Cecil
Gold tötete. Silber bestärkte.
Was sollte das bedeuten? Cecil hatte jedoch nicht allzu viel Zeit, darüber nachzudenken. Zu welcher Waffe sollte er greifen? Er wusste nichts über das Dasein als Gelehrten und hatte keine Ahnung, wie er die angeblichen Kräfte, die er besaß, nutzen konnte.
Ein Knurren, direkt hinter ihm.
Er hechtete zur Seite, stolperte über einen herausstehenden Stein und fiel auf seine Schulter. Es knackte gefährlich, klang wie ein Donnerhall in seinen Ohren. Neben ihm sprang das Monster auf die Stelle, wo er gerade eben noch gestanden hatte und presste seine schwarze Nase auf die Steine, schnüffelte lautstark. Cecil ächzte und rollte sich herum, stützte sich mit seinen schmerzenden Händen am Boden ab. Er hatte seine Lederhandschuhe nicht wieder anziehen können und die kleinen Splitter aus Stein, Holz und Glas bohrten sich in seine Haut, bis kleine Blutstropfen hervorquollen. Er zischte und holte tief Luft, versuchte, den stechenden und brennenden Schmerz auszublenden. Dann warf er einen kurzen Blick auf das Monster, das just in diesem Augenblick den Kopf hob, die zuckende Nase in seine Richtung streckte. Augen, bei denen Cecil Pupille und Iris nicht unterscheiden konnte, blickten in seine Richtung. Die Nasenlöcher blähten sich auf und glühten als würde ihn ihnen ein Feuer brennen. Die felligen Lefzen zogen sich weiter nach hinten und entblößten das Gebiss aus schwarzen Zähnen, deren Ränder gezackt waren. Ein perfektes Gebiss, um seine Beute zu reißen. Lange Speichelfäden tropften in das rostrote Fell, bildeten dort kleine Perlen, die das schwache Licht einfingen und glitzernd zurückwarfen. Sie sahen aus wie kleine Diamantstücke. Cecil hätte es als hübsch bezeichnen können, würde das Monster nicht seinen Tod bedeuten.
Er sprang auf die Füße, als das Monster einen Satz nach vorne machte. Die beharrte Pranke verfehlte ihn um wenige Zentimeter, der entstandene Luftzug brachte seine Haare durcheinander. Ein Krachen ertönte und ein weiterer hölzerner Dachboden fiel unter einem ohrenbetäubenden Lärm auf den Steinboden und zersplitterte. Cecil legte sich seine linke Hand in den Nacken, um diesen vor den tödlichen Geschossen zu beschützen. Ein hölzerner Dorn bohrte sich tief in die Haut, dass er aufschrie. Er duckte sich, ließ sich auf die Knie fallen und robbte dann panisch weiter, die Waffen nicht außer Acht lassen.
Gold tötete. Silber bestärkte.
Schweiß lief ihm über das Gesicht, das sie so heiß anfühlte, als würde Solars mit all seiner Macht auf ihn herabscheinen. Doch Solars existierte nicht mehr, Lunaris war der einzige, der ihm nun zu helfen vermochte. Wie gnädig waren die Mondscheingötter? Würden sie einem Taggeborenen, gefangen in der Nacht, tatsächlich ihre Gunst schenken oder sahen sie nur stumm dabei zu, wie sich dieser Eindringling verhalten würde – und wie lange sein Leben wohl währen mochte.
Er hörte das Rascheln des Fells, als das Monster sich umdrehte. Das verräterische Schnüffeln, die gierig-grunzenden Laute aus seiner langen Schnauze.
Es ist blind, dachte Cecil irgendwo in seiner Panik und erinnerte sich an die seltsamen Augen zurück. Es verlässt sich womöglich nur auf seinen Geruchssinn.
Dafür musste dieser herausragend sein.
Cecil rappelte sich auf und lief die letzten Schritte zu den Waffen. Er hatte keine Zeit mehr, nachzudenken, hatte keine Zeit mehr, den Dorn, der immer noch in seiner Hand steckte, zu entfernen. Adrenalin wurde durch sein kräftig schlagendes Herz durch seine Arterien gepumpt, sorgte dafür, dass Cecil seinen Schmerz vergessen konnte. Hinter sich hörte er ein schlabberndes Geräusch. Ganz kurz nur wagte Cecil einen Blick über seine Schulter und sah, dass das Runenmonster mit seiner langen, zweigeteilten Zunge über den Boden leckte – genau die Stellen, die Cecil mit seinen Händen berührt hatte, an denen Blut und Schmutz klebte.
