Düstere Verheißung

Thorins Haltung wirkt angespannt, während er auf dem Wall stehend dem unablässigen Gekrächze des riesigen Raben zuhört, der auf seiner Hand Stellung bezogen hat. Mir scheint beinahe, als könnte ich jeden zum Zerreißen gestrafften Muskel an seinem Körper erfassen und sehen, wie die immer mehr werdende Unruhe durch ihn hindurchströmt und seine Kiefer sich aufeinanderpressen lässt, sodass die Knochen hervorkommen. Das Gefieder des Unheilbringers glänzt mystisch in der Wintersonne, und wäre die Situation eine andere, die wunderschönen blau-schwarz-grünen Reflexionen wären faszinierend anzusehen. Mit jedem Atemzug wird Thorins Gesicht finsterer und ein unglaublich mächtiges unangenehmes Gefühl ergreift mich bei seinem Anblick. „Bei Mahal!", stößt Dwalin neben mir entsetzt aus und augenblicklich wünsche ich mir mehr als alles andere, dass ich den Raben auch verstehen könnte. Als dieser nach schier endlos erscheinenden Minuten mit dem Überbringen seiner Nachricht fertig ist, streicht Thorin leicht über sein Gefieder und wispert etwas in einer fremdartig-fauchenden Sprache zu ihm. Mit einer auffordernden Handbewegung lässt er den Raben danach in den Himmel aufsteigen, der augenblicklich krächzend mit kräftigen Flügelschlägen in Richtung Südosten verschwindet. Die kehligen Rufe werden von den schneebedeckten Berghängen zurückgeworfen und breiten sich dadurch bedrohlich klagend über die ganze Ebene aus.

Thorin stützt sich erschöpft-haltsuchend auf der steinernen Brüstung vor ihm ab, krallt die vor Anspannung zitternden Finger um das Gestein und schließt gelähmt wirkend seine Augen. Unbändige Besorgnis ob der Ungewissheit nimmt gnadenlos Besitz von mir, als ich seine noch nie gesehene gedrückte Haltung zu interpretieren beabsichtige und langsam auf ihn zugehe. „Thorin ... was hat der Rabe gesagt?", frage ich ihn leise, aber er scheint mich nicht wahrzunehmen ... zu tief ist er in seinen düsteren Gedanken versunken. „... Thorin ...?!", versuche ich erneut eindringlich ihn zu erreichen und umfasse zärtlich seine Hand, und jetzt scheint er meine Anwesenheit überhaupt erst zu bemerken. Er lächelt mich gequält an, schließt mich unerwartet fest in seine Arme und erlaubt sich einen Moment der Schwäche lang, das Gesicht verbergend in meinen auf den Schultern liegenden Haaren zu vergraben und beinahe unhörbar verzweifelnd auszuatmen, was mir unvermittelt noch mehr Furcht und Entsetzen bereitet. Wie automatisiert festige ich die Umarmung und erschaudere, als ich das befremdliche Beben seines sonst so stabilen und unerschütterlichen Körpers unter den Fingern wahrnehmen kann. Für eine gefühlte Ewigkeit verharrend wir in dieser Position ... die Welt um uns herum zerfällt und die besorgte Enge in meiner Brust wird noch grausamer und beklemmender.

Ich habe ihn begleitet durch Kummer und Verzagtheit, beigestanden in Momenten der absoluten Hoffnungslosigkeit und getröstet im Angesicht von Leid und Tod ... aber noch nie musste ich erleben, dass er so nahe am Abgrund der totalen Entmutigung stand, schwankend in Geist und Körper, bereit die Grenze zur Aussichtslosigkeit zu überschreiten und sich in den Tiefen der Verzweiflung zu verlieren. „Du bist hier ...", flüstert er kaum hörbar ... die Worte nur ein Hauch im eisigen Wind, der durch die Felsspalten pfeift. „Ich werde immer hier sein ..." Mein Versprechen, kraftvoll trotz der Lautlosigkeit ... es scheint ihn unerwartet zu stabilisieren, als würde es sich wie fester Stein um ihn legen. „Wie Fixsterne am Firmament ... thatûru'durin ... adjun'ni binadjân", murmelt er und ich spüre wie die Hoffnung und Zuversicht allmählich zurückkehrt.

