Der König des Waldland-Reichs
Die Hallen, die sich mir eröffnen, sind gewaltig. Weitläufiger noch als die Höhlen in den Tukbergen, eindrucksvoller und filigraner noch als Bruchtal ... Mehrere Ebenen, verbunden durch steinerne Übergänge und abgestützt durch stämmige Säulen, sind sie in mühevoller Arbeit in den Hang gehauen worden. Erhellt durch unzählige flackernde Lampen, die ein angenehmes gelbliches Licht spenden. Von überall her dringen helle Stimmen, fröhliche Lieder und beschwingtes Lachen zu uns.
Der Elb, der an der Spitze gegangen ist, hochgewachsen und schlank wie ein junger Baum, mit aschblonden Haaren und majestätischem Gesichtsausdruck, streift Thorin den Sack vom Kopf. Noch immer kleben Reste der Spinnenfäden an seinen Sachen, in den Haarsträhnen und Bartstoppeln. Misstrauisch wandert sein mürrischer Blick umher, bis dieser schließlich wieder den Elb trifft ... bedrohlich und trotzig. „Glaubt ja nicht, dass ich nicht wüsste wer Ihr seid ... Thorin, Sohn des Thráin", wendet sich dieser an den Thronerben Erebors. Der Angesprochene hebt selbstbewusst seinen Kopf und setzt das grimmigste Gesicht auf, das ich jemals bei ihm sehen konnte ... und das heißt schon einiges. „Und glaubt ja nicht, dass ich nicht weiß wer Ihr seid ... Legolas, Thranduils Sohn." Die grollende Abneigung gegenüber dem Volk der Elben ist deutlich aus seiner Stimme zu hören und übertrifft sogar die, die er ihnen in Bruchtal hat zukommen lassen. Legolas verzieht seinen Mund zu einem leichten Schmunzeln. „Mein Vater wird sich sehr freuen, Euch wiederzusehen", sagt er abfällig und wendet sich dann an seine Krieger. „Die Anderen sperrt in die Verliese und gebt Anweisung, sie gut zu bewachen!" Sofort greifen die Angesprochenen nach den übrigen Zwergen und ziehen diese in Richtung eines Übergangs, der in die unteren Hallen führt, ungeachtet ihrer heftigen verbalen Proteste, die die Schamesröte auf mir aufsteigen lassen. Zusammen mit zwei Wachen geleitet Legolas Thorin hingegen zu einem Aufgang in der Mitte des Eingangsbereiches und ich entschließe mich ohne lange darüber nachzudenken, ihnen zu folgen.
Wir laufen lange über die steinernen Brücken, die sich wie Baumwurzeln durch die unterirdische Höhle winden und trotzdem wir immer tiefer in das Erdinnere vordringen, ist die Luft angenehm kühl und frisch. Die steinernen Säulen und Wände sind verziert mit floralen Mustern und in ihnen eingelassene leuchtend-bunte Edelsteine. Elben kommen uns entgegen ... hochgewachsen wie Bäume und wunderschön wie Blumen ... gekleidet in edlem grün und braun und mit erstaunten Ausdrücken in ihren sonst unbewegten Gesichtern, als sie Thorin sehen, dessen stolze Herrschaftlichkeit selbst die demütigenden Handfesseln nichts anhaben können.
Schließlich kommen wir auf ein hohes Podest, auf dem ein mit Blättern, Ranken und Blumen geschmückter riesiger Thronsessel steht. Vor diesem wartet ein ebenfalls stattlicher und würdevoll aussehender Elb bereits auf Legolas und Thorin. Auf seinen goldenen Haaren prunkt eine Krone aus in den unterschiedlichen Farben des Herbstes leuchtenden Blättern, roten Beeren und gelben Felsenrosen. Sein porzellanpuppenhafter Gesichtsausdruck ist nichtssagend ... regungslos starrt er auf die Ankömmlinge und erst als Legolas sich neben ihn begibt und ihm etwas zuflüstert, verengen sich seine Augen zu kleinen Schlitzen. Das ist also Thranduil, Sohn von Oropher ... König des Waldlandreiches.
