassen kann. Und dann sehe ich einen ganz besonderen Stand, der etwas abseits vom Zentrum steht und an dem sich fast keine Kunden aufhalten. Ungestüm zerre ich an Kilis Hand, um seine Aufmerksamkeit von den Schwertern und Äxten zu nehmen, die er gerade interessiert betrachtet. Als er dadurch bemerkt, was meine Aufmerksamkeit so gefesselt hat, lächelt er leicht und geht nur allzu gerne mit mir dorthin.
Bücher ... so viele, dass ich sie kaum zählen kann. Mit glänzenden Augen nehme ich eines der in dicken Leder eingebundenen Kostbarkeiten zur Hand. „Schönen guten Tag, junge Dame. Darf ich Ihnen etwas zeigen?", fragt mich der alte Händler freundlich und sein Lächeln wird noch breiter, als er die Freude über sein Angebot in meinem Gesicht bemerkt. „Ihr habt Euch da zielgerichtet ein ganz besonders interessantes Exemplar ausgesucht", sagt er mir und deutet auf das Buch. „Es ist eine wundervolle Geschichte über einen König und seine wahrhaftige Liebe, die ihn mutig und entschlossen vor einer schlimmen Krankheit bewahrt, indem sie sich in große Gefahren begibt." Meine Augen werden ob seiner Schilderungen über den Inhalt dieses wunderbaren Schatzes noch größer, aber als ich ihn nach dem Preis frage, senke ich enttäuscht meinen Blick. „Zehn Silberpfennige ... das kann ich mir leider nicht leisten", sage ich betrübt und lege das Buch schweren Herzens wieder zur Seite.
„Warum hast du dir das Buch nicht gekauft?", will wenig später Kili von mir wissen, als wir alle schwer beladen wieder zum Gasthaus zurückgehen. „Weil der Preis zu hoch für mich war ...", erwidere ich immer noch traurig. „Du kannst das bestimmt nicht verstehen, da du als Prinz sicher genügend Geld zur Verfügung hast. Aber ich muss ein wenig aufpassen, wer weiß wozu ich das bisschen was ich mitgenommen habe noch benötige."
Nachdem wir die neuen Lebensmittel und anderen Waren verstaut haben, gehe ich zu meinem Lager zurück um mich etwas auszuruhen. Als ich allerdings gerade die Decke anheben will, fällt mir ein im schlichten braunen Pergament eingebundenes Paket auf, das darauf liegt. Unsicher nehme ich es zur Hand und sehe mich um. Die anderen Zwerge sind mit Vorbereitungen und anderen Dingen beschäftigt und ich glaube nicht, dass es einen von ihnen gehört. Langsam lasse ich mich nieder und entferne vorsichtig das Einpackpapier und als ich den Inhalt schließlich in den Händen halte, stoße ich den unbewusst angehaltenen Atem aus. Es ist das Buch, das ich vorhin auf dem Marktplatz betrachtet habe. „Ich hoffe, du kommst auch dazu es zu lesen ...", höre ich plötzlich eine bereits bekannte tief-grollende Stimme neben mir und zucke leicht zusammen. Als ich aufschaue, sehe ich direkt in Thorins eisblaue Augen. „Du hast es mir gekauft?", frage ich atemlos und stehe sofort respektvoll auf. „Kili hat mir erzählt, dass du es unbedingt haben wolltest, aber nicht so viel Geld dafür ausgeben konntest", antwortet er mir und ich bemerke fast so etwas wie Befangenheit in seiner Tonlage.
„Thorin, das kann ich nicht annehmen ...", erwidere ich atemlos und möchte ihm das Buch wieder überreichen. „Es ist ein Geschenk ... keine milde Gabe von mir", sagt er stattdessen und seine fest ausgesprochene Äußerung lässt keinen weiteren Widerspruch zu, sodass ich es schließlich wieder an mich ziehe. „Dann danke ich dir ganz herzlich dafür", wispere ich schüchtern und lächle dazu. „Nimm es als Wiedergutmachung, dass wir deine Höhle so durcheinandergebracht haben", erwidert er fest und läuft schließlich an mir vorbei zu den Anderen zurück. Ich schaue ihm über die Schulter hinterher und beginne letztendlich zu lächeln. Sanft und ehrfurchtsvoll lasse ich meine Finger über das hellbraune Leder und die darauf eingestanzten silbernen Schriftzeichen fahren. „Lieben und geliebt werden", lese ich flüsternd vor und drücke überglücklich das Buch an meine Brust.
