Bilsenkraut und Mohn
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Es bedarf zwei weiterer Tage und Nächte, bis ich endlich die Kraft finde aufzustehen. Allerdings, noch eine Weile benötige ich mithelfenden Beistand von Fili und Kili bei selbst kleinen Dingen ... und ich schäme mich unermesslich dafür, sehe ich doch auch ihre verbundenen Wunden und erschöpften Gesichtszüge nur allzu unbeschönigt unter dicken Stoff und gespieltem Lächeln. Aber Zwerge sind hart und widerstandsfähig wie der Stein, aus dem Aule sie einst erschuf. Niemals würden sie sich wegen nicht todbringender Wunden Schwäche erlauben, das beobachte ich in den nächsten Tagen erneut erstaunt und bewundernd. Zusammen mit der auferlegten Verpflichtung meines Königs ein Fixstern der Hoffnung zu sein und der Entschiedenheit nicht als machtlos und bemitleidenswert aufzutreten, übernehme ich schließlich ebenfalls ungeachtet von Kummer und Entkräftung dringend zu erledigende Aufgaben und stehe meinen Freunden bei in der Situation der führungslosen Notlage.
Die Versorgung der zahlreichen Verletzten, die größtenteils im Berg untergebracht wurden, ist eine eigens gewählte Pflicht, auch wenn es die abscheulichste und schwerste ist und widererwartend nicht die Einzige bleibt. Bedeutende Entscheidungen werden plötzlich wie selbstverständlich von mir gefordert ... Verfügungen über den Verbleib von Zivilisten und Kriegern, Anordnungen zur Rationierung der wenigen Lebensmittel, Befehle zur weiteren Verteidigung des Berges ... Obliegenheiten und Verrichtungen die Aufstieg oder Niedergang heraufbeschwören können.
Und was für ein ungewohnt-beschwerendes Druckgefühl diese Last über andere bestimmend zu sein auf dem sowieso schon mit Beengtheit trächtigen Gemüt ist ... uneingeschränkt und nicht nachvollziehbar wird von mir erwartet, dass ich sie zusätzlich aushalte. Ich bin keine Herrscherin und die Ehrfurcht mit der die Anderen mir begegnen und welche gewichtigen Verfügungen sie von mir verlangen, ist erschreckend und lässt mich immer mehr verzagen. Die Bürde eines Anführers ist niemals die meine gewesen und in den nächsten Tagen erlebe ich nur allzu deutlich, welche Masse diese Beschwerlichkeit aufbieten kann ... unter was Thorins Seele über Jahrzehnte gelitten hat. Aber ich will sie nicht ... nicht solange der der mir diese Pflicht eigentlich erst auferlegen kann nicht an meiner Seite steht und mich unterstützt. Dennoch, alles Abwehren und Zögern findet keine Beachtung.
Die ersten Tage verbringe ich daher gekleidet in prunklose Trauergewänder und standesgemäß kronlos in dem erdrückend-weiten Thronsaal. Zusammen mit entscheidungsunwilligen Thronfolgern an meiner Seite und Seiten von Pergament, auf denen dringende Staatsgeschäfte dessen ungeachtet nach ihrer Durchführung verlangen. Die einzigen stillen aber nicht befreiten Momente ertrage ich auf dem Wall, wenn ich die Augen über die blutgetränkte Erde schweifen lasse, denn der Blick in die Ferne ist durch Asche und Rauch der beständig brennenden Scheiterhaufen verborgen. Obendrein in Thorins Krankenzimmer, in dem ich zusätzlich zu viel Zeit wie nur möglich verbringe, denn ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ich nicht dort wäre und er erwachen würde, oder ... nein ... daran möchte ich noch nicht einmal denken.
Die Feinde haben sich nach dem Tod ihres Anführers, seines Otterngezüchts Bolg und ihrer Leibwache in die dunklen Löcher zurückgezogen, aus denen sie gekrochen waren. Nur vereinzelte Kreaturen streifen noch durch die Lande und werden von unseren Patrouillen erbarmungslos niedergeworfen. Dáin hat Fragen und Ersuche, verständliche Reparationsansprüche für gefallene Kämpfer und zerstörte Kriegsgeräte. Familienpflicht in allen Ehren, aber das Streben nach angemessener Vergütung ist begreiflich, sodass ich das aufkommende verstimmte Grummeln meiner Gefährten nicht verstehen kann. Ich überlasse allerdings dieses Mal stur den Thronfolgernd die Entscheidung über die Höhe der Bezahlung für Unbezahlbares aus dem unnützen Goldhort. Es ist nicht mein Recht über den Schatz der Zwerge zu verfügen, egal wie sehr Balin es von mir erwünscht. Andererseits, die dunkle Schwärze, die in Dáins Augen aufglimmt, als er die Berge aus Kostbarkeiten betrachtet und die mir nur allzu bekannt vorkommt, bereitet mir unsägliche Angst und ich bin froh, als er die Kammer nur mit dem ihm Zustehenden verlässt. Noch immer schwebt der habgierige Einfluss des Drachen über dem Gold und wartet nur darauf eine anfällige Seele zu vergiften.