Thorin baut sich mit einer eindrucksvollen Körperhaltung vor ihm auf und trotzdem er sogar nur etwas weniger als halb so groß ist wie Thranduil und lediglich Spinnweben sein Haupt krönen, wirkt er doch um einiges königlicher auf mich. Ich stelle mich an den Rand des Absatzes und beobachte beide still und abwartend ... Thorins Gesicht kann ich dabei nur von der Seite sehen, aber selbst von hier, erkenne ich den abgrundtiefen Hass in seinen Augen und den fast vernichtenden Blick, den er dem Elbenkönig entgegenbringt.
„Thorin Eichenschild ... ", beginnt Thranduil schließlich und seine eiskalte Stimme zerschneidet die Luft und fährt direkt in meine Glieder. „Ich möchte Euch in meinen Hallen willkommen heißen." Thorin bewegt sich nicht ... keine Erwiderung ... keine Geste der Ehrerbietung ... keine Gefühlsregung spricht aus seiner Haltung. Thranduil lächelt leicht und steigt dann von dem Thronpodest herunter und augenblicklich erinnert er mich an einen Hirsch, so anmutig und leichtfüßig sind seine Bewegungen. Mit einer eleganten Handgeste weißt er die Wachen an, Thorin von den Fesseln zu befreien. „Man berichtete mir, dass Ihr zusammen mit Eurem Gefolge meine Wälder durchstreift ... anscheinend ein Ziel verfolgend, dass Ihr aber aus den Augen verloren habt", sagt er würdevoll und umkreist Thorin abschätzend, während dieser sichtlich mit dem Verlangen kämpft, sich die schmerzlich geröteten Handgelenke zu reiben. „Ihr wollt Eure Heimat zurückerobern und den Drachen töten ... habe ich recht ... Ein ehrenvolles Ziel ... zweifellos ..." Thorin zeigt immer noch keinerlei Regung ... sein trotziger Blick ist starr nach vorne gerichtet. „Ihr wollt den Arkenstein bergen ... das Königsjuwel, dass Euch das Anrecht verleiht zu herrschen ... Ein gefährliches Unterfangen, wenn man die Schwäche Eures fast untergegangenen Hauses betrachtet ..." Während Thranduil die abfälligen Wörter spricht, schreitet er langsam wieder auf seinen Thron zu, aber ohne Thorin aus den Augen zu lassen. Arkenstein ... was bei Ilúvatar ist denn das?!
Thorin senkt kurz ausweichend seinen Blick, eine Geste die ihn, auch wenn sie nur einen Wimpernschlag andauerte, verrät. Wenn das wirklich sein Ziel ist, warum hat er mir noch nie etwas von diesem Stein erzählt?! „Den Wert dieses Juwels für Euch kann ich durchaus nachvollziehen und auch, dass Ihr Eure Heimat wiedererlangen wollt ... so zerstört und nach Drachen stinkend sie jetzt auch ist." Thranduil verzieht seinen Mund zu einem abschätzigen Lächeln und genießt es sichtlich, die richtige Vermutung über Thorins Beweggründe gefunden zu haben. „Ich möchte Euch deshalb meine Hilfe anbieten ... nehmt Proviant, Waffen, Kleidung ... was auch immer Ihr begehrt." Thorin lächelt überraschenderweise entgegenkommend. „Und was verlangt Ihr als Gegenleistung", sagt er mit ungewöhnlich höflicher Stimme und senkt sogar leicht seinen Kopf. Ich atme erleichtert aus, froh, dass er anscheinend verhandeln möchte.
„Ich werde Euch gehen lassen ... mit allen Ehren und Beiständen ... wenn Ihr mir zurückgebt, was mein ist ... Ihr wisst, wovon ich spreche, denn Ihr ward damals dabei, als Euer Großvater mir mein Eigentum verweigerte", schlägt Thranduil schließlich ein Abkommen vor. Thorin dreht sich mit auf den Rücken verschränkten Händen um, sodass ich jetzt sein Gesicht gänzlich sehen kann. „Einen Gefallen gegen einen Gefallen ... Ware gegen Ware", bewertet er den Vorschlag als annehmbar und dennoch verziehen sich seine Lippen zu einem missfälligen Lächeln.
