Marulâl

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So still Ori auf unserer Reise war, so redselig ist er, wenn er etwas gefunden hat, worüber es sich aus seiner Sicht zu sprechen lohnt. Beschwingt berichtet er mir jede Kleinigkeit seines Plans, eine neue Kurzschrift zu entwickeln, mit dem wichtige Tatsachen aus den Besprechungen schneller und zudem genauer bereits während der Sitzung dokumentiert werden können. Ich lächle unentwegt, viel mehr aus Freude über seine Begeisterung, als über das Vorhaben selber, währenddessen wir den Weg zu eben diesen Treffen nehmen. Der breite Gang ist hell erleuchtet und dennoch ungewöhnlich leer für diese Tageszeit.

Aber dann, kommt uns doch eine Gestalt entgegen. Befremdlich unsicheren und schwankenden Schrittes für eine Zwergin und mich beschleicht augenblicklich eine schreckliche Vorahnung. Als Skádi, die junge Thronerbin der Schwarzschmiede, uns entdeckt, hält sie sofort inne und verbeugt sich tief ... zu tief, angesichts ihrer Stellung, die bei inoffiziellen Begegnungen lediglich ein Knicksen rechtfertigt. Und das ungute Gefühl wird peinigender. Wir gelangen auf ihre Höhe und ich bleibe stehen, einem inneren Instinkts folgend und dann sehe ich leider das was meine Vermutung bestätigt. Blutunterlaufene Flecke an ihrem Arm, die der edle Stoff nur unzureichend verdecken kann und selbst angesichts des gesenkten Blickes gut zu erkennende geschwollene Augen, die von unzähligen Tränen zeugen.

„Ori, würdest du mich bitte bei Thorin und den Abgesandten der Eisenfäuste entschuldigen, ich habe noch etwas zu erledigen und werde einige Minuten später zur Sitzung erscheinen", wende ich mich an den Schreiber und mutmaße auch anhand seiner besorgt-weichen Gesichtszüge, dass er die Zeichen der Qual an der jungen Zwergin entdeckt hat. Er nickt hastig und entfernt sich nach einer respektvollen Verbeugung schnellen Schrittes. Kaum, dass er hinter der nächsten Biegung des Ganges verschwunden ist, spreche ich die Prinzessin an, die noch immer unterwürfig den Blick von mir wendet, aber ob der unvermutet aufkommenden Situation nun das dazugekommene, aufgeregte Zittern nicht unterdrücken kann. „Kindchen, möchtet Ihr mir nicht anvertrauen, was und vor allem wer Euch Leid antut ... ich sehe es nur allzu sorgenbereitend an Euch?", frage ich mütterlich, obwohl sie bestimmt um einige Jahrzehnte älter ist als ich, schätzungsweise wenige Jahre über dem Alter der Mündigkeit, die Zwerge mit 75 erreichen, vielleicht in etwa so alt wie Kili.

Skádi zuckt unruhig zusammen, senkt den Kopf noch ein klein wenig tiefer, in dem verzweifelten Versuch mir auszuweichen, und zieht hastig verschleiernd an dem goldfädendurchwirkten Saum des Ärmels. „Verzeiht mir Majestät, wenn ich Euch Unruhe bereite, es war nicht meine Absicht, Euch hier zu treffen." Ihre Stimme ist brüchig und erstickt unter der Last der erneut aufkommenden Tränen, die sie mit aller Kraft nicht zurückhalten kann, sei es nun aus Qual oder Beschämung.

Ich lege sanft aber bestimmend einen Finger unter ihr Kinn, zwinge sie regelrecht mich anzusehen und die Augen, weit und glasig vor Furchtsamkeit und dennoch verquollen und rot, wie es nur Stunden des Weines hervorbringen können, erschrecken mich zutiefst. „Folgt mir bitte ... es muss nicht jeder der vorbeikommen könnte unsere Unterhaltung mitanhören", befehle ich und bin wahrlich über die noch immer achtunggebietend-feste Stimme überrascht.

