Lieblingsfarbe
Ori und ich benötigen drei weitere Tage, um auch die anderen Gemeinschaftsräumlichkeiten und Gemächer wieder so herzurichten, dass man sich in diesen wenigstens halbwegs wohlfühlen kann. Durch die von dem Drachen verursachte trockene und warme Umgebung im Berg, haben die edlen Stoffe und hölzernen Möbel erstaunlich gut die Zeit überdauert, in der hier niemand lebte. Selbst die Kleidung in den Truhen ist größtenteils unbeschädigt und tragbar. Der nach warmen Rauch, Feuertod und Verderben stinkende Drachengeruch liegt allerdings immer noch in der Luft und wird wie die Hitze fast erdrückend schwer, je näher man seinem ehemaligen Hort kommt.
Zufrieden und eigentlich guter Dinge, betrete ich die Halle, in der der Schatz Erebors ausgebreitet liegt und ich noch vor wenigen Tagen mit dem Drachen gerungen habe. Riesige Feuerstellen erhellen den Saal mit den glitzernden Wänden, der mich noch immer fasziniert und dessen gewaltige Ausmaße man erst jetzt vollends, da jeder Dunkelheit beraubt, erfassen kann. Die Zwerge streifen bereits seitdem sie den Wall fertiggestellt haben unablässig auf den riesigen Bergen aus Gold, Silber und Edelsteinen herum und erkunden jeden Zentimeter. Thorin gewährt ihnen keine Minute Ruhe, während er gebieterisch auf einem Erker Stellung bezogen hat und harsch Anordnungen erteilt. Seine tiefe Stimme dröhnt über ihre Köpfe hinweg und zerschneidet wie ein eisiger Wintersturm die warme Luft.
Unsicher trete ich auf ihn zu, denn seine Augen haben bereits wieder diese undurchdringliche Schwärze angenommen, die ich so bei ihm fürchte. Geschätzt nur wenige Stunden am Tag strahlen sie noch die Gutmütigkeit und Reinheit seiner Seele aus, aber sobald er dem Hort oder seit Kurzem auch nur einer glänzenden Metallader, die die Wände so wundervoll verzieren, zu nahekommt, fallen sie in die Dunkelheit und ich weiß noch immer nicht warum. Oft sehe ich ihn an und Licht und Schatten wechseln sich unentwegt innerhalb von Sekundenbruchteilen ab ... wie das Brechen von Sonnenlicht durch sich bewegende Baumwipfel. Vereinzelt schaffen wir es sie sogar wieder ganz aufklaren zu lassen ... ein Scherz, eine Berührung, eine Geste, ein Gegenstand vergangener Tage, eine Geschichte Balins über den Berg oder oft sogar ein einfaches Lächeln ... ganz plötzlich und unvermutet zieht ein erhellender Schimmer durch die Dunkelheit und er ist kurze Zeit wieder so wie früher. Lacht sogar ungewöhnlich viel und erfreut sich sichtlich an seiner zurückeroberten Heimat und der Gemeinschaft. Reichtum und Macht können ein von Trauer und Verlust gezeichnetes Herz angreifen, das versuchte mir Dwalin damals begreiflich zu machen, aber ich habe immer geglaubt, dass seines stärker und kraftvoller ist ... diesen Attacken fast unberührt standhalten kann.
„Niemand ruht, bis er gefunden ist!" Ein eiskalter Schauer kriecht mir über den Rücken, als ich den hartherzigen Klang seiner Stimme vernehme. Wenn er wüsste, dass ich den Arkenstein bereits lange bei mir trage, sicher verborgen in meiner Manteltasche, ich glaube er würde mich auf der Stelle ... nein, was dann geschehen würde, daran möchte ich gar nicht erst denken und ich erschrecke, dass ich es sogar in Betracht ziehe, dass er so solchen Taten überhaupt fähig sein könnte.