Thorin schreitet zielgerichtet langsam auf mich zu und bleibt schließlich kurz bevor er mit mir zusammenstoßen würde stehen. Er starrt durch mich hindurch und in seinen Augen flammt erneut der ungezügelte Hass auf ... so lodernd und angsteinflößend und gnadenlos, wie Missgunst nur sein kann. Aber plötzlich stutzt er kurz und seine Augenbrauen ziehen sich verwundert zusammen. Die Flammen erlöschen, seine Augen blicken aufgeregt suchend umher und dann flüstert er leise meinen Namen. Er hat mich bemerkt ... wie auch immer er mich durch den wabernden Nebel der Verborgenheit wahrnehmen kann. „Ich gebe Euch mein Wort ... von einem König ... zum anderen", bekräftigt Thranduil seinen Verhandlungswillen und holt Thorin damit aus seinen Gedankenfolgen. Augenblicklich verfinstert sich sein Blick erneut und er beißt sich auf seine Unterlippe ... voller Erregung und Zorn, bis diese sogar beginnt leicht zu bluten. Wie gerne würde ich ihn jetzt in die Arme schließen und diese vernichtenden Gefühle aus seinem Dasein verdrängen. Aber kaum, dass ich wie automatisiert meine Hand hebe, redet er weiter. „Ich danke Euch für Euer Angebot ... aber ich glaube nicht, dass Ihr Euer Wort haltet, egal wie sehr es Euch nach dem Besitz giert", stößt er zornig aus und meine Hoffnungen auf einen guten Ausgang der Situation, werden mit seiner Behauptung durch die Hallen hinfort getragen. Aufgebracht dreht er sich wieder zum König des Waldlandreiches um und gebärdet sich zornig. „Euch FEHLT jegliche Würde ... Ihr habt sie damals nicht besessen und Euer Angebot an mich zeigt mir, dass Ihr sie immer noch nicht Euer Eigen nennt ... mein Großvater hat sie Euch aus gutem Grund verweigert!" Grollend hallt seine Stimme von den Steinwänden wieder und wie schon so oft verfluche ich diese verdammte Starrköpfigkeit der Zwerge.
Thorin stapft mit bedrohlichen Schritten auf Thranduil zu. „Danach habe ich gesehen, wie Ihr Eure Freunde behandelt!", sagt er erhitzt. Noch nie habe ich ihn so zornig gesehen und ich beginne aufgrund dessen sogar leicht zu zittern. Die Fassungslosigkeit über Thorins plötzlichem Ausbruch steht auch dem Elbenkönig ins Gesicht geschrieben ... blankes Entsetzen verzerrt seine sonst so inhaltslosen Züge. „Einst kamen wir zu Euch ... hungernd ... heimatlos ... besitzlos ... und baten um Eure Hilfe, aber Ihr habt Euch abgewandt. Ihr habt keinerlei Anteil genommen am Leid meines Volkes und dem Inferno, das uns vernichtet hat. Nur, weil wir Euch nichts mehr bieten konnten ..." Nun weiß ich, woher dieser unbändige Zorn Thorins auf die Elben herrührt und gewissermaßen kann ich ihn jetzt auch verstehen. „Imrid amrad ursul!", stößt er wutentbrannt aus und maßt sich sogar an, vor Thranduil auf den Boden zu spucken.