Ihre Mutter ist stolz und erhaben, das Bildnis einer Königin aus dem Volk der Zwerge ... aber Skádi, zumindest im Moment, erscheint mir angreifbarer als ein Hase, der im Jagtfokus eines hungrigen Adlers steht. Unsicher, mit gebeugter Haltung, verweilt sie an der Tür des Königsgemachs, in das ich sie geführt habe. Aber die in Ehrfurcht weit aufgerissenen Augen schweifen dennoch verblüfft über die vielen kleinen und großen Kostbarkeiten, die es selbst im Erebor nur in den Räumlichkeiten eines hohen Königs zu bestaunen gibt. Und als sie an den Rüstungen und Schwertern hängen bleiben, die aufgebaut Bedeutung und Glanz offen und ungeschönt präsentieren, verlässt die Luft schnell in Fassungslosigkeit und Bewunderung ihre Lungen.

Langsam geht sie auf den Mithrilharnisch zu. „Die Legenden sind also wahr ... König Thorin schenkte Euch den zweitkostbarsten Gegenstand, der in Mittelerde existiert." Skádi streckt bereits die Finger nach den Goldverzierungen aus, lässt diese aber schnell wieder zurückzucken, als ihr die Respektlosigkeit der Handlung auffällt. Unsicher entschuldigend sieht sie mich an, aber ich lächle nur. „Ihr dürft ihn gerne berühren, wenn es Euch danach verlangt", erlaube ich sanft und erfreue mich an den beinahe kindisch beschwingten Strahlen in den Augen, das augenblicklich auflodert. „Ich wünschte, jemand würde mich so lieben, damit ich ihm ebenfalls ein solches Geschenk wert bin", flüstert sie leise, mehr zu sich selbst, als die Fingerspitzen ehrfürchtig über das wie Wasser fließende Metall gleiten. „Liebe zeigt sich nicht in kostbaren Darbringungen allein", erwidere ich wissend und trete neben sie. „Sie ist mehr als materielle Dinge jemals ausdrücken könnten." Die junge Zwergin sieht mich überrascht über diese Aussage an und lässt damit erkennen, wie erschreckend wenig sie bislang über dieses wahrhaftigste aller Gefühle weis.

„Bitte ... setzt Euch doch", biete ich schließlich an und zeige einladend auf die Gruppe Sessel vor dem warm und behaglich knisternden Kamin. Vornehm ungemütlich setzt sie sich nur auf den Rand des Polsters, während ich mich, auch um die Anspannung und Etikette ein wenig zu lockern, eher bequem mit einem unter den Körper gezogenen Bein und auf dem Handrücken abgestützten Kinn niederlasse. „Nun, dann erzählt wer Euch solche Schmerzen zufügte, damit wir ihn gebührend bestrafen können. Denn Handgreiflichkeiten, egal an oder von wen und aus welchen Gründen auch immer, sind in den Hallen des Erebors unter Strafe gestellt." Sie sieht mich sofort mit alarmiert großen Augen an, schweigt aber beharrlich. Eine Weile gleitet mein Blick nachdenklich zu den flackernden Flammen, damit ich mit Bedacht die nächsten Worte planen kann. Nach Monaten mit störrischen Zwergen habe ich so meine Methoden entwickelt, um dennoch bei ihnen an mein Ziel zu gelangen. „Ich sah Euch einst mit den zweiten Kronprinzen der Steifbärte streiten ... ist er es?", offenbare ich nun direkt meine sowieso schon einige Zeit im Raum schwebende Vermutung, und die Augen werden noch entsetzt-geweiteter. „Bitte, Ihr dürft meinen Verlobten nicht bestrafen ... es war eigentlich meine Schuld, dass er die Beherrschung verloren hat!", fleht Skádi infolgedessen, und die ersten dicken Tränen perlen die Wagen hinab und verlieren sich in dem dunklen Bart.

