Drüber hin und drunten durch
Der Pfad, der uns in die Berge führt, ist noch immer von den grünen Wiesen umgeben, die auch in Bruchtal vorherrschten. Bereits am Ende des ersten Tages haben wir den Beginn des Passes erreicht, der uns halbwegs sicher über das Nebelgebirge bringen soll. Im Schutz zweier zerklüfteter Hügel, die uns vor unerwünschten Blicken verbergen, machen wir Rast für die Nacht, die sich nur langsam über die Landschaft legt. Wir sind guter Dinge und bereiten uns ein üppiges Abendmahl aus den reichlichen Vorräten zu, die wir aus Bruchtal mitnehmen durften.
Danach geht jeder einem Zeitvertreib nach. Einige der Zwerge spielen Karten, während andere ihre Pfeife stopfen und sich angeregt über die Elben unterhalten, sowie sich allerhand Mutmaßungen über die Schrecken und Gefahren erdenken, die uns auf dem Pass erwarten könnten. Um mich nicht jetzt schon zu ängstigen, beschließe ich einen kleinen Spaziergang zu machen, so wie es im Auenland auch gerne nach dem Essen gehandhabt habe. Mein Weg führt mich auf eine kleine Lichtung, auf der ich Thorin und seine Neffen entdecke. Kili sitzt am Waldrand Pfeife rauchend, mit angezogenen Beinen im Gras und beobachtet seinen Bruder, der gerade mit seinem Onkel den Zweikampf mit dem Schwert übt. Ich lasse mich neben ihn in das weiche Grün fallen und schaue den beiden kämpfenden Zwergen ebenfalls ein wenig zu. Thorin führt schließlich eine geschickte Parade aus, mit der er Fili entwaffnet und kampfunfähig macht. Anschließend sagt er im bereits vertrauten Khuzdûl einige Worte und klopf ihm aufmunternd auf die Schulter, bevor sie von neuem beginnen.
„Euer Onkel hat euch wirklich sehr lieb", sage ich leise an Kili gewandt, der leicht lächelnd über meine Feststellung den Kopf senkt. „Nachdem unser Vater gestorben ist ... Fili und ich waren noch sehr klein damals ... hat er sich unser angenommen. Er behandelt uns wie seine Söhne und tut alles dafür, dass wir würdige Nachfolger für den Thron Durins werden." Seine Stimme klingt traurig, als er den Tod seines Vaters Víli anspricht und ich kann ein verräterisches Glitzern in seinen Augenwinkeln entdecken. Balin hat mir einst erzählt, dass er auf einer Erkundungstour von Orks überfallen wurde und nach tagelangen Qualen einsam in der Wildnis starb. „Unsere Mutter war nicht gerade begeistert, als Thorin uns mit auf diese Reise nehmen wollte. Sie zerbracht am Tod unseres Vaters und würde es wohl nicht überleben, wenn wir ebenfalls nicht zurückkommen würden." Ich lege trostspendend eine Hand auf sein Knie. „Ich glaube, da muss sie sich keine Sorgen machen, sie unterschätzt euer Kriegsgeschick, das ihr von eurem Onkel gelernt habt", sage ich aufmunternd, mit einem vielsagenden Kopfnicken in Richtung Thorin und Fili und erhalte ein befreites Lächeln von ihm.
„Bil! Komm, jetzt bist du dran!", zieht Thorins Stimme, die über die Ebene zu uns dringt, plötzlich unsere Aufmerksamkeit auf ihn. Ich schaue ihn ungläubig und erschrocken an. „Ich ... Thorin ... das kannst du nicht ernst meinen ...", kommt es stotternd aus meinen Mund. „Doch das meine ich", winkt er meinen Einwand heftig ab. „Jetzt wo du ein Schwert hast ... wenn man es denn so nennen will ... wirst du auch lernen müssen damit umzugehen. Die Gegenden, die uns erwarten, sind gefährlich und du nützt uns mehr, wenn du wenigstens ein paar Angreifer abwehren kannst, sodass wir und nicht um dich sorgen müssen." Er winkt mich auffordernd zu sich und unumgänglich muss ich nachgeben.