Am nächsten Morgen brechen wir wieder auf und nachdem wir Bree hinter uns gelassen haben, wird die Landschaft immer wilder, einsamer und zerklüfteter. Wir müssen Wälder durchqueren, in denen die Kronen der Bäume so dicht beieinanderstehen, dass kein Sonnenlicht bis auf den Boden vordringen kann. Die wenigen Menschen, denen wir begegnen, mustern uns mit boshaften, dunklen Augen und reden in fremdartigen Sprachen. Mit der Zeit wird auch die Straße immer steiniger und lässt unsere Ponys öfters stolpern. Auf einigen Anhöhen stehen alte Burgen, teilweise bis auf die Ruinen zerfallen und deren dunkle Fensterlöcher uns fast zornig anstarren. Inmitten dieser trostlosen, unwirklichen Landschaft, rasten wir auf dem breiten Felsvorsprung eines Berges.
Selbst die Nacht scheint in diesen Landen noch dunkler zu sein, als woanders auf dieser Welt. „Nicht einmal der Vollmond schafft es die Wolken zu durchdringen", seufze ich bekümmert und richte meinen Blick gen Himmel. Heute habe ich zusammen mit den Vettern Ori und Nori die erste Nachtwache zugeteilt bekommen, zwei eher stillen, aber umso liebenswürdigeren Zwergen. Wir sitzen unter einem Felsvorsprung und spielen im schwachen Schein des Feuers Karten. „Weißt du eigentlich, dass dein Name von der zwergischen Mondbegleiterin abstammt?", fragt mich Ori unerwartet. Ich schaue erstaunt und kopfschüttelnd zu ihm. „Es ist ein alter Zwergenmythos, den wir bereits unseren Zwerglingen erzählen. Der Mond wurde zusammen mit der Sonne aus den Überresten der durch Melkor vergifteten zwei Bäume von Valinor ... Telperion und Laurelin ... von Varda geschaffen. Er sollte den Elben Mut und Kraft im Kampf gegen Melkor spenden. Unser Valavater Aule fertigte ein Gefäß an, in das der Mond gesetzt wurde und der Maia Tilion wurde auserwählt, das Gefäß auf alle Zeit durch die Luftschicht des Ilmen zu geleiten. Da er aber sein gewaltiges Schiff nicht alleine steuern konnte, erklärte sich die Frau unseres Zwergenvaters Durin, Bil, bereit, ihn zu begleiten. Sie hält den Mond in seinem Gefäß und manchmal kann man ihre Gestalt als Schatten auf seiner Oberfläche erkennen." Ich starre ihn sprachlos an und wie von Geisterhand, lichten sich in diesem Moment die Wolken und der volle Mond taucht die Umgebung in sein silbernes Dämmerlicht. Ich schaue zu ihm auf und tatsächlich sehe ich auf seiner bleichen Oberfläche zwei unregelmäßige Flecken, die mit viel Fantasie aussehen wie Hände. (vgl. )
Es ist spät in der Nacht und trotzdem mein Wachdienst schon lange vorbei ist, lese ich im Schein des noch immer glühenden Feuers und des vollen Mondes an die schroffe Felswand gelehnt mein Buch. „Du bist aber schon weit darin vorangeschritten", höre ich plötzlich Balins ruhige Stimme an mich gerichtet und im nächsten Moment lässt er sich bereits neben mich auf die die kriechende Kühle des Bodens abhaltende Decke fallen. „Es ist auch sehr unterhaltsam", sage ich freundlich, lege das Lesezeichenband ein und schlage das Buch zu. „Du kannst nicht schlafen?", frage ich den alten Zwerg und er schüttelt seinen Kopf, sodass die auseinanderstehenden Enden seines Bartes wackeln. „Du ja anscheinend auch nicht", erwidert er und klingt dabei fast väterlich. „Ich gehe schlafen, wenn Thorins Wache vorbei ist." Und kaum das die Worte meinen Mund verlassen haben, fällt mir die gewaltige Bedeutung und Tiefgründigkeit meiner Aussage auf und ich werde augenblicklich rot. Balin neben mir lächelt wissend. „Er war sehr froh, dass er dir das Buch schenken konnte. Nachdem er davon erfahren hat, dass wir mehr oder minder ohne dein Wissen bei dir eingefallen sind und alles durcheinandergebracht haben, hat er uns nach einer ordentlichen Zurechtweisung befohlen, uns eine Gegenleistung auszudenken", sagt er schließlich und unsere Blicke wandern zu Thorin, der zusammen mit Fili unweit von uns an der Felsklippe stehend auf die flache Ebene hinabschaut und die Umgebung beobachtet. Vor einigen Nächten haben wir entfernt das Geheul und die abscheulichen Leute von Wargen und Orks gehört und seitdem vorsichtshalber die Wachen verstärkt.
