Erinnere dich ...
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Retrospektive Thorin
Der Schmerz der Wunde, die mir Azog zugefügt hat, ist allgewaltig und zermürbt unerbittlich die Geisteskraft. Jeder Muskel, jede Sehne jault vor Folter und Überanstrengung, als ich versuche seiner Klinge erneut zu entkommen, indem ich mit Orcrist und aller verbliebenen Gewalt gegen sie halte. Aber ich merke, wie meine Kraft nachlässt ... wie ich wenig ausrichten kann gegen den Willen und die Stärke eines Geschöpfs des Dunkels, das Jahrzehnte auf die Erfüllung seiner Phantasie hingearbeitet hat. Und der Plan, der in meinem von der Tatsache eingenommenen Hirn Gestalt annimmt, ist Wahnsinn und Sachlichkeit zugleich.
Die Spitze der Stichwaffe zielt auf meine Lunge ... wenn sie mich durchbohrt, bleiben mir gefühlte Sekunden um mich gegen ihn zu wehren ... Wimpernschläge, in denen ich die Schwäche des Triumphes ausnutzen kann, um seinem Leben ebenfalls ein Ende zu setzen, in Vergeltung und Blutrache ob der Missetaten an meinem Volk. Ich schließe kurz die Augen und sehe den einzigen Grund vor mir, der mich davon abhalten würde es hier und jetzt zu beenden. Unter braunen Locken aufsehende himmelblaue Augen ... volle Lippen, die sich zu einem bezaubernden Lächeln verziehen ... ein scharfer Verstand, an dem ich mich schon so oft in süßer Pein geschnitten habe und ein Herz, voller Gefühl und Mut. Bei Mahal, wie ich sie und ihre Liebe und Wärme vermissen werde in der Ewigkeit der einsamen Hallen ...
Aber ich als ich wieder aufschaue, Azog mit einem Blick fixiere, der allein schon töten könnte, und gerade mit aller Entschlossenheit Orcrist zwischen uns entferne, sehe ich einen Schatten gegen den gewaltigen Körper meines Erzfeindes prallen. Nur allzu bekannt, klein und zierlich schafft er es dennoch, das schwere Geschöpf von mir wegzuschleudern, bevor die Klinge ihr verheerendes Ziel erreichen kann. Ich stoße die unbewusst angehaltene Luft aus und drehe mich in die Richtung, in die die beiden Gestalten aus meinem Blickfeld verschwunden sind. Und tatsächlich ... es ist mein Hobbit ... Geliebte ... Königin ... Fixstern der Hoffnung ... die sich unerschrocken Azog entgegenstellt.
Ich versuche mich aufzurichten ... ihr zu Hilfe zu eilen, damit der Hass der Kreatur sie nicht vernichten kann ... aber der hinunterziehende Schmerz der tiefen Wunde an meiner Seite hält mich auf dem Boden gefangen. Einzig was mir bleibt in der Einflusslosigkeit: die in Ehrfurcht eingefasste Bewunderung ihrer heroischen Gestalt. Im Wind wehende Haare, verklebt durch Blut und Schweiß ... ein entschlossener und selbstsicherer Griff streckt das elbische Kunstwerk unserem Feind entgegen ... die Haltung, unbeugsam und kriegerisch, perfekt ausbalanciert, so als ob sie nie etwas anderes getan hat. Und dann greift Azog an ... furchterregende Wut und alles einnehmende Verbitterung in den Augen und Handlungen. Aber sie ist schnell und wendig ... leichtfüßig weicht sie ihm geschickt aus ... entgeht jeder direkten Konfrontation mit der unermesslichen Gewalt.
Ich habe sie einst halbherzig trainiert, weil ich dachte, ein so winziges Geschöpf könnte niemals alleine etwas gegen die Gefahren der Welt ausrichten. Allerdings, nicht nur auf dem Schlachtfeld, hat sie ihre Fähigkeiten bis jetzt mehr als nur unter Beweis gestellt. Aber dann ... kann Azog sie dennoch verletzen. Tiefrotes Blut rinnt augenblicklich von den zitternden, den Schaft ihres kleinen Schwerts umschließenden Fingern.
Und es ist dieses schon einmal gesehene Bild, dass mein Herz zu Gletschereis erstarren lässt. Damals in der Finsternis und Mystifikation des Düsterwaldes, als ich sie vor mir sah ... als Kriegerin, mit dem blauschimmernden Schwert in der Hand und dem vielen Blut um sie herum ... ihrem Blut ... wie es aus tropfenden Wunden fiel auf das unschuldige Weiß des Schnees. Der vorhergesehene Ausgang dieser Erscheinung schießt wie ein glühendes Purgatorium durch meinen Körper und verbrennt das Herz. Ich schreie ihren Namen und Flüche und Gebete in die frostklirrende Luft und versuche mich verzweifelt aufzurichten, aber es sind nicht die zahlreichen, tiefen Verletzungen und die überlegene Erschöpfung, die mich zum Nichtstun verbannt auf der Eisfläche kauernd gefangen halten. Wie einst in der Halluzination, reißt eine Macht ... dunkel und furchterregend stark ... an meinen Gliedern, so als ob sie möchte, dass der Grund meines Lebens stirbt.