Schüchtern stelle ich mich neben Thorin und lege die Hände auf das reich verzierte Geländer. Beeindruckt stelle ich erneut fest, dass selbst diese nebensächlichen Dinge kostbar sind in der Welt der Zwerge. Unsere Freunde wühlen sich unablässig durch die Massen an Goldmünzen, Schmuckstücken, silbernen Gefäßen und Kleinoden jeder Größe und Form ... drehen jedes Stück dreimal um, immer mit der Zuversicht, den Arkenstein schnell zu finden. Der Schweiß läuft ihnen beharrlich über die geröteten Gesichter und in ihren Augen kann ich sogar von hier aus die sich immer mehr ausbreitende Panik erkennen, wenn sie erneut ein Stück Schatz ohne Erfolgsmeldung hinter sich lassen müssen.
„Habe ich dir zu viel über die Ausmaße des Hortes von Thrór prophezeit?", fragt mich Thorin plötzlich mit für die letzten Tage ungewöhnlich sanfter Stimme, aber trotzdem vermeide ich es ihn anzusehen. „Nein ... er ist wahrhaft gewaltig", antworte ich befangen und lasse meinen Blick erneut über die unermesslichen Reichtümer gleiten. Ich schlucke hart, als ich die Stelle entdecke, an der Smaug geschlafen und den Arkenstein bewacht hat ... dort, wo alles begann. Noch immer kann man die Konturen des Drachenkörpers in die Münzen gepresst erkennen und einige zu Klumpen zusammengeschmolzene Silberteile verdeutlichen die Hitze, die sein Feuer selbst im Ruhezustand hatte. Verdutzt stelle ich fest, dass neben seinem Liegeplatz eine weitere solche Vertiefung zu sehen ist ... zwar kleiner und nicht ganz so eingesunken, aber dennoch gut zu erkennen.
„Thorin, ich ...", setze ich zum Sprechen an, bereits kurz davor, ihn über mein Geheimnis in Kenntnis zu setzen, werde aber sofort von ihm unterbrochen. „Ihr habt die Gemächer wiederhergerichtet?", fragt er mich ruhig und ich nicke bestätigend. „Hast du dir schon eines davon ausgesucht?" Verwundert über diese Frage, sehe ich ihn jetzt doch an und erkenne tatsächlich einen kleinen hellen Schimmer in seinen Augen ... äußerst ungewöhnlich in der Nähe des Schatzes. „Nein, ich wollte dir und den Anderen als Erstes die Wahl lassen. Ich gebe mich schon mit dem zufrieden was übrig bleibt ... sie sind ja eigentlich alle wunderschön", erwidere ich gedämpft. „Habt ihr auch die Zimmer ganz vorne ... die mit den Blumenmotiven an der Eingangstür ... in Ordnung bringen können?" Wieder nicke ich nur bejahend. „Das waren die Gemächer meiner Großmutter, falls du möchtest, kannst du sie beziehen ... wenn du überhaupt noch vorhast, weiterhin bei uns zu bleiben, heißt das natürlich", schlägt Thorin mir unerwartet vor und sieht mich nun direkt an. Und seine Augen sind überraschenderweise erneut ein klein wenig klarer geworden. Ich lächle zaghaft und senke schuldbewusst meinen Blick, um seinem sicherheitshalber auszuweichen. „Solange ich den Arkenstein nicht gefunden habe, ist mein Auftrag ja noch nicht erfüllt ... von daher werde ich wohl noch etwas hierbleiben ... müssen", erwidere ich kleinlaut, damit er die unverschämte Lüge in meinen Worten nicht hört ... nicht nur, weil sich das Juwel bereits in meinem Besitz befindet, sondern auch, weil von ‚müssen' überhaupt nicht die Rede sein kann. Denn mein Herz blutet bereits seit Langem, allein bei dem Gedanken daran, dass ich bald wieder in meine einsame Hobbithöhle zurückkehren soll.