„Das glaube ich dir nicht ...", flüstere ich und senke traurig meinen Kopf, „... ich habe eher das Gefühl, er hält mich für ein Hindernis und eine Gefahr für euer aller Leben ... so brummig wie er immer ist." Balins Lächeln wird noch breiter. „Ja er kann schon sehr mürrisch und unfreundlich sein ... aber du darfst das nicht überbewerten. Thorin hat nur schon zu viel erlebt, als dass er es sich als Machthaber leisten könnte, immer zu jedem duldsam und offen zu sein." Seine Erläuterung erinnert mich stark an die von Kili und augenblicklich interessiert es mich, was denn diese schlimmen Erlebnisse sind, von denen sie sprechen. „Sagen dir die Minen von Moria etwas?", fragt mich Balin einleitend und ich nicke bestätigend. „Ja, das ist ein altes, unglaublich ergiebiges, aber seit langer Zeit verlorenes Zwergenreich, gelegen im Nebelgebirge und ich glaube mich daran zu erinnern, dass es von Durin I. gegründet wurde." Balin sieht mich erstaunt an. „Ich bin begeistert, du weißt viel über uns:" Ich lächle leicht und senke ob seines ungerechtfertigten Lobes beschämt den Blick. „Nicht wirklich ... das was in meinen Büchern steht ... aber ziemlich viel davon ist, wenn man euch näher kennt, einfach nicht wahr und wohl größtenteils erfunden."
Balin schaut in die Ferne und in seinem Gesicht kann ich die Schmerzlichkeit der Erinnerung sich materialisieren sehen. Er berichtet mir, dass der damalige König unter dem Berge, Thorins Großvater Thrór, nachdem Smaug den Erebor erobert hatte, nur mit einem Knappen auszog, um das Reich Moria zu erkunden, dass die neue alte Heimat seines Volkes werden sollte ... Aber er kam nie wieder aus den Stollen zurück, denn die Minen waren von Orks besetzt und Azog, ihr riesiger bleicher Anführer, hatte sich einst voller Hass und Missgunst geschworen, die Linie Durins vom Angesicht Mittelerdes zu tilgen. Thorins Vater Thráin stellte daraufhin eine Armee aus allen Zwergenvölkern zusammen und sie griffen die Orks an. In der finalen Schlacht von Azanulbizar, vor den Toren Morias, kämpften sie gegen unglaublich viele Gegner. Azog war in schreckliche Raserei verfallen und tötete mit seiner Leibgarde unbarmherzig die tapferen Zwergenkrieger, die ihnen in den Weg kamen. Während der Schlacht verschwand Thráin plötzlich und die Zwerge waren geschockt ob des Todes und Verlustes um sie herum. Führungslos drohten sie die Schlacht zu verlieren ... unglaublich viele Seelen fielen ... aber dann stellte sich Thorin Azog entgegen. Voller Mut und Entschlossenheit kämpfte er gegen ihn. Nur mit einem Eichenast als Schild konnte er dem Orkanführer nach erbitterten Gefecht schließlich die Hälfte eines Armes abtrennen. Azog verschwand daraufhin ... keiner weiß es, aber höchstwahrscheinlich, ist er an seinen Verletzungen und dem Zorn in seinem Herzen gestorben.