Azog umkreist Bil abfällig ... lacht schadenfroh und überheblich ... und ich sehe recht wörtlich, wie jedwede noch verbliebene Kraft aus ihr fließt. Aber als er zum finalen Schlag ausholen möchte und mein Herz und Verstand bereits laut klirrend in tausende Scherben zerspringt, umfasst Bil mit einer ungeheuren Entschlossenheit in den Augen den Schaft des Schwertes und schlägt Azog den todbringenden Arm von der Schulter ...
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Mystifikation Thorin
Der scheppernde Klang des herunterfallenden Schwertes und der Misston von Azogs Wutschrei holen mich aus einer bodenlosen, schweren Sinnestrübung. Körper, Geist, Wahrnehmung ... alles ist verschwommen und dumpf ... pulsiert im Takt des aufgeregten Herzschlages. Ich fühle mich eigenartig ... klein und hilflos ... wie ein verlorenes Kind in der Dunkelheit der Nacht, umgeben von tanzenden Schatten die es ängstigen ... schmerzfrei aber nicht unversehrt ... lebendig aber nicht kraftvoll. Das nebelumschlossene Nirgends durch den Dämmerzustand wird begleitet von eindringlich mahnenden Worten in zahlreichen Sprachen, die ich verstehe und auch nicht. Sie erinnern mich an meine noch zu leistende Pflichterfüllung und an die Liebe, derer die mir das wertvollste im Leben sind, und die mich treu dabei begleiten werden etwas Gutes zu schaffen. Und dann kristallisiert sich immer deutlicher eine geliebte Stimme aus dem Durcheinander ... warm ... wohlklingend ... allzu bekannt und geschätzt.
„Willkommen zurück, mein inùdoy", singt sie und der schwere Geruch des Lavendelöls, mit dem sie Bart und Haare pflegte und dass mich meine ganze Kindheit hindurch begleitete und ich mein restliches Leben lang schmerzlich vermisste, hüllt mich augenblicklich ein. „Amad, wo bin ich?" Meine Stimme klingt befremdlich, kaum ein Funken des vertrauten Brummens in ihr, so als ob sie um Jahre jünger und entlasteter geworden ist. „Du bist im Lichtschatten zwischen hier und jetzt, bunnanunê ... nicht lebendig ... aber auch nicht tot", erklärt sie und unerwartet spüre ich ihre weiche Hand auf meiner Wange ... ein so lange für immer verloren geglaubtes Gefühl der Geborgenheit. „Mahal hat dich zurückgesendet, in ein Leben voller Aufgaben und Verpflichtungen, und ich soll dich dabei begleiten wohlbehalten dort anzukommen." Ihre Worte rufen einen wohligen Schauer hervor, als sie umschlossen vom warmen Atemhauch über die Haut streichen. „Nein ... bitte verlass mich nicht noch einmal, amad", flehe ich verzweifelt und versuche ihre Hand zu umklammern, aber mein Griff tastet ins Leere.
„Azaghâlithûh ..." Das schätzende Kosewort nur ein leichter Hauch, begleitet von sanften Lippen auf der angstnassen Stirn. "... wir sind so stolz auf dich und das was du bis jetzt geleistet hast ... aber deine Aufgabe ist noch nicht vollendet ...", erwidert meine Mutter mit ihrer so wundervollen samtartigen Stimme, die mich früher immer in den Schlaf geleitete ... zu einer Zeit, die so friedlich und befreit von allen Sorgen und Ängsten war. „Wir werden uns wiedersehen ... aber jetzt noch nicht ... noch nicht ... erst harren noch so viele kleine und große Taten auf ihre Erfüllung." Ich schließe meine Augen, allein um das Brennen der aufkommenden Tränen zu unterdrücken. „Ich will hierbleiben ... bei dir ... denkwürdige Leistungen, wartender Einfluss und Reichtum bedeuten mir nichts", erwidere ich bereits schluchzend und verzweifelt und fühle, wie mich dennoch eine bislang unbekannte Kälte brennend umschließt.
