Der Preis der Schlacht
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Der Trauerzug, der den verwundeten und totengleichen Körper des triumphierenden Königs in den Berg begleitet, ist prunklos und schleppend. Die wenige Kraft, die ich nach Schmerz und Kampf und Mysterium noch aufbringen kann, verwende ich ganz darauf das erschreckende Grauen um mich herum auszublenden ... Aber bei allem Willen, es gelingt mir nicht ... Blutgetränkte Erde, leblose Körper, zerbrochene Waffen ... Schrilles Wehklagen über Gefallene schmerzt in den Ohren, ekelerregender Gestank von einsetzender Verwesung beißt in der Nase und die aufsteigenden Rauchschwaden aus aufgetürmten Scheiterhaufen verkohlender Feinde brennen in den Augen und erschweren die Sicht. Stinkender Tod und gerinnendes Blut und fließende Tränen säumen unseren Weg zu den stolzen, noch immer verbarrikadierten Toren des Berges.
Die Schlacht ist gewonnen ...
Aber zu welchem Preis ...
... Zu ... welchem ... abscheulichen ... Preis ...
Ehrfurchtsvolles und freudloses Murmeln empfängt uns, als wir in die schattengedämpften Hallen von Durins Volk treten. Die trotz alledem tränenreiche Verkündigung über den tapferen und von unwiderruflichem Sieg gekrönten Kampf des heroischen Kriegers gegen seinen Erzfeind ist vom Schlachtfeld bereits in die steinernen Mauern gesickert ... Nein ... nicht Krieger ... verbessern etliche der Anwesenden demütig flüsternd ... Herrscher über die Zwergenheit ... denn das ist, was Thorin ... dem man einst glanzvoll den Ehrennamen Eichenschild gab ... selbst in der Bewusstlosigkeit jetzt uneingeschränkt ist ... Er, der im Exil lebte und niemals aufgab ... er, der den Drachen besiegte und sein Heimatland zurückeroberte ... er, deren Auserwählte ihn von den Klauen des eigentlich unnachgiebigen Todes befreite.
Als Kriegsherrin ehren sie mich achtungsvoll, während wir an ihnen vorbeiziehen und verbeugen sich tief ... Bezwingerin Mandos ... Drachenflüsterin ... Lebensspenderin ... Durins Stern der Hoffnung ... Königin der Könige. Der seltsame und trauergedämpfte Respekt mit dem die Zwerge, Menschen und Elben mir begegnen ist beschämend, fühle ich mich doch nicht einmal annähernd nach den Titeln, mit denen sie mich anrufen. Unter all dem grauen Schlamm und dem schwarzen Blut und dem wunden Leid bin ich klein und unwürdig im Angesicht des Gegenwertes, den die ruhmreiche und in die Annalen der Völker eingehende Schlacht gefordert hat und stumm neben mir hergetragen wird.
Dáin und einige seiner Heerführer warten an dem dunklen Aufgang zu den Gemächern der Königsfamilie, die Köpfe gleichfalls in Anerkennung und Trauer gesenkt, als sie uns näherkommen sehen. Aber die Freude über sein augenscheinlich wohlbehaltenes Zurückkehren vom Schlachtfeld währt nur kurz in meinem Herzen. „Majestät, verzeiht mir, dass ich nicht an seiner Seite stand um das Vermeidbare zu vermeiden, so wie ich es meine Pflicht gewesen wäre", äußert Dáin verbittert und ich sehe die düstere Schwermut in den Augen, als er seinen Vetter betrachtet. Ausgesprochen höfliche und bedachtsame Worte für den sonst so wuchtigen Herrscher, so als ob die Gram auch sein verwegenes Gemüt betäuben würde. „Ich bitte Euch, Lord Dáin, nennt mich nicht so und macht Euch keine Vorwürfe ... was geschehen ist, ist geschehen", entgegne ich ruhig und bin froh über die warme Hand von Balin, die stärkend auf meinem Rücken ruht, denn ohne sie, da bin ich mir sicher, würde ich kollabieren unter der Last der Pflichtverletzung, die ich mir so wie er selbst anlaste. „Dennoch meine Herrin, erlaubt mir Euch zu unterstützen, wenn es in meiner Macht steht", bietet er an und ich neige meinen Kopf in Dankbarkeit, unfähig weiterhin die Kraft für hoffähige Worte aufzubringen. Dáin verbeugt sich vor mir und weißt seine Kommandanten still an uns zu helfen den König in seine Gemächer zu bringen.
