Der Düsterwald

Am nächsten Morgen stößt auch Beorn wieder zu uns. Beim Frühstück erzählt er, dass er die ganze Nacht in seiner Bärengestalt umhergezogen ist und doch tatsächlich einen unserer Orkverfolger gefangen nehmen konnte. Mit allerlei Methoden hat er ihn dazu bringen können, die Pläne seines Anführers zu verraten. Azog will Thorins Kopf, unter allen Umständen, um ihn am Erreichen des Berges zu hindern. Nach dem Rückschlag am Waldesrand hat er seine Armee wiederaufgebaut und unter der Führung seines Sprosses Bolg gestellt, der genauso blutdürstig und grausam ist, wie er. Und auch er hat sich geschworen, die Blutslinie Durins für immer vom Angesicht Mittelerdes zu tilgen. Mir wird allein beim Gedanken an diese schrecklichen Pläne schlagartig schlecht und ich stehe unter den vieldeutigen Blicken der anderen mich entschuldigend vom Tisch auf. Nur noch von Weitem kann ich vernehmen, wie sich die Zwerge, Gandalf und Beorn über das weitere Vorgehen beraten.

Meine Welt beginnt sich zu drehen, sodass ich mich an einem alten Baumstamm, der als Pfeiler dient, abstützen und tief durchatmen muss. Seine raue Oberfläche unter meinen Fingerspitzen und der so vertraute Geruch von klebrigem Harz, beruhigen mich ein wenig. Unerwartet tritt Fili hinter mich und legt beruhigend seine Hände auf meine Schultern. „Mach dir keine Sorgen, Bil", sagt er mit gefasster Stimme und bestärkt seinen Wunsch mit dem sanften Druck seiner Finger. „Weder Azog noch sein Bastard wird es schaffen uns zu besiegen." Ich drehe mich zögerlich zu ihm um und starre ihn bereits mit Tränen der Angst in den Augen an. „Was macht dich da so sicher?! Einen Teil eurer Linie hat er schon getötet, bei einem anderen ist es ihm fast gelungen. Wenn ihr ihnen begegnet ... zu dreizehnt habt ihr nicht den Hauch einer Chance gegen eine ganze Armee." Ich senke traurig meinen Blick und unterdrücke ein Wimmern, das schmerzlich meinen Mund entkommen möchte, allein bei den Gedanken an die entsetzlichen Folgen. „Oh, aber wir sind nicht nur dreizehn ... du vergisst, dass wir einen mutigen Hobbit in unseren Reihen haben", sagt er und ich kann das Lächeln auf seinen Lippen mitschwingen hören. Ich stoße einen belustigten Laut aus und sehe ihn wieder an. „Damit macht man keine Scherze ...", erwidere ich gedämpft und sein Lächeln erstirbt augenblicklich. Für einen Moment zögert Fili ... aber dann legt er seine Stirn an meine und hätte ich diese vertraute Geste nicht schon so oft zwischen den Zwergen gesehen ... ich wäre erschrocken über diese intime Berührung zurückgezuckt. „Ich habe so fürchterliche Angst um euch ... ihr seid doch schon so etwas wie eine Familie für mich geworden", gestehe ich flüsternd und schließe meine Augen, denn erneut wollen sich die brennenden Tränen der Furcht ihren Weg aus ihnen erkämpfen. „Ich verspreche dir, dass uns nichts passieren wird ...", schwört Fili eindringlich, umfasst meine zitternden Glieder mit seinen großen Händen und zieht mich in eine tröstende Umarmung.

Den ganzen Vormittag verbringen wir mit den Vorbereitungen für unsere weitere Reise. Beorn gibt uns jedem eines der Schecken, die wir allerdings am Waldrand zurücklassen sollen. Zudem Proviant, das leicht zu verstauen und zu tragen ist, aber dennoch reichhaltig und sparsam verzehrt, mehrere Wochen halten wird. Auch Wasserbeutel, die wir an den zahlreichen Flüssen und Seen, die auf unserem Weg liegen, auffüllen sollen. Den durch den Düsterwald fließt zwar ein Fluss, aber dessen schwarzes Wasser ist verzaubert und jeder der davon trinkt oder darin badet, wird schläfrig und vergesslich. Beorn warnt uns eindringlich, den Pfad, den wir vorhaben einzuschlagen und der uns auf direkten Weg vom Waldrand zum einsamen Berg bringen wird, zu verlassen. „In diesem Wald leben düstere Gestalten und die Elben, die in ihnen wohnen, sind gefährlich", mahnt er uns abschließend. Unter vielen Dankeswünschen verabschieden wir uns schließlich von Beorn und reiten im schnellen Trab Richtung Norden.