„Es gibt darüber hinaus Gründe, warum du zurückmusst, inùdoy ... Wesen die dich vermissen werden ... deine Schwester ... meine wundervollen Enkel ... die Frau, die du begehrst und dir Glück schenken wird ... Verweile nicht länger im Dunkel des Endes ... erinnere dich an die die du liebst und die dich lieben und du findest deinen Weg. Die Gedanken, in denen ich die Ewigkeit überdaure, werden dich begleiten, das verspreche ich ...", flüstert sie und ihre Stimme schwindet mit jedem gesprochenen Wort. „Nein ... amad ...!", schreie ich erstickt und will ihr hinterherlaufen, aber meine Glieder gehorchen mir nicht ... zu betäubt sind sie von der Eiseskälte der Wiederkehr. „Erinnere dich an deine Liebsten ..." Die Aufforderung klingt nur noch wie das Rauschen eines Frühlingswindes durch die neusprießenden Blätter der Bäume, und dann leuchtet eine Rückerinnerung in der undurchdringlichen Dunkelheit um mich herum auf ...
Ich sehe die Gärten der Seestadt vor mir. Die ordentlich geschnittenen Büsche und Nadelbäume sind überzogen mit dem puderzuckerähnlichen Schneeschleier, der in der letzten Nacht gefallen ist. Kein unangenehmer Laut ist zu hören ... allein ein noch nicht zu Eis erstarrter kleiner Brunnen plätschert arkadisch. Ruhe und Frieden in einer Welt voller Habgier und Misstrauen und ein intensiver Kontrast zu den Schrecken, die uns noch erwarten sollten und ich in diesem Moment noch nicht einmal ansatzweise ersann.
Aber dann durchdringt ein helles Lachen die lautlose Winterlandschaft, so unverdorben und lebenslustig wie kleine silberne Glöckchen an einem Pferdeschlitten ... Bils Lachen. Und im nächsten Moment sehe ich sie aus dem Labyrinth aus Hecken hervorstürmen. Der dunkelblaue Stoff des fellbesetzten Wintermantels ist durchnässt und zerrt schwer an der zierlichen Gestalt ... winzige Schneekristalle haben sich in den braunen Haaren verfangen und versuchen in der Wintersonne funkelnd mit dem Glitzern in ihren Augen zu konkurrieren. Fili und Kili folgen ihr wenig später, jeweils mit Schneebällen bewaffnet und die Kleider ebenfalls völlig durchweicht.
Bil rennt immer noch lachend auf mich zu. „Thorin, hilf mir!", kichert sie gespielt panisch und versteckt sich Schutz suchend halb hinter meinem Rücken, als ihre Verfolger immer näherkommen. „Das ist gemein ... erst uns mit Schnee bewerfen und sich dann der gerechten Strafe entziehen ... wir haben dich schon einmal davonkommen lassen, junge Dame!", schimpft Fili und versucht einen Schneeball auf sie zu werfen, dem sie aber galant ausweicht. „Sagt bloß, sie hat euch schon wieder auf einem Baum sitzend überlisten können", frage ich nun ebenfalls lachend und der bestätigende missmutige Ausdruck in den Gesichtern der Jungzwerge ist beinahe zu viel für die majestätische Beherrschung.
Fili und Kili beginnen uns von beiden Seiten zu umkreisen, so als wollten sie ein Reh hetzen. Eine Taktik, die ich ihnen gezeigt habe ... aber dieses Mal werden sie keinen Jagderfolg verbuchen können. Blitzschnell drehe ich mich um und schließe Bil in die Sicherheit meines Mantels ein ... mich zu bewerfen werden sie nicht riskieren. Sie ist so überrascht von meiner Handlung, dass ihr ein schriller Aufschrei entkommt und sie gegen meine Brust fällt. Die Nässe der Haare streift das Gesicht und der unvereinbare Geruch von reinem Schnee und süßen Blumen ist so verzaubernd, dass ich ihn nie wieder vergessen werde. Ihr Atem geht schnell und aufgeregt und die kleinen kalten Hände krallen sich haltfindend in den Stoff der Tunika.
„Onkel, das ist unfair", knurren die Brüder gleichzeitig, aber ich schließe meine Arme nur noch fester um den vor lauter schadenfrohem Gekicher bebenden Körper. Bil sieht zu mir auf und, bei Mahal, dieser Blick ... dieser sanfte, lebenslustige, oh so besinnliche Blick ... er ist so auserlesen herrlich. „Versucht euch doch zu rächen", necke ich meine Neffen, um das aufkommende vorherrschende Verlangen zu entmachten, sie hier, ungeachtet von Zeit und Ort, zu küssen, und bin noch nicht einmal annähernd darauf vorbereitet, dass sie es tatsächlich wagen uns beide mit den Schneebällen zu bewerfen ... Und das zu einem Wohlklang vereinigte erheiternde Lachen der Wesen, die mir mehr bedeuten als mein Leben, begleitet mich silberhell und glockenklar aus Dunkelheit und Nebelschleier ...
