Das mächtigste Gefühl der Welt

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Retrospektive Thorin

„Vielleicht hörst du wenigstens auf ihn, wenn schon nicht auf uns ..." Bils Stimme zerreißt gepeinigt unter der Last der sich beständig bildenden Tränen ... aber weder ihr Kummer, noch deren fließende Illustration, berühren mich ... genauso wenig wie ihre mahnenden Worte und düsteren Verheißungen, mit denen sie mich schon so oft behelligt hat. Nein ... ich werde niemals diesen Berg und seinen wertvollen Inhalt kampflos hergeben, das schwöre ich. Er ist zu kostbar und das Einzige, was mir noch geblieben ist in der Sinnlosigkeit und Leere meines Lebens. Und wenn ich im Gefecht sterbe, dann folgt mein Körper endlich der bereits schon vor so langer Zeit gefallenen Seele, deren gänzlicher Untergang auch sie mit heraufbeschworen hat. Dass sie mir den Arkenstein wer weiß schon wie lange vorenthält, bestärkt meinen Hass nur noch mehr. Ja ich verachte sie ... weil sie mich gebrochen hat, weil sie sich vor mir verschließt, weil sie mir nicht die Wahrheit sagt, weil sie mir nicht gehört, weil sie mich nicht liebt. Hätte ich sie doch nur nie auf diese Reise mitgenommen, wie viel zusätzliches Leid wäre mir bis hierher erspart geblieben ...

Aber dann sehe ich in ihren Augen, wie auch etwas in ihr zugrunde geht ... langsam aber beständig ... leidvoll sterbend in kriechendem schwarzen Öl, das alles Gute und Hoffnungsvolle überdeckt und für immer klebrig gefangen hält. „Verzeiht mir bitte ... Ihr hab recht, ich bin Euer unwürdig und darf Euch keinerlei Ratschläge erteilen oder etwas vorenthalten", sagt Bil leise ... kaum zu verstehen, da sie unterwürfig und verzagend die Stimme, den Blick und die einst wagemutig zu Fäusten geballten kleinen Hände sinken lässt. Langsam greift sie in die Tasche des wertvollen Kleides, das ich ihr einst schenkte, als ich noch ohne Zweifel dachte, ich würde so etwas wie Liebe für sie empfinden. Und als sie ein in sich leuchtendes Gebilde daraus hervorholt, stockt mein Atem, denn ich erkenne den so lange vermissten Arkenstein, obwohl er anders erscheint, als das letzte Mal, als ich ihn sah. Feuerrot und unheilvoll schimmert sein Innerstes und sofort fährt ein angstvoller Ruck durch mein Dasein, als mir schmerzlich klar wird, welche Folgen es hat, jetzt, da Bil ihn mir tatsächlich übergibt.

Sie wird mich verlassen ... nicht erst irgendwann, sondern augenblicklich ... nicht, weil Tod oder Krieg uns auseinanderreißt ... nicht, weil sie es will ... sondern, weil ich ihr in meiner Verbitterung und verletzten Starrköpfigkeit zugesichert habe, dass sie gehen kann und sie diese Zusage wahrnimmt, da ich sie schlimmer verletzen musste als jemals jemanden zuvor. Und augenblicklich sind jegliche Wut und alle Zweifel an meinen ehrenhaften Gefühlen zu ihr verflogen. Aber der Schmerz, der sich daraufhin in mir bildet, ist entsetzlich ... stürmischer und zerstörerischer noch als Trauer über Gefallene oder die Brandschatzung von Heimat ihn je heraufbeschwören konnte.

Sie legt den Stein auf einen kleinen Tisch neben sich, da ich ihn ihr nicht abnehmen kann ... denn wenn ich es täte, wäre der Verlust ihres herrlichen Lachens, ihrer himmelblauen Augen, ihrer wundervollen Präsenz so endgültig und unwiderruflich. Eigentlich sollte es mich glücklich machen, wenn sie wohlbehalten wieder in ihre behütete und friedvolle Heimat zurückkehren kann, denn nur so wird sie überleben ... sollte sie hierbleiben, würde Krieg oder Schmerz sie zerstören ... oder ich in meinem Wahn, das spüre ich. Aber die Bestürzung ob dieser Beraubung ist größer als alles andere in meinem Inneren ... gewaltiger und beeinflussender als sämtlicher weltlicher Besitz und das Verlangen danach.

Sie dreht sich um ... die Augen gebrochen und leidend, da ich ihr nicht mehr geben kann als meine Verblendung, Frustration und die Besitzgier nach Dingen und ich vermag es nicht sie aufzuhalten, denn die Erschütterung und Sinnlosigkeit meines Daseins ist im Moment so einnehmen mächtig, dass ich mich zu keiner Bewegung fähig sehe. Aber als sie die Klinge der Tür bereits in Händen hält, schaut sie noch einmal zurück und ein Blick trifft mich ... voller Leid und Verzweiflung und Selbstaufgabe. „Weiß du Thorin, mir wurde einmal folgendes Sprichwort anvertraut: Wahrhaftige Gefühle sind kostbarer, als alles Gold und Silber dieser Erde, denn sie sind das wertvollste Juwel, das man einen anderen schenken kann. Erst jetzt versteht mein Herz vollkommen, was diese Aussage bedeutet ... aber von Nutzen, sind mir die Worte dennoch nicht."