Schneller als meine Augen folgen können, steht Thranduil vor dem Thronfolger Erebors und blick ihn direkt an. „Erzählt mir nichts vom Drachenfeuer ... ich weiß nur zu gut, wie wütend und vernichtend und tödlich es ist!", ruft er erzürnt aus und seine Stimme klingt ungewöhnlich und befremdlich furchtsam. Er schließt mit schmerzverzehrtem Antlitz seine Augen und im nächsten Moment verändert sich das Aussehen seiner sonst so perfekten linken Gesichtshälfte. „Ich kämpfte bereits gegen die großen Feuerschlangen des Nordens", nur unter größter Anstrengung presst er die Worte aus seinem Mund. Entstellende Narben und Wunden aus diesen längst vergangenen Begegnungen kriechen über seine sonst so makellose Haut, verschwinden an seinem Hals unter den hohen Kragen seines grünen Mantels und sein linkes Auge wird milchig und Nichts sehend. Ich schlage die Hände vor dem Mund zusammen, um nicht angsterfüllt aufzuschreien und mich damit zu verraten. Aber im nächsten Moment wendet sich der Elbenkönig zitternd von Thorin ab und die abscheulichen Wundmale sind verschwunden. „Ich warnte Euren Großvater vor dem, was seine Gier nach mehr und immer mehr hervorrufen würde ... doch er wollte nicht hören ... eigensinnig und ungehorsam wie Aule es einst war", augenblicklich klingt er wieder gefasster und genauso kühl wie vorher. Überheblich wendet sich Thranduil von Thorin ab und steigt die Stufen zum Thronpodest hinauf. „Ihr seid genauso wie er ... ein Naugrim, wie er nur von Durin abstammen kann ... überheblich, anmaßend und bis in die tiefste Seele der Habgier erlegen", sagt er arrogant und gibt seinen Wachen ein Handzeichen, die Thorin daraufhin sofort umklammern und wegschleifen. „Bleibt hier, wenn Ihr wollt, und denkt noch einmal über die Annahme meines Angebotes nach, aber solange, werde ich Euch nicht mit Respekt behandeln. Ihr habt Zeit Euch darüber klar zu werden, ob Eure Sturheit und Gram den Verzicht auf Euren Thron rechtfertigt."
Ich sehe noch einmal zum König des Waldlandreiches hinauf, der sich zufrieden auf seinen Thron niederlässt und selbstgefällig den auf ihn wartenden Weinkelch zur Hand nimmt. Thorin ist starrköpfig und oft verbittert ... aber die Seele dieses Wesen, hält ein noch stärkeres Leid gefangen, das spüre ich. Resigniert folge ich den Wachen, die den schimpfenden und sich verzweifelt wehrenden Thorin in die unteren Hallen zerren, in denen sich die Kerker befinden ... in den Felsen gehauen und mit verzauberten eisernen Gittertüren verschlossen. Krachend fällt die Tür hinter ihm ins Schloss. Neben seiner Zelle liegt die von Balin und weiter unten, kann ich die der anderen Zwerge ausmachen. Ich drücke mich an die steinerne Wand, sodass der Kerkermeister mit seinem rasselnden Schlüsselbund einfach an mir vorbeiläuft.
„Es scheint nicht so gut für uns ausgegangen zu sein ...", höre ich Balins traurige Stimme und auch er scheint den unsäglichen Trotz seines Herren in diesem Moment mehr als nur zu verwünschen. Thorin tritt an die Gitterstäbe und späht nach draußen. „Ich brauche keine Vereinbarung mit einem hochmütigen Elben ... es gibt andere Möglichkeiten, wie wir hier wieder hinausgelangen können", sagt er zuversichtlich und irgendwie spüre ich, dass er dies auf mich bezieht. Noch einmal schaue ich mich prüfend um und ziehe dann den Ring von meinem Finger. Als sich die Nebelschwaden, in denen ich bis jetzt gegangen bin, augenblicklich lichten, wird mir schwindelig, sodass ich meine Augen schließen muss, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ich fühle mich, als ob eine große Macht von mir schwindet und mich klein, schwach und gebrochen zurücklässt. Mehrere Sekunden sehe ich mich genötigt tief ein- und ausatmen und mich an dem kalten Stein neben mir abzustützen, um diese angsteinflößenden Empfindungen aus meinen Gliedern zu vertreiben, erst dann ist es mir möglich, mich immer noch leicht zitternd zur Zellentür von Thorin zu schleichen.