Es grollte, diese paar Tropfen schienen seinen Hunger nicht gestillt zu haben. Die Nase streckte sich wieder dem Himmel entgegen, das Monster hob eine Vorderpfote an und knickte sie ein, während es anscheinend unverwundbar auf den anderen dreien stand wie ein Fels in der Brandung. Der lange Schweif schlug immer wieder nach rechts und links aus, war immer in Bewegung.
Für das Gleichgewicht?
Cecil war beinahe an den Waffen angekommen. Er ging stolpernd in die Knie, als das Monster hinter ihm seinen behaarten, gedrungen wirkenden Körper zu ihm drehte. Die kurzen Ohren zuckten nur einmal und legten sich dann ganz flach an den apfelförmigen Kopf an. Nun floss auch noch Geifer an seinen Lefzen herab, der das schaurige Bild komplettierte. Cecil hoffte, dass es nicht das letzte war, das er zu sehen bekam.
Gold tötete. Silber bestärkte.
Keine Zeit zum Nachdenken.
Cecil streckte die Hand aus und schloss seine Finger um das mit Leder umwickelte Heft des Goldschwertes. Riss es ungelenk hoch, wirbelte es in einem großen Kreis herum und schlug damit nach dem Monster, das einen großen Sprung auf ihn zugemacht hatte. Die glänzende Klinge traf das Vieh an der Schnauze und führte ihm an der empfindlichen Nase einen blutigen Riss zu.
Es jaulte auf und taumelte zurück, schüttelte den Kopf hin und her. Ein Regen aus schäumendem Speichel und Blut ging auf Cecil nieder. Doch er roch widerlich, nach geronnenem Blut und nassem Hund. Cecil taumelte zurück und ließ das Schwert wieder fallen. Er nutzte die entstandene Pause und hob die linke Hand vor seine Augen, um den Dorn, der in seiner Handfläche steckte, zu inspizieren. Die Spitze ragte genau in der Mitte des tätowierten Kreises heraus, starrte ihm höhnisch entgegen. Cecil presste die Kiefer zusammen und widerstand dem Drang, den Dorn hinauszuziehen, denn er sorgte als eine Art Stopfen dafür, dass er nicht noch mehr Blut verlieren würde. Langsam ging Cecil wieder in die Knie und nahm das Schwert wieder auf. Es war schwer, doch es fühlte sich nicht ungewohnt für ihn an.
War er als Taggeborener ein Kämpfer gewesen?
Wie von selbst nahmen seine Füße eine korrekte Haltung ein, aus der es schwer wurde, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die goldene Klinge, die er schützend vor sich hielt, war mit dem dunklen Blut des Runenmonsters bedeckt, das sich immer weiter zurückgezogen hatte, seine Pfoten ableckte und damit immer wieder über seine Schnauze fuhr.
Es hätte süß aussehen können, wäre das Monster nicht fünfmal so groß wie ein normaler Wolf gewesen. Doch er hatte es anscheinend an seiner größten Schwachstelle getroffen.
Es sieht nichts. Es scheint auch nichts zu hören. Einzig und allein sein Geruchssinn zählt. Der Schwanz ist zum Gleichgewicht halten da.
Cecil verengte die Augen.
Wenn du dir einem größeren Gegner gegenüberstehst, mache dir immer die Schwachpunkte zu nutze. Jeder hat welche – du musst sie nur herausfinden.
Die Nase war ein Schwachpunkt.
Doch der Schwanz war der zweite, derjenige, der dieses Monster endgültig zu Fall bringen könnte.
Cecil stieß einen wilden Kampfschrei aus, der schon lange in seiner Kehle gesessen und endlich befreit worden war. Wie die Melodie des Krieges brach der schrille Laut zwischen seinen Lippen hervor. Cecil fühlte sich dadurch befreit, obwohl das Monster vor ihm ihn nicht hören konnte. Stattdessen hörte es auf, seine Schnauze zu putzen und erstarrte, schien die Witterung erneut aufzunehmen.
Er ist blind, sagte Cecil sich immer wieder, während er mehr und mehr Geschwindigkeit aufnahm. Er ist blind, blind, blind. Er kann mich nicht sehen. Ich muss nur den richtigen Moment abpassen.