Hunderte Stimmen der Erinnerung beginnen unvermittelt in meinem Kopf aufzubrausen ... sich in einem Wirrwarr von Emotionen und Betrachtungen übereinander zu werfen. Sie sprechen von Heimat und Verpflichtung und Verbundenheit und Anerkennung ... und Liebe. ‚... lieben und geliebt werden ... das sind zwei völlig unterschiedliche Gefühle ... egal wie wahrhaftig sie sind ...' Bils beweinende Worte am Rabenberg hallen immer und immer wieder unnatürlich laut zwischen den ganzen anderen nach und erst jetzt verstehe ich sie vollumfänglich ... spüre ihre Bedeutung, die mir damals durch Verlustschmerz und gekränkten Stolz nicht klar war. Ja ... die Gefühle zu lieben und geliebt zu werden unterscheiden sich, denn das eine gibt und das andere empfängt man ... aber eines haben sie gemeinsam: Keines davon kann einzeln existieren, ohne dass es den Spender oder Empfänger bis in die Tiefen seiner Seele hinein zerstört.

„Wir sehen uns morgen auf dem Schlachtfeld", höre ich ihre reale Stimme sich plötzlich erheben und die Bedeutung schneidet unmittelbar wie ein scharfkantiges Messer in mein Herz. Sie will kämpfen ... nicht um Ehre und Ansehen oder um einen wertlosen Schatz zu verteidigen ... sondern, weil wir ihr so viel bedeuten ... weil ich ihr so viel Wert bin ... dass sie sogar in den sicheren Tod gehen wird.

Nein ... niemals ... sie darf nicht sterben ... ich liebe sie ... wahrhaftig und innig und leidenschaftlich ... wie noch nie ein anderes Wesen in meinem langen Leben. Und diese Erkenntnis bekämpft fühlbar etwas in meinem Inneren ... mit einer Macht, die so groß und kraftvoll ist und dadurch jedweden schlechten Einfluss niederringt.

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POV Thorin

Die Sonne scheint gerade erst aufzugehen, denn ihre Strahlen vermögen es noch nicht vollumfänglich durch die Lichtschächte in mein Gemach vorzudringen und hüllen es nur in ein schummriges Zwielicht aus dunklem Grau und blassem Orange. Dennoch kann ich mit meiner zwergischen Nachtsicht perfekt und klar die ruhig schlafende Gestalt neben mir erkennen und ihr bezaubernder Anblick lässt mein Herz vor Glücksgefühl und Wohlbehagen schneller schlagen. Braune lockige Haare umspielen Bils Gesicht, liegen auf ihren nackten Schultern und breiten sich teilweise auf meiner Brust aus. Ihr Antlitz ist entspannt im tief-traumlosen Schlaf und erscheint sogar jetzt von allen Sorgen und Ängsten befreit, so wie ich es schon seit so vielen Tagen nicht mehr gesehen habe, da die Pein und der Kummer um mich und meinen Zustand sie gefangen hielt. Sie ist so wunderschön und rein und begehrenswert und das Gefühl der vollständigen Freude wird noch ein klein wenig mehr, als mir bewusst wird, dass sie für immer mein ist und an meiner Seite stehen wird, die vergangene Nacht nur die Erste von so vielen gemeinsamen war.

Aber dennoch überkommt mich augenblicklich eine gewaltige Angst ... Was ist, wenn ich trotz der Gewissheit ihrer Liebe zurück in die Dunkelheit der Drachenkrankheit falle, die von mir Besitz ergriffen hatte, ohne dass ich es überhaupt merkte?! Ich würde in meinem fokussierten Wahn ... der nur Gold und Stärke und Einfluss sieht ... unvermittelt noch mehr zerstören als vorher. Auch wenn es eine Gefahr darstellt, ich muss wissen, ob mein Herz noch immer anfällig für Besitz- und Machtgier ist. Also erhebe ich mich langsam und vorsichtig um sie nicht zu wecken, und kleide mich leise an.

Als ich in den Salon trete, blendet mich abrupt ein alles überstrahlendes hellblaues und reines Licht. Es ist der Arkenstein, der noch immer wartend auf dem kleinen Tisch verweilt, auf dem sie ihn gestern Abend abgelegt hatte ... und er wird meine erste Prüfung sein. Langsam gehe ich auf ihn zu und betrachte seine Präsenz abwägend von Weitem. Der unheilvolle Schimmer in seinem Inneren ist verschwunden, so als ob er genau wüsste, dass ich, zumindest für den Moment, von dem Drachenfeuer befreit wurde. Achtsam strecke ich meine Hand aus und streiche über seine glatte Makellosigkeit. Seine Aura ist warm und kraftvoll, aber sie hat wider erwartend keinen Einfluss auf mich. Denn es gibt Schöneres und Mächtigeres auf dieser Welt als ein Edelstein, und sei er noch so bedeutend für mich und meine Sippe, das erkenne ich, als Bils Lächeln, das nun mir gilt, vor mir erscheint. Mein Herz hat seine erste Prüfung überstanden.