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
POV Thorin
Es ist das vertraute gemütliche Knistern eines Kaminfeuers, das ich als erstes wieder wahrnehmen kann und Sekunden später, fühle ich die Hitze um mich herum, die so ganz anders ist als der Frost der Ebene, der als letztes in den Erinnerungen und Gliedern steckte. Ich hole tief Luft und brumme schmerzlich auf, als das nur allzu bekannte Brennen von zahlreichen Wunden unter sich spannenden Verbänden auflodert. Aber die Pein weckt auch die anderen Sinne. Mein Mund ist trocken und das Schlucken fällt schwer, der Kopf dröhnt unsäglich, eine knochentiefe Erschöpfung zieht an den Beinen ... und ... dann ist dort etwas anderes ... zierlicheres ... wohltuenderes ... wärmespendender als es Flammen jemals sein könnten ...
Als ich die Augen öffne, blendet das spärliche feuerscheinhervorgerufene Zwielicht dennoch quälend, so als ob ich Tage, wenn nicht sogar Wochen lang von der Sehkraft keinen Gebrauch gemacht hätte. Es ist die hohe Decke meines Schlafgemachs, die mich vertraut empfängt, als sich die Blindheit endlich legt. Grauer, Goldadern durchwirkter Stein ... filigrane Unersättlichkeit in den Gemächern eines hohen Königs, die mich schon immer erzürnt hat ... als ob der Prunk und Protz in den Gängen und Sälen nicht schon genug Blendwerk wäre.
Und dann sehe ich neben mich und entdecke die einzige Kostbarkeit die ich in meinem Leben begehre ... schlafend und dennoch nicht ruhend ... denn Bils Gesicht ist selbst im Traum aschfahl und belastet verzerrt, so als ob Kummer und Sorgen und Elend zahlreicher Tage auf ihr liegen. Sie erscheint so zart und ist dennoch stark wie Granit und die Erinnerungen an die zurückliegenden Geschehnisse branden wie Wasserwellen in mein Bewusstsein. Azog ist gefallen ... die Schlacht gewonnen ... das Leben gebrechlich ... zersplitterte letztendlich unter zitternden Fingern und gewisperten Bitten nicht zu schwinden.
Ich war tot ... ich habe den metallischen Geschmack von Blut wahrgenommen ... habe gefühlt, wie sich die Finsternis der Leere um mich schloss ... habe gehört, wie meine Schritte in Mandos prächtigen Hallen von den steinernen Wänden widerhallten ... habe die Schemen meiner Ahnen gesehen, wie sie in den Schatten ihrer Gedanken saßen und warteten auf die Wiederkehr ... wurde begleitet von vertrauten Stimmen, mächtigen Gefühlen und erfüllenden Erinnerungen die mich belehrten wie schön das Leben ist ... bei Mahal ... ich war tot ... Warum bin ich wieder hier?
Bil neben mir stöhnt leise auf, ihre Augenlider flattern und dann rinnt mein Name von ihren Lippen ... ängstlich-bebend ausgesprochen und mit so viel Schrecken und Trauer vermischt, dass ich anfange zu weinen. Der Albtraum, in dem sie gefangen ist muss schrecklich sein und ich strecke eine Hand nach ihr aus um sie zu trösten. Die durch die Finger gleitenden Haare sind genauso seidig und dick wie ich sie in Erinnerung habe und dann schlägt sie die Augen auf und sieht mich an.
Die Fassungslosigkeit ist nur allzu deutlich sichtbar und ich erahne nur, wie viel Leid und Trübsal sie um mich ausgestanden haben muss, als sie sich langsam aufrichtet und mich mit einem bizarren Durcheinander aus Staunen, Bestürzung und Freude ansieht. Erneut keucht sie meinen Namen und Tränen bilden sich in den schattenumwobenen Augen. Ich hebe meine Hand ... bin flüchtig erschrocken über das befremdlich-geschwächte Zittern ... und streiche sanft eine der Tropfen von ihrer Wange. Und die Berührung scheint wie die Gewissheit zu sein, dass das Gesehene kein Traum ist, denn die glückstrahlende Lebensfarbe und das bezaubernde Lächeln kehren in ihr Antlitz zurück, bevor sie sich freudetränenweinend an mich klammert und meinem Schöpfer für das Zurückkehren dankt.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
inùdoy – Sohn (Khuzdûl)
amad – Mutter (Khuzdûl)
bunnanunê – mein kleiner Schatz (Khuzdûl)
azaghâlithûh – mein junger Krieger (Khuzdûl)
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top