Erinnerung an Vergangenes

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„Majestät, dürfte ich Euch um eine Privataudienz bitten?" Ich starre Dís erstaunt über dieses so überaus förmlich und ungewohnt dienstbar vorgetragene Ersuchen an, dass sie eines Tages innerhalb meiner Privatgemächer an mich richtet. Ein halbes Jahr ist seit der Geburt von Fís vergangen. Sechs Monate voller Freude, Glück und Liebe, neuen Errungenschaften und Entwicklungen. Fís unternimmt bereits die ersten Versuche zu krabbeln. Erstaunlich in ihrem noch jungen Alter, aber anscheinend für Zwerge, die der müßigen Taten- und Abenteuerlosigkeit eines liegenden Daseins so schnell wie möglich entkommen wollen, völlig normal. „Natürlich namad, bitte setz dich doch zu uns", sage ich freundlich, versuche die Energie meiner auf dem Schoß, ich möchte nicht gerade sagen verweilenden Tochter zu bändigen, und weiße auf einen Stuhl neben mir. Als die Zwergin sich nach einer dankenden Verbeugung auffallend angespannt niedergelassen hat bitte ich die anwesenden Bediensteten uns alleine zu lassen.

Dís atmet hörbar ihren Mut vereinigend durch und knetet mit gesenktem Blick die unruhigen Hände. „Bil, ich möchte dich um etwas bitten ... einen Gefallen, der mir sehr wichtig ist", beginnt sie schließlich und beißt sich verlegen auf die Unterlippe. „Ich erahne, was ich für dich tun kann und es hat mich bereits gewundert, dass du nicht schon viel früher darum gebeten hast", unterbreche ich sie, als ich die Nervosität spüre, die so gar nicht zu ihr passt und begreife plötzlich, wie epochal die Angelegenheit für sie wirklich ist und wie viel Angst sie davor hat, ich könnte ihren Wunsch abschlagen. „Sei dessen gewiss, dass ich einer Hochzeit mit Dwalin zustimmen werde. Nichts würde mich fröhlicher machen euch glücklich miteinander vereint zu sehen. Aber mehr noch als jeder andere Zwerg benötigst du als Prinzessin das Einvernehmen Thorins ... nicht nur als euer König, sondern auch als dein Vormund, auch wenn du ihn nicht als solchen wahrnimmst."

Dís sieht mich erstaunt an, blinzelt mehrmals um die aufsteigenden, gerührten Tränen zu verbannen, senkt dann erneut den Blick und wird sogar leicht rot. „Darum wollte ich dich auch vor einer offiziellen Anfrage aufsuchen. Ich weiß, dass Thorin der Verbindung zwischen Dwalin und mir nicht gerade wohlgesonnen gegenübertritt ... was auch immer in seinem dicken königlichen Sturkopf für Gründe dafür vorherrschen ... aber, er hört auf dich wie auf niemand Anderen. Darf ich dich deshalb bitten, ihn zu überzeugen, die Vermählung zu billigen." Dís betrachtet mich mit flehenden Augen, bereits glänzend vor aufkommenden Tränen.

Ich setzte meine unruhige Tochter auf den Boden ab und knie mich zu ihr. Sanft nehme ich ihre Hände in meine, drücke sie leicht und lächle sie warm an. „Glaub mir, ich werde alles versuchen, um ihn zu überzeugen, das verspreche ich dir hiermit, namad. Denn dein Glück wird auch meines sein." Sie lacht auf, erstickt unter fließenden Tränen der Freude und umarmt mich herzlich.

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„Ich soll was?" Thorins Stimme ist hart, unerbittlich und überschlägt sich beinahe vor unbeherrscht aufkommenden Zorn. Aber ich weiche nicht vor ihr und ihm zurück, zu wichtig ist auch mir das Begehren, mit dem ich ihm wenig später bereits behellige. „Thorin, deine Schwester hat lange genug in der Trauer einer Witwe gelebt, gewähre ihr das Glück einer erneuten Ehe", äußere ich ebenso bestimmt und unnachgiebig, nicht gewillt diesen Kampf zu verlieren. „Davon abgesehen, dass Dwalin ihr standesgemäß entspricht, er ist ein ehrenwerter Mann, tapfer, mutig, fähig sie zu beschützen und zu versorgen ... und was am wichtigsten ist, sie liebt ihn und er liebt sie ... aufrichtig, bedingungslos und von Herzen."