Als ich am frühen Abend die verzierte Tür zu meinen neuen Gemächern hinter mir schließe, atme ich erleichtert über die stille Einsamkeit, die mich sofort umgibt, tief durch. Thorins eigenartiges Verhalten zehrt an meinen wenigen verbliebenen Kräften ... nicht nur, da ich seine wankelmütigen Launen nicht einzuschätzen weiß und immer damit rechnen muss, dass mein Geheimnis entdeckt wird, sondern auch, weil dieser Ort seinen so wundervollen Charakter langsam zu vergiften droht. Behutsam ziehe ich den Arkenstein aus meiner Manteltasche und betrachte ihn eindringlich. Sein inneres Licht glimmt in den unterschiedlichsten Farben und obwohl er wunderschön und bestimmt unglaublich kostbar ist, kann ich die Bedeutung, die er zu haben scheint und das Verlangen der Zwerge nach ihm noch immer nicht nachvollziehen. Aber würde es etwas ändern, wenn ich ihn Thorin überreiche ... würde seine Seele wieder so rein und glänzend werden wie vorher ... oder würde es alles nur noch schlimmer machen, so wie Smaug es mir prophezeit hat?
Schwermütig verberge ich den Stein wieder unter meiner Kleidung und berühre dabei zärtlich die mir so viel bedeutsamer erscheinenden Kostbarkeiten. Bedächtig bringe ich den kleinen Holzdrachen hervor und augenblicklich schießen mir brennend und unkontrolliert die Tränen der Trauer in die Augen. Ob das kleine Mädchen und ihre Familie es wohl geschafft haben den alles vernichtenden Flammen zu entkommen? Während ich ihn wieder gut behütet verwahre, lasse ich meinen Blick durch die Räumlichkeiten gleiten. Das letzte Tageslicht dringt durch ein ausgeklügeltes System aus in langen und verzweigten Lichtschächten platzierten, reflektierenden Metallplatten bis in das Innere des Berges hinein. So zumindest hat Ori es mir erklärt, als ich ihn gefragt habe, warum viele der selbst tief gelegenen Räume taghell sind. Kleine Staubpartikel tanzen schwerelos durch den zwielichtigen Schummer ... es riecht nach altem Pergament und abgestandenen Rauch ... das Aroma der Verlassenheit, das wir noch immer nicht vertreiben konnten.
Die Eingangstür führt in einen Salon hinein, indem gemütliche goldverzierte Sessel und Kanapees vor einem noch kalten großen Kamin, gefüllte Bücherregale und ein imposanter Schreibtisch stehen. Von der hohen Decke hängt ein riesiger goldener Kronleuchter herab. Durch einen offenen Türbogen gelangt man in das angrenzende Schlafgemach mit dem großen Himmelbett. Die Gemächer der Königsfamilie sind großzügig geschnitten und glanzvoll eingerichtet. Ich bin so viel Prunk nicht gewohnt und fühle mich im ersten Moment unwohl zwischen den ganzen Kostbarkeiten, denn selbst die Wände sind mit Gold- und Silberadern durchzogen und glänzen unablässig. Die Liebe der Zwerge zu Schätzen macht selbst in ihren Privatgemächern nicht Halt und scheinen mich im ersten Moment zu erdrücken, so schwer lasten sie auf meiner Seele. Wir Hobbits sind holzgetäfelte, enge und mit allerlei Firlefanz vollgestellte Räume gewohnt. Kostbare oder außergewöhnliche Dinge würden zu Neid und Missgunst führen, etwas, dass wir gar nicht leiden können ... weder bei anderen, noch bei uns selber. Vielleicht werde ich mir ein paar Teppiche aus den anderen Räumlichkeiten holen und diese an die Wände drapieren, damit mich das ganze Gold und Silber nicht auch noch hier quält.
Bedächtig stoße ich mich von dem schwarzen Holz ab und laufe in Richtung Badstube, die ebenfalls jedes königliche Gemach einzeln besitzt ... ein äußerst seltener Luxus, denn öffentliche Badehäuser sind weit verbreitet und ein beliebter Treffpunkt, um sich zu reinigen, den neusten Klatsch und Tratsch aufzugreifen und oft auch noch einige andere Dinge zu erleben. Ich hoffe, dass ein warmes Bad den Schmutz, das Blut und vielleicht, damit auch den Kummer der letzten Tage mit sich hinfort tragen wird. Als ich gedankenversunken an einem besonders großen Sessel vorbeikomme, der von den unzähligen Stunden, in denen jemand in ihm verweilt hat gezeichnet ist, kommt mir Thorins Erinnerung wieder ins Gedächtnis und ich sehe ihn fast vor mir, wie er in diesem sitzt und seiner Großmutter beim Sticken oder Stricken zusieht und augenblicklich verziehen sich meine Mundwinkel willenlos zu einem gelösten Lächeln.