Gespannt lausche ich Balins Erzählung und vor meinem inneren Auge kann ich beinahe sehen, wie heldenhaft und majestätisch Thorin in diesem Moment auf alle Umstehenden gewirkt haben muss und wie viel neuen Mut er ihnen gebracht hat. Ich schaue zu ihm hinüber, denn er steht immer noch angespannt an der Felskante und stiert in die dunkle Nacht hinaus. So langsam wird mir klar, dass er nicht nur vom Blut her ein wahrer König ist. Tapferkeit, Aufrichtigkeit, Loyalität, Ehrlichkeit und Verbundenheit ... das sind die Dinge, die ihm am wichtigsten sind und wenn er sie erhält, gibt er diese an den Geber doppelt so bereitwillig zurück.
Am übernächsten Morgen beginnt es zu regnen und den Rest des Tages hört es auch nicht mehr auf. Unablässig fallen dicke Tropfen auf uns herab und durchdringen mit der Zeit alle Kleidungsstücke, die wir tragen. Von dem Gepäck auf dem Rücken der Pferde ganz zu schweigen. Der unangenehm kalte Wind treibt mir zusätzlich die Regentropfen ins Gesicht und noch nie habe ich mir mehr gewünscht, an meinem Kamin zu sitzen, in dem ein warmes Feuer brennt, in den Händen eines meiner Lieblingsbücher und eine heiße Tasse wohlriechenden Tee.
Als wir zur Rast anhalten, das letzte Licht des Tages ist bereits verschwunden, hört es endlich auf zu regnen. Unter einem großen Eichenbaum, dank dessen dichtem Blätterdach der Boden nicht gänzlich aufgeweicht ist, schlagen wir unser Lager auf. Und erst jetzt merken wir, dass Gandalf nicht mehr bei uns ist. Er hatte nie gesagt, wie langer er uns begleiten will und nun ist er einfach verschwunden, ohne ein Wort des Abschieds. Irgendwie macht es mich traurig, dass er nicht mehr hier ist. Auch wenn ich mich immer mehr mit einigen der Zwerge anfreunde, so war er immer noch mein Halt zwischen den ungewohnten und oft ruppigen Umgangsformen meiner Gefährten.
„Da drüben brennt ein Feuer", dringt Dwalins brummende Stimme plötzlich zu uns herüber. Wir schauen daraufhin in die Richtung, in die er zeigt und tatsächlich ... zwischen den Bäumen des Waldes vor uns, flackert immer wieder ein rötlicher Schein auf, wie von einem Lagerfeuer. „Das könnten Orks sein", gibt Gloin zu bedenken und hebt bereits kampfbereit seine Streitaxt. „Oder Wanderer wie wir, die Schutz vor der Kälte suchen", erwidert sein Bruder Oin und legt beschwichtigend seine Hand auf den Griff. „Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden." Thorin geht auf mich zu und seine Augen wirken gefährlich dunkel. „Jetzt kannst du zeigen, was in dir steckt, kleine heimliche Meisterdiebin. Geh und sieh nach, wer dieses Licht entzündet hat", befiehlt er mir mit fester Stimme, die keinen Widerspruch zulässt. Ich atme tief durch und schaue ängstlich in Richtung Wald. Thorin legt einen Finger an mein Kinn und zwingt mich so ihn wieder anzusehen. „Komm schnell zurück, wenn alles in Ordnung ist. Wenn nicht, dann komm auch zurück ... wenn du kannst. Wenn es ein Problem gibt, dann mach zweimal schuhuuh wie eine Schleiereule und einmal wie eine Schnee-Eule und wir tun für dich, was wir können!" Ehe ich ihm auch nur ansatzweise erklären kann, dass ich weder weiß wie eine Schleier-, noch wie eine Schnee-Eule macht, schiebt er mich bereits vorwärts.
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und schleiche mit leichten Schritten in Richtung Feuerschein. Meine Füße verursachen keinerlei Geräusche, obwohl der Waldboden vergleichsweise trocken ist und etliche Äste unter mir knacken könnten. Aber zum Glück bin ich ja ein Hobbit und kein lärmender, schwerfälliger Zwerg. So gelange ich wie selbstverständlich bis dicht an das Feuer, um das zu meinem Erschrecken drei sehr große Kerle sitzen und sich streiten. Selbst ich, die solche Kreaturen nur aus Büchern kennt, weiß, dass es Trolle sind.