Das Monster grollte und hob eine Pfote, um sie auf ihn niedersausen zu lassen. Cecil rannte weiter auf seinen Gegner zu, dann sprang er im richtigen Moment ab. Die Pfote krachte dorthin, wo er eben noch gewesen war. Seine Schulter strahlte einen beständigen Schmerz auf, der jedoch sofort in den Hintergrund rückte. Cecil lag auf dem Boden, keuchend und rappelte sich schwerfällig wieder auf. Sein Manöver war gewagt und hätte er zumindest den robusten Ledermantel getragen, hätte er womöglich besser abfedern und rollen können. Doch so schleppte sich Cecil mühsam Schritt für Schritt vorwärts, zwischen den Beinen des Monsters gebückt hindurch, bis er den Schwanz erreicht hatte.
Sein anfänglicher Adrenalinschub verging allmählich wieder. Mit letzter Kraft hob Cecil sein Schwert und vollführte einen nicht eleganten, aber wirksamen Hieb gegen den Ansatz der Rute. Der goldene Stahl glitt wie Butter durch strähniges Fell, Fleisch, Knochen und Sehnen. Ein paar Spritzer beschmutzen Cecils Gesicht, als er sofort den Rückzug antrat und Abstand zwischen sich und dem Monster brachte.
Es wütete. Und brüllte. Geifer flog durch die Luft, gepaart mit Blutstropfen, die wie kleine Rubine in der Luft funkelten. Sprang ein paar Mal auf seinen Pfoten hin und her, drehte den Kopf in die eine, dann in die andere Richtung, wankte ... und fiel mit einem gewaltigen Poltern zur Seite, das ein kurzes Beben auslöste, bei dem Cecil sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er sacke auf die Knie, schaffte es nicht, den letzten Stich durchzuführen. Das Schwert fiel im aus der Hand, war plötzlich viel zu schwer geworden. Klirrend küsste das Metall den Stein, untermalt von den grunzenden, leidenden Geräuschen, die das Runenmonster ausstieß.
Jemand von oben stieß einen Schrei aus, der wie der eines Raubvogels klang. Cecil legte den Kopf in den Nacken, den Mund weit geöffnet und beobachtete, wie eine Person mit wehendem Mantel heruntergesprungen kam, in seiner Hand einen kleinen, goldenen Dolch. Mehr sah Cecil nicht, denn schon landete der Fremde auf der Seite des Runenmonsters, nutzte die natürliche Polsterung des Körpers und sprang auf den Boden. Er verlor keine Zeit, rannte zur Brust des Monsters und rammte seine Klinge mit einer fließenden Bewegung in das Fleisch.
Das Monster stieß ein hohes Kreischen aus, bäumte sich ein letztes Mal auf – und fiel dann leblos wieder zu Boden. Im nächsten Moment wurde Cecil von einem unvorstellbaren Schmerz in seinem Kopf übermann. Ein heller Lichtblitz, dann sah er nur noch weiß. Der raue Stein unter seinen Knien fühlte sich viel zu hart an, er spürte die leichte Brise, die herrschte und wie ein starker Wind an seinem Körper zerrte, roch den natürlichen Gestank des Runenmonsters, gepaart mit seinem fauligen Atem und dem Geruch nach Blut ... Dann erschien ein Bild vor seinen Augen.
Ein Symbol.
Ein aufgerichtetes Dreieck, an dessen beiden Schenkel sich zwei kleinere Kreise befanden.
Nein, kein Symbol.
Eine Rune.
Cecil hatte außer der Krallenspur und dem runden Kreis auf seiner Hand noch keine Runen gesehen, doch er wusste, dass es eine war. Doch was noch viel beängstigender war ... er wusste, was diese Rune bedeutete. Er konnte sie lesen, sie verstehen.
Odor.
Geruch.
Seine erste Rune, die er im Kampf erhalten hatte.
Im nächsten Moment normalisierte sich die Welt um ihn herum wieder. Cecil war vornüber gesunken und stützte sich nun mit Händen und Knien ab, den Mund immer noch weit geöffnet. Die Erschöpfung des Kampfes schwappte über ihn wie eine große Welle und die Übelkeit kam in ihm hoch. Dieser Geruch war zu viel. Viel zu viel. Er war nicht mehr auszuhalten. Mit heißen Tränen, die in seinen Augen brannten, übergab er sich auf dem Boden unter sich, spuckte, keuchte und schnappte zwischen den kleinen Pausen, die ihm gewährt waren, verzweifelt nach Luft. Er zitterte am ganzen Körper, fühlte sich vollkommen ausgelaugt. Nach seinem Kampf war das auch kein Wunder.
„Hier."
Jemand warf ihm etwas hin. Der Gegenstand gab nur ein leichtes Klirren, blieb einige Handbreit vor ihm liegen. Cecil blinzelte verwirrt. Er konnte kaum noch seine Augen aufhalten, so schwach war er geworden. Er versuchte, den Gegenstand zu erkennen, kniff die Augen zusammen ... war das ein Dolch?