Langsam entledige ich mich meiner Kleider, die an einigen Stellen durch den Kampf mit dem Drachen in Fetzen zerrissen und zudem fast vollständig verdreckt sind. Achtlos lasse ich sie deshalb auf dem Boden verstreut liegen und drehe den silbernen Hahn an der Wand des Bades auf, sodass das heiß-dampfende Nass in einen bereitstehenden Bottich fließen kann ... eine weitere Annehmlichkeit, die der Erebor zur bieten hat. Aus unterirdischen heißen Quellen wird das Wasser über ein kompliziertes, goldenes Rohrsystem bis in die Gemächer geleitet. Eimer um Eimer finden ihren Weg in den großen hölzernen Badezuber in der Mitte des Raumes. Sofort wird die Luft erfüllt von wabernden Nebel und einer leichten Schwefelnote, die ich aber mit einem auch nach diesen vielen Jahren noch immer intensiv nach Rosen duftenden Öl aus einer kleinen Phiole vertreiben kann.
Mit einem wohligen Seufzer lasse ich mich in das dampfende Nass sinken und so wie ich es gehofft habe, fühle ich mich sofort besser und erholter. Meine zahlreichen Wunden schmerzen zwar augenblicklich, da sie durch das warme Wasser wieder aufgerissen werden, aber dennoch spült es wie erhofft den ganzen Schweiß, Schmutz, Staub und Blut und die negativen Empfindungen von meinem Körper und lässt mich befreit, entspannt und mit neuer Zuversicht im Herzen aufatmen.
Ich schließe ermattet die Augen, konzentriere mich auf das gleichmäßige Schlagen des Herzens und dem Rauschen des Blutes in meinen Ohren und trifte langsam in eine Gedankenwelt ab, in der Thorin ein gerechter, gnädiger, mitfühlender und glaubwürdiger Herrscher ist und in der wir eine gemeinsame Zukunft haben ... abseits von Hass, Missgunst, Standesunterschieden und Herkunft ... und dabei ist mir egal, ob als Freunde oder Liebende. Bis es plötzlich zaghaft an der Tür klopf und ich aufschrecke ... verstört frage ich mich, wie lange ich in meiner Phantasie gefangen war, denn das durch meine hastige Bewegung hin und her schwappende Wasser ist bereits kalt und die einzelne Kerze auf dem Schemel neben mir erhellt flackernd die herrschende Dunkelheit.
„Bil ... ich bin es ... Thorin", klingt es gedämpft durch das Holz. „Keine bange, ich komme nicht herein. Ich wollte dir nur sagen, dass ich ein neues Gewand für dich auf das Bett gelegt habe. Es würde mich wirklich sehr freuen, wenn du es tragen würdest." Zutiefst erstaunt über diese im Moment so erstaunlich großzügige Geste von ihm, bekomme ich allerdings keinen Ton heraus. „Wir warten dann mit dem Essen auf dich", höre ich noch leise und dann entfernen sich schwere Schritte von der Tür. Noch lange starre ich sprachlos auf das dunkle Holz und kann es immer noch nicht fassen, wie viele Aufmerksamkeiten er mir trotz alledem zukommen lässt.
Als ich aus der Wanne gestiegen bin, betrete ich mit einem Leinentuch um meinen noch nassen Körper gewickelt und der Kerze in der Hand das Schlafgemach. Wie Thorin es gesagt hat, liegt dort auf dem Bett ausgebreitet ein Kleid für mich. Es ist hauptsächlich aus schwarzglänzendem Seidenstoff gefertigt, dass an den Übergängen zu den langen Raffärmeln, am Ausschnitt und am Saum mit feingestickten silbernen Ornamentborden verziert ist. Veredelt wird das ohnehin schon ausgesuchte Gewand mit einem nachtblauen Miedergürtel, aus mit weißen Fäden durchzogen Brokatstoff, die die gleichen Muster wiedergeben. Neben dem Kleid entdecke ich zudem eine kleine goldverzierte Schachtel. Bedächtig nehme ich sie zur Hand und nachdem sie sich mit einem feinen Klicken geöffnet hat, stockt mir der Atem. Darin befindet sich, auf blauem Samt gebettet, ein zart geflochtenes Lederband. Befestigt daran ist ein länglicher Anhänger aus einem funkelnden eisblauen Edelstein, der mich augenblicklich an die Farbe von Thorins Augen erinnert.