Die gewaltige Trauer über die ungezählten gefallenen Seelen hallt auch noch nach Tagen durch die Hallen Erebors. Die die verletz weiterleben durften, sind sich dem umherschleichenden Tod oft nur allzu bewusst und die betäubenden Schmerzensschreie und hohen Klagerufe sind unerträglich. Anblicke und Gerüche ... unbeschreiblich selbst in Erinnerung an die Grauen der Schlacht. Leichen schwellen auf das Zweifache ihrer Größe an. Wunden, vergiftet durch schwarze Magie, platzen durch Eiter und kochendes Blut auf, sobald sie nur minimal verschlossen sind. Stümpfe von im Gefecht abgetrennten oder nachträglich amputierten Gliedern heilen schlecht und brandig infiziert. Die Heiler der Zwerge, Elben und Menschen sind fortwährend damit beschäftigt das nicht messbare Leiden der Überlebenden zu lindern, während die Toten in Massen unehrenhaft auf der Ebene vor den Toren des leidenden Königreichs verbrannt werden.
Ich habe Verletzungen gesehen, die jeder ungeschönten Beschreibung von Leiden und Schmerz trotzen, aber dennoch gibt es in den folgenden Tagen noch immer Momente innerhalb der dunklen und stickigen Lazarette, die an meiner Geisteskraft zerren wie ein schwerer Stein. Ein junger Zwerg wird zu uns gebracht, kaum die Mündigkeit erreicht. Unter den buschigen roten Brauen kann ich nur noch schwach die ehemals braune Farbe der Augen ausmachen, denn sie sind glasig und beobachten bereits starr und hilflos, wie sich Mandos gelüstende Finger um die unbescholtene-blutjunge Seele schließen. Sein Bein ist gänzlich schwarz durch abgestorbenes Gewebe, denn die Bisswunde eines Warges reicht tief in das Fleisch des Unterschenkels hinein.
Meine Gedanken Bestätigung suchend mustere ich Oin, der beim Anblick des verheerenden Ausmaßes vielsagend den Kopf senkt und seine Instrumente zur Seite legt. Ich streiche daraufhin dem jungen Zwerg tröstend über die rostroten Haare um ihn das Hinübergleiten in die Hallen des ewigen Wartens erträglicher zu machen ... aber dann ist es Fili, der neben mir steht und plötzlich die stumme Übereinkunft der Einsehenden infrage stellt. „Wollt ihr denn gar nichts tun?", fragt er fassungslos klingend und ich sehe in den verräterisch glitzernden Augen und höre in der feuchten Stimme die entsetzliche Wut und aufzehrende Schwere des Kummers. „Er würde es bei allen Heilkünsten nicht schaffen", antwortet Oin ruhig und besonnen, Erfahrung und Wissen in der Stimme mitschwingen lassend. „Aber ...", setzt Fili zu einer Erwiderung an, wird allerdings von mir unmittelbar und schonungslos unterbrochen. „Lass es gut sein ... Oin hat recht." Der junge Erbe sieht mich entsetzt an und ballt die zitternden Hände zu aufgebrachten Fäusten. Und in diesem Atemzug der Unbeherrschtheit erinnert er mich erneut wie ein Spiegelbild an seinen Onkel. Ich sehe Thorin durch seinen Nachfahren fast vor mir stehen in Raserei und Zorn ob der Ungerechtigkeit ... würdevoll selbst im Zusammenbruch der majestätischen Beherrschung. Oh mein armer gutmütiger Fili, der es nicht ertragen kann, wenn einem Wesen Unrecht widerfährt, wenn es keine Hoffnung mehr gibt und die aufkommenden Erinnerungen an das bereits zu viel erlebte Leid des Verlustes schwimmen gleichermaßen in unseren Augen.
„Oin, haben wir noch Bilsenkraut und Mohn?", fragte ich den Heiler und wische mir die von Schmutz, Blut und Pein besudelten Hände an einem Tuch ab, weiche dabei aber keinen Wimpernschlag Filis durchdringenden Blicken aus. „Zum Glück das Einzige, was wir in Massen vorrätig haben", antwortet er ruhig und ich wende mich mit der Anweisung an ihn ab, das Narkotikum reichlich und schmerzlindernd bei dem jungen Zwerg einzusetzen ... das Wegbegleitende, was wir dieser Tage allzu oft nur noch ausrichten können bei dem Ausmaß des elenden Sterbens um uns herum.