Drei Tage lang nehmen wir diesen Kurs, zu unserer linken ragt das dunkle Gebirge bis in die Wolken hinein und unter den Hufen unserer Pferde zieht sich die grasige Ebene dahin. Nachts verdoppeln wir die Wachen und wenn ich zur Ruhe komme ... meist erst dann, wenn mich Thorin nach der Wachablösung in seine schützende Umarmung schließt ... träume ich von Azog und seiner Armee aus hässlichen Orks und zähnefletschenden Wargen, die uns verfolgen und seinen Schwur erfüllen ... blutrünstig und ohne Gnade. Meist erwache ich dann schwer atmend und vor Angst zitternd und beruhige mich erst wieder, nachdem ich mir sicher bin, dass Thorin noch immer an meinen Rücken gebettet lebt. Aber auch er schläft unruhig in den letzten Nächten ... murmelt unverständliche Laute in Khuzdûl und drückt mich öfters als sonst im Schlaf an seinen gepanzerten Brustkorb.

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Retrospektive Thorin

Bella umfasst meine Hand und zieht mich mit sich von der Tanzfläche hinunter ... die pikierten Blicke und hinter vorgehaltenen Händen ausgesprochenen empörten Worte gekonnt ignorierend und schließlich sogar darüber lachend. Bis wir auf eine kleine Lichtung treten, die von dem unverhüllten Mond beschienen wird. Sonst blass und kühl, glitzert sein Licht gerade heute ungewöhnlich, wie als würde eine Kerze durch einen klaren Diamanten hindurchscheinen. Bella bleibt letztendlich an einem bereits verblühenden Kirschbaum stehen und lässt meine Hand los, als sie sich umdreht. „Das ist einer meiner Lieblingsorte", flüstert sie und kommt mir so nahe, dass ich ihren warmen Atem auf meinem Gesicht spüren kann und ob dieses herrlichen Sinnesreizes, beschleunigt sich der meinige. „Wunderschön", erwidere ich genauso leise und bin mir nicht sicher, ob ich nur die uns umgebende Landschaft oder sie damit meine. Bella lächelt ... ihr einzigartiges und so unglaublich herzliches Lächeln, dass ich so noch nie jemand anderen schmücken sah. Ihre wasserblauen Augen mustern mich eindringlich und ich versinke in ihnen wie in einem Ozean, gefüllt mit den abgrundtiefen Gefühlen, die ich für sie habe.

„Was bin ich für dich, Thorin?", fragt sie mich schließlich und als sie noch näher auf mich zukommt, spüre ich bereits ihren warmen Körper an mir. Ich sehe sie verwirrt an, im ersten Moment nicht wissend, wie ich diese Frage beantworten soll, denn ich weiß es selber nicht. „Du bist das wundervollste Geschöpf, das ich jemals kennenlernen durfte und eine Wohltat für meine geschundene Seele ... du bist für mich wertvoller als alles Gold und Silber des Schatzes meiner Altvorderen ... du bist die wärmende Sonne, die ich nach all den Jahren in den Höhlen der Blauen Berge so vermisst habe", gebe ich ihr letztendlich als Bekenntnis und ob meiner bedeutenden Worte hebt sie ihre Hand und berührt federleicht meine Wange. Wie eine Schneeflocke so gewichtslos wandern ihre Finger über meine Haut, hinterlassen eine wohlig prickelnde Spur und erreichen schließlich meine Lippen, die sich unter ihrer Berührung leicht öffnen.