Erst als er sich wieder von mir löst und sanft an den Schultern von sich wegschiebt, beginnt er sich zu erklären ... Eru sei dank gefasster wirkend als vor wenigen Sekunden noch. „Eine Heerschar Orks, Warge und Trolle unter der Führung von Azog ist auf den Weg hierher ... tausende ... und wenn nicht noch ein Wunder geschieht, werden sie morgen zur Mittagszeit den Berg erreichen", klärt er mich ohne weitere Umschweife auf. In seinen Augen kann ich die erneut auftauchende namenlose Furcht erkennen, die sich ebenfalls augenblicklich meinem Herzen bemächtigt und mich begreifen lässt, warum er für einen Moment keinerlei Ausweg und Zukunft sah. Fassungslos schlage ich die Hände vor dem Mund zusammen, um nicht laut aufzuschreien und die aufkommende Übelkeit in meinem zitternden Körper zu unterdrücken. Warum ... warum nur kann uns kein Leben in Frieden gewährt werden?

„Und was tun wir jetzt?", möchte Dwalin von seinem König wissen und tritt neben uns. „Ich habe bereits vor einigen Wochen meinen Vetter Dáin aus den Eisenbergen um Unterstützung ersucht", beginnt Thorin ungewöhnlich ruhig in dieser Situation und ich erkenne in seiner Stimme ein klein wenig Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit. „Der Rabe berichtete mir, dass er bereits mit 500 Zwergenkriegern auf den Weg hierher ist. Ich habe ihn eben eine Nachricht über die veränderten Umstände zukommen lassen und wenn Mahal uns gnädig ist, wird er morgen in den frühen Morgenstunden hier eintreffen." Noch immer starre ich ihn fassungslos an und lasse dann kraftlos meine Hände sinken. „Du willst gegen die Orks kämpfen?", frage ich ihn entsetzt, ungläubig darüber, dass er einen Krieg riskieren möchte, nachdem der Erste gerade so mühsam von uns abgewandt wurde. Thorin löst sich von mir und läuft mit festen Schritten auf die Treppe zu, die ihn wieder von der Mauer bringt. „Ich muss ... ich lasse mir diesen hart erkämpften Frieden und meine Zukunft nicht wieder nehmen ... nicht von Azog und seinem madigen Fußvolk", stößt er ungehalten aus und stapft kraftvoll und selbstbewusst die Stufen hinab ... Dwalin und ich folgen ihm schnell nach einem kurzen Blickwechsel.

Auf der Hälfte der untersten Treppe bleibt Thorin stehen, sodass die anderen Zwerge, Thranduil, Bard und Gandalf ihn gut sehen können. Sie schauen mit erwartungsvollen und ernsten Blicken zu ihm hinauf, vermuten sie doch auch, dass der Rabe keine guten Nachrichten gebracht hat. Um ihn zu stärkend, platziere ich mich hinter Thorin und versuche so gefasst wie nur möglich zu erscheinen ... weiterhin der Fixstern zu sein, auf den er sich verlassen kann ... obwohl mein Innerstes am liebsten laut und verzweifelt aufschreien möchte. Unerwartet fühle ich plötzlich eine stützende Hand auf meinem Rücken zum Erliegen kommen, verborgen vor den Blicken anderer und danke Dwalin still, dass er mir beisteht. Gerade heraus setzt Thorin die Anwesenden über die gefährliche Bedrohung in Kenntnis und der namenlose Schrecken springt augenblicklich in ihre Gesichter über. „Sie werden bereits morgen eintreffen und keinen von uns am Leben lassen, wenn wir ihnen nicht entgegentreten!", sagt Thorin kraftvoll und betrachtet dann ernst Thranduil und Bard. „Auch wenn mein Vetter Erebor unterstützen wird, hoffen wir dennoch auf den Beistand der Elben und Menschen, um diese elendigen Kreaturen aus unseren Landen zu vertreiben ... damit Frieden herrschen kann und unsere Völker eine Zukunft ohne Angst erleben können", sagt er bedeutungsvoll. Bard und Thranduil tauschen vielsagende Blicke aus und letztendlich ist es der Mensch, der das Wort an Thorin richtet. „Majestät, ich möchte Euch zusichern, dass ihr die bedingungslose Unterstützung der Menschen und Elben bei dieser Schlacht habt. Unsere vereinten Schwerter, Äxte und Bögen mögen die Feinde, die unseren Frieden bedrohen, in die Flucht schlagen und den staubigen Boden mit ihrem Blut tränken, sodass daraus neues Leben erwachsen kann." Bards Worte sind so voller Kraft und Zuversicht, dass wir Alle neuen Mut in der Verzweiflung des Moments aus ihnen fassen können.