Als er mich erblickt, erhellen sich seine Augen sofort freudig. „Bil ... bei Mahal ... du bist wirklich hier!", stößt er atemlos aus und kommt noch näher an die Gitterstäbe heran. „Was?! Bil ist hier?!", höre ich die aufgeregten Stimmen der Zwerge von überall her brüllen. „Pssst, seid doch still, hier sind doch überall Wachen!", rufe ich sie sofort zur Mäßigung auf und tatsächlich folgen sie meiner Anweisung. „Bil ... ich habe so gehofft, dass du den Spinnen und Elben entkommen bist", lenkt Thorins sanfte Stimme meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. „Glaub mir Thorin, ich werde euch hier raus holen ... ich muss mir nur noch einfallen lassen wie", beteuere ich ihm aufgewühlt und erste Tränen treten in meine Augen, als ich in sein vom Kampf mit den Spinnen geschundenes und blutverschmiertes Gesicht sehe, dass ohne den verschleiernden Nebel noch gequälter und entkräfteter wirkt. Thorin streckt seine Hand durch die Gitterstäbe und legt sie zärtlich auf meine Wange. „Versprich mir, dass du vorsichtig sein wirst und dich nicht wegen uns in Gefahr bringst", fordert er eindringlich und streicht liebevoll mit dem Daumen über die Haut. Augenblicklich überflutet eine wohlige Wärme meinen Körper und lässt ihn regelrecht glühen. Nun erst, sind auch die restlichen elenden Empfindungen durch den Ring gänzlich aus mir gewichen. „Ich verspreche es dir ...", sage ich atemlos und umklammere seine Hand, als ob unser aller Leben davon abhängen würde.
Plötzlich höre ich Schritte näherkommen. Panisch schaue ich in die Richtung und entdecke Schatten, die bereits vor die Wegbiegung fallen und das Eintreffen der Wachen ankündigen. Schnell drehe ich mich wieder zu Thorin, dem ebenfalls die Furcht vor meiner Entdeckung in den Augen steht. „Ich komme wieder ... versprochen ... ich lasse euch nicht im Stich", stoße ich hastig aus und wage noch einen letzten Blick in Thorins so tiefgründige eisblaue Augen. „Das weiß ich ...", seine Worte sind nur ein Flüstern, aber dennoch der bedeutungsvollste Vertrauensbeweis, den er mir geben kann. Langsam führt er meine Hand an seine Lippen und haucht einen Kuss auf die empfindliche Haut der Innenfläche, der so sehr von Gefühlen durchdrungen ist, dass ich augenblicklich anfange zu erzittern.
Als die Schritte immer mehr nahen, muss ich mich schließlich mit blutendem Herzen von ihm losreißen und drücke mich an den Vorsprung zwischen seiner und Balins Zelle, sodass sie mich nicht mehr sehen können. Schnell streife ich den Ring wieder über und versinke erneut im Nebel der Unsichtbarkeit.
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Retrospektive Bil
„Wirklich Bella, Bil wird von Jahr zu Jahr hübscher", macht meine Tante Mirabella meiner Mutter ein Kompliment und nimmt noch einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. Ich erröte augenblicklich und knibble noch verlegener an der Ecke meines Taschentuches, das ich in den Händen halte, herum. Zur Feier meiner Volljährigkeit sind wirklich alle Verwandten und Bekannten meiner Eltern gekommen und die große Festwiese ist überlaufen mit Hobbits, die ich teilweise das letzte Mal gesehen habe, als ich noch ein kleines Kind war. „Habt ihr schon einen Gemahl für sie ausgesucht?", möchte meine andere Tante Donnamira wissen, aber meine Mutter schüttelt sofort ihren Kopf. „Nein, es gibt zwar einen Anwärter, aber Bil hat vor ihn abzuweisen ...", erklärt sie und sieht mich dabei freundlich lächelnd an. „Aha und wer?", fragen sie fast gleichzeitig interessiert und ich sehe in ihren Gesichtern, dass sie über die unschickliche Tatsache ein Werbungsversuch abzuweisen schockiert sind. „Gorbadoc Brandybock ... und ich bin ganz froh darüber ...", erwidert meine Mutter und legt mir stärkend eine Hand auf die nervösen Hände, die in meinem Schoß liegen. „Ein Brandybock ... und sie will ihn abweisen! Bella das ist nicht euer Ernst? Das wäre eine ideale und wirklich vorteilhafte Verbindung ... sowohl für das Haus der Tuks, wie auch für das der Beutlins", stoßt Mirabella sofort entrüstet aus und stellt die Kaffeetasse bestimmt lauter als beabsichtigt auf den Unterteller zurück. „Das ist uns egal ... Bil muss das selber entscheiden und mal ehrlich, ihm springt die Dummheit bereits aus dem Gesicht, da ändert auch die Abstammung nichts", sagt meine Mutter und ich kann bereits den aufkommenden Zorn darüber, dass es meinen Tanten anscheinend nur um das wachsende Ansehen ihrer Familie geht, in ihrer Stimme hören. „Ja aber er hat Einfluss und ...", setzt Donnamira an, wird aber sofort von ihrer ältesten Schwester unterbrochen. „Ich werde meine Tochter nicht zwingen jemanden zu heiraten, nur weil es meinem Mann und mir Vorteile einbringen würde", sagt sie energisch und meine Tanten zucken daraufhin leicht auf ihren Stühlen zusammen. „Sie darf denjenigen heiraten, den sie liebt ... das habe ich ihr versprochen, als sie geboren wurde. Ich möchte nicht, dass sie ein Leben lang in einer lieblosen Ehe gefangen ist."