Der Anblick von Thorins geschundenem Leib in seiner Gänze ist entsetzenerregend, als Oin und ich ihn aus den zertrümmerten Überresten der einst glanzvollen Rüstung schälen. Blaue Flecken und Schürfwunden, Quetschungen und Bisse, tiefe Schnitte, die bis zu den Muskeln reichen, rotes Blut und schwarzer Schmutz ... Bei Aule, er erscheint wie unrettbar zerstört und die Unmöglichkeit, dass er noch immer lebt, ist umso unvorstellbarer, je mehr der entsetzlichen Zerschlagung des ehemals kraftstrotzenden Geschöpfes zutage kommt.
Die spärlich blutgestillte Wunde am Arm schmerzt und die von der Kälte noch immer tauben Finger zittern, als ich versuche das heilende, kräuterversetzte Wasser aus dem Leinentuch zu wringen. Behutsam lasse ich den weichen Stoff über den fremdartig anmutenden Körper gleiten, bemühe mich darum so viele der Zeichen des Krieges wie nur irgend möglich von der Haut zu verbannen. Währenddessen Oin sorgfältig unter den ängstlich-trüben Augen von Fili und Kili die kaum zählbaren Wunden versorgt.
Die Luft in den Königsgemächern ist dick ... wie zähe Melasse ... angerührt aus Furcht und Bangen. Sie wabert zwischen uns hindurch und macht das Atmen beschwerlich.
Niemand der Anwesenden spricht ... noch nicht einmal flüsternd ... so als ob sie Angst davor hätten jedes Wort könnte eine neue verheerende Wunde reißen, die ihren König doch noch endgültig in das Verderben stürzt. Die Stille ist beängstigend, denke ich doch, das Lachen des Todes erstickt und spöttisch über unsere Bemühungen in ihr zu vernehmen.
Langsam setzt die Dämmerung ein ... Kerzen werden unaufgefordert und unmerklich gebracht ... und die Blessuren sehen noch katastrophaler aus im warmen und glimmenden Licht der Flammen. Die wenigen Blicke die ich auf meine Brüder und ihre von Entsetzen und Unruhe verzogenen Gesichter erhasche, sind entmutigend. Auch an ihnen klebt hartnäckig das Blut und die Verletzungen der Schlacht sind nur allzu grauenauslösend sichtbar.
Nach gefühlten Stunden beenden wir die mühsame Prozedur der Wiederherstellung des gemarterten Körpers. Thorin ist blass und ungewohnt kalt ... leblos erscheinend, wenn da nicht das leichte Heben und Senken seines von Lagen und Lagen umschlungenen Brustkorbes wäre. Ich höre kaum die geflüsterte Anweisung von Balin, dass der größte Teil der Zwerge das Gemach verlassen soll, und zucke erschrocken und empfindlich durch die Erlebnisse geworden zusammen, als Oin mir eine gutmütige Hand auf die Schulter legt.
Ich bin zu schwach und müde und verloren in namenloser Traurigkeit um zu protestieren oder noch so etwas wie Scham zu empfinden, als er zusammen mit Balin und Fili Stoff und Rüstung von meinem Körper entfernt und beginnt die zahlreichen Wunden zu heilen, die sich auch auf ihm blau und rot ausdehnen. Die vertrauten und geliebten Freunde haben mich in Situationen gesehen, die weit weniger elend und unangenehm waren und die sanft-fürsorglich untersuchenden und versorgenden Hände sind eine Wohltat auf der gepeinigten Haut ... sie spenden Beruhigung und beinahe Trost in der Trostlosigkeit. Aber ich sehe nur allzu unbeschönigt in ihren Augen, wie der zerstörte Anblick sie schmerzt.