Andächtig nehme ich die Kostbarkeit auf und betrachte sie innig. Das Licht der Kerze bricht sich unendlich viele Male in dem feinen Schliff und die Erhabenheit dieser Arbeit ist einfach unbeschreiblich. Das Kleid und der Schmuck sind einer Königin würdig und eigentlich viel zu edel für mich. Was hat sich Thorin nur dabei gedacht? Will er mir mit diesen erlesenen Geschenken zeigen, was er mir bieten kann, wenn ich bei ihm bleibe? Will er mich beschämen, dass ich solche Dinge, ob meiner Stellung niemals besitzen könnte? Zweifel und Argwohn bestimmen meine Gedanken, denn die Bedeutung dieser Kostbarkeiten und dass er sie mir in seiner momentanen Verfassung zukommen lässt, ist mir ein Rätsel. Dennoch lege ich beides an, vor allem, weil er es sich gewünscht hat, und betrete wenig später die Gesindeküche, in der sich bereits alle Zwerge zum Abendessen versammelt haben ... nur der Erbe Durins hat sich noch nicht die Ehre gegeben zu ihnen zu stoßen.
Augenblicklich starren sie mich mit offenen Mündern an und ich merke, wie mir die Schamesröte in die Wangen steigt. „Du siehst ... bezaubernd aus, Bil. Woher hast du nur dieses herrliche Kleid?", möchte Bofur von mir wissen und ich senke verlegen meinen Blick. „Thorin hat es mir gegeben ... ich finde auch sehr schön...", sage ich kleinlaut und fahre im nächsten Moment erschrocken herum, als ich seine tief-dunkle Stimme hinter mir höre. „Es freut mich, dass es dir gefällt", äußert er sanft und angesichts seines erlesenen Anblicks, wage ich kaum zu atmen, denn er hat sich ebenfalls von dem Schmutz und Staub und Blut der letzten Tage gesäubert und trägt neue Gewänder. Eine dunkelblaue Tunika, die mit den gleichen silbernen Ornamenten wie mein Kleid verziert ist und zusätzlich einen am Kragen mit dichtem Hermelinfell besetzen langen, schwarzen ledernen Mantel ... Kleidung, wie geschaffen für einen edlen Zwergenherrscher.
Seine vorher wilden onyxfarbenen Haare glänzen wie das Gestein und sind durch mehrere ordentlich geflochtene Zöpfe gebändigt, die mit filigranen Ornamenten und Runen versehene Schmuckperlen durchbrochen sind und an ihren Enden zusammengehalten werden. Aber was ihn besonders majestätisch und umso unbeschreiblich vielfach edler als früher wirken lässt, als er nur ein Prinz auf der Reise zu seinem Königreich war, ist das, was sein Haupt ziert ... Die Krone des Königs unter dem Berge, die sogenannte Rabenkrone, die ich bislang nur aus Legenden und Balins Erzählungen kannte. Sie ist aus geschwärztem Metall gefertigt, eingefasst mit goldenen Zierlinien und an der Stirn mit zwei stilisierten Raben, die ihre Schnäbel zusammenführen, versehen.