Ich blicke verwundert zu meiner Mutter, denn diese Aussage habe ich das erste Mal von ihr gehört und sofort wird mir leichter ums Herz, denn ich hatte bereits befürchtet, dass meine schon lange feststehende Entscheidung von meinen Eltern nicht akzeptiert wird. Die beiden Hobbitfrauen uns gegenüber sehen sich bedeutungsvoll an. „So wie du ...", sagt plötzlich Mirabella wieder sanft und legt versöhnlich eine Hand auf den Arm ihrer Schwester. „Vater hat die Heirat mit Bungo arrangiert, da war ich noch ein kleines Mädchen und als ich älter wurde, hat er nicht auf meine Einwände gehört", erzählt meine Mutter daraufhin und ihr Blick wird sofort traurig. „Mama stand nur daneben und hat nichts unternommen ... das werde ich nicht tun. Ich werde mit aller Macht verhindern, dass meiner Tochter das gleiche Schicksal und der damit verbundene Schmerz wiederfährt." Meine Mutter ist sichtlich den Tränen nahe und ich drücke sofort tröstend ihre Hand. Die Ehe meiner Eltern war nie harmonisch ... so lange ich mich erinnern kann, wurde sie von Eifersucht, Missgunst und Anschuldigungen bestimmt und auch ich habe mir einst geschworen, dass ich nur einen Mann heiraten werde, den ich liebe und der mich ebenfalls liebt ... aufopferungsvoll, bedingungslos und ehrlich.
Am Abend ziehe ich mich unauffällig in eines der vielen aufgebauten Zelte zurück, denn die ganzen Glückwünsche, Lobpreisungen und überzogene Scheinheiligkeit bereitet mir bereits seit dem Nachmittag unsägliche Kopfschmerzen. Kaum habe ich mich allerdings erschöpft auf einen der Bänke fallen lassen, wird die Zeltplane zur Seite gerissen. Herein stolziert mein Verehrer Gorbadoc, das Gesicht zu einer Mischung aus gespielter Freude und Entzücken ob meines Anblicks verzogen. „Meine Geliebte, hier bist du ... ich habe dich heute schon den ganzen Tag gesucht", säuselt er einnehmend und lässt sich wie selbstverständlich neben mich nieder. Augenblicklich rutsche ich ein klein wenig zur Seite, da mir seine aufdringliche Nähe zuwider ist. „Nennt mich nicht Geliebte ... ich habe Eure Werbungsversuche nicht angenommen und habe es auch nicht vor ... das habe ich Euch schon einmal klar gemacht", sage ich distanziert klingend, aber er lächelt nur heuchlerisch. „Allerdings hast du mein heutiges Geschenk an dich noch nicht entgegen nehmen können ... anlässlich deines Geburtstages habe ich mich in Unkosten gestürzt und ich bin mir sicher, dass es dir gefallen wird", antwortet er und holt ohne eine Erwiderung von mir abzuwarten, ein kleines Kästchen heraus. Als er den Deckel öffnet, verschlägt es mir beinahe die Sprache vor Abneigung ... denn darin liegend kommt ein geschliffener Bernstein mit einer im versteinerten Harz gefangenen Spinne zum Vorschein. Ohne dass ich es verhindern kann, verzieht sich mein Gesicht zu einer Mischung aus Schrecken und Ekel. „Es ist ... interessant", sage ich dennoch höflich, nehme ihm das Kästchen ab und stehe auf, um es auf einen neben uns stehenden Tisch zu stellen.