Ich stelle mich mit gezogenem Schwert ihm gegenüber und fühle mich geradewegs lächerlich, so unbeholfen wie meine Haltung wirken muss. Angespannt schaue ich ihn an. „Hast du eigentlich schon einmal eine Waffe in der Hand gehalten?", fragt mich Thorin direkt, als er meine Scheu bemerkt und ich schüttle unsicher meinen Kopf. „Na gut, dann erst einmal die Grundkenntnisse." Er lässt Orcrist in die Scheide gleiten und setzt sich langsam in Bewegung. Einschätzend umkreist er mich und platziert sich schließlich hinter meinen Rücken. „Stehe mit deinem linken Fuß zum Gegner und den anderen im rechten Winkel etwa zwei Fußlängen dahinter. Lass die Knie leicht gebeugt, so hast du einen festen Stand und kannst Angriffe leichter parieren." Ich versuche seine Anweisungen Folge zu leisten und als ich nach seiner Meinung nach richtig stehe, greift er nach meinem Arm. „Du hältst das Schwert mit beiden Händen fest und lässt es dicht an deinen Körper entlang nach hinten unten zeigen." Thorin lehnt sich an mich und bettet seine Hände wie selbstverständlich auf meinen Hüften. „Wenn du angreifst, gehst du einen Schritt nach vorne, drehst deinen Körper und holst aus, sodass du den Gegner von unten nach oben triffst. Damit kannst du auch gut Angriffe von oben abwehren." Er übt leichten Druck aus und drängt mich nach vorne. Ich atme unbewusst scharf ein, als ich sein Becken deutlich an meinem spüren kann. Selbst während der Nacht kommen wir uns nicht so nahe wie jetzt. Mein Herz beginnt unbewusst schneller zu schlagen und scheint mir fast aus der Brust springen zu wollen. Eine ungekannte Wärme steigt in meinem Inneren auf und durchflutet ihn mit einem namenlosen Gefühl, das ich weder verstehe noch beschreiben kann. Ob ihm überhaupt bewusst ist, was sein Verhalten mit mir anstellt?!
Thorin zeigt mir noch etliche weitere Angriffs- und Verteidigungsarten, sodass ich kurze Zeit später mit ihm in den Zweikampf gehen muss. Er nimmt anfangs deutlich Rücksicht auf mich, aber je besser ich mich in die doch erstaunlich sehr leicht zu erlernenden Schritte hineinfinde, umso mehr provoziert er abweichende Angriffe und lockt mich aus der Reserve. Das Klirren unserer aufeinandertreffenden Klingen schallt über die Ebene und wird von den Felswänden zurückgeworfen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hört er endlich auf mich zu quälen. Ich wische mir mit den Handrücken kleine Schweißperlen von der Stirn, während er auf mich zukommt. „Wirklich sehr gut, du lernst schnell", lobt er mich unerwartet und legt anerkennend seine Hand auf meine Schulter. Ich lächle ihn erleichtert und dankbar an und er erwidert dieses, aber dieses Mal länger und herzlicher, als ich es jemals bei ihm sehen konnte. Das ungewohnte Spiel seiner Mundwinkel lässt ihn so unglaublich anders aussehen ... irgendwie anziehender ... ja beinahe herzlich und möglicherweise sehe ich ihn so, wie es vielleicht nur seine engsten Vertrauten können. Plötzlich höre ich Beifallsbekundungen vom Waldrand zu uns herüberdringen, die mich von seinem wundervollen Lächeln ablenken. Überrascht schauen wir in die Richtung, aus der der Applaus kommt. Alle Zwerge und Gandalf stehen dort und klatschen begeistert. Ich spüre, wie augenblicklich die Schamesröte in meinem Gesicht aufsteigt und schaue verlegen auf meine Füße.
Am nächsten Morgen beginnen wir mit dem beschwerlichen Aufstieg. Viele Tage lang müssen wir bergauf laufen, auf einen steinigen und gefährlichen Weg, der sich einsam und gewunden die Felswand hinauf schlängelt. Die Nächte sind unbehaglich, denn die nasse Kälte und der eisige Wind, die hier oben herrschen, kriechen wie eine Schlange auch unter den dicksten Überwurf.