Thorins bereits früher innewohnende gebieterische Ausstrahlung ist durch die Veredlung so imposant ... so einschüchternd ... so achtunggebietend ... dass ich nicht anders kann, als untertänig vor ihm auf die Knie zu fallen, auch wenn er nicht mein König ist und ich ihm in keinerlei Hinsicht zur Unterwerfung verpflichtet bin. Ehrfurchtsvoll und mit einem verunsicherten Wimmern senke ich meinen Blick, nehme schließlich seine Hand in meine, die er mir gunsterweisend entgegenstreckt und hauche ergeben einen leichten Kuss auf seinen Siegelring. Eine Geste, die so voller Huldigung seiner jetzt endgültig besitzenden unermesslichen königlichen Macht steckt, dass mir fast die Sinne schwinden. Ich vernehme, wie die Zwerge hinter mir, ob meiner Handlung ihre Starre lösen und sich ebenfalls dienstbar verbeugen. „Heil Thorin, zweiter seines Namens, Sohn von Thráin ... König unter dem Berge!", ruft Balin die Verkündung einer neuen Zeit aus und seine kräftige und hoffnungsvolle Stimme dringt in unsere Herzen, hallt durch die weitläufigen Gänge und Höhlen und vertreibt augenblicklich jegliche Schwermut und Erinnerung an den Drachen ... der Erebor hat endlich wieder einen Zwergenkönig. Mit Tränen der Ergriffenheit in den Augen sehe ich leicht lächelnd zu Thorin auf, der unerwartet sanft mein zitterndes Kinn mit seinen warmen Fingern umschließt und mir dadurch verdeutlicht, dass ich mich wieder erheben kann.
Aber die Euphorie unter uns hält nicht lange an. Auch zwei Tage später, haben die Zwerge den Arkenstein noch immer nicht gefunden ... wie sollten sie auch. „Er ist hier ... ich weiß es ... ich habe gesehen, wie er unter den Lawinen aus Gold versank", berichtet Thorin und geht mit hinter dem Rücken verschränkten Händen auf den sich vor uns aufbauenden Hang aus Kostbarkeiten zu, dessen funkelnde Ausläufer dennoch so hoch sind, dass ich sie nicht überblicken kann. „Thorin ... das bezweifelt doch auch niemand, aber wir alle sind erschöpft und benötigen dringend Ruhe", erwidert Balin mit seiner immer vernunftschwangeren Beraterstimme und ich sehe besorgt zu ihm. Sein fahles Gesicht ist sorgenvoll verzogen und müde, kleine glasige Augen visualisieren seine Aussage zusätzlich. „Ich habe befohlen, dass niemand ruhen soll, bis der Arkenstein gefunden wurde", brummt Thorin missmutig und hebt schwerfällig wirkend einen rotschimmernden Edelstein auf, der vor seinen Füßen liegt. „Ich bitte dich, lass uns die Suche zumindest vorerst beenden ... Schicke Nachricht zu deiner Schwester, ermögliche unserem Volk diese Hallen wieder mit Leben und Freude zu füllen, so wie du es dir gewünscht hast", rät Balin und geht eindringlich einen Schritt auf seinen Herrscher zu. Fili und Kili neben ihm, denen man trotz ihres jungen Alters ebenfalls die Erschöpfung der letzten Tage und Wochen nur allzu deutlich ansehen kann, nicken zustimmend. „NEIN!", donnert seine Antwort durch die Höhle und lässt uns erzittern. „Ich WILL diesen Stein ... ich benötige diesen Stein ... er ist MEIN Geburtsrecht!"
Thorins Stimme klingt trotz der Lautstärke unglaublich schmerzlich und gebrochen. Ich betrachte sorgenvoll sein zusammengefallenes Gesicht von der Seite. Seit Tagen hat er weder viel gegessen, noch ausreichend geschlafen. Jede Nacht kann ich die unruhig auf und abgehenden Schritte aus seinem Gemach, das gleich an meines grenzt, vernehmen ... stundenlang ... bis zum Morgengrauen. „... ihn in den Wahnsinn treibt ...", hallen Smaug verheißende Worte erneut in meinem Kopf wieder und lassen mich erschaudern, als ich langsam begreife, dass er vielleicht recht behält.