Kaum habe ich mich wieder umgedreht, steht er vor mir ... nah ... zu nah um genau zu sein. Ich spüre seinen Atem auf meinen Wangen und als er sich zu mir hinunterbeugt, weiche ich automatisch einen Schritt zurück, aber die Tischkante verhindert die erhoffte Distanz. „Wenn es dir gefällt, kannst du mir doch ein ganz besonderes Dankeschön dafür geben ...", haucht er aus und kommt mir noch ein Stück näher. Augenblicklich beschleicht mich eine unsägliche Angst, die mir eine Gänsehaut beschert und ich drücke ihn grob von mir. „Nein!", zische ich und weiche zur Seite aus. Aber kaum, dass ich einen Schritt in Richtung Zeltausgang getan habe, hält er mich an der Hand zurück, reißt mich herum und drückt mich grob gegen einen der Stützpfeiler. „Ich habe gesagt, dass ich einen besonderen Dank von dir haben möchte", grollt er unfreundlich und innerhalb eines Wimpernschlages ist das sonst so wohlerzogene und wohlwollende Gebaren verschwunden. Ich starre ihn mit durch Furcht geweiteten Augen an und als er sich erneut zu mir hinunter beugt, beginne ich vor Entsetzen zu erzittern. Verzweifelt versuche ich seinem unerbittlichen Griff zu entkommen und mein Handgelenk schmerzt unsäglich, als er es daraufhin nur noch fester umklammert. „Ich habe nein gesagt", äußere ich erneut bestimmt, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber er ignoriert meinen Einwand deutlich mit voller Absicht. Immer näher kommen seine Lippen den meinen und im letzten Moment ist es mir noch möglich ihnen mit einer Kopfdrehung auszuweichen. Aber Gorbadoc hält das nicht auf, besitzergreifend platziert er seinen Mund auf meinem dadurch unglücklicherweise frei zugänglichen Hals und fährt mit der Zunge über die empfindliche Haut. „Du riechst und schmeckst so gut ...", haucht er aus und seine freie Hand beginnt mehr als sündhaft und schändlich meine Körperkonturen entlang zu fahren. „Seitdem ich dich das erste Mal sah, will ich, dass du mein bist und normalerweise bekomme ich auch das was ich begehre." Ob seiner vielsagenden Worte beginnt das Blut in meinen Ohren zu rauschen und die ersten Tränen der Hilflosigkeit treten mir in die Augen. „Bitte nicht ...", flehe ich und meine Stimme ist nur noch ein Wispern, als er beginnt die Schnürung meines Mieders zu lockern.
Aber plötzlich und zu meinem allergrößten Glück, wird in diesem Moment die Zeltplane zur Seite gerissen und mein Onkel Isegrim kommt herein. Sofort entfernt sich Gorbadoc von mir und ich atme erleichtert aus. „Was geht denn hier vor sich?", will mein Onkel sofort wissen, als er die halboffenen Schnürungen meines Mieders und den geröteten Abdruck an meinem Handgelenk sieht. Ich laufe auf ihn zu und verstecke mich schutzsuchend halb hinter seinen breiten Schultern. Gorbadoc ist sichtlich aufgebracht über die Vereitelung seiner Tat und schnaubt verächtlich aus. Finster sieht er uns an. „Nichts Onkel, Herr Brandybock hat mir nur sein Geschenk überreicht", sage ich schnell und ziehe ihn mit mir nach draußen. Auch wenn er mir eben gegen meinen Willen so unfassbar nahegekommen ist, ich will ihn nicht denunzieren, denn seine Eltern sind gute Hobbits und immer freundlich zu mir gewesen. Isegrim sieht Gorbadoc dennoch vermutend ein letztes Mal an und wendet sich dann endlich mit mir zum Gehen.