Alles geht so weit gut, bis wir eines Nachts in ein fürchterliches Gewitter geraten, dass ich in einer solchen Intensität in meinem Leben noch nie erlebt habe. Der Donner grollt über unsere Köpfe hinweg, lässt die Felsen beben und breitgezackte, gleißend helle Blitze durchzucken den dunklen, wolkenverhangenen Nachthimmel. Unter einem Felsvorsprung haben wir Schutz für die Nacht gesucht, aber durch den unerbittlichen Wind, wird Regen und Hagel auch dort zu uns geweht. Er schlägt mir ins Gesicht und fühlt sich wie tausende kleine Nadelstiche an, so unglaublich kalt sind die Tropfen. Ich lehne an der schroffen, kalten Felswand, habe schützend meine Decke um mich gelegt und zittere dennoch am ganzen Leib. Wie gerne würde ich jetzt in meinem gemütlichen Sessel, vor einem prasselnden, wärmespendenden Feuer sitzen und meinem pfeifenden Teekessel zuhören.
Unsere Ponys scheuen vor Angst über die Naturgewalten und ich kann ihr Entsetzen nachvollziehen. Thorin kommt auf mich zu, sieht anscheinend meine bibbernden Lippen und beugt sich zu mir hinunter. Vorsichtig streicht er mir eine triefendnasse Haarsträhne aus dem Gesicht ... seine Hände sind warm und trocken, fast so wie ein Kaminfeuer. „Hier können wir nicht bleiben", sagt er schließlich an Gandalf gewandt, grollend laut, damit er den Donner des Gewitters und der herabfallenden Gesteinsbrocken überwinden kann. „Wenn wir nicht erfrieren, ertrinken oder vom Blitz oder einem Felsbrocken getroffen werden, dann erwischt uns vielleicht einer der Steinriesen." Suchend blickt sich der Zauberer um. „Hier gibt es viele Höhlen ... aber wir müssen achtsam sein, so einiges an dunklem Getier treibt sich in diesen herum." Kili und Fili werden schließlich losgeschickt, um einen geeigneten Unterschlupf zu suchen. Ich schaue ihnen besorgt nach, als sie hinter einer Felsnase verschwinden, aber nur wenig später tauchen ihre durch Kapuzen verhüllten Köpfe wieder auf und ich atme erleichtert aus. „Wir haben eine trockene Höhle gefunden, nicht weit von hier. Sie ist groß genug für uns und die Ponys", berichten sie aufgeregt. In Windeseile packen wir unsere Sachen zusammen und machen uns auf den Weg.
Ich dränge mich dicht an die Felswand, damit der Wind meinen Körper nicht erfassen kann. Vorsichtig taste ich mich Schritt für Schritt vor, immer darauf bedacht, die Anderen nicht zu verlieren, da ich als Letztes gehe. Plötzlich lösen sich lärmend hinter mir gewaltige Steinbrocken aus der Wand und fallen krachend in die Tiefe. Angsterfüllt schaue ich mich um und sehe, wie sich ein Steinriese aus dem Fels löst. Sein Knie ist der Felsvorsprung, unter dem wir noch vor kurzen gerastet haben. Meine Augen weiten sich vor blankem Entsetzen und ich kauere mich auf den Boden, damit mich die herunterfallenden Steine nicht treffen. Ich sehe noch, wie die Zwerge zu mir zurückhasten und dann gibt der Fels unter meinen Füßen nach.
Verzweifelt versuche ich einen Angstschrei auszustoßen, aber kein Laut kommt über meine Lippen. Meine Hände finden an dem glitschigen Gestein keinen Halt und so falle ich sehr tief, bis ich schließlich, und zum allergrößten Glück, einen Vorsprung umklammern kann. Ich mobilisiere meine gesamten Kräfte, um nicht loslassen zu müssen, aber dennoch rutsche ich Stück für Stück ab. Endlich dringt ein Schrei, angetrieben aus Todesangst, aus mir und ich sehe Augenblicke später die Köpfe der Zwerge über die Kante zu mir hinunterschauen. Sie strecken die Hände aus und Gandalf versucht mich mit seinem Stab zu erreichen, damit ich mich daran hochziehen kann ... aber ich komme nicht heran. Den sicheren Tod bereits vor Augen, lässt sich plötzlich Thorin auf einen Vorsprung neben mir hinabgleiten. Er schnappt nach mir und zieht mich mit seinen großen, starken Händen und mit einer unfassbaren Leichtigkeit nach oben, sodass ich an Gandalfs Stab gelangen kann. Mit vereinten Kräften hieven sie mich auf den Pfad und endlich habe ich wieder halbwegs sicheren Boden unter den Füßen. Thorin versucht aus eigener Stärke zu uns hinaufzugelangen, aber plötzlich rutscht auch er ab und hätte Dwalin nicht geistesgegenwärtig nach seinem Mantel gegriffen, wäre er vielleicht für immer in den Tiefen des Nebelgebirges verschwunden.