„Was würdest du tun, wenn ich dir sagen würde, dass ich noch mehr für dich sein kann ... dass du mich besitzen könntest ... und wäre es nur für diese eine Nacht", haucht sie aus und kaum, dass das letzte Wort ihren Mund verlassen hat, beuge ich mich ohne lange über die Folgen und Konsequenzen nachzudenken zu ihr hinunter und verschließe ihre Lippen mit meinen. Und ohne Zögern oder Scheu erwidert sie den Kuss ... leidenschaftlich und voller Hingabe und als meine Zunge widerstandslos ihre Mundhöhle erkunden darf, versinke ich hoffnungslos und unwiederbringlich in dem Ozean, der tobend und brausend aufgrund des über ihm hinwegbrausenden Orkans der Gefühle zu ihr mein Dasein überspült.

Erst als wir uns ob des quälenden Luftmangels voneinander lösen müssen, komme ich wieder zu mir und der kleine Rest vernunftbegabtes Denken erhebt seine Stimme. „Bist du dir sicher?", muss ich von ihr wissen, aber anstatt einer Antwort, entfernt sie sich und stellt sich unweit erneut unter den Kirschbaum. Langsam streift sie den seidigen Stoff von ihren Schultern und steht plötzlich in ihrer vollkommenden und natürlichen Hüllenlosigkeit vor mir. „Bei keiner Sache war ich mir in meinem bisherigen Leben so sicher, Thorin ... glaub mir das", antwortet sie und als ein lauer Sommerwind aufkommt ... die losen, zartrosa Blätter des Baumes löst und sie umspielen lässt ... gehe ich auf sie zu.

Federleicht berühre ich die Reinheit ihrer Haut an den Armen ... streiche über die unglaubliche Zartheit und Vollendung der äußeren Hülle, die die unvergleichliche Anmut ihrer Seele nur unzureichend widerspiegeln kann. Und erneut finden sich unsere Lippen zu einem leidenschaftlichen Kuss, während sie ihre Hände unter den Stoff meiner Tunika schiebt und im Hintergrund kann ich das Zischen und Knistern der abgefeuerten Raketen von Gandalfs Feuerwerk hören ...

Am nächsten Morgen erwache ich und ein unbeschreibliches Glücksgefühl überspült augenblicklich mein Dasein, als ich die Wärme und den vertrauten, einzigartigen Geruch wahrnehme, der sich wie ein Nebel um mich gelegt hat. Ich sehe neben mich und erblicke ihren braunen Haarschopf, der ruhend auf meinem Arm liegt. Zärtlich hauche ich einen Kuss auf ihre Stirn und keinen Augenblick später, rührt sie sich. Verschlafen blicken mich ihre wasserblauen Augen an und ein unvergleichliches Lächeln entsteht auf ihren Lippen. In meinem Leben war ich noch nie so glücklich wie in diesem kostbaren Moment.

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Am nächsten Tag brechen wir bereits beim ersten Morgengrauen auf. Sobald die Sonne im Osten aufgegangen ist, sehen wir die ersten Bäume des Waldes hinter einer kleinen Anhöhe aufragen. Eine schwarze, drohende Wand aus alten Baumstämmen, mit knochigem Geäst und teilweise von dunkelgrünem Efeu umrankt. Kein Laut ist zu hören, die Stimmen der Vögel sind schon vor einiger Zeit verstummt und selbst das Rauschen des Windes, scheint von dem dichten Gewirr aus Blättern und Ästen verschluckt zu werden. Die einzige Unterbrechung dieser drohenden Regungslosigkeit, ist der Zugang zu einem Pfad. Am Einlassbogen, der aus zwei ineinander verworrenen, dürren Bäumen besteht, stehen zwei steinerne Elbenkrieger ... die ernsten Gesichtszüge beinahe überwuchert mit Efeu und wildem Wein, deren blutrote Blätter in der Sonne glänzen.

„Lasst jetzt die Ponys frei, sie sollen zu ihren Herren zurückkehren", befiehlt uns Gandalf und ich steige vom Rücken des Pferdes, dass ich in Beorns Garten berühren durfte. Er sagte mir, dass es nur mir erlauben würde, auf ihm zu reiten, denn es ist das Leittier der Herde und von edler Abstammung. Ich nehme meinen Rucksack von seinem Rücken und schnalle ihn mir um. Dann fahre ich ein letztes Mal über das schimmernde Fell seines Halses und bedanke mich ergeben für seine Dienste. Es nickt gefällig, stupst mich sanft mit seinen Nüstern an der Schulter und führt dann seine Herde im schnellen Galopp zurück. „Und was ist mit deinem Pferd, Gandalf?", fragt Dwalin verärgert brummend den Zauberer, der immer noch im Sattel sitzt. „Ich werde ihn zurückreiten", erwidert er ruhig und uns allen wird klar, dass nun der Moment gekommen ist, in dem er sich wie angekündigt verabschieden muss.