Geräuschvoll schließe ich hinter mir die Tür zu meinen Gemächern und lehne mich erschöpft gegen das dunkle Holz. Noch immer muss ich mit der Übelkeit und dem Schwindel kämpfen, die unbarmherzig mein Innerstes umklammert halten. Ich habe so fürchterliche Angst um Thorin und meine Freunde ... meine Brüder. Auch wenn die Situation eine andere ist als noch vor wenigen Stunden, so ist sie nicht minder furchteinflößend und bedrohlich. Azog wird nichts unversucht lassen, um die Blutslinie Durins auszulöschen, so wie es schon immer sein Plan war. Die Linie Durins ... und damit Filis, Kilis und Thorins Leben ... eine neuerliche Welle Unwohlsein ergreift von meinem Kopf besitz und lässt meinen Magen rebellieren, als sich aus dieser Bedeutung ein reißender Strudel bildet, der mein Dasein erbarmungslos in die Leere der Hoffnungslosigkeit zerrt. Schnell presse ich meine Hand vor den Mund und erreiche gerade noch rechtzeitig den Abort, um das Wenige, das ich heute bereits zu mir genommen habe, in ihm zu entleeren.

Nun gänzlich entkräftet und mutlos sacke ich zusammen und lehne mich gegen die hölzerne Verkleidung. Die namenlose Furcht um das Leben meines Geliebten kriecht unbarmherzig in meine Glieder und lässt sie erzittern. Wie von selbst beginnen die seelenwunden Tränen meine Wangen hinab zu rinnen und hinterlassen brennende Spuren auf der Haut. Angst vor dem Ungewissen, der Dunkelheit, grausamen Orks, dem Drachen, den Wahnsinn der Drachenkrankheit ... all das war Nichts im Vergleich zu der Panik und Verzweiflung, die mich zu erdrücken scheinen wie tonnenschwere Gesteinsbrocken, die in einem unablässigen Bergsturz über mich hinwegdonnern. In dem verzweifelten Versuch den Schmerz und den Kummer zu lindern, die sich meinem Leben bemächtigen und es in tausende Scherben zerspringen lassen, schluchze ich qualvoll auf.

In diesem völlig aufgelösten Zustand findet mich schließlich Thorin und zieht meinen angstgelähmten Körper nach oben. Bedächtig setzt er mich auf die Kante des Bettes und versucht mich mit einer inniglichen Umarmung zu beruhigen. Verzweifelt haltsuchend kralle ich meine Finger in das Fell seines Mantels, vergrabe das tränennasse Gesicht in seiner Halsbeuge und versuche so viel von seinem Geruch und der Wärme wie nur irgend möglich in mich aufzunehmen, auch um zu spüren, dass er noch immer bei mir ist ... und am liebsten würde ich ihn niemals wieder loslassen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der nur mein Schluchzen die Stille des Raumes durchbrochen hat, beruhige ich mich langsam wieder. „Musst du wirklich in die Schlacht ziehen?", frage ich ihn schließlich, erstickt durch Fell, Stoff und Haare und noch immer den Tränen nahe, obwohl ich die Antwort bereits weiß. Thorin drückt mich sanft von sich und versucht mit seinen warmen Fingerspitzen die unzähligen Spuren des Leids von der Haut zu löschen. „Es ist meine Pflicht als Herrscher, die Truppen in die Schlacht zu führen", teilt er mir erwartungsgemäß mit und ich senke traurig meinen Blick. „Dann lass mich an deiner Seite kämpfen ...", bitte ich flehend und umklammere seine Hand, als ob unser Leben davon abhängen würde. „Nein, das werde ich nicht zulassen ... die Gefahr dich zu verlieren, ist mir zu groß ... außerdem benötige ich dich hier", erwidert er kopfschüttelnd und legt einen Finger an mein Kinn. „Wir werden die Menschen aus Thal in die unteren Hallen evakuieren und ich brauche dich an ihrer Seite ... damit du ihnen Mut und Zuversicht gibst ... damit du ein Licht in diesen finsteren Stunden für sie bist, zu dem sie hoffnungsvoll aufsehen können", sagt Thorin bedeutungsvoll und lässt seine Lippen hauchzart über die meinen fahren.