Nun bin ich es, die sie erschrocken ansieht und richte mich etwas auf. „Euer Verlobter ... nun das macht das Vergehen nur noch um ein vielfaches abscheulicher und vergeltungsintensiver", informiere ich und sie senkt verzweifelt und laut schluchzend den Blick. „Warum löst Ihr die Verlobung nicht, wenn er Euch schlecht behandelt und sogar handgreiflich wird ... ich möchte mir nicht vorstellen, was er erst mit Euch anstellt, wenn Ihr sein seid?!", möchte ich bestürzt wissen, mit aller Kraft den Drang unterdrückend, sie tröstend in die Arme zu ziehen. „Das ist nicht so einfach ... wir sind bereits seit unserer Geburt einander versprochen ... diese Heirat soll den Frieden zwischen unseren beiden Häusern stärken. Aber, er lebte jetzt mehrere Monate in unseren Hallen und bereits da wurde er aufdringlich und gewalttätig, wenn ich ihm widersprach oder nicht das tat, was er verlangte. Hiernach soll ich die Zeit bis zu unserer Hochzeit in einem Jahr in seinem Reich verbringen, aber ich habe solche Angst davor, beinahe ganz alleine dort zu sein." Die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus und mich beschleicht das Gefühl, dass ich vielleicht die Erste bin, der sie diesen belastenden Umstand vollumfänglich anvertraut. „Und Eure Mutter ... sie kann doch nicht wollen, dass ihre Tochter unglücklich wird?" Skádi lacht verbittert-leise, mehr ein resignierendes Schnauben. „Amad interessiert nur die Verbindung und daraus gewonnene Sicherheit, ich bin nur Mittel zum Zweck, da ich die Erstgeborene bin. Meine Brüder und Schwestern können sich ihre Partner selber erwählen."

Verzweifelt und nachdenkend lasse ich die Hände über das glühende Gesicht fahren. Ich würde ihr so gerne helfen. „Ich werde mit König Thorin sprechen, vielleicht kann er ein Umdenken heraufbeschwören oder die Verlobung lösen", sichere ich ihr zu, aber in den dunklen Augen, in denen sich so viel Schmerz und Leid widerspiegeln, wie es kein Wesen jemals ertragen sollte, sehe ich die Anzweiflung des Erfolges.

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„Nein ... ich kann ihr nicht helfen!", brummt Thorin und ich habe seine an mich gerichtete Stimme lange nicht mehr so herrisch und bestimmt erlebt. Fassungslos starre ich ihn über die unerbittliche Ablehnung des Ersuchens an. „Aber ... sie ist zutiefst unglücklich. Prinz Tyrni drangsaliert sie und ich habe sogar die Vermutung, dass er sie zudem unsittlich bedrängt!", versuche ich die Dringlichkeit der Lage noch einmal herauszuheben, aber er schüttelt nur erneut den Kopf. „Ich mische mich NICHT in die Heiratspolitik der anderen Stämme ein ... sie ist mündig und damit heiratsfähig ... nur wenn es nicht so wäre, könnte ich die Verlobung auflösen." Ich atme bestürzt aus, gehe mit in aufkommender Rage geballten Fäusten auf ihn zu. „Er ist ihr gegenüber in unseren Hallen handgreiflich geworden. Ich habe die Male gesehen, mehr als deutlich ... und du willst Nichts unternehmen?!" Meine Stimme überschlägt sich fast vor Wut über so viel Ignoranz und nur mit reichlich Beherrschung kann ich den Drang widerstehen, ihm noch ganz andere Dinge, sehr unschöne ... überhaupt nicht majestätisch-vornehme Dinge sogar ... an den störrischen Kopf zu werfen.

Thorin aber sieht mich plötzlich weich und zugetan an, voller Verständnis und Bedauern. „Ich weiß, dass du ihr unbedingt helfen willst", sagt er leise und schließt meinen vor Empörung zitternden Körper versöhnlich in die Arme, lässt die Hände beruhigend den Rücken entlangstreichen. „Dass du diese Ungerechtigkeit nicht ertragen kannst und diesen Widerling ... denn das ist was er ist, ohne Frage ... sogar selber seiner gerechten Strafe zuführen würdest ... aber die Situation verlangt, dass ich ... dass wir ... uns zurückhalten." Ich drücke mich von ihm weg, noch immer wütend und nicht begreifend, was er mir damit sagen will. „Wenn ich die Verlobung löse ... und das könnte ich schon aus unerheblicheren Gründen, glaube mir ... dann provoziere ich einen Streit oder vielleicht sogar einen Krieg zwischen den Steifbärten und Schwarzschmieden. Zwerge sind äußerst nachtragend und unerbittlich, wenn ihre Ehre gekränkt wird, besonders unsere Könige und Königinnen", erläutert er mir die Notlage genauer und ich begreife endlich. Aber es macht mich unsäglich traurig so hilflos mitanzusehen, wie ein junges Wesen leidet und in sein Unglück geschickt wird, indem es nur lieblose Härte erwartet.

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