Mir treten augenblicklich Tränen in die Augen und ich beginne leise zu wimmern. „Weine nicht, liebe Bil", wendet er sich mit väterlicher Stimme an mich und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Wir werden uns vor dem Ende bestimmt noch einmal wiedersehen. Du musst jetzt an meiner Stelle auf all die Zwerge aufpassen ... besonders auf Thorin ... er braucht dich mehr, als du erahnen kann." Und dann an alle gewandt: „Bei allen Valar, bleibt auf dem Weg, egal was passiert ... denn wenn ihr ihn einmal verloren habt, findet ihr ihn nicht wieder. Selbst die Luft in diesem Wald ist voller Sinnestäuschungen und er wird alles versuchen, um euch in die Irre zu führen." Seine Worte klingen mahnend und machen mir unsägliche Angst. Furchtsam sehe ich in den dunklen Wald hinein, der alles Licht zu verschlucken scheint und von dem eine bedrohliche Stimmung ausgeht.

„Auf Wiedersehen, meine Freunde", sagt Gandalf hinter mir und wendet sein Pferd. Mit kräftigem Tritt treibt er die Schecke zu einem schnellen Galopp an und verschwindet bald hinter einer kleinen Anhöhe. Ich sehe ihm traurig nach und mein größter Wunsch ist es, ihn wirklich irgendwann noch einmal wiederzusehen.

„Kommt jetzt, wir müssen das Licht so lange wie möglich ausnutzen!", befiehlt Thorin brummend und tritt als Erster in den dunklen Wald hinein. Der Pfad den wir folgen müssen ist teilweise mit alten Steinen, aber auch oft nur mit besonderen Zeichen an den Bäumen gekennzeichnet ... gut versteckt und nur für den danach suchenden sichtbar. Er ist so schmal, dass wir nur hintereinandergehen können, und schlängelt sich schier endlos durch die grenzenlose Dunkelheit. Meine Augen brauchen eine ganze Weile, um sich an die Finsternis zu gewöhnen, aber selbst dann, kann ich oft nur wenige Meter in das dichte Dickicht links und rechts des Weges hineinschauen. Es ist so still, dass selbst meine Schritte stapfende Laute verursachen, die von den Bäumen und der Lichtlosigkeit widerhallen zu scheinen. Außer ein paar schwarzen Eichhörnchen, die unseren Weg kreuzen, sehen wir keine Tiere. Noch nicht einmal Vögel lassen ihren Gesang zu uns dringen und das ängstig mich. In jedem Wald gibt es Vögel, warum also hier nicht!?

Je tiefer wir in den Wald vordringen, umso stickiger wird es. Kein Lüftchen vermag es unsere erhitzten Gesichter zu kühlen. Tagelang laufen wir, ohne jemals ein Stück Himmel zwischen den Blättern hindurch sehen zu können. Nur an der sich verändernden Dunkelheit merken wir, wenn es Nacht ist, denn dann wird diese schier undurchdringlich ... selbst ich kann dann meine Hand nicht mehr vor Augen sehen. Wir schlafen dicht beieinander gedrängt, denn sogar Oin und Gloin können aus den wenigen Ästen die wir finden, einfach kein Feuer entzünden, ganz so, als ob ein Zauber das Holz vor diesem beschützt. Wenn ich Wache habe, sehe ich von überall her Augen, die mich anstarren. Gelbe, grüne, rote ... ovale, welche die zu kleinen Schlitzen verengt sind, große runde ... manchmal nur zwei, manchmal unzählbare viele, wie von riesigen Insekten ... oft glotzen sie mich von Weitem an, aber oft sind sie auch direkt über mir, was mir am meisten Angst bereitet.