Ich kaure auf dem Boden und die stillen Tränen laufen in Strömen über mein Gesicht. Nicht nur, weil ich um mein Leben, sondern auch kurzzeitig um das von Thorin, grauenhafte Angst hatte. „Fast hätten wir unsere Meisterdiebin verloren!", stößt Dwalin atemlos aus und klopf Thorin erleichtert wirkend auf die Schulter. Dieser dreht sich zu mir um und sieht mich mit einem finsteren Blick an. „Sie ist verloren, seitdem wir aufgebrochen sind! Sie hätte nie mitkommen sollen ... sie gehört nicht zu uns!" Seine Worte treffen mich unbeschreiblich hart und ich schlage eine Hand vor meinen Mund, um ein leises Schluchzen zu unterdrücken. Ori zieht mich schließlich nach oben und begleitet mich in die schützende Höhle, nachdem bereits alle anderen an mir vorbeigelaufen sind.
Der steinerne Torbogen, der den Eingang zur Höhle kennzeichnet, ist gerade breit genug, dass wir uns hindurchzwingen können. Drinnen ist es trocken und sogar halbwegs warm, wenn man die Kälte draußen dagegenhält. Donner, Blitze, Regen und Steinriesen können uns hier nichts mehr anhaben. Sie scheint verlassen zu sein, aber dennoch untersuchen wir jeden noch so kleinen Winkel im Schein von Gandalfs Stab gründlich. Als wir nichts Verdächtiges finden können, lassen wir uns erschöpft nieder. Die Ponys stehen dampfend im hinteren Teil der Höhle und sind sichtlich froh, über den schützenden Ort. Oin und Gloin wollen ein Feuer entzünden, um unsere nassen Sachen trocknen zu können, aber Gandalf verbietet es ihnen. Also breiten wir diese auf dem Fußboden aus und nehmen uns trockene aus den Bündeln.
Ich schnüre gerade meine Miederweste über der Bluse, als Bofur auf mich zutritt. „Nimm dir Thorins Worte bitte nicht zu Herzen, er hat sie bestimmt nur unter dem Einfluss seiner Angst gesagt", versucht er mich aufzumuntern, denn wie den Anderen auch, ist ihm mein trauriges Gesicht aufgefallen. Ich stoße einen verächtlichen Ton aus und fahre mit den Händen über die schmerzenden Augen. „Ist schon gut, Bofur", setze ich traurig zu einer Erwiderung an. „Er hat doch recht ... was suche ich überhaupt hier?! Bis jetzt bin ich nur eine Last für euch. Am besten wäre es, wenn ich wieder zurückgehe." Er schüttelt energisch seinen Kopf, sodass die davon abstehenden Enden seiner Mütze beben. „Sag bitte so etwas nicht, Bil, du bist uns keine Bürde, sondern ein Teil von uns." Ich schaue ihn mit erneut tränengefüllten Augen an, erinnern mich seine Worte doch daran, dass Thorin genau das Gegenteil behauptet hat. „Bleib bitte bei uns. Auf eine gewisse Weise brauchen wir dich ... Thorin braucht dich", sagt er sanft und legt trostreich eine Hand auf meine Schulter. „Wofür sollte er mich schon brauchen? Selbst über meine Fähigkeiten als Meisterdiebin bin ich mir nicht sicher." Ich schließe meine Augen und letztendlich treten die Tränen doch stumm unter meinen Lidern hervor. „Seitdem du uns begleitest, ist Thorin anders geworden ... irgendwie ... Gelöster und Herzlicher ... er lacht viel mehr." Seine Worte spenden mir tatsächlich einigermaßen Trost und ich lächle ihn gequält an.
Als wir ein durch das fehlende Feuer eher dürftiges Abendmahl zu uns genommen haben, schlafen wir begleitet von dem draußen noch immer grollenden Donner ein. Nur ich liege noch eine ganze Weile wach und denke über Thorins und Bofurs Worte nach. Vor meinem inneren Auge erscheint das Lächeln des Thronfolgers, das ich auf unserer gemeinsamen Reise tatsächlich schon einige Male zu sehen bekommen durfte, wenn auch größtenteils nur flüchtig und meist nicht im Beisein seines Gefolges. Aber dennoch muss es den anderen Zwergen aufgefallen sein.