Und je mehr des blutstillenden Leinentuchs um meinen Körper geschlungen wird, umso drastischer spüre ich die verehrenden Auswirkungen des Kampfes und der vermeintlich vollbrachten Unmöglichkeit emporsteigen. Mein Brustkorb brennt unsäglich unter den Nachwirkungen der Quetschung und dem beengenden Gefühl der Hilflosigkeit das sich zusammen mit dem Empfinden kläglich versagt zu haben, zu einem belastenden Klumpen aus Schmerz zusammenballt. Ich kann meine Hand kaum mehr bewegen und sie kribbelt, als wären unzählige Ameisen durch die Wunde eingedrungen. Die schleppend aber dafür umso gewaltiger einsetzende Erschöpfung zerrt an Gliedern und Geist und Kili muss mich mehrmals stützend in den Armen halten, damit ich nicht ohnmächtig zusammensacke. Die Betäubung des Verstandes durch Übermüdung und der Haut durch Kräutersalben ist dennoch nicht ausreichend, sodass ich die spitzen Nadelstiche nur allzu unerträglich spüre, mit der Oin die Wunde am Arm näht. Haltsuchend und still den Schmerz veratmend, kralle ich mich in das Fell von Kilis Mantel, ungeachtet der Tatsache, dass es bestialisch nach Blut und Tod stinkt.
Das Unterkleid in das sie mich nach dem beschwerlichen Säubern und Verbinden kleiden ist reinweiß und zart und so unbefleckt von allem Schändlichen ... unangemessen unschuldig wirkend in einer Situation der allgewaltigen Verzweiflung und des Kummers ... in der abwartenden Gegenwart des schwarzen Todes, der uns von Neuem aufgesucht hat und abwartend wie ein alles erstickendes Leichentuch über allem schwebt. Fili geleitet mich zum Bett und es ist die Erkenntnis, dass sie mir uneingeschränkt erlauben an der Seite ihres dem Ende nahen Königs zu verweilen, der mich gerührt aufschluchzen lässt, bevor ich vergraben unter warmen Decken und weichen Fellen in einen ohnmachtsgleichen und zum Glück albtraumbefreiten Schlaf gleite.
Als ich erwache, spüre ich trotz der Ruhe jeden strapazierten Muskel meines Körpers. Die knochentiefe Entkräftung schmerzt in den schweren Beinen und die Wunde am Arm brennt unsäglich. Es kostet ungeheure Kräfte, überhaupt aus dem Dämmerzustand des Halbschlafes emporzukriechen, und ich stöhne gepeinigt auf, als ich versuche die Augen zu öffnen. „Schlaf weiter, Bil ... es ist alles in Ordnung." Die unerwartet einsetzende, kaminfeuerwarme Stimme lässt mich erschrocken zusammenzucken und für einen Moment denke ich, es ist die Thorins. Die aufsteigende Freude ist wie ein Energieschub ... aber als ich dennoch erst nach einiger Mühe die Stärke finde aufzusehen, sind es die Saphieraugen von Fili, die fürsorglich die totenähnlich-ruhenden Kriegsherren bewachen ... und die abgrundtiefe Enttäuschung ist kräftezehrender als jede Strapaze.
Meine beschwerdefreie Hand hat sich in den Stoff von Thorins Hemd vergraben, unbewusst genau dort, wo das kaum wahrnehmbare Pulsieren des anfälligen Lebens gegen Haut und Muskeln schlägt. Er sieht fahl und matt aus ... kaum ein lichtloser Schatten seiner selbst. So empfindlich ... beschädigt über die körperlichen Wunden hinaus. Als ob er zerbröckeln würde wie Sandstein, wenn ich ihn nur stärker berühre ... obwohl er doch immer wie ein unerschütterlicher Fels den Mahlstrom des Leids trotzte ... immer der kräftige Krieger und Herrscher war, der uns alle schützte und beistand ...