„Aber warum? Der Drache ist tot ... du benötigst ihn nicht mehr zur Ausführung deines Planes", wirft Balin ein und blitzartig dreht sich Thorin zu ihn um ... die Augen unheildrohend schwarz und voller Rage. Ich zucke augenblicklich zurück, denn der bereits schon so oft darin zu sehende bedrohlich wirkende Ausdruck und das Verhalten, dass er widerspiegelt, bereiten mir unlängst maßlose Ängste. „Er gehört MIR ... er verleiht mir die Macht, die ich begehre!", stößt er aufgebracht aus und geht mit zornigen festen Schritten auf seinen Freund zu. Unheilvoll werden seine grollend ausgesprochenen Worte von den so wunderschön funkelnden Wänden um uns herum zurückgeworfen.
Balin starrt ihn an ... bestürzt und freudlos wirkend und für den Moment eines Wimpernschlages, befürchte ich in seinen Augen zu sehen, wie sein Herz vor Verzagtheit und Besorgnis bricht. „Eure Macht gründet sich nicht auf einen Stein allein, Majestät", erwidert er dennoch besonnen und ich bewundere ihn, für diese beherrschte Standhaftigkeit und kluge Äußerung im Angesicht der Bedrohung, die sich immer mehr vor ihm aufbaut. Aber sein Herrscher beruhigt sich nicht ob seiner Worte ... eher im Gegenteil. Mit unglaublicher Kraft schleudert er den immer noch in der Hand gehaltenen Edelstein von sich, sodass er laut polternd an der steinernen Wand aufschlägt und das Echo erfüllt die Höhle, dringt durch alle Gänge des Erebors und lässt uns erschrocken zusammenzucken. Thorin stößt zischende Worte aus ... unverkennbar Khuzdûl ... aber so fauchend und grollend ausgesprochen, dass ich sofort vermute, dass es sich um infame Schimpfwörter und zutiefst verletzende Beleidigungen handeln muss.
„Thorin!", rufe ich mahnend in unerwartet nachdrücklicher Tonlage und sofort hält er inne, um mich verärgert über die Einmischung anzusehen. Seine Augen sind so voller leerer Finsternis und es scheint mir so, als ob kein einziges schönes Gefühl mehr darin zu finden ist. „Beruhige dich ... bitte ... niemand von uns hat es verdient, dass du ihm so wenig Respekt entgegenbringst ... am wenigsten Balin", sage ich mit einer Ruhe, die ich mir im Angesicht seines Zornes selber nie zugetraut hätte, aber sein Gesichtsausdruck wird nur noch boshafter.
Mit einem tief-dunklen mürrischen Knurren dreht er sich um und läuft mit schnellen Schritten auf einen der Ausgänge zu. Wir sehen ihn hinterher und die Empfindungen, die unsere Herzen augenblicklich gefangen nehmen, sind hoffnungslos, beunruhigend und trübsinnig. Kurz überlege ich ... aber dann scheinen meine Füße mich wie selbstverständlich hinter ihm her hasten zu lassen. Als ich an Balin vorbeilaufe, hält er mich allerdings unerwartet zurück und sein stummer Blick ist so eindringlich und bedeutsam auf mich gerichtete, dass mir fast schwindelig wird. Aber dann gleitet seine fixierende Hand wieder von mir herunter und ich eile weiter. Nur noch von Weitem kann ich ihre Stimmen vernehmen. „Denkst du es ist klug, sie ihm alleine gegenübertreten zu lassen ... ich meine, in seiner jetzigen Gemütsverfassung?", fragt Kili und die Sorge über meine Sicherheit ist deutlich aus seiner Stimme herauszuhören. „Vielleicht kann nur sie ihn zur Besinnung bringen ...", antwortet Balin unglaublich bedrückt und den Tränen nahe klingend.
Als ich Thorin schließlich einhole, ist er fast an der Stelle angekommen, an der er mich nach dem Erwecken des Drachen angegriffen hat. Ich rufe seinen Namen, in dem verzweifelten Versuch ihn zu stoppen, aber erst als ich schließlich seine Hand zu fassen bekommen, hält er an. Unvermittelt dreht er sich um und erneut fixieren mich diese bedrohlich schwarzen Augen ... voller Jähzorn und Unruhe. „Was bei Ilúvatar ist nur los mit dir?", frage ich vorwurfsvoll, aber ohne unsere Verbindung zueinander wieder aufzulösen. „Warum bist du so anders geworden, seitdem wir hier sind? Warum bedeutet dir dieser verdammte Stein nur so viel?" Die Wünsche nach Aufklärung sprudeln nur so aus mir hinaus, in dem unbändigen Willen, endlich die verwerfliche Änderung seines so reinen Charakters nachvollziehen zu können.