Ich schließe von der bleiernen Müdigkeit unterworfen letztlich doch meine Lider und gleite in einen schrecklichen Albtraum, geboren aus einer längst vergessenen Erinnerung.
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Retrospektive Bil
Die lauten Stimmen meiner Eltern durchdringen die sonst so friedliche Stille unserer Höhle und selbst die dicke Decke, unter der ich mich Schutz suchend verkrochen habe, kann sie nicht von meinen kindlichen Ohren fernhalten. „Du bist unmöglich ... wer gibt dir das Recht mich so zu behandeln und eine solche Beschuldigung auszusprechen?!", höre ich meine Mutter erbost schreien und weiß, dass sie damit auf die Szene hinauswill, die mein Vater ihr während des Sommersonnenwendfest meines Großvaters, von dem wir eben wiedergekommen sind, hinauswill. Sie hatte sich erlaubt mit einigen Zwergen aus der Ered Luin, die zu Besuch in den Tukbergen waren, länger als es meinen Vater recht war zu reden. „Du hast dich doch nur nach ihm erkundigt ... ich habe dir gesagt, dass du ihn vergessen sollst!", brummt er zurück. „Wie kannst du es wagen, das von mir zu verlangen?!", entgegnet meine Mutter ebenfalls zornig. „Er war mein Freund und ein besserer Mann, als du es jemals sein wirst!" Plötzlich bricht ihre Stimme unter aufkommenden Tränen. „Dann geh doch zu ihm ... deinem König ohne Krone ... ehrlos und gefallen ... ohne Reich und Macht!" Mein Vater speit die verächtlichen Worte nur so aus und plötzlich höre ich unsere schwere Eingangstür krachend ins Schloss fallen und dann ist alles still.
Langsam und ängstlich komme ich unter der Decke hervor, klammere mich an das kleine Schaf, das mich seit meiner Geburt begleitet, und öffne vorsichtig meine Zimmertür. Leise schleiche ich durch die verlassenen Zimmer und finde schließlich meine Mutter, zusammengekauert und bitterlich weinend auf dem Boden in ihrem Schlafzimmer sitzen. Sofort setze ich mich in Bewegung und als sie mich bemerkt, schließt sie ihre Arme um meinen ob ihres Anblickes zitternden Körper. Schmerzliche Tränen fallen auf meine Haare und Wangen und ich vergrabe meine kleinen Hände in dem Stoff ihres Kleides, in dem verzweifelten Versuch sie zu trösten. „Es tut mir leid, Ghivashel ...", wimmert sie entschuldigend. „Warum ist Papa böse auf dich?", frage ich sie wispernd und sie betrachtet mich mit tränennassem Gesicht. „Ich habe die Zwerge vorhin nach einem alten Freund gefragt, den dein Vater nicht mag", gibt sie zu und erneut treten Tränen in ihre Augen. „Aber man muss doch wissen, wie es seinen Freunden geht", antworte ich verwundert und umarme sie trostspendend und in diesem Moment wird die Tür krachend geöffnet.
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Von dem plötzlichen lauten Geräusch in meinen Traum aufgeschreckt, wache ich zusammenzuckend auf und benötige einige Sekunden, um mir bewusst zu werden, wo ich mich befinde. Mein Blick gleitet durch die stille Dunkelheit und dann erkenne ich etwas Ungewöhnliches ... ein breiter Spalt klafft plötzlich in der vorhin noch massiven Rückwand der Höhle und ich kann gerade noch so den Schweif eines unserer Ponys darin verschwinden sehen. Entsetz schreie ich auf und Augenblicke später stürmen Orks aus dem Durchgang hervor. Wie Wasser quellen sie in die Höhle hinein ... groß, massig, lärmend und abgrundtief hässlich. Ehe wir uns versehen, stürzen sie sich auf die Zwerge und mich und zerren uns in die Finsternis. Selbst ich kann die Hand nicht vor meinen Augen sehen ... wenn ich denn Gelegenheit gehabt hätte, diese vor meine Augen zu halten ... denn die Orks umklammern uns mit groben, schmerzhaften Griffen und hasten durch die stinkenden Gänge. Nur vereinzelt kann ich die wüsten Beschimpfungen der Zwerge vor mir hören und daraus erahnen, dass es ihnen soweit gut geht. Die Stollen führen weit hinein in den Berg und mit jedem fallenden Meter wird die Luft stickiger. Die grunzenden Laute der Orks hallen unnatürlich laut von den Felswänden wieder, als sie uns mit Peitschen, Fußtritten und unsanften Stoßen vorantreiben.