Eines Nachts habe ich Wachdienst und sitze mit angezogenen Beinen an einen mit Moss bewachsenen Baumstamm gelehnt. Ich zähle jede der Minuten, die noch vergehen muss, bis ich Balin zur Wachablösung wecken und ich mich wieder in die Umarmung von Thorin schmiegen kann, die es als einziges vermag, die unsägliche Dunkelheit aus meinen Geist zu vertreiben. Hinter mir raschelt etwas, aber ich wage nicht, mich umzudrehen. Schließlich kann ich dicht neben mir ein gelb leuchtendes Augenpaar in der Finsternis vorbeiziehen sehen. Ich habe so fürchterliche Angst und schlage die Hände vor meinem Gesicht zusammen. Warum ... warum musste ich nur auf diese Reise mitkommen!? Wenn ich jetzt zu Hause wäre, dann würde ich in meinem gemütlichen Bett liegen und das Einzige, was mich anstarren könnte, wäre der Mond, der durch mein Fenster fällt. Leise, um die anderen nicht zu wecken oder irgendetwas auf uns aufmerksam zu machen, beginne ich ein Lied zu singen.

Der Mond in seiner vollen Pracht,

hat behutsam mein Gesicht betracht.

Wie Kerzenschein in dunkler Nacht,

vermag er Licht zu bringen mit aller Macht.

Meine Mutter hat mir dieses Schlaflied immer vorgesungen, wenn ich als kleines Hobbitkind in der Dunkelheit meines Zimmers fürchterliche Angst hatte. Leider kann ich mich nur noch an diese eine Strophe erinnern. Aber wie durch ein Wunder, scheint plötzlich ein fahler Lichtschein auf meine Hände und ich lasse sie sinken. Der Mond hat es doch tatsächlich geschafft, während seiner Bahn ein Schlupfloch im Geäst zu entdecken, und lässt nun sein kühles Licht auf mich fallen. Ich atme erleichtert aus, wenigsten für ein paar Minuten der Finsternis entkommen zu sein. Und auch wenn das Mondlicht kalt und blass ist, so vermag es in diesem Moment mein Herz zu erwärmen.

Ich sitze einfach nur da und betrachte meine Hände, die durch den Schein fahl leuchten und plötzlich verspüre ich den brennenden Drang in mir, den Ring aus dem Orkstollen aus meiner Tasche zu ziehen, denn ich schon fast wieder vergessen hatte. Kalt und schwer liegt er in meiner Hand, beschienen durch das Mondlicht und dadurch matt schimmernd. Langsam und bedächtig bewege ich ihn mit den Fingerspitzen hin und her, bewundere jede kleine Facette und wie er das Licht widerspiegelt. Es ist das erste Mal, dass ich ihn so eindringlich betrachten kann und es scheint fast so, als würde augenblicklich eine ungeheuerliche Anziehungskraft von ihm ausgehen ... als ob er mich zu besitzen scheint und nicht ich ihn. Und dann verschwindet das Licht plötzlich ... der Mond ist auf seiner Bahn weitergezogen. Augenblicklich erlischt das Leuchten, das von dem Ring ausgegangen ist und ich lasse ihn beinahe enttäuscht wieder in meine Jackentasche gleiten.

Eines Tages ... wir müssen schon fast einen halben Monat gelaufen sein ... kommen wir an das Ufer eines Flusses. Sein in der Düsterheit fast schwarz wirkendes Wasser fließt träge dahin und ein komisch aussehender, dicker Nebel steigt davon auf. „Das muss der verzauberte Wasserlauf sein, von dem Gandalf gesprochen hat" mutmaßt Thorin und kniet sich ans Ufer. „Wir sollen sein Wasser nicht berühren ... aber wie kommen wir an die andere Seite, ich sehe keine Brücke?" Wie schauen uns suchend um und finden schließlich zwei verwitterte Pflöcke, die aus dem Unterholz hervorragen und vor Jahren einmal der Beginn eines Übergangs gewesen sein können. Entmutig lassen wir uns nieder, nicht wissend, was wir jetzt tun sollen.