Ich höre wie die schweren Stiefelschritte des Zwerges mir auf den Wehrgang folgen und fürchte die sich androhende unumgängliche Auseinandersetzung mit ihm. „Du gibst Anweisung ihn sterben zu lassen! Warum bei Mahals Willen? Ist dir ein Leben so wenig wert?!", donnern seine Vorwürfe über die steinernen Zinnen und lassen sie erzittern. Ich stütze mich ermattet und hilflos und eigentlich unwillig ihm meine Beweggründe zu erklären auf den Steinen ab, vergrabe die Finger in dem unnachgiebigen Material und werde prompt mit einem Stechen der noch immer nicht ganz wiederhergestellten Hand bestraft. „Jedwedes Verbandsmaterial oder Heilkraut wäre sinnlos vergeudet bei dieser Art von Wunden ... es würde uns später fehlen für Verletzte, die eine Chance haben zu überleben", erkläre ich ruhig das eigentlich Offensichtliche und sehe Fili mit bereits tränenschwimmenden Augen an, denn der Umstand bereitet auch mir unsägliche Qualen.
„Thorin habt ihr auch ausnahmslos Heilung zukommen lassen ... ist sein Leben den wertvoller als das eines tapferen Kriegers?", versucht er mir erneut Gefühlskälte anzulasten und oh, wenn Blicke in diesem Moment töten könnten, meine würden ihn gnadenlos erdolchen ob dieser Missbilligung meines Handelns und dem bedenkenlosen Aussprechen des bislang Unausgesprochenen. Wütend und trotzig werfe ich das immer noch in den Händen gehaltene Tuch ... einst rein-weiß und jetzt schmutzig-rot ... von den Mauern. „Dann in Aules Namen sag mir, was ich tun soll ... befehle uns einen anderen Weg ... Verdammt, du bist der Thronfolger und hast im Grunde die momentan einzige Macht dazu ... niemand anderes ... denn der der sie eigentlich hätte, ist ... er ist ... er wird ...!" Meine Stimme zerbricht unter Erregung, Kummer, Bürde und Verzweiflung, die zusammengeballt so unermesslich meine Seele belasten, aber in Anbetracht der Situation niemals nach außen dringen dürfen und ich merke die noch immer nicht ganz wiedererlangte Kraft, als ich letztendlich unter der Schwere erschöpft und wimmernd zusammensacke.
Sofort ist Fili an meiner Seite und stützt mich haltgebend. Tränen brennen in den Augen ... erbarmungslos wollen sie sich ihren gerechtfertigten Weg nach draußen erkämpfen, aber erst als er mich in eine tröstende Umarmung zieht, erlaube ich es mir sie zu vergießen. Ich weine ... hemmungslos und verbittert ... das erste Mal nach der Schlacht und ich begreife, dass ich es mir entgegen meinem selbstquälerischen Verbot erlauben kann ... spätestens, nachdem ich auch seine fallenden Tränen auf mir spüre. Wir beweinen gemeinsam den Schmerz, das Leid und die Verluste und es ist auf gewisse Weise sogar tröstend und befreiend ...
„Aber du bist doch unsere Königin und deine Entscheidungen sind die die uns lenken sollen ... nicht meine", flüstert er erstickt und ich kralle mich die plötzlich aufkommende Wut unterdrückend in den Stoff seines Mantels. „Warum ... warum ICH bei Erus Willen!? Diplomatie, Politik, Gerichtsbarkeit, Militärtaktiken ... ich habe keine Ahnung von diesen Dingen ... weder kann noch will ich sie beeinflussen ... ich verlangte nie nach dieser Macht ... ich begehre sie nicht einmal", zische ich erbost und kaum, dass ich die Worte ausgesprochen habe, tun sie mir unendlich leid, denn mir wird augenblicklich klar, dass auch Fili diese Belastung eigentlich nicht vollumfänglich tragen kann. Er ist noch so jung und ebenso unerfahren in den Aufgaben der Monarchie ... Und er hat genauso große Angst vor der Aufgabe des Thronfolgers und der so präsenten Schwere als König, die ihm bevorsteht, wenn ... Thorin stirbt.
„Verzeih mir ... ich wollte nicht ...", beginne ich stockend Vergebung zu erbitten, aber Fili schiebt mich sofort von sich, um mir in die Augen zu sehen. „Du musst dich nicht bei mir entschuldigen ... ich müsste es bei dir", gesteht er sanft und streicht eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht, berührt dabei beiläufig eine der kaum verheilten tiefen Schrammen, die wohl eine Narbe an der Schläfe hinterlassen werden. „Thorin erwählte dich zu seiner Königin, weil er wusste, du würdest eine starke und gerechte Regentin sein. Aber wir alle haben verdrängt, dass du erst mit seiner Unterstützung zu dieser heranwachsen wirst ... dass Hobbits wenig über die Pflichten wissen können, die einer Alleinherrschaft bedürfen ... dass die Schwere der Macht zu viel für dich sein könnte", erklärt er und zieht mich erneut in eine Umarmung. „Wir werden dich ab sofort unterstützen ... bei allem, was dir zuwider ist. Aber jede Entscheidung wird in deinem Namen getroffen ... denn du bist Thorins Königin und damit auch unsere."
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