„Ist wirklich alles in Ordnung?", will er erneut von mir wissen, als wir zurück zum Festplatz laufen. „Ich schwöre dir, wenn er dich in irgendeiner Weise ungebührlich bedrängt hat, dann werde ich ihn eigenhändig zur Rechenschaft ziehen, egal wer er ist!" Ich ziehe die Schnürung meines Mieders wieder fest und sehe ihn dankend an. „Es ist alles gut, wir hatten nur eine kleine ... Meinungsverschiedenheit", sage ich ausweichend und hoffe damit das Thema abzuschließen. Seine Augen betrachten mich dennoch vielsagend und ich bin mir fast sicher, dass es trotz alledem für Gorbadoc noch ein Nachspiel geben wird, den seit dem Tod meines Großvaters, ist er der Thain und kann Urteile über die Hobbits nach seinem Willen sprechen ... auch über die Herren von Bockland und ihren Sprösslingen. „Hast du mich gesucht?", frage ich ihn schließlich, um endgültig von etwas anderem reden zu können. „Ja, es ist eben ein Abgesandter aus den Ered Luin eingetroffen, der ein Geschenk für dich dabei hat", informiert er mich und ich bleibe augenblicklich verwundert stehen. „Ein Bote aus den Blauen Bergen ... etwa ein Zwerg?", möchte ich sofort aufgeregt wissen und mein Onkel nickt nur.
Als wir endlich an dem Tisch meiner Eltern ankommen, steht dort wahrhaftig ein Zwerg, in edle Kleider und glänzende Rüstung gehüllt, mit langem Bart und im Gegensatz dazu wenigen Haaren auf dem Kopf. Als er mich entdeckt, verbeugt er sich ehrerbietend und augenblicklich schießt mir das Blut heiß in die Wangen vor Verlegenheit. „Ihr müsst Fräulein Beutlin sein ... es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen und stehe zu Euren Diensten", sagt er mit seiner tiefen Brummstimme und ich knickse den Gruß erwidernd. „Mein Name ist Dwalin, Fundins Sohn und ich möchte Euch anlässlich des Erreichens Eurer Mündigkeit ein Geschenk von meinem Herrscher Thorin, Sohn des Thráin überreichen. Er bedauert, dass er es Euch nicht selber aushändigen kann, aber unaufschiebbare Verpflichtungen haben ihn davon abgehalten", informiert mich der Zwerg und ich sehe verblüfft zu meinen Eltern. Mein Vater verschränkt wütend die Arme und wendet sich ab, aber meine Mutter scheint genauso fassungslos wie ich über den Grund des Erscheinens des Zwerges zu sein. „Mein Herr ist mit dem Haus der Tuks gut befreundet und möchte Euch als jüngste Enkelin des leider verstorbenen Gerontius Tuk eine Freude machen", erklärt Dwalin sofort, als er mein fragendes Gesicht bemerkt und nimmt kurz darauf ein in blaue Seide eingeschlagenes Packet aus der Satteltasche seines Ponys.
Während er es mir überreicht, kann ich die verblüfften Blicke der anderen Gäste auf mir merken und als ich den edel schimmernden Stoff zur Seite schlage, erheben sich diese zu überraschten Ausrufen. „Wie wunderschön ... ein wahres Meisterwerk zwergischen Handwerks", stoßen die Damen neben mir fast gleichzeitig aus, nachdem ein kostbarer und funkelnder Armreif erscheint. Filigran gefertigt aus silbernen Eichenblättern und -ranken, mit goldenen Verzierungen und eingelassenen Diamanten, schimmert er so rein und klar wie die schönsten Sterne. Aber noch viel wertvoller erscheint zumindest mir das zweite Geschenk: ein in sorgfältig gegerbtes Leder eingeschlagenes und mit silberfarbenen Buchstaben versehenes Buch. „Die Tragödie von Beren und Lúthien", lese ich andächtig und mehr für mich selber vor und sehe den Zwerg vor mir mit Tränen der Rührung in den Augen an. „Kann ich meinen Herrn ausrichten, dass Euch seine Geschenke erfreuen?", fragt er mich und ich nicke hastig. „Ja, Ihr könnt ihm berichten, dass es die Wertvollsten sind, die ich heute erhalten habe und ich ihm unbekannterweise auf ewig meinen Dank dafür schulde."
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