„Wie lange habe ich geschlafen?", frage ich schwach und die Worte kommen schmerzhaft kratzend und ebenso klingend aus der trockenen Kehle. „Zwei ganze Tage ... aber das ist in Ordnung ... du hast viel Blut verloren." Fili beugt sich zu mir hinüber und streicht eine Haarsträhne aus dem Gesicht, lässt prüfend die Finger über die Haut fahren. „Du hast kein Fieber ... das ist gut ... Azogs Klinge war also nicht vergiftet", stellt er fest und sein Mund kräuseln sich zu einem erleichterten aber dennoch gequält wirkenden Lächeln. „War Thorin in dieser Zeit wach?", erkundige ich mich und versuche etwas aufzusitzen, werde aber sofort mit wütenden Schmerzen bestraft, die wie eine Feuersbrunst durch den Körper toben und mich auskeuchen lassen. Fili schütteln traurig den Kopf, „Nein ... aber Oin hat gesagt, dass das auch nicht zu erwarten ist. Er hat einen Leberriss erlitten und es grenzt an ein Wunder, dass er nicht bereits auf dem Eisfeld unter deinen Händen starb ... von der Undenkbarkeit, dass er überhaupt noch hier ist einmal abgesehen ..." Die letzten Worte kommen nur andächtig geflüstert aus seinem Mund und ich weiche verlegen dem damit verbundenen anerkennendem Blick aus, fühlt es sich doch noch immer nicht so an, als ob er durch mich wirklich gerettet wurde.
„Möchtest du etwas trinken?", fragt er leise, als er den verzweifelten Versuch bemerkt die spröden Lippen mit einer genauso ausgetrockneten Zunge zu befeuchten und ich nicke leicht. Er füllt einen Becher mit bereitstehendem Wasser und kommt um das Bett herum auf meine Seite. Vorsichtig und achtsam richtet er meinen hilflosen Körper auf, aber dennoch schmerzt jede kleine Bewegung und ich muss mich haltsuchend in den Stoff seines Ärmels krallen, damit ich nicht wieder zusammensacke. Schwindel überkommt mich, kleine Lichtpunkte tanzen vor den Augen und als die Wunden am Bauch ziehend ihren Unmut über die Belastung kundtun, entweicht ungewollt ein stockender und leise gewimmerter Atemstoß. „Trink langsam und schluckweise", weiß er mich liebevoll an und setzt den Becher an meine Lippen. Die Fürsorge ist so wohltuend für Körper und Geist, dass sich unbewusst Tränen der Rührung bilden, die aber verzweifelt unter einem bedrückt-dankbaren Lächeln versteckt werden.
Gleichwohl, was muss ich für ein jämmerliches Bild abgeben und was mögen die Zwerge von mir denken, schelte ich mich innerlich, als ich unvorbereitet den dicken Verband um Filis Arm bemerke. Rötlich durchschimmernd erahne ich die ausgeprägte Größe und Tiefe der Wunde und schäme mich, dass er dennoch im Gegensatz zu mir keinerlei Erschöpfung und Schmerz zeigt.
„Wie geht es den anderen?", erkundige ich mich schließlich, als ich mich unsäglich erschöpft von der geringfügigen Anstrengung in die Weichheit der Kissen zurückfallen lassen konnte und meine Hand erneut ihren das wenige Leben unter Stoff und Haut verspürenden Platz gefunden hat. Aber Fili weicht den fragenden Worten und dazugehörenden Blick aus. „Den Umständen entsprechend ...", beginnt er schließlich zögern und nichtssagend. Aber ich bemerke anstatt dessen kurz unverhüllt den unsäglichen Schmerz und die unbeschreibliche Sorge in den Augen aufblitzen, die mir so viel mehr Auskünfte geben als jede gesprochene Aufklärung.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top