Sie sind überall ... vor mir ... hinter mir ... neben mir ... und mitunter krabbeln sie sogar an der Decke über mir entlang. Ich sehe undeutlich ihre verschwommenen Schatten und plötzlich ergreife ich die Gelegenheit, als mich mein Bewacher kurz loslässt und bleibe einfach stehen, drücke mich schnell an die Wand des Stollens und halte sicherheitshalber sogar die Luft an. Und tatsächlich, die Orks gehen einfach an mir vorbei ... es hat also auch Vorteile, klein und unbedeutend zu sein.
Ich atme erleichtert aus und ziehe mein Schwert aus der Scheide und genau wie Gandalf gesagt hat, leuchtet es blass-bläulich wie das Licht der Sterne in Anwesenheit von Orks. Mit seiner Hilfe taste ich mich in der undurchdringlichen Schwärze der Höhle langsam vor, immer darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen. Doch plötzlich höre ich ein grauenhaftes Grunzen hinter mir und entdecke einen Nachzügler. Sofort begebe ich mich in Kampfposition und danke im Geiste Thorin tausende Mal, dass er sie mir gezeigt hat. Der Ork rast mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf mich zu und ich sehe das dreckige Metall des Krummschwertes in seiner verkrüppelten Hand aufblitzen. Einige Male kann ich seinen Angriff abwehren und als ich zum Schlag aushole, treffe ich ihn tatsächlich und die Klinge meines Schwertes dringt durch das Fleisch des Orks, als wäre es lediglich Butter. Mit einem letzten lauten grunzenden Aufschrei stürzt er zu Boden und dann ist wieder alles still. Sofort flackert das Licht meines Schwertes und verlischt schließlich ganz, denn auch die anderen Orks sind bereits außer Reichweite, und die schreckliche Düsternis umschließt mich erneut.
Außer meinem schnellen Atem und das leise Tröpfeln von Wasser, dass die kahlen Steinwände hinabfließt, höre ich lange überhaupt nichts und wie versteinert wage ich es nicht mich zu bewegen. Ich sehe in die Richtung aus der wir gekommen sind und dann in die, in der ich meine Gefährten vermute ... obwohl ich mir bei beidem nicht mehr sicher bin, dass es auch so ist, denn während des Kampfes habe ich die Orientierung weitestgehend verloren. Ich halte mir die Hand vor den Mund, damit ich das verzweifelte Schluchzen unterdrücke, dass ihn entkommen möchte und die heißen Tränen der Mutlosigkeit und des Kummers laufen über meine Finger.
Plötzlich höre ich ein krächzendes Atmen auf mich zukommen. Angsterfüllt stiere ich in die Dunkelheit und dann erahne ich den Verursacher dieses schaurigen Geräusches: Eine knochige Gestalt, mit unnatürlich langen, spillrigen Extremitäten und im Gegensatz dazu überdimensionalen Kopf, der mit ein paar wenigen Haaren bedeckt ist. Es kommt aus der Dunkelheit geschlichen wie ein Tier. Seine großen Augen fangen wie die einer Katze jegliches Licht auf und werfen es als gelblichen Schein zurück. Ich halte automatisch die Luft an, um ja keinen verräterischen Laut zu produzieren. Auch wenn dieses Wesen ungewöhnlich aussieht, so kommt mir seine Erscheinung doch in gewisser Weise bekannt ... ja sogar vertraut vor. Ich ducke mich hinter eine kleine Felsnase, die aus dem Boden ragt, damit es mich nicht sehen kann.
Die Kreatur beugt sich über den von mir getöteten Ork, schnüffelt an ihm herum und stößt daraufhin einen angeekelten Laut aus. Allerdings greift es dennoch nach dessen Bein und schleift ihn in die Richtung, aus dem es gekommen ist. Ich sehe mich noch einmal um und wie einen inneren Drang folgend, beschließe ich hinter der Kreatur hinterher zu schleichen.
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