Thorin stützt die Hände auf den wie immer übervollen Schreibtisch seines Arbeitszimmers ab und funkelt mich böse über ihn hinweg an, sodass ich die zornig-glühenden Blitze als prickelndes Brennen auf der Haut spüren kann „Ich habe bereits die Affäre stillschweigend hingenommen, weil du mich darum batst, aber einer Heirat werde ich niemals zustimmen ... hörst du ... niemals!" Ich starre zurück, mit hoch erhobenen Haupt und gestraffter Haltung unter der Last des aufgebrachten Ungetüms, mir durchaus meiner Macht auch über ihn bewusst. „Warum?" Die Frage ist so gefasst und aufmüpfig gestellt, dass sich der Zorn nur noch mehr verstärkt, aber durchaus berechtigt, denn noch nie wollte er begründen, warum er die Verbindung so außerordentlich beharrlich und leidenschaftlich missbilligt. Niemand anderes sollte doch an dem Glück seiner Schwester mehr Interesse haben als er. „Darum!", gibt er mir schließlich als trotzige Antwort und stürmt wie ein Gewitterblitz aus dem Zimmer. Verdammtes starköpfiges Wesen ... und bisweilen ungemein kindisch dazu.

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Wenig später suche ich ihn mit Fís zusammen erneut auf, dort, wo er sich gelegentlich zurückzieht um den aufwallenden Groll zu bezwingen, bevor er irgendjemanden gefährlich werden kann ... auf den eigens angelegten Übungsplatz unseres kleinen Privatgartens. Die makellose Elbenklinge von Orcrist zerschneidet die Luft förmlich, verursacht dabei ein zischend-flirrendes, charakteristisches Geräusch, dass ich unter hundert anderen erkennen könnte. Unerbittlich trifft sie immer wieder auf strohgefüllte Puppen, zerfetzt die stellvertretend zu lebendigen Feinden äußere Hülle. Schweiß glänzt auf Thorins nacktem Oberkörper, fließt in kleinen Rinnsalen zwischen festen Hügeln hindurch, bis sie sich in dem ledernen Bund der Hose verlieren. Die kronlosen Haare locken sich wild und ungeordnet über die breiten Schultern, wallen bei jeder erstaunlich leichtfüßigen Drehung durch die Luft. Ein wahrlich auserlesener Anblick, nicht nur und gerade wenn man diesen Mann verehrt.

Ich weiß, dass er uns bereits lange bemerkt hat. Niemals sind seine Sinne geschärfter als unter dem Adrenalineinfluss des Kampfes, egal ob real oder wie hier gestellt. So überrascht es mich auch nicht, dass er, aus welchen Gründen auch immer, Kraft, Geschick und Eleganz noch mehr demonstriert und in geschmeidig behänden Bewegungen Orcrist um die eigene Achse und sich wirbelt. Fís auf meiner Hüfte quietscht erheitert auf, wie immer, seitdem sie ihren Vater bewusst beim Kampftraining wahrnehmen kann. Ein Verhalten, dass mir zeigt, dass sie, egal wie sehr ich mich auch dagegen wehren werde, einmal eine Kriegerin wird.

Langsam gehe ich auf Thorin zu, setzte ein versöhnliches Gesicht auf, erhalte aber nur einen noch immer verärgerten Blick als Begrüßung, als wir beinahe bei ihm sind. Habe ich eigentlich schon einmal erwähnt wie störrisch und unbelehrbar er sein kann? Wenn nicht, ein Esel ist nichts im Vergleich ... „Ich werde meine Meinung nicht ändern, versuch es also gar nicht erst", brummt er bockig und versenkt den gondolinischen Stahl tief in die imaginäre Brust des Feindes, sodass er darin stecken bleibt. „Dann hilf mir wenigstens zu verstehen warum du dieser Verbindung so negativ gegenübertrittst", entgegne ich und hebe Fís auf die andere Hüftseite, damit ihre kleinen Hände dem begehrten Drachenzahnheft gar nicht erst zu nahekommen können. Verärgert in ihrer eigenen kindlichen Sprache brabbelnd, kuschelt sie sich an meine Seite und schnuffelt an dem kleinen braunen Hasen von Bifur herum, der unlängst ihr ständiger Begleiter geworden ist.

Thorin atmet verzagend aus und streicht seiner Tochter liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die daraufhin sofort wieder lacht und die großen Hände mit ihren sehr sehr viel Kleineren umklammert. „Ich will sie nur beschützen ... vor weiterem Schmerz, vor dem erneuten Verlust eines Gemahls und den damit einhergehenden Qualen", flüstert er schließlich, die Worte nicht mehr als ein betrübtes Rascheln im aufkommenden Wind, der über die Hänge pfeift. „Balin erzählte mir einst von dem bitteren und gewaltsamen Tod Vilis ... aber du kannst sie nicht davor bewahren sich erneut zu verlieben, genauso wenig, wie du deine Tochter dahingehend behüten kannst, denn wage es dir ihre eigenständige Wahl einmal zu missachten", belehre ich sanft und er lacht leise auf. „Der Mann der meine kleine Tochter einmal ehelichen möchte, muss durch eine harte Prüfung gehen. Vorher werde ich sie vor allem und jeden beschützen, der es auch nur wagt ihr zu nahe zu kommen." Ich kichere erheitert und auch ein wenig gerührt und schüttle den Kopf. „Dann musst du aber jetzt bereits damit beginnen ... Kili und Fili verehren Fís und würden sie am liebsten auffressen vor Liebe." Thorin lächelt gequält und streichelt ihr erneut gefühlvoll über den Kopf. „Du musst ihnen verzeihen, sie haben sich schon immer eine kleine Schwester gewünscht ... sie können ja nicht wissen, dass ...", beginnt er, aber plötzlich bricht die Stimme unter Qual und Schmerz und ich sehe eine unerträgliche Erinnerung in den Augen aufglimmen.