Ich nehme den Arkenstein nun vollständig zur Hand und betrachte ihn fast schon mit Abscheu, denn er hätte so vieles was lange brauchte, um zu erblühen, verwelken lassen können. Verbergend verhülle ich den Stein mit einem Tuch und nehme ihn mit mir in die Weitläufigkeit der Gänge hinaus. Meine nächste und auch schwerste Prüfung wartet in der Schatzkammer auf mich ... hier, wo der Einfluss des Goldes und die daran haftende Macht des Drachen mich am meisten zu einem abscheulichen Wesen werden ließ. Eines, das zu keinerlei schönem Gefühl mehr fähig war und beinahe alles gnadenlos und vollständig vernichtet hätte, was mir jetzt wichtig ist und eigentlich schon immer war.

Bevor ich in sie eintrete, rufe ich mir Bils Bild erinnernd ins Herz ... ihr Antlitz, das mich so voller Freude und Glück, Respekt und Anerkennung, Leidenschaft und Vergnügen betrachtet ... ihr Lächeln, so gelöst und beschwingt, befreit von Sorgen und Gram ... ihr Körper, anmutig und begehrenswert und wie sie ihn mir voller Vertrauen und Sinnlichkeit schenkt. Ich liebe sie schon so lange und so sehr, dass es mein Innerstes mit einem Gefühl der absoluten Erfüllung durchdringt und langsam wird mir klar, dass genau diese Liebe mich am Leben erhalten wird ... mich davor behütet, erneut dieser widerlichen Krankheit zu verfallen, solange ich mich an sie erinnere.

Ein erster Schritt ist getan und der zweite folgt, als ich die großen Türen der Schatzkammer öffne. Unvermittelt muss ich die Augen zusammenkneifen, denn der unnatürlich helle Schein des in den Flammen der Feuerschalen erglühenden Goldes und Silbers, das sich in den Facetten der unzähligen Edelsteine bricht, schmerzt unerträglich in ihnen. Nur langsam gewöhne ich mich an den peinigenden Anblick und muss schwer schlucken. War diese Kammer schon immer so voll mit hässlichem Tand, unnützen Bedeutungslosigkeiten und wertlosen Dingen? Bedächtig trete ich auf einen der Schatzberge zu, betrachte das Gold eindringlich und merke, wie trotz meiner erhofften Willensstärke etwas auf mich zurast ... einer drohenden Ohnmacht gleichend. Es versucht von mir Besitz zu ergreifen wie eine riesige, krallenbewährte Drachenklaue und unbewusst beginne ich am ganzen Leib zu zittern.

Ich schließe erneut meine Augen und versuche mit aller Unerschütterlichkeit, die mir Mahal gab, mich dagegen zu wehren, dass sie sich meiner bemächtigt. ‚Ich liebe dich, Thorin ... aus den Tiefen meines Herzens und mit jeder Faser meines Körpers...' Bils Worte hallen in meinem Inneren wieder und erneut sehe ich sie vor mir ... bezaubernd lächelnd und umweht von Kirschblüten in Beorns Garten stehend, ihr langes perlendurchwebtes Haar wird von der Sonne beschienen und glänzt wie Bronze ... der Moment, in dem ich mich spürbar in sie verliebte und fortan als eine Notwendigkeit für mein Leben betrachtete.

Und das Gefühl zu lieben und wieder geliebt zu werden ist das Mächtigste, dass es in mir geben kann und es bezwingt die Klaue erbarmungslos und grausam ... trennt ihr brutal die Krallen von dem gelüstenden Fangarm und verbrennt alles Schlechte in einem Feuersturm der Leidenschaft.

Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich das Gold und den Reichtum und die Macht vor mir und spüre die einflussreiche Schwere des Arkensteins in meiner Tasche ... aber es berührt mich nicht.

Zufrieden mit mir ob der bestandenen Prüfungen,wende ich mich schließlich ab und steige die wenigen Stufen zu den sonst immerverschlossenen Kammern unweit des Hortes hinauf ... in denen seit GenerationenKostbarkeiten aufbewahrt werden, die jenseits der Bedeutsamkeit eines einfachenSchatzes liegen. Währenddessen überprüfe ich das Vorhandensein eines weiteren einmaligenKleinodes, dass ich bereits kurz nachdem der Berg zurückerobert wurde eigenhändiggeschmiedet habe und dass seitdem sein Dasein in meiner Tasche fristet, meinständiger Begleiter wurde und nun endlich seine Bestimmung finden wird.

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