Mit ungehobelter Sprache ... die sogar die der Zwerge übertrifft ... krakeelen sie über die Möglichkeiten, die für ihre Verhältnisse dürftige Mahlzeit, bestehend aus einem großen Hammelbraten, der über dem Feuer gart, etwas zu verbessern. Eigentlich müsste ich zu den Zwergen zurückgehen und sie über meine Beobachtung informieren. Aber plötzlich fällt mir ein, dass ich vielleicht Thorins Respekt damit erlangen könnte, in dem ich ihnen etwas stehle und somit meine Fähigkeiten als Dieb unter Beweis stelle. Trolle plündern die armen Seelen, die sie meist verspeisen, denn ihr Verlangen nach Schätzen ist genauso groß wie das der Zwerge. Also bin ich mir sicher, dass sich etwas sehr Wertvolles in ihren Taschen befinden muss.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und schleiche weiter. Hinter einen Baum, an dem sich einer der Trolle gemütlich angelehnt hat, bleibe ich stehen und atme noch einmal tief durch. Langsam und vorsichtig schiebe ich mich hinter dem Stamm hervor und lasse meine Hand in seine Hosentasche gleiten. Ich fühle tatsächlich verschiedene Dinge darin, die metallisch aneinanderstoßen, wenn ich sie berühre. Behutsam ziehe ich eines davon hervor und betrachte schließlich den goldenen und mit funkelnden Edelsteinen besetzten Armreif in meiner Hand. Das klappt doch ganz wunderbar ... noch 12 Mal das gleiche Spielchen und ich kann jedem der Zwerge etwas mitbringen ... wenn das mal nicht einem echten Meisterdieb ebenbürtig ist. Und so wandert ein Schmuckstück nach dem anderen von der Tasche des Trolls in meine.
Als Letztes habe ich mir vorgenommen, eine Kette zu stehlen, die ich bereits etliche Male spüren konnte und deren funkelnder weißer Edelsteinanhänger die Dunkelheit der Tasche zu erhellen scheint. Thorin würde sich über diesen bestimmt freuen. Ruhig ziehe ich sie aus der Vertiefung des dreckigen Fetzen Stoffs heraus und dann passiert es ... ich war zu nachlässig und überheblich, geblendet von den vorhergehenden Erfolgen. Denn die Kette hat sich in etlichen anderen Stücken verfangen, die nun allesamt klirrend auf den Boden aufkommen. Sofort fährt der Troll herum und ehe ich mich versehen kann, hat er mich mit seiner großen Hand gepackt.
Angsterfüllt starre ich ihn an, als er mich vor sich hält. „Hä, was'n das?", fragt er seine Kumpane erstaunt und dreht mich begutachtend in alle Richtungen. „Woher sollen wir das wissen, du Dummkopf!", keifen die beiden anderen zurück. „He, was bist du für eine?", fragt mich der eindeutig hässlichste von innen und stuppst mich mit seinem klobigen Finger an. Die Kuppe ist fast so groß wie mein Kopf. „Bil Beutlin, ein Taschen ... äh ... ein Hobbit", stottere ich am ganzen Leib zitternd und verfluche mich dem alten Gamdschie nie besser zugehört zu haben, als er uns als Kinder die Stimmen der Tiere beibringen wollte. „Ein Taschenhobbit?", fragen die drei etwas ratlos klingend. „Auch wenn du ein Taschenbobbit bist, hast du in meiner Tasche nichts zu suchen!", sagt der von mir Bestohlene, fasst mich grob am Fuß und dreht mich um. Augenblicklich fallen alle Dinge, die ich ihm entwendet habe, scheppernd auf den Waldboden. „Schaut euch das an, das kleine Aas hat mich beklaut!", sagt er daraufhin wütend und schüttelt mich unsanft. „Los wir essen sie!", beschließen sie und meine Augen weiten sich vor Angst, die mich augenblicklich wie eine Welle überspült. Aber dann sehe ich plötzlich aus dem Augenwinkel, wie die Zwerge aus dem Gebüsch kommen und die Trolle mit einem lauten Kampfschrei angreifen.