Ich starre in die verschwommene Dunkelheit, um wenigstens die Böschung des gegenüberliegenden Ufers erspähen zu können, und plötzlich fällt mir eine gedämpfte Bewegung auf. Langsam stehe ich auf und trete näher ans Wasser. Lange starre ich auf den Punkt vor mir und mit der Zeit, kann ich undeutlich die Umrisse eines kleinen Ruderbootes erkennen, dass unweit von uns am anderen Ufer liegt und im Strom sanft hin und her schaukelt. „Da ist ein Boot ...", flüstere ich leise und ziehe damit Thorins Aufmerksamkeit auf mich. „Wo?", fragt er aufgeregt und lenkt seinen Blick in die Richtung, in die ich zeige. „Ich kann es nicht sehen. Bist du dir sicher?!" Ich konzentriere mich genauer auf die Konturen und je länger ich darauf starre, umso deutlicher sehe ich es vor mir. „Ja, ich vermute, es ist am anderen Ufer festgemacht, zumindest liegt es nicht an Land", sage ich überzeugt von meiner Entdeckung. „Gut gemacht, Fräulein Beutlin", lobt er mich und legt kurz eine schwere Hand auf meine Schulter. „Fili, kommt mal her?", befiehlt er seinen ältesten Neffen, der sofort an seiner Seite auftaucht. „Siehst du das Boot am anderen Ufer?" Fili fixiert konzentriert die Finsternis, aber anscheinend kann auch er es nicht entdecken. „Nein Onkel", sagt er schließlich kopfschüttelnd. „In Ordnung, aber Bil sieht es, das genügt mir. Du hast doch ein langes Seil mit einem Haken daran mitgenommen, oder?" Thorins Augen beginnen vor Aufregung zu leuchten, als Fili schnell nickt und das besagte Seil aus seinem Rucksack zieht.

Langsam tritt der junge Zwerg neben mich und ich zeige in die undurchdringlich scheinende Düsternis vor uns. „Du musst recht weit ausholen, der Fluss ist ziemlich breit", weiße ich ihn an und Fili probiert Folge zu leisten. Trotz alledem hören wir nach seinem ersten Versuch den metallenen Haken ins Wasser plumpsen. „Schon nicht schlecht, du hast das Boot beinahe getroffen. Etwas fester noch und du hast es", mache ich ihm Mut und er holt erneut aus. Dieses Mal kommt die Aufhängung raschelnd im Dickicht des entgegengesetzten Ufers auf. „Das war zu weit, du musst jetzt ganz behutsam ziehen ... ich sage dir, wenn der Haken sich verfangen hat." Langsam lässt Fili das Seil durch seine Hände gleiten und tatsächlich verhakt er sich nach kurzer Anstrengung irgendwo im Boot. Wir müssen gemeinschaftlich mit all unseren Kräften ziehen, um die Festmacherleinen zu durchreißen. Zum Glück ist unser Seil stärker und nach einigen Bemühungen, reißt es krachend auseinander und das plötzlich ruckartige Ersterben des Widerstandes, lässt uns alle nach hinten fallen. Oin kann das auf unsere Uferseite zu schwimmende Boot erfreulicherweise festhalten, bevor es durch die Strömung mitgerissen wird.

Erleichtert rappeln wir uns auf, dabei stoße ich unsanft mit Thorin zusammen, der beim Stolpern auf mir zum Liegen gekommen ist. Durch das dumpfe Licht am Boden ist sein Gesicht nur schemenhaft zu erkennen, obwohl es meinem sehr nahe ist. Umso deutlicher kann ich allerdings seinen abgehackten Atem auf meiner Haut spüren ... heiß und sanft wie ein Sommerwind ... und auf der Stelle durchfährt mein Dasein diese betörende und bereits so vertraute Wärme. Stimuliert zusätzlich dadurch, dass ich, trotzdem er sich mit seinen Armen neben mir abstützt, seinen gesamten Körper auf mir fühlen kann ... Harte Muskeln, sengend-heiße Körperwärme und stämmige Glieder ... Er ist mir so unglaublich nah und für einen kurzen Moment hält die Welt um mich herum inne.