Es ist bereits mitten in der Nacht. Das fast verloschene Feuer im Kamin ist die einzige Lichtquelle und hüllt mein Gemach und mich in flackernde Schattenspiele. Ich trage nicht mehr als mein Unterkleid, während ich in den bereits zum Lieblingsort erklärten Sessel seiner Großmutter kaure, nachdenklich in die Flammen starre und auf Thorins Rückkehr warte. Bereits vor Stunden hat er sich mit Bard, Thranduil, Gandalf und unseren Kämpfern zum Kriegsrat zurückgezogen und sein Verbot an mich, daran teilzunehmen, war eindringlich und endgültig. Ich habe den Kopf auf meine angezogenen und umschlungenen Beine abgelegt und versuche somit die Kälte, den Schrecken und die düsteren Gedanken des Abends vor der Schlacht von meinen Gliedern fernzuhalten, die erbarmungslos mit langen eisigen Fingern um sich greifen und beständig danach streben alles und jeden mit sich in das Verderben zu ziehen.

Endlich wird die Tür hinter mir fast geräuschlos geöffnet und schwere Schritte kommen auf mich zu. Ich weiß, dass es Thorin ist ... an der Veränderung der Luft durch seinen Geruch, an der Zunahme der Wärme im Raum und dem aufsteigenden wohligen Gefühl in meinem Herzen und ich frage mich augenblicklich, ob genau das die Besonderheiten sind, warum auch er mich immer ohne Sichtkontakt aufzubauen wie einem Mysterium gleich wahrgenommen hat. Geräuschlos kniet er sich neben mich, anscheinend davon ausgehend, dass ich angesichts der späten Stunde bereits eingeschlafen bin ... aber ich bin schon so lange ohne ihn gar nicht mehr in der Lage dazu.

Nachdenklich betrachte ich sein Gesicht, dass von tiefen, dunklen Augenringen und einer aschfahlen Haut gezeichnet ist. Der Schein des Feuers tanzt auf seinen Zügen und hüllt es in geheimnisvolles Licht. Langsam strecke ich meine Hand aus und verbanne eine widerspenstige silbergraue Haarsträhne hinter das Ohr. „Du siehst müde aus ...", flüstere ich sorgenvoll und lasse die Finger auf seiner Wange zur Ruhe kommen. Thorin ergreift sie sanft und haucht einen liebvollen Kuss auf meine Handfläche. „Es war ein langer, anstrengender Tag und der morgige wird noch um ein vielfaches kräftezehrender", antwortet er bedeutsam und die Aussicht auf das, was er damit meint, lässt mich angstvoll aufschluchzen.

„Ich beteure dir, dass ich wiederkomme", sagt er leise, genau ahnend, weswegen so gewaltiges Trübsal mich ergriffen hat. „Versprich mir nichts, was du nicht halten kannst." Meine Stimme beginnt unwillkürlich zu beben, auch wenn ich mir verboten habe zu weinen. Ich muss stark sein, um seinetwillen und den der Anderen, die ohne Angst zu zeigen ihm bedingungslos folgen werden. „Du unterschätzt mein Kriegsgeschick ...", versucht er mir erheiternd Hoffnung zu geben wo keine ist und lächelt leicht, aber ich schüttle schnell meinen Kopf, in der Sorge, dass er das wirklich denkt. „Nein ... das ist es nicht ... ich weiß, dass du ein hervorragender Kämpfer und Feldheer bist ...", sage ich leise und streiche erneut zärtlich über seine Wange. „Es ist der ungezügelte Hass und der alles beeinflussende Wille von Azog, die Erben Durins auszulöschen, der mir Entsetzen bereitet."

Thorin sieht mich unbeirrt an ... die Augen kämpferisch und entschlossen, das Antlitz unbeugsam und beherrscht, die Haltung majestätisch und ohne Wanken. Und ich erinnere mich daran, wie er Azog auf der Klippe die Stirn bot ... mit gezogenem Schwert und im lodernden Feuersturm wehendem Haar ... wie der Held einer meiner Geschichten ... vielleicht sogar heroischer, als es eine Sagengestalt jemals sein und ein Poet sich diese noch nicht einmal in seinen Träumen ersinnen könnte. Ein König, gekrönt nicht nur durch Geburtstitel ... ein Krieger, geprägt nicht alleinig durch Ausbildung ... ein Heros, erhoben zu diesem mitnichten bloß durch beschönigte Legenden. „Wir werden ihn und seine Söldner bezwingen ... er wird die Linie Durins nicht durchtrennen", schwört er mir erneut und oh wie gerne würde ich ihm nur Glauben schenken.

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thatûru'durin – Sterne Durins (Khuzdûl)

adjun'ni binadjân - Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit (Khuzdûl)

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