„Wage es dir nicht ihn zu verfluchen ... er ist das Königsjuwel und bin ich nicht der König und habe das Recht darauf ihn zu besitzen!", fährt er mich unvermittelt an, aber komischerweise, weiche ich keinen angstvollen Zentimeter von ihm zurück. „Natürlich bist du der König ... aber wie Balin schon sagte, dieser Edelstein macht dich nicht allein dazu", gebe ich ihm trotzig klingend als Antwort und seine Augen verfinstern sich noch ein klein wenig mehr, auch wenn ich es nicht für möglich gehalten hätte. „Wer den Arkenstein besitzt, wird als rechtmäßiger Herrscher der Zwergenheit angesehen, als Anführer der sieben Häuser und König aller Zwergenheeren, Erbe von Durin dem Unsterblichen, dem Ersten unserer Art ... ...", offenbart er mir endlich die wahre Bedeutung dieses Steins, aber mein in dieser Hinsicht begrenzter Hobbitverstand sieht sich nicht andeutungsweise in der Lage, die unermessliche Schwere dieser Macht zu erfassen, die er versucht mir zu vermitteln. Sie erscheint so gewaltig ... gigantischer noch als der Drache, der Schatz oder irgendein Gefühl ... so unwirklich ... wie das Lichtspiel einer flackernden Kerze. Und der Arkenstein in meiner Tasche scheint gradewegs unsäglich schwer zu werden ... versucht mich mit sich nach unten ziehen zu wollen und meine Beine beginnen unmerklich zu zittern.
„Thorin, Sohn des Thráin, Sohn von Thrór ... dein Volk erkennt dich als ihren Herrscher an, egal ob du diesen Stein besitzt oder nicht ... glaub mir das", sage ich nun wieder ruhig und lege meine Hand auf seine Brust, dort wo sein Herz schnell und kraftvoll schlägt. Die Muskeln unter meinen Fingern spannen sich überrascht an und ich erzittere vor ihrer Stärke. „Nicht er macht dich zu einem König ... so mächtig und erhaben, wie du es dir wünscht ... Allein die Beherztheit und Würde, die dir bereits seit deiner Geburt innewohnt, ernennen dich dazu ... das was in deinem unerschrockenen Herzen entsteht ... Du bist es schon so lange ... warum siehst du es nicht, wenn sogar ich es kann?", flüstere ich bedeutungsvoll und als ich erneut in seine Augen sehe, blitzt ein kleiner heller Funke darin auf und mit ihm ein Stück Hoffnung in mir.
Thorin hebt unerwartet seine Hand und berührt fast ehrfurchtsvoll den filigranen eisblauen Anhänger, den er mir geschenkt hat und ich seitdem ständig um meinen Hals trage. Vorsichtig dreht er ihn zwischen den Fingern und erneut huscht ein aufklarender Schatten über die Finsternis seines Antlitzes. „An was erinnert dich dieser Stein?", erkundigt er sich plötzlich und ich wundere mich über diese ungewöhnliche und so gefühlvoll gestellte Frage. „An meine Lieblingsfarbe", flüstere ich schließlich bedeutsam und als genau diese seit so langer Zeit wieder in seinen Augen erstrahlt, lächle ich erleichtert. Er lässt den Anhänger los und bedeckt ihn zart und besinnlich mit seiner Hand und ich erschaudere ob dieser einfachen Berührung.
Aber nur kurz verweilen seine rauen Finger aufmeiner Haut und dann geht er einfach ... reißt sich mit erneut düster gewordenenAugen von mir los und flüchtet beinahe in die Dunkelheit des Ganges. „Dass wirdiesen Stein finden, sollte dir genauso wichtig sein ... denn erst dann werde ichdich wieder in die Sorglosigkeit deiner Heimat entlassen!", ruft er mir zu undich senke traurig über diese Aussage meinen schmerzverzerrten Blick.
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