Durch die Finsternis hindurch beginnen seine Augen zu leuchten, als ob das Licht der Sterne aus ihnen strahlt. Pulsierend fließt ein Prickeln durch mich hindurch und sammelt sich zwischen meinen Beinen zu einem Knäuel aus Empfindungen. Ich bewege mich leicht, um etwas mehr Abstand zwischen uns zu bringen und diesem namenlosen Gefühl zu entkommen, aber genau das Gegenteil tritt ein. Das Kribbeln wird nur noch intensiver, als mein Zentrum leicht gegen sein Becken reibt. Und auch wenn dieser Sinnesreiz unglaublich herrlich ist und ich noch nie etwas Besseres gespürt habe, so macht es mir unfassbare Angst. „Thorin ... geh bitte von mir runter ...", flüstere ich gequält und obwohl ich eine gewisse Härte in meine Stimme legen wollte, so klingt sie eher wie die zitternden Seiten einer Harfe. Das Leuchten in seinen Augen erschlicht innerhalb eines Wimpernschlages, als er sich der unehrenhaften Situation in der wir uns befinden bewusst zu werden scheint. Sofort entfernt er sich von mir und verwirrenderweise vermisse ich schmerzlich seine Nähe und dieses besondere Gefühl. Als ich mich aufrichte, streiche ich mir verlegen eine Haarsträhne hinter das Ohr und schaue die Zwerge an, die uns anscheinend die gesamte Zeit beobachtet haben. Fili und Kili können das verschmitzte Grinsen in ihren Gesichtern nicht verbergen und signalisieren mir damit, dass sie die Situation genauso bewerten ... als einfach nur unanständig. Oin und Gloin hingegen blicken Thorin und mich finster an. Dass der zukünftige König mir, einem einfachen Hobbit, so sündhaft nahekommt, ist ihnen sichtlich ein Dorn im Auge, auch wenn es mehr oder minder unabsichtlich war.

Thorin hilft mir trotz alledem bereitwillig auf und während ich meine Kleider ordne, läuft er mit maßregelndem Blick auf sein Gefolge zu. „Was steht ihr hier herum und gafft? Los, schaut nach, ob das Boot soweit in Ordnung ist!", befiehlt er mit harschem Ton, der keine Widerworte zulässt und seine Ästimation unzweifelhaft wiederherstellen soll. Sofort setzen sich die Zwerge ergeben in Bewegung und ziehen das Boot an Land. Gloin läuft dicht an mir vorbei und stößt wie zufällig meine Schulter an. „Halt dich ja von ihm fern, Halbling!", raunt er mir leise dabei zu und sein gehässig glühender Blick streift meinen nur kurz. Zum Glück weißt das Boot keine größeren Schäden auf und durch die zwei Ruder, die in seinem Bauch liegen, können wir alle nacheinander unbeschadet und ohne größere Zwischenfälle übersetzen.

„Verzeih mir bitte, dass ich dich in eine soprekäre Situation gebracht habe", wende ich mich schließlich, nachdem ich mir sicherbin, dass wir kurz außerhalb der Hörweite der anderen sind, an Thorin und senkeschuldbewusst meinen Kopf. Er sieht mich fragend an. „Warum sollte ich das?",beginnt er leise seine Erwiderung und legt bestätigend eine Hand auf meinenRücken ... schwer und warm kommt sie zwischen meinen Schulterblättern zur Ruhe.„Ich müsste eigentlich bei dir um Vergebung bitten, da ich dich länger alsnötig unsittlich berührt habe. Es steht mir nicht zu, dir in irgendeiner Weisenahe zu kommen." Unsere Blicke treffen sich bedeutungsvoll, als ich wieder zuihm aufblicke. ‚Glaub mir Thorin, bei niemand anderem außer dir würde ich esdulden', sage ich selber zu mir und bin über die Freimütigkeit meiner Gedanken erschrocken.Bei Ilúvatar, warum kann ich diese Gefühle nicht einfach einen Namen geben, diemich immer ergreifen, wenn ich schlicht in seiner Nähe bin!? Geschweige denndiese, die mich in einer unglaublichen Intensität überrollen, wenn er mich inseinen Armen hält, mich anlächelt oder einfach nur mit diesem gewissen Leuchtenin den Augen ansieht. Ich würde ihm so gerne sagen, was ich empfinde ... aber ichhabe weder das Recht noch die Stellung und schon gar nicht den Willen, ihn indie Verlegenheit zu bringen, sich wegen irgendetwas rechtfertigen zu müssen.

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