Thorin rammt dem der mich festhält unsanft sein Schwert in die Seite, sodass dieser mich augenblicklich fallen lässt. Heftig komme ich auf dem Boden auf und ringe erst einmal nach Luft. Derweil kämpfen meine Gefährten unverdrossen gegen die klobigen Kerle, die wild um sich schlagen, angesichts dieser anfänglichen Übermacht. Nachdem ich mich etwas erholt habe, nehme ich mir ebenfalls, ohne groß zu überlegen, und meine schmerzenden Glieder ignorierend, einen dicken Ast und prügle auf den Rücken des Trolls ein, der gerade mit seiner Hand nach Ori greifen will. Er stöhnt schmerzverzehrt auf und stößt mich grob zu Seite, sodass ich in einen Dornenstrauch fliege, in dem ich benommen erst einmal liegen bleibe. Denn ich bekomme nur schwer Luft und die spitzen Stacheln zerstechen mir brennend meine Haut, sobald ich mich auch nur ein klein wenig bewege. Hilflos muss ich deshalb mit ansehen, wie ein Zwerg nach dem anderen von den großen Händen der Trolle geschnappt und in einen Sack gesteckt wird.
Wenig später sitzen die Trolle vor meinen gefangenen Gefährten und streiten sich darüber, ob sie sie langsam rösten, klein gehackt kochen, oder aber, zu Sülze zerdrücken und danach marinieren sollen. Schon bei der bloßen Vorstellung wird mir ganz anders. Plötzlich höre ich die Stimme von Gandalf aus dem Unterholz kommen, kann ihn aber nirgendwo entdecken. „Kein Sinn sie zu braten, das dauert die ganze Nacht!", sagt er aus der Dunkelheit, denn die Trolle hatten sich gerade nach langem Streit darauf geeinigt, meine Freunde zu schmoren und dann in der nächsten Nacht kalt zu verspeisen. „Halt doch deinen Mund und fang nicht wieder von vorne an, sonst dauert es wirklich so lange!", keift der Hässliche seinen Kumpanen an, denn er denkt, dass der Einwand von ihm kam. „Ich habe gar nichts gesagt, das war der da!", schimpft dieser zurück und zeigt mit dem Finger auf den Dritten im Bunde. Abermals beginnt die Auseinandersetzung, dieses Mal noch hefiger und hitziger. Langsam wird mit klar, was Gandalf bezweckt, denn auch nachdem sie sich erneut geeinigt haben, wirft er mit verstellter Stimme einen Einwand zwischen sie und provoziert dadurch nochmals einen ausführlichen Streit.
„Der Tag soll euch treffen!", höre ich plötzlich und entdeckte den Zauberer im nächsten Moment auf einen Steinhügel uns gegenüberstehend. „Wer is'n das?", fragt der Hässliche, als sie sich überrascht zu ihm umdrehen. „Kann man den vielleicht auch essen?" Aber Gandalf lacht nur hämisch und stampft mit seinem Stab auf die Steine unter sich. Augenblick zerbersten diese als wären sie aus weicher Erde und lassen gleißend hell das Licht des anbrechenden Tages auf die kleine Lichtung vordringen. Sofort verwandeln sich die Trolle bis zuletzt laut fluchend in das Gestein zurück, aus den sie einst geschaffen worden ...
„Danke Gandalf, du hast uns gerettet", bedankensich die Zwerge einer nach dem anderen, nachdem der Zauberer sie aus den Säckenbefreit hat. „Wo ist Bil?", fragt Bofur sofort, nachdem er sich seine Mützewieder aufgesetzt hat, und dreht sich suchend in alle Richtungen. „Ich binhier", wispere ich schwach und bin erleichtert, als sich Gandalf über michbeugt und mit einem Schwenk seines Stabes die Dornenranken um mich herum wievon Geisterhand verschwinden lässt. Ich klettere entkräftet heraus und haltedie Hände schützend vor meinen Körper, denn die Stacheln haben meine Kleider anmehreren Stellen komplett zerrissen, sodass die geschundene Haut darunter zusehen ist. Die Zwerge starren mich sprachlos an und das Blut schießt heiß inmeine Wangen vor Scham. Thorin tritt schließlich mit einem tadelnden Blick inRichtung seiner Gefährten auf mich zu und legt schützend seinen Mantel um meineSchultern, den ich dankend annehme.
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