Die Klinge blitzte silbern auf.
Er rührte sich nicht.
Seine Ohren vernahmen leichtfüßige Schritte, dann traten die dunklen, abgesetzten Stiefel und zwei Beine, die in einer ebenfalls dunklen Hose steckten, in sein Sichtfeld.
„Steh auf. Steh auf, oder das Monster hat gewonnen." Die Beine kamen näher. „Steh auf, verdammt!" Jemand packte ihn an den Schultern und zerrte ihn nach oben, dass er nur noch auf seinen Knien saß. Cecil griff mit seiner rechten, unverletzten Hand, nach dem Arm des Fremden, hielt sich aber mehr daran fest, als sich wirklich gegen den eisernen Griff zu wehren. Der Holzdorn, der noch immer in seiner linken Handfläche steckte, hatte sich durch seine seltsame ... Vision noch weiter durch die Hand gebohrt. Der Fremde schnaubte, packte das Holzstück und zog es mit einem Ruck heraus.
Cecil brüllt, dann wurde ihm der blutige Stachen horizontal zwischen die Zähne gerammt, dass er darauf beißen konnte. Im nächsten Moment schüttelte der Fremde ihn ab und ging in die Knie, griff nach dem silbernen Dolch. Er packte Cecils linke Hand und drehte sie nach oben, hielt sie scharfe Klinge an sie. Cecil wollte protestieren, doch noch immer jagte der Schmerz durch seinen Körper und dank dem Holz in seinem Mund konnte er nur ein hohes Wimmern ausstoßen. Er spuckte es aus, wollte betteln und flehen, dass der Fremde ihn in Ruhe lassen würde.
Die Klinge schnitt in sein Fleisch, durchtrennte die blutrote Tätowierung. Blut quoll hervor. Cecil versuchte erneut, seine Hand wegzuziehen und dieses Mal ließ der Fremde es geschehen. Er fiel auf die Seite und erwartete die nächste Schmerzenswelle.
Doch sie blieb aus.
Überhaupt fühlte er sich ... besser. Sein Herzschlag beruhigte sich, seine Müdigkeit verschwand und selbst das beständige Pochen von seiner Schulter verblasste zusehends. Cecil verstand nicht, was mit ihm los war. Sein Körper fühlte sich an, als würde ihm jemand eine Massage nach einem besonders anstrengenden Tag und sehr starke Pillen gegen seine Schmerzen geben und er könnte sich zusätzlich in einem warmen Bad entspannen.
Zögernd hielt Cecil sich die linke Hand vor die Augen und sah mit aufgerissenen Augen dabei zu, wie das Loch, das der Holzsplitter hinterlassen hatte, vor seiner Nase zusammenwuchs. Ebenso wie der Schnitt, den der Fremde ihm zugefügt hatte. Am Ende blieb nichts als eine leichte Rötung zurück und seine Hand fühlte sich so an, als wäre sie nie verletzt worden.
Ungläubig bog Cecil die Finger und streckte sie dann wieder. Er spürte keine einzige Beeinträchtigung und auch seine Schulter ließ sich problemlos bewegen.
„Was ...", stieß er aus und blickte dann zu dem Fremden hoch.
„Geht doch", brumme dieser und ging zurück zu dem Monster. Er holte etwas aus seiner Manteltasche und beugte sich dann vor. Cecil konnte nicht genau erkennen, was er tat, aber ... zapfte er das Blut des Runenmonsters ab?
Der Fremde richtete sich allzu bald wieder auf und blickte zurück zu Cecil.
„Komm", befahl er schlussendlich mit knurrender Stimme.
Wieso?, wollte Cecil am liebsten Fragen, doch er schaffte es nur bis zu einem fragenden Ton.
„Du willst doch überleben, oder?", blaffte der Fremde ihn an, wandte sich aber nicht zu ihm um. „Und ich bin die einzige Person in ganz Mhernyk, die dir wahrscheinlich helfen wird. Also" – jetzt schoss doch ein scharfer Blick zu Cecil – „komm!"
Cecil überlegte nicht lange. Dieser Fremde ... er musste ein Gelehrter sein und im Endeffekt war er dadurch ebenfalls ein Monster. Nur eines in menschlicher Gestalt. Und bei Monstern sollte man nicht zu sehr nachdenken.
Er rappelte sich auf, sammelte sein goldenes Schwert und seinen silbernen Dolch ein und schloss zu seinem unbekannten Retter auf.
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