„Thorin ... was hast du?", flüstere ich sofort bedrückt, verbanne eine feuchte Haarsträhne hinter sein Ohr und lasse die Fingerspitzen tröstend über die Wange fahren. Er schnieft kurz, um sich wieder zu fangen. „Damals, als uns die Nachricht von Vilis Tod ereilte, trug Dís im siebten Monat ihr drittes Kind", eröffnet er mir infolgedessen, lässt den Blick verloren in erinnerten Schmerz zum Horizont gleiten und ich versuche mich in Erwartung vor dem nun folgenden Bericht zu wappnen, wenn man sich denn auf so etwas überhaupt die Seele schützend vorbereiten kann.

„Der Schock war so groß, dass die Wehen einsetzten. Oin und die Hebammen versuchten alles um sie zu stoppen ... aber vergeblich. Als er mir das Neugeborene schließlich brachte, atmete es ... schwach und zitternd ... kaum eine Andeutung von Leben in diesem so winzig kleinen Körper, der mir erschien wie eine zerbrechliche Phiole. Er sagte, es gebe keine Hoffnung, dass es lange überleben würde und so bat ich ihn, Dís nichts davon zu erzählen, dass es überhaupt lebendig das grausame Licht der Welt erblickte. Ich barg dieses zierliche Wesen in meinen Armen ... eine trotz alledem wunderschöne Prinzessin, mit schwarzen Locken und blauen Augen. Beobachtete mit Qualen jeden immer schwächer und mühseliger werdenden Atemzug, streichelte vorsichtig die durchschimmernde Haut, die so wirkte wie dünnes Papier, das jederzeit zerreißen könnte. Wollte ihr so lange und so intensiv wie möglich die Liebe vermitteln, die wir alle für sie verspürten. Sie war so ruhig, kein Wimmern kam über die blassen Lippen. Einzig die trüben Augen betrachteten mich, wenn sie die Kraft aufbringen konnte kurz aufzusehen. Irgendwann kam Dwalin. Er führte den Suchtrupp an, der Vili letztendlich fand. Auch ihm war der Schmerz über den Verlust des guten Freundes in die damals noch so offenen Gesichtszüge gemeißelt. Als er mich mit dem Kind sah und unter fassungslos-stummen Tränen begriff was geschehen war, versuchte er mir dennoch schweigend Beistand zu leisten in diesen herzzerreißenden Stunden des Wartens auf das Unvermeidliche. Gemeinsam beobachteten wir am Ende den letzten Atemhauch des unschuldigen Wesens, dessen Chance auf ein glückliches Leben durch die unerbittliche Hand eines Feindes zertrümmert wurde. Ich verbat mir Tränen der Trauer, während wir sie heimlich beerdigten. Allein Balin weiß noch um die Existenz des verschwundenen Lebens, alle anderen glauben, es war eine Totgeburt."

Als er endet, fließen sowohl ihm wie auch mir brennendeTränen wie Feuerbäche die Wangen hinunter. Wie wahnsinnig schmerzlich mussdiese Erfahrung und Erinnerung noch immer für ihn sein, gerade jetzt, seitdemer selber Vater einer Tochter ist. Vorsichtig lege ich ihm diese in die Armeund er betrachtet sie mit der Liebe, die er einst auch für dieses Kindverspürte, während sie jauchzend mit den geflochtenen Zöpfen spielt. „Sie hatnoch nicht einmal einen Namen von uns erhalten ... kein Grabstein markiert dieStelle, an der wir sie zu Grabe trugen, eingehüllt in ein silbernes Tuch. KeinStammbaum erinnert an ihr kurzes und schmerzvolles Dasein", flüstert er und dieersten Tränen fallen auf die kleinen zu Fäuchsten geballten Hände unsererTochter. Ich trete an ihn heran und schließe den zitternden Körper so bergendwie es mir möglich ist in die Arme. „Dann lass sie uns ebenfalls Fís nennen.Auch wenn sie einen abweichenden Platz in deinem Stammbaum einnimmt, wir werdenuns dadurch auf ewig an sie erinnern", schlage ich vor und er lächelt gequältbevor sich sein Blick erneut nachdenklich zum Horizont wendet. „Du hast recht,meine Schwester hat es verdient ein neues glückliches Leben an der Seite einesehrenhaften Mannes zu verbringen. Ich werde der Heirat also zustimmen ..."

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